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Kapitel 1

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Ich kam als Kind zur Welt, was, seien wir uns mal ehrlich, besser ist, als als Erwachsener auf die Welt zu kommen. Man stelle sich nur mal vor, wie die Schwangeren aussähen, wenn sich in ihren Bäuchen Erwachsene einrichten! Frauen mit Wampen groß wie Walfische würden auf den Straßen marschieren, ständig wo dagegen laufen und Verkehrsschilder und Hydranten entwurzeln. Die Straßenbahnsitze für Schwangere müssten verbreitert werden, nur um dann von unfreundlichen Gruppen von Besoffenen, die keinerlei Gedanken an Schwangere mit Bäuchen groß wie Walfische verschwenden, in Beschlag genommen zu werden.

Andererseits würden auch neue Industrien entstehen. So stelle ich mir zum Beispiel ein probates Vehikel vor, das die riesigen Bäuche der Frauen elegant vor sich her schiebt. So ein Gerät hätte auch den Vorteil, dass es von den ganzen fetten Weibern in der Vorstadt für ihre Hintern benutzt werden könnte. Das sind jene Hintern, die so groß sind, dass man glaubt, sie haben die Titanic verschluckt.

Und wenn man dann als Erwachsener auf die Welt kommt, fangen die Probleme erst richtig an! Zum Essen gibts nur Brei, obwohl schon ein stattlich aussehendes Gebiss im Munde prangt. Zudem ist man erwachsen, aber laut Geburtsurkunde ein Kind. Was beim Autofahren oder beim Sex rechtliche Folgen haben könnte. Vom Sex beim Autofahren ganz zu schweigen.

Es ist also von der Natur schon gut eingerichtet, dass man nicht als Erwachsener auf die Welt kommt, sondern als Kind.

Nicht allerdings erschien ich auf der Erde mit goldenen Löffeln im Po. Das wäre ein Grund gewesen, den Küchenmeister sofort zu feuern weil dort steckt man goldene Löffel nun wirklich nicht hinein, aber wir hatten gar keinen Küchenmeister. Wir waren nicht vermögend, aber wir lebten auch nicht im feuchten Elendsquartier, sondern in einem bequemen Mietshaus in der Vorstadt.

Meine Mutter Yolanda war eine komplexe Frau, mein Vater Alf im Amt. Ich kann mich dunkel an einen Mann erinnern, der einen angeklebten Bart und eine Melone trug. An mehr nicht, denn er starb im Ehebett, als ich noch klein war. Es muss was gewesen sein, mit den Nieren oder der Lunge oder der Milz oder der Leber oder dem Hirn oder dem Darm. Alarm im Darm vielleicht. Ich weiß es nicht, denn Mutter Yolanda hat es mir nie gesagt. Was ich aber weiß, ist, dass Mutter Yolanda ihren verstorbenen Mann im Hof vergrub, als Mahnmal.

An den Mutterleib habe ich kaum Erinnerung, obwohl ich sicher bin, dass ich damals kein Alzheimer hatte. Vermutlich war er von Feuchtigkeit und Wärme geprägt was eigentlich zu Schimmel führt. In solchen Fällen immer gut lüften und am besten einen Energieberater zu Rate ziehen!

Als ich auf die Welt kam, war mein Vater auf Fortbildung, meine Mutter nicht und so gebar sie mich.

Und zwar im Taxi auf dem Weg zum Krankenhaus. Mutter Yolanda hat mir nachher oft Wermut trinkend erzählt, wie sie den Taxifahrer angeschrien hatte: "Holen Sie das verdammte Ding da raus!!"

Ja, meine Mutter Yolanda ist eine komplexe Frau. Manchmal kalt und gefühllos, andere Male wieder ohne jede Liebe. Nun möchte ich aber nicht den Eindruck erwecken, sie hätte für andere Wesen nicht viel übrig.

Ganz im Gegenteil, sie liebt Kühe über alles. Die Dinger mit dem Euter und den Hörnern. Die liebt sie. Überall in der Wohnung standen kleine Holzkühe auf Kredenzen, auf dem Sofa lagen zwei aus Stoff und zahlreiche Bücher im Buchregal beschäftigten sich mit den Tieren.

An meine Kindheit habe ich nur gute Erinnerungen. Mutter Yolanda ließ mir viel Freiheit - sie musste sich schließlich mit Kühen beschäftigen - und Vater ruhte im Hof. Ich konnte tun und lassen was ich wollte und entwickelte so schnell eine blühende Phantasie.

