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Kapitel 2

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Aber auch Ihr getreuer Erzähler hatte sich damals schon einen Beruf herausgepickt, denn als Kind war er ein großer Fan des Zirkus und des Rummels und wollte unbedingt eines jener Mädchen werden, die in der Manege auf laufenden Pferden rumturnen. Da Mutter Yolanda keinerlei Pferde zum Üben leasen wollten, probierte ich es auf einem befreundeten Gärtner, der danach viele Jahre zum Gärtnerpsychiater musste. So wurde nichts aus meinem Wunsch aber immerhin ersparte ich mir so auch die Geschlechtsumwandlung.

Danach versuchte ich es mit dem Jonglieren. Schnell waren alle Teller und Tassen von Mutter Yolanda verbraucht, worauf sie seufzte, sich ein paar Gläschen Wermut genehmigte und ich beschloss, Bauchredner zu werden.

Das Wichtigste beim Bauchreden war, so fand ich bald heraus, der passende Dummy.

Also bastelte ich aus allerlei Hausrat drei verschiedene Puppen, mit keiner aber war ich so recht zufrieden. Am Nachmittag stopfte ich alle drei Dummys in den großen Abfallbehälter hinter dem Haus und brach zu einem Spaziergang auf, um auf andere Gedanken zu kommen.

*****

Tote Augen blickten in den Himmel. Es war ein blauer Himmel mit seltenen Wolken, gelegentlichen Krähen und vereinzelten nicht abstürzenden Passagierflugzeugen. Dann schob sich das Gesicht eines orangehaarigen Jungen vor den blauen Himmel. Der Junge - also ich - machte ein Geräusch, das sich ungefähr wie "hmmmm" anhörte, dann begann er zu lächeln. Ich packte die tote Leiche an den Beinen und zog sie mit nach Hause. Das Ganze war durchaus eine persönliche Angelegenheit, denn ich wusste, um wen es sich bei dem Toten handelte. Um Taglöhner Lazi, der drei Häuser weiter bei Bauarbeiten geholfen und danach seinen ganzen Lohn im Wirtshaus versoffen hatte. Als er nichts mehr zu trinken bekam, taumelte er im Mondesschein davon.

Eine Begegnung mit einem Hamster verlief insofern ungünstig für Lazi, da er das Tierchen streicheln wollte, der Hamster dies aber als Angriff wertete und Lazi in die Nase biss. Ungünstigerweise war der Hamster schwer drogenabhängig, aber nicht vermögend. Daher konnte er sich nur versetzten Stoff leisten und sein Biss war voller Gift. Lazi verstarb noch am Unfallort. Der Hamster trottete davon, um als Strichhamster den nächsten Schuss zu verdienen. So oder ähnlich wird es den armen Lazi, der noch keine Ahnung von seiner künftigen Karriere im Showgeschäft hatte, wohl erwischt haben.

*****

Der liebe Verblichene wurde von mir in mein Zimmer geschleppt und gleich auf den Fauteuil gesetzt.

"Puh!" war ich dann erschöpft, denn der alte Lazi war ein ganz schön schwerer Dummy. Es klopfte an der Türe.

"Herein", sagte ich und Mutter Yolanda kam ins Zimmer.

"Sohn, wo ist die Suppe?"

"Welche denn? Wir haben Käsesuppe, Rauchfangkehrersuppe und Kokssuppe."

"Die Kokssuppe hätte ich gern", erklärte Mutter Yolanda, "hast du sie gesehen?"

"Nein, ist wohl ausgegangen", mutmaßte ich und deutete auf Lazi, "darf ich vorstellen, mein neuer Partner. Er heißt Mr. Puffy!"

"Angenehm", sagte Mutter Yolanda und schüttelte Lazi die Hand.

*****

Das Bauchreden mit Mr. Puffy begann vielversprechend. Der gerade mal einsfünfzig große Lazi konnte bequem auf meinem Schoß sitzen, zudem hatte ich geschickte Finger und konnte Lazi von hinten so bedienen, dass es aussah, als würde sich sein Mund bewegen.

Ich studierte ein halbstündiges Programm ein, das ich Mutter Yolanda vorführen wollte.

Der großen Karriere als Bauchredner stand also nichts mehr im Wege, wären da nicht diese kleinen - nunja - Veränderungen mit Mr. Puffy geschehen.

Ein paar Tage, nachdem ich Lazi heim gebracht hatte, verlor dieser während einer Generalprobe seine Nase. Mit viel Geduld und einem Hefter gelang es mir, die Nase wieder zu befestigen. Dann bemerkte ich, dass Lazis linker Arm nur noch an einer Stück Haut von seiner Schulter herunterhing. Mit einer Rolle Klebeband war auch dieses Problem gelöst. Als der Nachbarhund in mein Zimmer kam und Mr. Puffy anknabberte, wusste ich, dass ich ein Problem hatte.

*****

Ziellos lief ich durch die Straßen und grübelte. Zwar hatte ich die ideale Bauchrednerpuppe gefunden, jedoch schien diese von der Idee der Haltbarkeit nicht überzeugt zu sein. Ich aber wollte unbedingt am Bauchreden festhalten, zumindest eine Woche noch. Dann würde ich mit dem Zersägen von Jungfrauen beginnen.

Der Himmel verdüsterte sich und ich schaute hinauf. Eine riesige Wolke stand am Firmament, es erklang ein Singen wie von Engeln und ich fiel auf die Knie.

Die Wolke teilte sich, in der Mitten saß auf einem majestätischen Thron eine edle Gestalt.

"Um Himmels Willen!" rief ich, "es ist Fitz Batoshik, der Gott der Dummys!"

