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Schweizer Kampfflugzeuge: Beschaffungsprobleme ohne Ende
ОглавлениеIn demokratischen Staaten mit einer aktiven Diskussionskultur ist die Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges häufig ein kontroverses Thema. Erstens geht es um ein Kriegswerkzeug, was an sich schon die Emotionen anregt. Im Fall der Schweiz kommt dazu, dass ein grosser Teil der männlichen Bevölkerung Militärdienst leistet oder dies in jüngeren Jahren getan hat, sich somit viele Bürger als mit der Armee verbunden und dadurch zumindest teilweise sachkompetent fühlen. Zudem verleihen die Instrumente von Initiative und Referendum dem Schweizer Volk einen grossen Einfluss auf die Handlungen des Staates. All das zusammen ist in dieser Form weltweit einmalig.
Kampfflugzeuge sind technisch extrem komplex, teuer – bezüglich Entwicklung und Anschaffung ebenso wie später im Betrieb und im Unterhalt – und mit vielen technischen Risiken behaftet. Nur wenige Länder verfügen über das Knowhow sowie über die finanziellen und industriellen Voraussetzungen, um Kampfflugzeuge in Eigenregie zu bauen: die USA, Russland, Frankreich, Schweden, China, einige «Ad-hoc-Koalitionen» mehrerer europäischer Staaten und als «Grenzfälle», das heisst soweit es um technisch einfachere Modelle mit beschränkter Kampfkraft geht, Länder wie Indien, Japan, die Türkei und einige mehr. Die Schweiz hat es in den 1950er-Jahren versucht – ältere Leserinnen und Leser erinnern sich an die Typen P.16 (Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein) und N-20 (Eidgenössisches Flugzeugwerk F+W) –, ist aber beide Male an der Komplexität eines solchen Programms gescheitert.
Selbst grosse Industrienationen stossen mit Hightech-Kampfflugzeugen mitunter an ihre Grenzen, sowohl bezüglich der technischen Komplexität wie auch des finanziellen Aufwands. Hat dann ein neues Kampfflugzeug (oder ein anderes hochmodernes Waffensystem) einmal die Serienreife erreicht, steht das Herstellerland vor der Aufgabe, die astronomischen Entwicklungskosten wenigstens zum Teil zu amortisieren. Das funktioniert nur, wenn ausser der eigenen Luftwaffe möglichst rasch auch die Verteidigungsministerien anderer Staaten als Käufer gewonnen werden können, und zwar in erster Linie Bündnispartner – aber, wenn es sich nicht vermeiden lässt, durchaus auch potenzielle Feinde. So sind bei Erscheinen dieses Buches zum Beispiel grosse Rüstungsgeschäfte Russlands mit dem NATO-Mitglied Türkei im Gang. Es geht um Luftabwehrsysteme, sozusagen das strategische Gegengewicht für die von der Türkei zuvor gekauften US-Kampfflugzeuge. Diese Konstellation scheint unlogisch, reflektiert aber durchaus die weltpolitische Realität.
Der Vorteil von Exportgeschäften dieser Art besteht darin, dass sie die Bauserie der jeweils betreffenden Flugzeuge beziehungsweise Waffensysteme vergrössern. Dadurch verbessert sich die Routine in den Fabriken, die Zahl der Fehler (welche mühsam behoben werden müssen) nimmt ab, die von Unterlieferanten hergestellten Bauteile werden günstiger, kurz: der Aufwand beziehungsweise der Preis pro Flugzeug, Panzer oder Rakete verringert sich stetig von Serie zu Serie. In den USA, wo die Effizienz staatlich vorfinanzierter Industrieprogramme besonders präzis überwacht wird, ist dies gut zu beobachten. Das Kampfflugzeug Lockheed F-35 Lightning II – einer jener vier Typen, die für die Schweiz infrage kommen – ist seit Aufnahme der Serienproduktion im Jahre 2011 je nach Version schrittweise um bis zu 60 Prozent günstiger geworden.
Dieser Mechanismus funktioniert nur, wenn es gelingt, nach dem Erstauftrag durch das Heimatland des Herstellers weitere Bestellungen aus anderen Ländern hereinzuholen. Deshalb stehen die Hersteller aller Kampfflugzeuge (und mit ihnen die Regierungen ihrer Heimatländer, welche die Projekte mitfinanziert haben) unter einem enormen Erfolgsdruck – und im Bann der permanenten Versuchung, einem verlockenden Geschäft mit unsauberen Methoden aller Art ein wenig nachzuhelfen. Letzteres gilt selbstverständlich nicht nur für Kampfflugzeuge, die allein schon wegen der enormen Kosten immer auf irgendeine Weise vom strengen Auge des Finanzministeriums beobachtet werden, sondern ebenso für privat finanzierte Produkte. Im Kapitel über die Mutation schweizerischer Trainingsflugzeuge zu «Kampfflugzeugen des armen Mannes» (siehe Seite 39) wird darauf zurückzukommen sein. Auch in diesem Produktsegment herrscht der Zwang zum Bau – und zum Verkauf – möglichst grosser Serien.
Für kritische Bürger empfiehlt es sich also, bei Geschäften, in denen es um Militärflugzeuge im Allgemeinen oder um besonders kostspielige Kampfflugzeuge geht, genau hinzuschauen. Das war schon immer so und wird sich kaum ändern. Für die Schweiz ist die Situation, in der sie derzeit als potenzieller Flugzeugkäufer steckt, nichts Neues. Zur Erinnerung und zur Illustration des Themas lassen wir kurz die schweizerische Mirage-Affäre Revue passieren. Sie liegt fast 60 Jahre zurück, kann aber wegen ihres systemtypischen Charakters sehr wohl auch heute noch als Mahnmal dienen.