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III. Zur Geschichte der Kunstgeschichte bis zum 20. Jahrhundert
ОглавлениеDie folgende Übersicht über die Entwicklung der Kunstgeschichte als einer Wissens- und Wissenschaftsdisziplin versucht, aus dem Schrifttum zur Kunst wie auch aus den zahlreichen kunsttheoretischen Stellungnahmen das im entwicklungsgeschichtlichen Sinne eigentlich kunsthistorische Element herauszuarbeiten. Dies bedeutet die Ausblendung des überwiegenden Teiles der Kunsttheorie, die eine separate Darstellung verdienen würde. Ich werde die Übersicht an einer Stelle beenden – nämlich an der Epochengrenze um und nach 1900 –, an der die Entwicklung der Methoden der Disziplin in das heute noch relevante, breite Methodenspektrum mündete.
Künstlerbiographien der Antike
Die entfernte Traditionslinie der Kunstgeschichte reicht bis in die Künstlerhistoriographie der Antike zurück. Zu den wichtigeren Historiographen gehörte Xenokrates aus Sikion (3. Jahrhundert v. Chr.), bei dem schon das für die Kunstgeschichte später leitmotivische Thema der allmählichen Entstehung des Instrumentariums der Künste, was ihre Techniken und Materialien betrifft, zu finden ist. Xenokrates ordnete große Künstlerpersönlichkeiten wie Phidias, Polyklet, Myron und Lysipp in eine Art von Entwicklungsreihe ein und versuchte, einzelne Künstler mit besonders hervorgehobenen Eigenschaften zu verbinden, so z.B. den großen Maler Apelles mit der Kategorie der Grazie. Duris aus Samos (340–260 v. Chr.) war wiederum der erste Kunstschriftsteller, der später immer wieder benutzte biographische Topoi wie denjenigen der zufälligen Entdeckung der Talente eines jungen Künstlers durch einen älteren Meister vortrug. Die beschreibende Reiseliteratur der Antike hat uns viele Informationen über Kunstwerke hinterlassen. Die Beschreibungen des Pausanias (um 115–180 n. Chr.) bilden bis heute eine sehr wichtige Informationsquelle über die Hauptwerke der antiken Kunst, doch erfolgt die Beschreibung in der Regel ohne Verbindung zu Ideen und Begriffen. Diese Feststellung hat auch für die als selbständige literarische Form hervorgetretene Werkbeschreibung (ekphrasis) Gültigkeit, als deren berühmtester Vertreter Philostrat der Ältere (2./3. Jahrhundert n. Chr.) zu nennen ist.
Mittelalter
Das Mittelalter hinterließ eine Anzahl von Zeugnissen dokumentarischer Art über Künstler und deren Werke. Dies gilt vor allem für den Kirchenbau und einzelne Elemente der Kirchenausstattung (so Altäre und Reliquienschreine); trotzdem lassen sich für diese Epoche historische oder wertende Ansätze wie auch eine eigenständige Entwicklungsperspektive noch nicht finden. Neu dazu kamen Rezeptbücher in der Art von Theophilus’ Schrift De diversis artibus (um 1100) oder Regelbücher wie das Skizzenbuch Livre de pourtraicture (um 1235) des französischen Architekten Villard de Honnecourt. Nur in der Beschreibung des alten Zustandes der Kathedrale in Canterbury und ihrer nach dem vernichtenden Brand von 1174 neu errichteten Teile (Chronik des Gervasius von Canterbury, 1210) kam es zu einem instruktiven, die stilistische Ebene bemühenden Vergleich, der natürlich implizit auch das Problem der Kunstentwicklung tangierte.
Bilderfrage
Der Streit um die Rechtmäßigkeit der Bilder im frühen Christentum und in Byzanz, die sog. Bilderfrage, hatte für die Kunsttheorie und das begriffliche Denken der Kunstgeschichte erstaunlich wenige Konsequenzen, obwohl in seinen Argumentationslinien nicht nur theologische, sondern auch historische und ikonographische Stränge (z.B. in den Libri Carolini, 794) auftraten. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein blieb er, ähnlich wie die Bilderfrage der Hussiten- und Reformationszeit, eine Domäne der Kirchengeschichte und der allgemeinen Geschichte. Das nach 1945 und in größerem Maße eigentlich erst nach 1970 erwachte Interesse der Disziplin an der Bilderfrage, an den mit ihr verbundenen Bilderstürmen und dem Phänomen der religiösen Bildlosigkeit (Anikonismus) speiste sich aus der nunmehrigen Hinwendung des Faches zur Analyse von Bild-, Symbol- und Repräsentationsbegriffen, aber auch aus den neuen kulturhistorischen Sichtweisen, die sich mit besonderem Nachdruck für Kulturbrüche und das Auswechseln von Zeichensystemen interessieren.
Künstlerschrifttum der Frührenaissance
Die antike Biographistik lebte in einer veränderten Form im Florenz des endenden 14. Jahrhunderts bei Filippo Villani in De origine civitatis Florentiae, 1381–1382 (Florenz 1847) wieder auf; auch der Giotto-Mythos verdankt diesem Florentiner Chronisten seine Initialzündung: Die historische Entwicklung der Florentiner Malerei wurde in Folge prononciert giottozentrisch gesehen. Giottos Vorgänger (z.B. Cimabue) und seine Schüler (Maso, Stefano, Taddeo) wurden, wie Michael Baxandall treffend beobachtet hat, gemäß der Formel: Prophet – Erlöser – Apostel aufgefasst. Weitere wichtige Künstlerviten verdanken wir Lorenzo Ghiberti (1378–1455), der in seinem Werk eine Kombination diverser Elemente unternimmt: Daher finden wir in den Commentarii, die zwischen 1452 und 1455 geschrieben wurden (erste Ausgabe Berlin 1912), eine historische Übersicht der Kunstentwicklung von der Antike bis zur Gegenwart, aber auch eine Autobiographie. Seine Kenntnis der Antike basiert auf den Traktaten von Vitruv und den Schriften Plinius’ des Älteren. Das Ende der antiken Kunst führt er auf den Triumph des Christentums zurück, bei der Darstellung des Mittelalters ist durch ihn in bewundernswerter Weise auch die arabische und lateinische Literatur zur Optik berücksichtigt worden. Obwohl er die Rolle von Giotto bei der Geburt der neuzeitlichen Kunst hervorhob, neigte der Florentiner Ghiberti aufgrund persönlicher Präferenzen eher zur sienesischen Malerei. Damit zeichnete sich der – zwar noch ferne – Augenblick ab, in welchem die kunstgeschichtliche Werteskala die Beschränkungen lokalpatriotischer Wertungen überwinden würde.
