Читать книгу Die Musik auf den Dächern - Selim Özdogan - Страница 8

IN GUMMISTIEFELN

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– Du glaubst nicht wirklich, dass Außerirdische die gemacht haben, oder?

– Nein, sagte ich, das glaube ich nicht. Ich sage nur: Es ist möglich.

Ein Stück trockenes Holz knackte unter dem Rad meiner Schubkarre.

– Es ist längst bewiesen, dass die alle von Menschen gemacht wurden. Zwei Engländer haben zugegeben, dass sie das waren mit den Kornkreisen. Das kann jeder nachlesen. Den einen hat seine Frau verdächtigt, er hätte eine Affäre, weil er sich über Nacht rausschlich, und deshalb hat er ihr gestanden, was er da macht. Aber die Menschen ziehen ja vor, ihr Weltbild nicht von Fakten umschmeißen zu lassen, insbesondere die mit den spirituellen Meisen.

Meine Arme waren schon zerstochen, aber auf Dani war offensichtlich noch keine Mücke gelandet.

– Aber Rationalisten wollen ihr Weltbild doch auch nicht umschmeißen lassen. Sie wollen weiterhin glauben, dass alles irgendwann vom Verstand erfasst werden wird, auch wenn es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass das möglich sein könnte. Sie sind wie Leute, die glauben, man würde eine Melodie verstehen, wenn man sie Ton für Ton durchanalysiert. Dabei lebt die Melodie ja vom Zusammenspiel.

Das Rad meiner Karre blockierte plötzlich, ich schrammte mir das Schienbein am Blech auf. Es ging leicht bergauf, ich ließ die Karre etwas zurückrollen und versuchte dann, mit Schwung über die Erhebung zu kommen. Auch beim zweiten Versuch blockierte das Rad und ich schrammte mir das andere Schienbein auf. Ich nahm zwei Schritte Anlauf und versuchte es etwas weiter rechts.

Dani war mittlerweile aus dem Lichtkreis meiner Stirnleuchte verschwunden. Mein T-Shirt klebte mir am Rücken, es war eine ausgesprochen warme Nacht und ich fragte mich, wovon sich die Mücken ernährten, wenn keine Menschen im Wald waren.

Dani stellte ihre Stiefel auf die hydraulische Ladefläche des Transporters, als ich ankam, gut acht Kilo wog ein einzelner Stiefel und wir hatten noch nicht mal die Hälfte im Transporter. Die Sonnenblumen waren so hoch, dass man achtgeben musste, die Stiele nicht zu knicken.

– Fast fertig, sagte Dani und setzte sich auf die Ladefläche. Zigarettenpause?

Sie war mager, trug zerschlissene, enge schwarze Jeans, ein schwarzes Top, lilafarbene Chucks, ihre Arme waren muskulös und makellos, kein einziger Stich oder Kratzer von Büschen. Ich sah auf die Uhr. Kurz nach zwei. Dann schüttelte ich den Kopf.

– Bis wir alle Stiefel im Transporter haben, ist es drei. Bis wir in der Stadt sind, fast vier. Wir müssen uns ranhalten.

Sie lächelte und glitt von der Ladefläche. Wir schoben unsere Schubkarren zurück.

– Was ja die wenigsten wissen, sagte ich, die beiden Männer wurden vom Geheimdienst bezahlt. Sie haben die Kornkreise tatsächlich selbst gemacht, aber eben auf Befehl. Damit man sagen kann, dass alle Kornkreise auf wissenschaftlich nachvollziehbare Weise erklärt werden können. Auch die, die schon vor fünfhundert Jahren gesehen wurden.

– Ah, sagte Dani, Freimaurerlogen, Rosenkreuzer, Inside Jobs, Weltherrschaft, Geheimlehren, die der Allgemeinheit vorenthalten werden, eine Welt hinter der Welt, wie wir sie kennen, Menschen, die im Verborgenen daran arbeiten, ihr Wissen und ihre Macht zu monopolisieren, schon seit Jahrhunderten. Sie klang ein wenig gelangweilt.

– Snowden, der allererste Renegat? Hätte es nicht vor ihm etliche andere geben müssen, über diese Jahrhunderte verstreut? Können diese Geheimbünde tatsächlich Geheimnisse für sich behalten? Alles kommt früher oder später raus.

– Kennedy, warf ich ein.

– CIA, geschenkt, sagte sie.

– Dafür gibt es genauso wenig Beweise wie für die außerirdische Herkunft der Kornkreise.

Sie lachte und es klang leicht amüsiert. Die Arbeit machte ihr kaum Mühe, Kunststück, sie war Jugendeuropameisterin im Taekwondo gewesen, vor gerade mal sieben Jahren.

– Was ist mit diesen Medien, die Botschaften aus dem All oder von Verstorbenen empfangen?, sagte ich. Sind das auch alles nur Scharlatane?

Sie schaute mich an, als wäre ich ein Kind. Wir waren bereits kurz vor unserer Baumschule, wie wir es immer nannten. Matze hatte hier letztes Jahr noch Cannabis gezüchtet und uns nun den Platz für die Aktion zur Verfügung gestellt. Nächstes Jahr wollte er wieder Geld verdienen. Deshalb waren wir auch nur zu zweit hier. Je weniger davon wussten, desto besser.

Es war nicht leicht gewesen, Matzes und Danis Vertrauen zu gewinnen. Jetzt war ich dabei, in Danis Achtung zu sinken, das war mir klar. Als wir die Gummistiefel auf die Schubkarren geladen hatten und zurückgingen, versuchte ich es dennoch ein weiteres Mal.