Einzige Wermutstropfen waren jene, die sich Mutter Yolanda öfters einflößte, weil sie statt einem Sohn lieber eine Kuh gehabt hätte.

*****

Als Kind schon ging ich gerne in die Bibliothek und ärgerte die Bibliothekarin, indem ich "Frau, ich will Kohlrabi!" verlautbarte, ich konnte die Bibliothekarin nämlich nicht leiden, denn sie war fett und roch nach verschwitztem Schweinsbraten.

Was ich aber gerne mochte, war die andere Bibliothek, die es auch noch in der Stadt gab, und dort holte ich mir immer meine Kinderbücher, denn ich konnte schon bevor ich in die Schule kam lesen. Hatte die Bibliothek mal kein interessantes Buch für mich, dachte ich mir einfach selber Geschichten aus und erzählte sie mir nachher selbst.

Das hatte zur Folge, dass ich in der Volksschule meine Aufsätze immer vor der Klasse vorlesen durfte, weil sie so gelungen waren, was bei Schulkollegen, die gerne gute Aufsätze hörten, gut ankam, bei Schulschlägern hingegen ein angemessener Grund war, mich verprügeln zu wollen. Glücklicherweise war ich nicht nur ein guter Schreiber sondern auch ein schneller Läufer.

Mit zehn Jahren gings schwupps ins Gymnasium. Auch hier mochte ich am liebsten das Aufsatzschreiben. Englisch, Geografie und Geschichte und das ganze andere Zeug fiel mir nicht besonders schwer, was nun wahrlich nicht der Stoff für Biografien ist. Interessant war lediglich das Lehrpersonal.

Biologielehrer Hans Hansinger hatte güldenes Haar, das sein Haupt bedeckte wie der frisch gefallene Schnee. Die Mädchen schwärmten von ihm, was ihn zwar nicht störte, aber auch nicht sonderlich begeisterte.

Hansinger war sehr angetan von Disziplin. Wer seine Stunde störte, der musste nachsitzen. Das Nachsitzen gestaltete sich bei ihm folgendermaßen: er hielt einen Vortrag darüber, wie wichtig Sauberkeit ist, denn Schmutz verbreite Krankheiten, das wisse er als Biologe.

"Sie sind doch nur Lehrer", sagte ich, als er drauf aus war, mich zu bestrafen, weil ihm das Schlürfen meiner Schulmilch im Unterricht zu laut war.

Hansinger ignorierte meine Worte und predigte weiter, dass Schmutz sich in unsere Gehirne einfräße wie ein Pilz und dass es in unser aller Interesse sei, sauber zu sein.

Dann reichte er mit einen Besen und eine Schaufel.

"Und jetzt mach die Klasse sauber", sagte er. Es war schon gegen fünf Uhr nachmittags, kaum ein Lehrer war noch im Haus.

"Und damit du dich nicht...schmutzig machst, zieh die an", ergänzte er lächelnd und reichte mir eine Schürze mit Blümchen drauf.

Da ich keine Lust auf weitere Streitereien hatte, zuckte ich mit den Achseln, legte die Schürze an und begann die leere Klasse aufzuwischen. Hansinger sah mir zu und kommentierte.

"Ja, schön gleichmäßig nach vor und zurück, immer hin und her, zeig dem versauten Boden, wer hier der Herr ist, der Herr und Meister, mach ihn voll mit deinem weißen Zeug, also dem Putzmittel, und jetzt schön einreiben, vor und zurück, vor und zurück, und lass dir nix gefallen von dem blöden Boden, denn du bist hier der Chef, wenn der Drecksboden nicht sauber wird, dann muss du eben härter rangehen, und tiefer, dass die Ritzen auch sauber werden, ja, stärker, stärker, härter, tiefer, gib's ihm, tiefer, schneller, stärker.......AAAAH!"

Als ich mit Putzen fertig war, gab ich Hansinger Besen, Schaufel und Schürze zurück. Er wirkte aufgewühlt und erleichtert zugleich.

"Ich geh mir jetzt mal die Hose wechseln", stammelte er. Diese Aktion wiederholte er jahrelang. Darum kann ich gut putzen.