Künstlerbiographien um 1500
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden sowohl in Italien als auch in den Niederlanden und Deutschland eine ganze Reihe von biographischen Kompendien, die auch Lebensläufe von Künstlern und vereinzelte Berichte über ihre Werke enthielten (Bartolomeo Fazio, De viris illustribus, 1456, Florenz 1745; Christian Scheurl, Libellus de laudibus Germaniae et Ducum Saxoniae, 1506, Bologna 1506; Marcantonio Michiel, Notizie d’opere di disegno, 1521–1543, Wien 1875; Johann Neudörffer, Nachrichten von Künstlern und Werkmeistern von Nürnberg, 1547; Jean Lemaire, Couronne margueritique, 1510, Lyon 1549). Ihr Informations- und Reflexionsgehalt war zwar von unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlicher Präzision, sie haben aber insgesamt die Kenntnis des künstlerischen Lebens beträchtlich erweitert.
Vasari – Vater der Kunstgeschichte
Dieser Strang der Kunsthistoriographie fand seine Krönung in den berühmten Künstlerbiographien (Vite de’ piu eccellenti pittori, scultori et architettori, Florenz 1550, 1568) des bedeutenden italienischen Malers und herausragenden Kunstorganisators Giorgio Vasari aus Arezzo (1511–1574). In vielen Darstellungen wird Vasari als Vater der Kunstgeschichte bezeichnet, was sowohl als Anerkennung des dokumentarischen Wertes des ganzen Werkes wie auch als Würdigung der darüber hinausgehenden Absichten Vasaris aufzufassen ist. Seine Viten sind in der Tat nichts weniger als das Gründungswerk einer stilkritischen Kunstgeschichte, die ansatzweise auch schon eine theorie- und problembewusste Seite offenbart:
Als ich zuerst unternahm, diese Lebensbeschreibungen aufzuzeichnen, war es nicht meine Absicht, ein Verzeichnis der Künstler und so zu sagen ein Inventarium ihrer Arbeiten zu geben, noch hielt ich es je für ein würdiges Ziel meiner, ich weiß nicht ob erfreuenden, doch sicher langwierigen und mühevollen Bestrebungen, ihre Zahl, ihre Namen und ihr Geburtsland aufzusuchen und nachzuweisen, in welcher Stadt und an welchen Orten sich nunmehr Malereien, Bildhauer-Arbeiten und Bauwerke von ihnen finden. Dies hätte ich auf einer einfachen Tabelle zeigen können, ohne mein Urteil irgend einzumischen; ich erkannte aber, daß die Schriftsteller, welche uns die Weltgeschichte erzählen, solche nämlich, die nach allgemeinem Urteil mit richtiger Einsicht geschrieben haben, sich nicht begnügten, nur schlicht die vorgefallenen Begebenheiten aufzuzählen, sondern daß sie mit allem Fleiß und Eifer erforschten, welche Mittel und Wege von ruhmreichen Männern bei ihren Unternehmungen gewählt worden sind. Diese Schriftsteller erkannten, die Geschichte sey fürwahr der Spiegel des menschlichen Lebens; das heißt nicht die trockene Erzählung der Begegnisse eines Fürsten oder einer Republik.
Da ich es nun unternommen, die Lebensbeschreibungen der edlen Meister unseres Berufes aufzuzeichnen, um dadurch nach Kräften den Künsten zu nutzen und sie zu ehren, habe ich gesucht, so viel ich konnte, die Weise jener vorzüglichen Schriftsteller nachzuahmen, habe es mir angelegen sein lassen, nicht nur zu sagen, was gearbeitet und vollbracht worden ist, sondern auch das Bessere vom Guten, das Ausgezeichnete vom Vorzüglichen zu scheiden und mit einiger Sorgfalt die Auffassungs-, Darstellungsund Behandlungsart, so wie die Erfindungen und Phantasien der Maler und Bildhauer zu bezeichnen, indem ich nach bestem Vermögen forschte, um denen, welche dies nicht für sich vermögen, Veranlassung und Quelle der mancherlei Methoden, so wie des Aufblühens und Sinkens der Künste in verschiedenen Zeiten und durch verschiedene Personen nachzuweisen. (Vasari, übersetzt von Ludwig 1837, Bd. 2, 3–4)
Zwei Ausgaben der Vite
Die erste Ausgabe des Werkes (1550) umfasste die Biographien verstorbener italienischer Künstler, mit der bezeichnenden Ausnahme des von Vasari besonders verehrten Michelangelo. Die 1568 erschienene zweite Auflage wurde – Michelangelo war inzwischen verstorben – um weitere Biographien lebender Künstler, inklusive einer Autobiographie des Verfassers, erweitert; auch wurden nunmehr die einzelnen Biographien mit recht einfachen Holzschnittbildnissen der Künstler ausgestattet. Die in jüngster Zeit von einigen Cinquecento-Forschern deutlich artikulierte Skepsis bezüglich der Autorschaft Vasaris in den veränderten Partien der zweiten Auflage geht meines Erachtens vielleicht zu weit, auch wenn es offensichtlich ist, dass wir längst nicht alle Quellen, aus denen er schöpfte, oder Personen, die ihm zuarbeiteten, identifizieren können. Dass Vasari Ghibertis Leistungen als Künstlerchronist ausdrücklich kritisierte, gehörte, trotz des vordergründig negativen Kontextes, zu den unabdingbaren Voraussetzungen für die Entstehung einer kritischen wissenschaftshistorischen Traditionslinie.