"Hallo Edgar", begrüßte mich Fitz, der aussah wie eine Bauchrednerpuppe, aber mindestens 1,80 m groß war. Seine hölzernen Augen waren pechschwarz, er trug einen gelblichen Pullover mit orangen Punkten und eine Latzhose. Der Unterkiefer bewegte sich quietschend, während er sprach.

"Ein Bauchredner hält eine Show vor einer Gruppe Blondinen und erzählt ein paar Blondinenwitze. Irgendwann springt eine der Blondinen auf und brüllt zur Bühne: 'Hey, Du Mistkerl da vorne, was erzählst Du da die ganze Zeit für schwachsinnige Geschichten über Blonde. Wir sind überhaupt nicht so blöde wie Du tust!'

'Entspannen Sie sich, das sind doch alles nur Witze', meint der Bauchredner.

Darauf wieder die Blondine: 'Ich rede nicht mit Ihnen, ich rede mit dem kleinen Drecksack, der auf Ihrem Knie sitzt!' Wahahaha!!"

Beim Wahahaha streckte sich Fitz Kopf ein Stück aus seinem Kragen heraus, er schloss seine Holzaugen und schüttelte seinen Kopf in Extase über den schlechten Witz.

"Das ist sehr schön", war ich kleiner Mann beeindruckt, "großer Fitz, was verschafft mir die Ehre deines Erscheinens? Ich meine, so ein Gott der Bauchrednerpuppen, der muss doch massenhaft zu tun haben!"

Fitz' Gesicht wurde ernst - obwohl es genauso aussah wie vorher, seine Augenbrauen aber senkten sich ein wenig.

"Das hast du recht, mein Kind. Wo man hinschaut in der Welt werden Dummys missbraucht. Als Türstopper. Als Minigolfschläger. Als Pizzaschaufel. Es gibt sogar Politiker die Wahlen gewinnen mit Slogans wie Dummys raus! Die nehmen uns die Frauen weg! Dabei ist es deren eigene Schuld wenn sie ihre Frau Gattinnen nicht mehr befriedigen können! Verständlich dass die Frauen sich dann in die starken Arme einer Bauchrednerpuppe flüchten!"

"Ich hatte keine Ahnung von diesem verdammten Missbrauch!" rief ich erzürnt und Fitz und ich weinten ein bisschen.

"Und jetzt schau genau her!" forderte Fitz mich dann auf, nahm ein Glas Wasser, trank davon und redete gleichzeitig.

"Dergluckglundwaglumichgluckmichgladegluckanglichwende-", das Glas war ausgetrunken.

"Na wie war ich?" fragte Fitz.

"Großartig", meinte ich und zeigte mein schönstes Lächeln.

"Danke. Also du hast doch dieses Problem mit deinem Dummy, stimmts?"

Ich nickte.

"Und du fragst dich, was du tun musst, damit er nicht mehr alles hängen lasst."

"Mir würde schon reichen, dass er nicht permanent seine Körperteile verliert", erklärte ich.

"Kind, dein Dummy ist schlicht und einfach einsam. Auch Dummys haben Gefühle. Vermutlich sehnt er sich nach einer Partnerin", erklärte der Gott der Bauch-rednerpuppen.

"Potzblitz!" rief ich, "dass ich da nicht selbst draufgekommen bin!"

Fitz nahm eine Karotte und begann sie zu essen.

"Mmampfeinrpartcruncherinkaunirschwürdeschmatz!" sprach er dabei.

"Ich werde mich daran halten!" rief ich glücklich.

"Sehr fein! Halleluja!" sagte Fitz und segnete mich, die Wolke schloss sich wieder, der Gesang der Engel verstummte und schon war es wieder so hell wie zuvor.

Und ich, in meinen kurzen Hosen für kurze Buben und dem T-Shirt mit Zitronenmuster wusste, was zu tun war. Ich holte mir von zuhause eine Schaufel und machte mich auf den Weg zum Friedhof.

*****

"Komm rein, komm rein!" rief ich fröhlich und die Türe meines Zimmers öffnete sich. Herein kam Mutter Yolanda mit besorgtem Gesichte.

"Sohn, aus deinem Zimmer kommt ein wenig ein strenger Geruch", bemerkte sie mit trüben Augen, "hast du dir schon wieder die Altweibersuppe unter den Nagel gerissen?"

Dann schaute sie sich im Zimmer um, bis ihr Blick auf meine zwei beiden Puppen fiel.

"Was ist das?!?!" rief Mutter Yolanda.

"Das ist Mr. Puffy Mutter, ich hab ihn dir doch vorgestellt", erklärte ich.

Mr. Puffy war nun schon ein wenig feucht und tropfte auf den Fußboden. Sein Gesicht hatte eine ungesunde bläuliche Färbung angenommen. Zwei oder acht Fliegen summten um ihn herum und in seinem Schoß lagen schon einige Zähne, die ihm aus dem labbrigen Mund gefallen waren.

"Und das...Ding neben ihm?" fragte Mutter Yolanda nach einem hörbaren Schlucken.

Das Ding neben Mr. Puffy war ein mumifizierte Leichnam. Eine Wurmfamile hatte es sich in einer der leeren Augenhöhlen bequem gemacht. Auf dem Kopf trug die Mumie eine blonde Perücke mit Schleifchen.

"Das ist die Verlobte von Mr. Puffy", erklärte ich und wischte mir Reste der Friedhofserde von der Kleidung, "ihr Name ist Fräulein Glock! Ich habe sie extra für Mr. Puffy ausgesucht, damit er nicht so einsam ist. Der Gott der Bauchrednerpuppen hat mich auf die Idee gebracht!"

Mutter Yolanda seufzte und meinte dann: "Ich rufe jetzt die Totengräber und dann werden wir uns mal über deine Zukunft unterhalten!"

Edgar P. Srb versucht sich zu erinnern

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