Deutschlehrer Lang hatte einen prächtigen Backenbart, in einer Zeit, in der man seit mindestens zwanzig Jahren keinen prächtigen Backenbart mehr trug. Zwar lehrte er Deutsch und Literatur war aber mehr darauf bedacht über die verschiedensten Folter- und Mordapparate zu räsonieren. So hielt er zum Beispiel die Guillotine für eine besonders perfide Erfindung: "Der Tod auf der Guillotine ist kurz und schmerzlos, aber die Vorbereitung, wenn man zum Gaudium des Publikums aufs Schafott geführt wird, ist demütigend und erniedrigend." Dieses, Langs Steckenpferd, hatte durchaus auch Auswirkungen auf die Notengebung.

Lang: Edgar, erzähl mir was über Hamlet!

Ich: Hamlet war ein dänischer Prinz. Sein Onkel Claudius erstach Hamlets Vater, den König. Dessen Blut spritzte in meterhohen Fontänen und färbte die Wände des Königspalast mit einem lebendigen Rot.

Lang: Ja, ja, sehr gut.

Ich: Hamlet ist daraufhin natürlich im Blutrausch und will Claudius ermorden, killt aber ungeschickterweise den Kämmerer Polonius, indem er ihn durch den Fleischwolf dreht.

Lang: Weiter weiter mein Junge!

Ich: Polonius Tochter Ophelia ist darob schwer bestürzt und isst soviel, dass sie explodiert und alle im Schloss in Blut, Haut und schleimigen Eingeweiden geduscht werden.

Lang: Eine wunderbare Beschreibung. Und wie geht das Stück aus?

Ich: Hamlet duelliert sich mit Polonius' Sohn Laertes, hackt ihm den Kopf ab und serviert ihm Claudius, der freudig zubeißt und daran erstickt. Hamlets Mutter läuft ihn eine rotierende Kettensäge, am Schluss sind alle tot und der Verwesungsgestank der verrottenden Leichen erfüllt das Schloss mit Fäulnis.

Lang: Fantastisch! Noch nie habe ich eine bessere Zusammenfassung gehört! Eins plus!

Und dann war da noch der Philosophieprofessor Lucke. Auch er hatte eine große Leidenschaft, nämlich uns den Stellenwert der Philosophie im Alltag näher zubringen. Nie werde ich die abschließenden Worte seiner ersten Unterrichtsstunde in meiner Klasse vergessen.

"Wir haben heute eine grobe Einführung in die Bereiche theoretische und praktische Philosophie gehört. Wir werden in den nächsten Wochen noch viel darüber lernen, aber ich bitte, eines dabei zu bedenken: sämtliche Thesen, Theorien und Ideen aller Philosophen über die Jahrhunderte hinweg haben mit dem menschlichen Alltag nicht immer etwas zu tun. Anders ausgedrückt: sie sind komplett zweitrangig, wenn man es stattdessen mit einer dicken Neger-mamma treiben kann. Also Hand aufs Herz: wer von euch will es nicht mit einer dicken Negermamma treiben? Hm? So eine geile dicke Negermamma mit einem Knochen im Haar und wulstigen roten Lippen, na, wer hat Lust?"

Lucke blieb sich im übrigen treu, der Teil mit der dicken Negermamma war sein immer wiederkehrender Abschlussmonolog, so wie der größte Hit eines Lounge Singers.

Ich war ein mittelprächtiger Schüler und kam mit den anderen Schülern gut zurecht, obwohl ich nicht unbedingt den Kontakt zu ihnen suchte. Eine Ausnahme war Terrenz, mein bester Freund in der ganzen weiten Welt.

Terrenz, ein zum Dicklichen neigender Junge mit einem sogenannten Triefauge, hatte rosa Kreise auf den Wangen und war von einem durchaus umgänglichen Wesen. Des öfteren saßen wir zwei beiden im Caféhaus und besprachen die Dinge, die Teenanger halt so beschäftigen - Fußball, Mädchen, Bier, Apokalypse mit Millionen von Toten.

Mein bester Freund in der ganzen weiten Welt wusste damals schon, was er werden wollte: Mediziner nämlich, aber nicht so einer wie beim Indianerstamm, der eine Maske aufsetzt und im Kreis tanzt, damit es regnet oder schneit oder anderwertig die meteorologischen Zustände verändert, sondern so einer im Krankenhaus, der den Leuten im Bauch herumschnippelt und danach Golf spielen geht. Besonders wichtig ist hierbei, die Instrumente nicht zu vertauschen, denn ein Skalpell bringt einem im Sandgraben wenig.

Edgar P. Srb versucht sich zu erinnern

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