– Es ist den meisten Menschen einfach nicht zugänglich, sagte ich, das ist wie höhere Mathematik. Da sagt doch auch niemand, das ist unwissenschaftlich, nur weil das Hirn eine bestimmte Veranlagung mitbringen muss, um da durchzusteigen. Aber wenn jemand Botschaften empfängt, weil er sensibel …

– Ich glaube niemandem, der mit meiner toten Oma sprechen kann, unterbrach sie mich harsch.

Wenn ich mich nicht täuschte, schwitzte sie langsam auch. Ihr Geruch vermischte sich mit dem Geruch des Waldes und mein Herz pumpte schwer, also hielt ich den Mund und atmete durch die Nase ein.

In der nächsten halben Stunde schwiegen wir. Schließlich waren alle Sonnenblumen, die wir im Frühling in Gummistiefeln in Übergröße gepflanzt hatten, im Transporter. Da ich keinen Führerschein hatte, setzte sich Dani ans Steuer und wir fuhren los.

Ihr glaubt jetzt vielleicht, dass ich einfach nicht weiß, wann genug ist, aber so ist es nicht.

– Es wird so viel Geld in die Raumfahrt gesteckt, sagte ich, da muss doch was dran sein. Glaubst du wirklich, dass die Erde von rund zehn Trillionen Planeten der einzige ist, auf dem es Leben gibt?

– Nein, sagte sie. Ich glaube nur nicht, dass die anderen sich für uns interessieren. Oder dass wir uns für sie interessieren sollten. Wir haben hier eindeutig wichtigere Probleme.

– Auf der Venus zum Beispiel gibt es ja, fing ich an, doch Dani unterbrach mich wieder.

– Auf der Venus, Alter, auf der Venus ist es viel zu heiß für irgendetwas. Hältste mich für blöd, oder was? Auf der Venus hat es mehr als vierhundert Grad, da lebt gar nix.

– Unsere Fantasie reicht vielleicht nicht aus, gab ich zu bedenken. Wir stellen uns Leben immer so ähnlich vor wie unseres. Nicht wie schwingende, entkörperte Wesenheiten, die sich von Hitze ernähren, weil Hitze ja Energie ist. Könnte doch sein, oder? Die DNS ist nicht die einzige Form von belebter Information. Vielleicht sind da Energiewellen mit Bewusstsein, die mit Leichtigkeit Millionen von Kilometern zurücklegen und sich bei Bedarf materialisieren können. Und die genau wie viele frühe Kulturen die Sonne anbeten. Die auch ein Interesse haben, das Hakenkreuz zu entnazifizieren. Eher so spielerisch-kreatives Interesse als ein ideologisch-ästhetisches.

In der Stadt waren wie erwartet kaum Menschen auf den Straßen. Sonntagnacht, Montagmorgen. Dani nahm ihr Telefon und benachrichtigte die anderen über einen vereinbarten Code. Dann schaute sie mich an.

– Du meinst, diese Aktion ist eigentlich gar nicht unsere, sondern die von Venusbewohnern?

– So stark würde ich es nicht simplifizieren, sagte ich.

– Wir wollen den Rechten dieses Symbol nicht mehr überlassen. Wir wollen uns nicht mehr mit ihnen auf Demos prügeln. Wir wollen dem Gegner Boden entreißen, wir haben lange genug über das alles diskutiert, und jetzt faselst du auf einmal die halbe Nacht von Außerirdischen. Ist bei dir eigentlich noch alles klar?

– Ja. Glaube schon, fügte ich nach einer Pause hinzu.

Ich hatte sie für intelligenter gehalten. Sie bremste ab und fuhr nun rückwärts in die enge Gasse, die auf den Rathausplatz führte. Noch bevor der Motor aus war, standen unsere Leute bereit.

Die Bleiplatten lagen schon auf dem Platz, wir fuhren die Ladefläche auf halbe Höhe herunter, jeder Handgriff saß, war häufig genug besprochen worden. Es war, als hätten wir einen Tanz choreografiert. Innerhalb von vier Minuten standen 750 Sonnenblumen, die meisten von der Sorte Ring of Fire, in Gummistiefeln in Größe 52 auf Bleiplatten festgeklebt auf dem Rathausplatz. Eine weitere Minute später hatten wir auch den Stacheldrahtzaun um die Hakenkreuzform gezogen, die wir mit den Gummistiefeln gelegt hatten. Die Helfer verschwanden. Fast zeitgleich ging eine anonyme Mitteilung an die Presse raus, am Horizont zeigte sich das erste zarte Grau, das sich noch nicht entscheiden konnte, rot zu werden.

Dani grinste, die Selbstgedrehte zwischen den Lippen, als sie den Motor anließ.

– Findest du es nicht komisch, dass man Zweifel säen möchte, aber selbst nicht zweifelt?, fragte ich.

Jetzt war sie genervt, als hätte die gelungene Aktion eine Art Schutzpanzer entfernt. Sie schnaubte, hob an, etwas zu sagen, schwieg dann aber grimmig.

Ich widerstand der Versuchung. Als sie an einer Ampel hielt, stieg ich aus. Ich wartete, bis der Transporter außer Sichtweite war. Dann sah ich mich um. Keine Zeugen. Ich löste den Körper auf, ich brauchte ihn nicht mehr.

Die Musik auf den Dächern

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