Dialektik der Kunstregeln
Vasari betonte sehr deutlich seine Absicht, relative und nicht absolute Werturteile abzugeben. Die Entwicklung der Kunst sah er im Rhythmus von Anfang, Blüte, Verfall und Neubeginn. Dieses Entwicklungsschema, das dem System der großen Kunststile nahe kommt, bildet den zentralen Angelpunkt aller seiner künstlerbiographischen Darlegungen. Vasari wollte wissen, warum und auf welche Weise neue Stile und Strömungen entstehen. Neben dem absoluten Maßstab, der perfetta regola dell’arte, kannte er ein relatives Kriterium, das auch als Korrektiv fungierte, nämlich die qualita de’ tempi. Somit glaubte Vasari sowohl an die Gültigkeit artistischer Regeln und Grundsätze wie auch an die Sinn stiftende Macht der Regelübertretung.
Die oben angeführten Worte aus seiner Vorrede zum zweiten Teil der Vite lassen sich ohne weiteres als ein allgemein gültiges Manifest zu den Grundlagen der Kunstgeschichte auffassen. Selbstverständlich war Vasari dem Druck der politischen und kulturellen Umstände in Italien um die Mitte des 16. Jahrhunderts ausgesetzt; seine Abhängigkeit von den Medici und sein florentinischer Patriotismus sind für manche eindeutig unausgewogenen und subjektiven Urteile, aber auch für manche Lücken und Unterlassungen verantwortlich. Trotzdem hinterließ er ein Werk, ohne das die heutige Kunstgeschichtsschreibung in für sie zentralen Bereichen schwerlich vorstellbar wäre.
Carel van Mander
Die Traditionslinie Vasaris setzte der niederländische Maler Carel van Mander in seinem Het Schilderboeck (Haarlem 1604) fort. Van Mander verdanken wir unter anderem unsere Kenntnisse der wichtigsten Fakten aus dem Leben Pieter Bruegels des Älteren; sein Buch umfasst auch ein Lehrgedicht und ein kurzes ikonographisches Traktat. Im Vergleich zu Vasari hat van Mander relativ wenige Kunstwerke beschrieben, auch lässt sich seine Kenntnis des Gegenstandes nicht mit der von Vasari vergleichen. Dass er nicht so subjektiv wie Vasari vorgeht, fällt angesichts des Qualitätsunterschiedes im Informationsgehalt und in der Anwendung ästhetischer Kriterien weniger ins Gewicht.
Künstlerbiographien des Barock
Das besondere Genre der Künstlerbiographien erlebte im 17. Jahrhundert und im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts eine besondere Blüte, bei der natürlich das Vorbild von Vasari eine wichtige Rolle spielte. Für Holland lieferte Arnold Houbraken (De Groote Schouburg der Nederlantsche Konstschilders en Schilderessen, Amsterdam 1718–1720) eine wichtige, informations- und anekdotenreiche Zusammenfassung des künstlerischen Lebens im sog. Goldenen Zeitalter der holländischen Malerei. Houbraken verstand sein Werk als Fortsetzung des van Mander’schen Kompendiums. Er benutzte eine Vielzahl von Quellen, darunter persönliche Mitteilungen und Tagebücher. Nicht alle seiner zahlreichen Künstleranekdoten, welche die theatralische Metapher des Titels glänzend bestätigen, dürfen für sich eine besondere Wahrhaftigkeit und Plausibilität beanspruchen, auch wenn früher die Kunstgeschichtsschreibung, so vor allem die des endenden 19. Jahrhunderts, sehr gerne auf sie rekurrierte. Für die deutsche Kunst muss hier unbedingt die groß angelegte Teutsche Academie des reformierten süddeutschen Malers Joachim von Sandrart (Nürnberg 1675) erwähnt werden. Für den spanischen Raum sollte respektive das El museo pictorico des Antonio Palomino de Castro (1715–1724), der die Künstler nach Inhalten und Gattungen gruppierte (Stilllebenmaler, Bildnismaler, Blumenmaler, etc.), hervorgehoben werden.
Bellori und das Qualitätskriterium
Den hier umrissenen Rahmen relativ konventioneller – falls man so die Nachfolge Vasaris bezeichnen kann – Künstlerbiographien sprengen die Publikationen des römischen Kunstkenners und Archäologen Giovanni Pietro Bellori, vor allem seine Vite de’ Pittori, Scultori et Architetti (Rom 1672). Zum ersten Mal wurde hier mit aller Deutlichkeit die Notwendigkeit betont, eine Auswahl von Künstlern nach Qualitätsprinzipien zu treffen; viel stärker als bei Vasari trat bei Bellori das grundsätzlich Subjektive des ästhetischen Werturteils in Erscheinung. Die zwölf Biographien sollten zwar die wichtigsten künstlerischen und thematischen Bereiche der damaligen Kunstentwicklung vertreten, doch am Ende wählte Bellori, mit Ausnahme von Rubens und Caravaggio, lauter Vertreter der klassizisierenden Variante des Barock, Bernini wurde hingegen nicht einmal erwähnt. Es kann deswegen nicht überraschen, dass für Bellori die griechische Kunst den absoluten Höhepunkt der Kunstentwicklung darstellte.
