Читать книгу Notizen vor Tagesanbruch - Sergio Vesely - Страница 7

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(Ein Taufgedicht für Manuel)

Wiederhole unsere Fehler.

Sie tun weh. Aber anders

versteht man sie nicht.

Verzeihe uns nicht. Aber

finde unsere Gründe heraus.

Bleibe nicht stehen

wo wir standen.

Achte die Irrtümer. Sie werden bald

deine eigenen sein. Habe Respekt

vor den Unwissenden. Schließlich

gehörst du zu ihnen. Aber versuche

die Ignoranten zu erkennen

die bösartig Nichtswissenden

die wissentlich Blöden

die selbstzufrieden Großmäuligen

die Stammtischkrakeeler, die Verkäufer

die Propheten, die kopflosen Führer

die Einredner, die Missionare

die dummdreisten Fahnenschwenker: Sie

sind verantwortlich. Sie

sind haftbar.

Überlasse ihnen die Straße nicht.

Und nicht das Wort.

Respektiere die Würde der anderen.

Aller anderen.

Nur davon hängt deine eigene ab.

Du wirst nicht größer, indem

du andere kleiner machst.

Nur armseliger.

Suche die Stärke nicht

in Missachtung oder Gewalt

sondern in Einsicht.

Aber lass Dich nicht abhalten die Zähne

zu zeigen, wenn es notwendig ist.

Behandle die Menschen, als seien sie gut.

Aber verharre nicht im Zustand

der Unschuld. Die Unschuldigen sind freundlich doch sie helfen nicht weiter.

Sie lassen gewähren.

Sie bekämpfen die Schuldigen nie.

Durch deine Unschuld werden die

Geschundenen nicht weniger geschunden.

Deine Unschuld befreit

die Gedemütigten nicht.

Man kann sie nicht essen.

Belästige dich mit dem Wesen der Dinge.

Sieh alles dir an. Lasse nichts aus.

Wenn du die Wahrheit verteidigen willst

lerne den Seitengang der Lüge zu verstehen.

Was immer du suchst — suche dort

wo man es am wenigsten findet, und

befrage die Unterlegenen.

Viel wissen die Rechtlosen über das Recht

die Gefangenen über die Freiheit.

Viel wissen die Hungernden über das Brot.

Begnüge dich nicht mit der Gegenwart.

Wirf deinen Blick über die Zeiten.

Die Vergangenheit hat alles geformt

was du siehst. Auch in deinem Spiegel.

Ohne von der Herkunft der Dinge zu wissen

wirst du sie nicht ändern, nur wiederholen.

Was immer du tust, ist ein Schritt

in die Zukunft. Aber kein Fußbreit

ist sicher, ohne den Boden zu kennen

auf dem du dich bewegst.

Folge den Rattenfängern nicht, es sei denn

du zählst dich unter die Ratten.

Hänge dich nicht an die glitzernd

Vielbewunderten an

die Folgsamen sind doch nur Kopien

und Anhänger sind niemals mehr

als der Schwanz am Hintern des Hundes.

Von diesen haben wir genug.

Wenn du etwas Neues probieren willst

versuche bescheiden, aber beharrlich

einfach selbst ein Jemand zu sein.

Was auch geschieht: lasse es nie allein

nach dem Willen der anderen geschehen.

Genieße jede Bewegung, solang sie

deine eigene ist. Du hast Zeit. Noch.

Koste sie aus mit Stolz. Mit Leidenschaft.

Und behaupte nicht am Ende

du hättest nichts gewusst. Oder

einer allein könne ja doch gar nichts tun.

Das haben wir zu oft gehört.

Mach etwas mehr aus dir als eine verblassende Eintragung

in der Gästeliste.

Und, versteht sich:

Traue den Gedichten nicht

mindestens solange du selbst

noch keine geschrieben hast.

Wiederhole unsere Fehler.

Aber übertreibe es nicht.

Das haben

wir ja schon getan.

Notizen vor Tagesanbruch

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