Читать книгу Esplanada - Sebastian Teruel - Страница 7

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Kapitel 3

Ein neuer herrlicher Abend kündigte sich an, den ich nutzen wollte, um alte Fotos anzuschauen, die ich in einem noch älteren Schuhkarton aufbewahrte. Mit diesem Karton unterm Arm war ich unterwegs zur Esplanada.

Unsystematisch in der Wühlkiste der Erinnerungen kramen, im ›Trüben fischen‹ sozusagen, hat manchmal den Vorteil, dass Dinge entdeckt werden, die bei geordneter Sicht vor lauter Klarheit verborgen geblieben wären. Im gespannten Entdecken, ohne Eile und Hektik, sollten bildhafte Erinnerungen zu einer Reise in die Zeit der Jugend und Kindheit einladen. Ein Foto in der Hand – welch schöner Unterschied zum massenhaften Durchblättern in endlosen Dateien auf einem Bildschirm.

Auf der Terrasse der Esplanada war eine einsame Ecke frei. Ich bestellte einen Wein, genoss einen kurzen Moment das Angekommensein und machte mich dann über den Karton her.

***

Fotos aus Kindertagen. Junge Gesichter, die in die Kamera schauen – verwundert, fröhlich, erwartungsfroh. Wer würde da nicht schmunzeln? Die Aufnahmen waren Augenblicke eines natürlich-echten Lebens. Bilder, auf denen die Unschuld bewahrt blieb, ohne je vom Fluch eines Dorian Gray bedroht zu werden. Die Bilder waren festgehaltene Momente aus dem Fluss eines sich selbst folgenden Daseins. Noch ›In-sich‹-Besonnene und keine ›Dieses-und Jenes‹-Bedenkenden. So sollten Kinderaugen erst recht, die Augen junger Heranwachsender noch lange in die Welt schauen. Glücklich verspielte Zeiten einer kindlichen Anarchie. Festigung, Unterricht und Anpassung werden früh genug kommen und die Kreise lebhafter Phantasie enger ziehen.

Ein Rufen auf der Straße ließ mich aufblicken. Ein hübsches Mädchen in der Blüte der Jugend machte auf sich aufmerksam. Natürlich meinte sie nicht mich – ich hätte wohl ihr Vater sein können … Nein, ein junger, fröhlich grinsender Typ rief von der anderen Straßenseite zurück. Der Halbwüchsige schritt aufrecht über die Straße, zeigte seine neu gewordene Kraft. Eher angeberisch als selbstbewusst. Das Vorlaute ist der Schutzmantel der Jugend.

Als die beiden zusammenkamen, lächelten sie scheu. Aber ein Lächeln, wie mir auffiel, das wie eine Hoffnung, ein Versprechen auf die Zukunft war, noch ohne Enttäuschungen, noch frei von bitteren Erfahrungen.

Beide gaben sich Küsschen auf die Wangen, kurz, aber mit vielsagenden Blicken. Der Wunsch nach mehr war unverkennbar. Das aufblühende Leben.

Das Zurückschauen auf die Jugend … Wie schön ist das ›Werden‹ mit dem Bewusstsein, alle Möglichkeiten vor und in sich zu haben. Wenn die Seele in einem jungen und starken Körper ruht und noch nicht altphilosophischer Weisheiten gedenkt und letztlich einer vergangenen lebendig-naiven Weltsicht nachtrauert.

Das junge Pärchen ging fröhlich weiter. Nicht wenige Zuschauer der Esplanada sahen den beiden hinterher. Ein Zurückschauen auf eigene, verblasste Jugendträumereien? Es war, als würde »nichts über die Jugend gehen. Als sei sie die Herrin des Lebens«. – Oscar Wilde.

***

Die Nacht brach an und die äußerst freundliche Bedienung begann wie an jeden Abend, die Kerzen aufzustellen. Eine der großen Gartenlaternen stellte er auf den Blumenkübel neben meinem Platz. Im hellen Licht der Laterne waren die Fotos wieder gut zu sehen. Interessiert sah die äußerst freundliche Bedienung sich eines an.

Wer denn dieser auf den Photographien abgebildete, etwas einfältig aussehende Junge sei und welcher Mensch noch ›Papierfotos‹ mit sich herumschleppe?

Tatsächlich sprach er das Wort ›Photographien‹ so aus, dass man glauben konnte, die beiden ›ph’s‹ – nach alter Schreibweise – zu hören. Die äußerst freundliche Bedienung machte sich oft diesen Spaß, da er um meine Vorliebe für das Altmodische wusste.

Ich erklärte, es gehe ihn nichts an, worauf zur Antwort kam, dass bei jenem etwas einfältig aussehenden Jungen ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem seiner Gäste auffalle. Frech zeigte er auf das Kinderfoto von mir.

Ich erklärte, dass er sich scheren solle, wo der Pfeffer wächst, da ich den Spuren der unschuldigen Jugend folgen würde.

Ob ich damit meine, jungen Damen ungehörig nachzustarren, wie vor zwei Stunden geschehen.

Ich würde nicht ungehörig nachstarren, sondern …

Er schon verstehe, man das eigene Alter irgendwann gar nicht mehr glauben wolle, wenn Sommer für Sommer eine neue Jugend heranwachse.

Ob er mir einen Absinth bringen könne.

»Absinth? Seit wann trinkst du Absinth?«, fragte die äußerst freundliche Bedienung überrascht.

»Absinth war das Lieblingsgetränk von Oscar Wilde«, antwortete ich.

»Jaja, einzig die Schönheit und Jugend zählt«, sagte die äußerst freundliche Bedienung.

»Ich brauch eh eine Pause«, sagte er und ging los, zwei Gläschen zu holen.

***

Wir kippten unseren Absinth runter.

»Auf die Jugend!«

»Auf die Jugend!«

»Alt werden, dass ist nix.«

»Richtig.«

»Aber was ist mit der Weisheit im Alter?«

»Auch nicht besser.«

»Warum?«

»Dir hört keiner mehr zu.«

»Richtig.«

»Sonst noch was?«

»Keiner braucht dich mehr.«

»Nicht schön.«

»Richtig.«

»Richtig.«

Die äußerst freundliche Bedienung hatte danach noch zwei Stunden zu tun, bis die Plätze auf der Esplanada sich langsam leerten und er Zeit fand, sich mit zwei weiteren Absinth zu mir zu setzen. Wir betrachteten noch lange die alten Fotos – oder ›Photographien‹ – und lachten viel über die alten Erinnerungen.

Es war dunkel geworden und die meisten Teelichter auf den Tischen waren erloschen, aber die große Laterne auf dem Steinkübel neben meinem Platz schenkte uns ausreichend Licht. Auch die äußerst freundliche Bedienung war auf vielen Fotos zu sehen. Die Augenbrauen immer ein wenig hochgezogen, ein freches Lächeln im schmalen Gesicht. Schon damals dieser neunmalkluge Gesichtsausdruck.

Natürlich hatte die äußerst freundliche Bedienung eine andere Meinung darüber.

Natürlich war es nicht bei zwei Absinth geblieben.

***

Mit dem alten Schuhkarton unterm Arm schlenderte ich spät in der Nacht nach Hause, mit Gedanken an die jungen Gesichter, die einst verwundert, fröhlich und erwartungsfroh in die Kamera geschaut hatten, und war dankbar für das Unbeschwerte unserer Kindheit. Leben im wahren Sein, noch weit entfernt von den Tagen des Zurückschauens.

Esplanada

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