Baldinucci und die Graphikkompendien
Die Begrenzungen Belloris überwand sein Zeitgenosse Filippo Baldinucci, der Biographien oder biographische Skizzen sowohl über Bernini wie auch den damals als Maler ‚niederer Schichten‘ kritisierten Rembrandt verfasste. Mit dem Vocabolario toscano delle arti del disegno (Florenz 1681) hat Baldinucci das erste begrifflich prozedierende kunsttheoretische Wörterbuch der Kunstgeschichte geschaffen. Als Erster unter den Kunstschriftstellern hatte sich Baldinucci auch der Geschichte der Graphik zugewandt (Cominciamento e progresso dell’arte dell’intagliare in rame, Florenz 1686). Dieses neue Aufgabenfeld wurde im 18. Jahrhundert, der Epoche der großen Graphiksammler, durch Pierre Jean Mariette (1741) und Dezailler d’Argenville (1745–1752) weitergeführt. Der Wiener Sammler und Gelehrte Johann Adam Bartsch hat schließlich schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts in seinem vielbändigen Le Peintre Graveur (1803–1821) ein grundlegendes, bis heute benutztes Kompendium der Graphik geschaffen, das einen Endpunkt dieses besonderen kennerschaftlichen Stranges bildet.
Akademische Theorie in Frankreich
In der Mitte des 17. Jahrhunderts begann der schnelle Aufstieg Frankreichs zur führenden künstlerischen Macht in Europa. Die Initialzündung lieferte, ausgerechnet im Revolutionsjahr 1648, die Etablierung der Académie Royale de Peinture et de Sculpture. Als Teil der der Akademie durch den Staat verordneten Tätigkeiten und Diskussionen entstand dort das Genre der vertieften Bildanalyse, so z.B. in der berühmten Conférence des Charles Le Brun über Poussins Mannalese (1667), einer Analyse, die nicht nur kunsttheoretisch und kunstkritisch ausgerichtet war, sondern durch Vergleiche mit der italienischen Kunst auch viele relevante wertende Aspekte beinhaltete. Der französische Kunstschriftsteller und Theoretiker Roger de Piles, ein erbitterter Gegner Le Bruns und Befürworter des Kolorismus, unternahm in seiner Schrift Cours de peinture par principes (Paris 1708) den Versuch einer Übersicht großer Maler, indem er eine Art Tabellensystem schuf (bezeichnet als La Balance des peintres) den Versuch einer Übersicht großer Maler, indem er eine Art Tabellensystem schuf und einzelne Künstler, vor allem solche aus der Renaissance und dem Frühbarock, nach ausgewählten begrifflichen Kategorien (so u.a. Farbe, Zeichnung, Ausdruck) beurteilte. De Piles legte auch künstlerbiographische Kompendien vor, in denen er vor allem die Bedeutung von Rubens und seiner Schule hervorhob.
André Félibien
Ein weiterer wichtiger französischer Kunsthistoriograph war André Félibien, der zeitweilig als Sekretär der Académie fungierte und ab 1659 an seinem Hauptwerk, den Entretiens sur les vies et les ouvrages des plus excellents peintres anciens et modernes (1660–1688), arbeitete. Obwohl er selbst dem Primat des zeichnerischen Klassizismus huldigte und besonders Poussin verehrte, bot er in seinem mehrbändigen Werk eine breite und beileibe nicht immer nur kompilatorische Übersicht der französischen und europäischen Kunstentwicklung im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert. Félibien kann man zu Recht als den ersten wirklichen Historiographen der bildenden Kunst in Frankreich bezeichnen. Er berief sich auf damals entlegene Bereiche, so auf die gotischen Zeichnungen des Villard de Honnecourt wie auch auf den französischen Manierismus der Schule von Fontainebleau.
Begriffsprägung
Ein Bekannter von Félibien, der französische Hofmaler Pierre Monier, verwandte als Erster im Jahre 1698 einen Begriff, der den späteren Namen der Wissenschaftsdisziplin der Kunstgeschichte vorwegnahm (Histoire des arts qui ont rapport au dessin, Paris 1698). Der in einer ähnlichen Weise wirksame und wichtige Begriff der Kunstkritik tauchte zwanzig Jahre später bei den Engländern Jonathan Richardson dem Älteren und Jüngeren auf (An Essay on the whole Art of Criticism, London 1719).
Winckelmann und sein Jahrhundert
Vasari legte die faktographischen und gedanklichen Fundamente der Kunstgeschichte im Bereich der Künstlerhistoriographie. In der Mitte des 18. Jahrhunderts kam es zu einer weiteren grundlegenden Umwälzung: Die Kunstgeschichte trat nunmehr als betont eigenständige, methodische Ansprüche vertretende Disziplin auf den Plan. Der wichtige Teilbereich der Ikonographie wurde durch Lessings Schrift Wie die Alten den Tod gebildet (Berlin 1769) begründet. Entscheidende Weichenstellungen verdankt die Kunstkritik den in den 1760er und 1770er Jahren verfassten Rezensionen von Pariser Salonausstellungen aus der Feder des französischen Philosophen und Dramaturgen Denis Diderot, aber auch einer Reihe weiterer Pariser Salonniers. Doch es waren vor allem die Schriften von Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), die das öffentliche Bild der jungen Disziplin prägten und für einige ihrer Bereiche richtungsweisende Weichenstellungen vollzogen. Winckelmanns Werk entwickelte sich in seiner ersten Phase vor dem Hintergrund einer sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Sachsen entfaltenden antiquarisch-literarischen Kultur, deren führender Vertreter Johann Friedrich Christ in seinen zahlreichen Schriften Archäologie der Literatur auch kunsthistorische Belange berücksichtigte und vaterländische Werke‘ dem Vergessen entreißen wollte. Christ legte mit seiner 1726 erschienen Abhandlung über Lucas Cranach d.Ä. (Lucas Cranach. Leben des berühmten Malers) übrigens die erste Monographie über einen deutschen Künstler vor, in der er Cranach in die deutsche Kunstgeschichte einzuordnen versuchte. Der sächsische Gelehrte gehörte zu den unmittelbaren Vorläufern Winckelmanns und hat als Professor für Geschichte und Poesie in Leipzig der Kunstgeschichte den Weg zu einem eigenständigen akademischen Lehrfach geebnet, auch wenn er selbst noch immer vornehmlich am antiquarisch und historisch bedeutsamen Einzelwerk interessiert war.
Es war Winckelmann, der aus Stoffsammlungen antiquarischen Charakters Geschichtswissenschaft schuf, indem er kunstgeschichtliche Erkenntnisse auf die Grundsätze geschichtlichen Seins zurückführte und dadurch die sich herausschälende neue Disziplin auf einer höheren, weil teleologischen Ebene in den großen Zusammenhang historischer Wissenschaften einordnete. 1755 erschien seine bald zu großer Berühmtheit avancierte Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. Es war dies eine vordergründig der historischen Betrachtung der griechischen Kunst gewidmete Abhandlung, die in weiten Partien auch als eine Art artistisches Manifest für die Kunst der eigenen Zeit gedacht war. Winckelmann vertrat das Anliegen des aufkommenden Klassizismus, eines Stiles, dessen Wurzeln im Gegensatz zum Barock auch intellektueller Art waren. Dieses Ziel hat Winckelmann auch in manifester Weise erreicht.
Ablehnung des Barock
Das entscheidend Neue bei Winckelmann ist das Zurückweichen des rein künstlerbiographischen Ansatzes zugunsten eines Diskurses, der vor allem die Entwicklung der zentralen Probleme der Kunst im Auge hatte. Winckelmann verwarf in seinen Gedanken die barocke Tradition zugunsten einer Klassizität griechischen Charakters, die er für historisch fundiert und für richtungsweisend hielt. Im Gegensatz zur damaligen Meinung vieler Kunstkenner, so des römischen Stechers Piranesi, hat Winckelmann immer das Primat der griechischen Kunst gegenüber der imperialen Kunst Roms betont, obwohl er letztere natürlich viel besser kannte. Dass er aber gewisse Spielarten der barocken Allegorie akzeptierte, war hinsichtlich der ikonographischen Neigungen des Klassizismus doch nur konsequent. Dazu kam bei Winckelmann noch eine verdeckte Zuneigung für Rubens, wie sie später auch bei Jacob Burckhardt anzutreffen sein sollte.
Winckelmann und Caylus
Winckelmanns Leistung wird nicht durch die Tatsache geschmälert, dass viele seiner Termini und Wortprägungen (darunter bekannte Wendungen wie diejenige der „edlen Einfalt und stillen Größe“) aus den Schriften des Grafen Caylus (1692–1765), eines bedeutenden französischen Kunstkenners, entlehnt worden sind. Letzteres ist dank der jüngsten Forschungen von Elisabeth Décultot sehr eindrucksvoll bewiesen. In einem neuen Kontext und mit größerer Radikalität der Aussage gewannen die Wortwendungen eine besondere pädagogisch-schlagwortartige Wirkung, die dem Comte de Caylus in dem partiell noch dem Rokoko verhafteten französischen Kulturkreis verwehrt blieb. Zu Winckelmanns Erfolg trug auch der damalige Aufstieg des Deutschen zur Sprache der Wissenschaft und der Philosophie bei. Das Geheimnis der überragenden Wirkung Winckelmanns lag nämlich auch in der Tatsache, dass er ein besonders enges und lebendiges Verhältnis zur Sprache pflegte und sich in seinen theoretischen Ausführungen nie sehr weit von der Anschaulichkeit entfernte.
Stilbegriffe und Stilphasen
Besonders deutlich wird dies in seiner monumentalen Geschichte der Kunst des Altertums (Dresden 1764), in der Winckelmann wortmächtig Vergleiche von Bildwerken anstellt. Den Begriff des Stiles gebrauchte er in der mehrfachen Bedeutung von individuellem Stil, National-Stil, Zeit-Stil sowie von Einstellung und Haltung. Im Gegensatz zu Vasari, der mittels biologistischer Metaphern vier Entwicklungsphasen der Kunst unterschied, hat Winckelmann in seinem Vier-Phasen-Schema der Entwicklung der Kunst Bezeichnungen verwendet, die auf die Hervorhebung einzelner Qualitäten abzielten: 1. Antike Phase, 2. Erhabene Phase, 3. Schöne Phase, 4. Nachahmende Phase. Und schließlich erschien im Titel von Winckelmanns Buch der Name der Disziplin, den diese von nun an auch in Deutschland tragen und gebrauchen sollte.
Vico und Herder: Nationalkultur
Die Entwicklung der Kunstgeschichte im 18. Jahrhundert vollzog sich vor dem Hintergrund entscheidender Umbrüche im philosophischen und philosophisch-kulturellen Denken. Hierbei spielten der Italiener Giovanni Battista Vico und der ein halbes Jahrhundert später wirkende Johann Gottfried Herder eine zentrale Rolle. Sowohl Vico als auch Herder gingen vom Konzept einer allumfassenden Kultur der Menschheit aus, in deren Rahmen jedoch die Einzigartigkeit jeglicher nationalen Kultur betont werden sollte. Mit dieser Konzeption ging vor allem bei Herder die besondere Bedeutung von national fundierten ausdruckshaften Werten einher. Die Quintessenz der Lehren Herders und Vicos lief somit auf einen im jeweiligen nationalen Kontext definierten, ästhetischen Pluralismus hinaus, der aber in weiterer Konsequenz paradoxerweise dadurch auch eine Absage an das klassische Ideal implizierte. Dieses von Winckelmann verfochtene Ideal wurde in seiner Nachfolge zum zentralen Punkt aller vorromantischen ästhetischen Theorien.
Kunstgeschichte um 1800
Die Jahre um und nach 1800 zeitigten in Frankreich, Deutschland und Italien eine Reihe von Versuchen, synthetische Darstellungen des Kunstgeschehens zu entwerfen. Luigi Lanzis Storia Pittorica dell’ltalia (Bassano 1795/96) begründete die – übrigens bis heute vorherrschende – Aufteilung der Gesamtheit der italienischen Malerei in regionale Schulen und sollte bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts die italienische Sicht der nationalen Kunstgeschichte prägen. Der französische Forscher Artaud de Montor versuchte darüber hinaus den Beitrag einzelner regionaler italienischer Schulen zur Herausbildung des Renaissancestils zu ergründen (de Montor 1808). Mit dieser Problemstellung wurde eine der wichtigsten zukünftigen Vorgehensweisen der Kunstgeschichte umrissen. Zwischen 1811 und 1823 erschien das mehrbändige Werk von Jean Baptiste Seroux d’Agincourt Histoire de l’art par les monuments. Hierbei handelte es sich um die erste kunsthistorische Publikation, die eine Korrelation zwischen zahlreichen, in der Regel sorgfältig ausgewählten Bildtafeln und dem Text zustande brachte. Das Werk hat einen beträchtlichen Einfluss auf die damals im Wachsen begriffene Mittelalterbegeisterung ausgeübt, wenngleich die Anordnung des Stoffes methodische Ansprüche nicht befriedigen konnte.
Goethe
Eine inspirierende Rolle in der Entwicklung der Kunstgeschichte kam Goethe und dem um ihn versammelten Gelehrtenkreis zu. Der Wandel seiner ästhetischen Anschauungen – von der jugendlichen Begeisterung für die Gotik zur späteren Adoption eines rigiden Klassizismus und der damit verbundenen Ablehnung der aufkeimenden Romantik – ist gut bekannt und soll hier nicht näher behandelt werden. Goethes lebenslangen und recht eigenwilligen Forschungen zum Bereich der Farbenlehre blieb im 19. Jahrhundert ein Einfluss auf die Kunstgeschichte versagt. Einen direkten Bezug zu den Problemstellungen der Disziplin wies hingegen sein berühmter Aufsatz Einfache Nachahmung der Natur, Manier und Stil (Goethe 1789) auf, der in begrifflicher Weise Erkenntnisse wiedergab, die der Dichter während seiner kurz zuvor unternommenen Italienreise gewonnen hatte.
Einfache Nachahmung, Manier, Stil
Die einfache Nachahmung bildete für Goethe die unterste, am stärksten den Gesichtspunkten einer naturalistischen Wiedergabe verpflichtete Ausübung der Kunst. Die Manier wiederum repräsentierte auf einer höheren Stufe die Erfassung der Form als eine individuelle Sprache. Zwar sah Goethe in der Manier den persönlichen Stil des Künstlers, er war jedoch bereit – was für die spätere Entwicklung der kunsthistorischen Methode von Bedeutung sein sollte –, ihr auch formale Eigenschaften zuzuschreiben, die er als durch die Zugehörigkeit des Kunstwerkes zu einer bestimmten Gattung bedingt erachtete. Die höchste Leistung, so Goethe, die ein Künstler erbringen kann, ist aber die Gewinnung des Stils, der auf den „tiefsten Grundfesten der Erkenntnis ruht“. Derjenige Künstler, der Stil hat, schafft frei und doch gesetzmäßig, was Goethe zufolge auch und vor allem auf das Schaffen der Natur zutrifft. Dieser Ausgleich der Gegensätze auf der höchsten Stufe nimmt gleichsam prophetisch die Hegelsche Dialektik vorweg. Die Kategorie des Stils reservierte Goethe ausdrücklich für von ihm als solche empfundene Spitzenleistungen, so für die Meisterwerke der Antike oder für Raffael. Das Stilkonzept Goethes blieb, obwohl gut bekannt, für die Entwicklung der kunsthistorischen Methodologie im 19. Jahrhundert relativ folgenlos und wurde erst im 20. Jahrhundert in Methoden, die den Stil mit einer „Höhenlinie“ (Henri Focillon) gleichsetzten, aufgegriffen.
Goethes kunsthistorische Aufsätze
Dasselbe Los war seinen kleinen kunsthistorischen Aufsätzen beschieden, auch wenn diese wichtige Anregungen für die Vorgehensweise und das methodische Rüstzeug der Disziplin bereit hielten und in ihren Anlagen und Zielen sogar als vorbildlich bezeichnet werden können. In seiner Schrift über Ältere Gemälde. Neuere Restaurationen in Venedig betrachtet 1790 ordnete Goethe die einzelnen Werke nach kompositionellen und ikonographischen Gesetzmäßigkeiten und besprach unter entwicklungsgeschichtlichen Prämissen Probleme wie die Entwicklung des Typus der Stifterfiguren oder die zunehmende Verweltlichung der Thematik – also klassische Fragen der späteren kunstgeschichtlichen Agenda (Goethe 1790). Auch der im Jahr seines Todes erschienene Aufsatz über Landschaftsmalerei versuchte sich an übergreifenden, entwicklungsgeschichtlich konzipierten Fragestellungen. Der Schweizer Johann Heinrich Meyer, ein enger Mitarbeiter Goethes, hat vom Dichter ermutigt Gliederungsversuche im Bereich der künstlerischen Einstellungen und Arbeitsprozeduren unternommen; seine pittoresken Bezeichnungen (Eklektiker, Manieristen, Atomisten, Skizzisten, Machianten) sind trotz ihres interessanten Ansatzes im späteren 19. Jahrhundert einer generellen Ablehnung anheim gefallen.
Berliner Schule der Kunstgeschichte
Zwischen 1815 und 1870 wurde Berlin zum vielleicht wichtigsten Zentrum der europäischen Kunstgeschichte. In diesem Aufstieg spiegelte sich die Humboldt’sche Reform der Berliner Universität, aber auch der Aufbau der musealen Sammlungen in Berlin durch den preußischen Staat wider. Als Gründer der Berliner Schule gilt gemeinhin Karl Friedrich von Rumohr (1785–1843), der in seinen Italienischen Forschungen (1827) eine historisch-quellenkritische Gesamtdarstellung der italienischen Kunst der Neuzeit anstrebte. Die Darstellung setzte sich auch zum ersten Mal kritisch mit den zahlreichen Anekdoten und Legenden Vasaris auseinander (Rumohr 1827).
Die großen Handbücher
Franz Kugler (1808–1858), ein bedeutender Forscher, schuf in zwei wichtigen Handbüchern (Kugler 1837, 1842) grundlegende kunsthistorische Übersichtswerke, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts viel gelesen und intensiv konsultiert wurden. Kugler war bemüht, den hauptsächlichen Kunstperioden gerecht zu werden und historisch begründete Werturteile abzugeben. In seinen Handbüchern sind sogar vereinzelte Hinweise zur außereuropäischen Kunstgeschichte enthalten, ein beredtes Zeugnis seiner universalistischen Zielsetzungen, die später den Aufbau der Berliner Museen beflügelten. Gustav Friedrich Waagen (1794–1868), der lange Zeit die Berliner Gemäldegalerie leitete, hat als erster Kunsthistoriker systematisch die großen Gemäldegalerien und Sammlungen Europas bereist – so u.a. die bisher nie berücksichtigten Sammlungen in Großbritannien – und diesen kontinentaleuropäischen blinden Fleck in mehreren wichtigen Veröffentlichungen beschrieben. Die durch Waagen vorgelegte Übersicht der nordeuropäischen Malerei (Waagen 1862) resümiert auf hohem Niveau die Erkenntnisse der Jahre zwischen 1830 und 1860 in den Bereichen der Attributionistik und der für die frühe Kunstgeschichte so wichtigen Schulzusammenhänge. Forschungen zur niederländischen Kunst der frühen Neuzeit betrieben in Berlin auch die bedeutenden Kunsthistoriker Heinrich Gustav Hotho und Carl Schnaase. Fünfzig Jahre später sollte der große Organisator der Berliner Museen Wilhelm von Bode mit seinen Meistern der holländischen und flämischen Malerschulen (Bode 1906) diesen besonderen Berliner Strang mit einer inzwischen schon klassischen, in erster Linie faktographisch und an der Problematik der Zu- und Abschreibung von Gemälden ausgerichteten Arbeit beschließen.
Neue Sicht der holländischen Malerei
Doch auch außerhalb der Berliner Schule lieferten die Forschungen zur niederländischen Malerei wichtige Impulse für die Entwicklung des Faches. Der deutsche Kunstkritiker und Kunsthistoriker Eduard Koloff veröffentlichte 1854 einen langen Aufsatz über Rembrandt, in welchem er bahnbrechende Korrekturen am bisher existierenden Bild des Künstlers vornahm und den Prozess seiner ästhetischen Rehabilitierung einleitete (Koloff 1854). Koloff analysierte als Erster genauer die biblische Fundierung der alttestamentarischen Sujets. Von großer Bedeutung war auch seine Erkenntnis, dass Rembrandt viele Motive aus Graphiken Lucas van Leydens, Schongauers wie auch Dürers entlehnt habe. Man kann ohne große Übertreibung behaupten, dass damit auch die besondere kunsthistorische Methode der Untersuchungen von Anleihen und motivischen Transformationen begründet wurde. Den Weg zu einem neuen Bild der holländischen Malerei beschritten auch der französische Kunstkritiker Théophile Thoré-Bürger, der 1866 in einer kleinen Monographie als Erster das Werk des damals völlig vergessenen Vermeer zusammenstellte, sowie sein Landsmann, der Schriftsteller und Kunstkritiker Eugène Fromentin, der in seinem 1877 erschienenen holländischen Reisebericht (Les Maîtres d’autrefois) die erste kohärente Darstellung des später viel beschworenen holländischen Realismus‘ vorlegte.
Die großen Monographien
Mit Waagens Monographie der Gebrüder van Eyck (Waagen 1822) und Johann David Passavants dreibändiger Raphael-Monographie (Passavant 1839–1858) begann das Genre der großen kunsthistorischen Monographien. Vor allem Passavant war bestrebt, eine für die damaligen Begriffe mustergültige stilkritische und attributionistische Arbeit vorzulegen. Er wollte jedes erreichbare Werk Raphaels, also sowohl die Gemälde wie auch die Zeichnungen, in Augenschein nehmen. Was die Zeichnungen angeht, hat er sogar die überlieferte Zuschreibung von über tausend Blättern angezweifelt und somit die Grundlagen für ein neues, präziseres Bild von Raphael geschaffen.
Grimm: Das Leben Raphaels
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam die Zeit der großen, Kunst- und Kulturgeschichte verbindenden Monographien, die dank ihrer literarischen Form mühelos die damals aufsteigende Schicht des Bildungsbürgertums erreichten. Das vielleicht berühmteste Werk dieser Art war Hermann Grimms Das Leben Raphaels aus dem Jahr 1872, das Raphael vor einem breiten, wenngleich sehr einseitig entworfenen kulturgeschichtlichen Panorama zeigte und den idealistisch gefärbten Renaissancekult für die kulturpolitischen Ziele der wilhelminischen Ära vereinnahmen wollte („wir möchten ihm näher treten, weil wir seiner zu unserem Wohlsein bedürfen“, Grimm 1903, 334). Die Angriffe, die gegen Grimms Bücher – zu denen auch eine mehrfach aufgelegte Michelangelo-Biographie gehörte – aus dem Lager der positivistisch orientierten Forscher vorgetragen wurden, bezeugten die sich schon damals öffnende Kluft zwischen kunsthistorischer Sachforschung und einer leicht ideologisch verbrämten Popularisierung. Doch keine Künstlermonographie des 20. Jahrhunderts hat die Popularität und Verbreitung von Grimms Büchern erreicht: Deren Rolle als populärer kulturhistorischer Lesestoff ist aber im letzten Jahrhundert teilweise durch die Gattung der Künstlerromane, wie der von Irving Stone, übernommen worden.
Justis Monographien
Etwas weniger ideologisch orientiert als Grimm, entwarfen die zwei großen Monographien des Bonner Kunsthistorikers Carl Justi (1832–1912) – über Winckelmann (Justi 1866/1872) sowie über Velázquez (Justi 1888) – breite und bis heute lesenswerte kulturhistorische Panoramen, die aber auch, so vor allem das Buch über Velázquez, gute Formanalysen enthielten. In seinem grundlegenden Konzept, eine Künstlerfigur als idealtypische Verkörperung einer ganzen Epoche aufzufassen, folgte Justi Goethes Idee, die dieser einst in seiner Übersetzung der Autobiographie des Benvenuto Cellini vorformuliert hatte. Einige eher einseitige ästhetische Urteile Justis – so bezeichnete er die spanischen Gemälde des El Greco als krankhaft und als Verstoß gegen „Geschmack, Verstand und Methode“ – wurden keine zwanzig Jahre später durch die frühexpressionistische Kunstgeschichtsschreibung in geradezu paradigmatischer Weise korrigiert.
Burckhardt: Kunstgeschichte als Kulturgeschichte
Auch für den Basler Gelehrten und Universitätsprofessor Jacob Burckhardt (1818–1897), der Mitte der 1840er Jahre in Berlin mit Franz Kugler zusammengearbeitet hatte, war die Kunstgeschichte ein integraler Teil der Kulturgeschichte. Augenmensch par excellence und befähigt durch eine gesteigerte Empfindlichkeit für die einzelne Form, hat er aber vornehmlich als Kulturhistoriker für die Kunstgeschichte die italienische Renaissance in ihrem universalen Anspruch entdeckt. Dieser kulturhistorisch-ideengeschichtliche Ansatz führte aber dazu, dass Burckhardt über die Formanalyse hinaus in einer mit dem idealistischen Ansatz unvereinbaren Weise auf das soziale Umfeld der Kunst einging: Er interessierte sich für Mäzene und Auftraggeber, für die Rolle der italienischen Kommunen bei den Bauaufgaben und für deren stilistisch-technische Bedingtheiten (Burckhardt 1867). In seinem berühmten Italien-Führer (Burckhardt 1855) verband er präzise Formbeschreibungen mit einem bisweilen hervorbrechenden wortmächtigen subjektiven Enthusiasmus à la Winckelmann. Andererseits waren seine Interessen für das intellektuelle und kulturelle Umfeld der Kunst dermaßen ausgeprägt, dass in seiner berühmten Kultur der Renaissance in Italien (Burckhardt 1860) die bildende Kunst als solche – was oft übersehen wird – keinen besonderen Platz einnimmt. Eine gewisse Ambivalenz der Einstellung Burckhardts zur Kunst wird somit offensichtlich: Als Historiker sah er ihre historischen Bedingtheiten; andererseits führte eine von seinen metaphysischen Neigungen begünstigte Sakralisierung der Kunst zu einer zeitweiligen Ausblendung ihrer historischen Konditionen. Burckhardt war auch nicht bereit, historische Umstände als letzten Erklärungsgrund großer kultureller und artistischer Leistungen vorzuschieben: „Bei alledem bleibt“ – so Burckhardt – „der Einzelne die Antwort“. Die Lösung dieses Widerspruches erfolgte daher für ihn auf der Ebene der Erfassung der Einzigartigkeit der künstlerischen Persönlichkeit. Man kann dies auch als Ausdruck des von Burckhardt immer akzeptierten Geniekultes des 19. Jahrhunderts werten.
Als Apologet der Renaissance demonstrierte Burckhardt – wie es zahlreiche Passagen seines Cicerone bezeugen – große Vorbehalte gegenüber der Kunst des Barock. Seine Ablehnung von Berninis hl. Theresa („hier vergisst man freilich alle bloßen Stilfragen über der empörenden Degradation des Übernatürlichen“, Burckhardt 1855, 670e) beeindruckt noch heute durch ihre Grundsätzlichkeit. Eine bezeichnende Ausnahme machte er für Rubens (Burckhardt 1892), an dem ihm das Allegorische, der unverhohlene Heroismus und die Spannung zwischen dem Dramatischen und dem Optisch-Schönen begeisterte.
Kennerschaftliche Richtung
Eng mit den gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr in den Vordergrund tretenden Künstlermonographien verbunden war die kennerschaftliche Richtung, deren Gewicht seit 1850 immer mehr zunahm. In ihren besten Ausprägungen war diese Richtung mit der Rekonstruktion wenig bekannter oder verstreuter Œuvres verbunden und beinhaltete in einigen Fällen auch Neubewertungen ästhetischer Art. Andererseits traten die kennerschaftlichen Fähigkeiten und Prozeduren immer mehr in den Dienst des sich damals stürmisch entwickelnden und internationalisierenden Kunsthandels. Auch deswegen konzentrierten sich die Bemühungen der Forscher in erster Linie auf die Erforschung und attributionelle Zuordnung von vielen bisher anonymen oder wenig überzeugend zugeschriebenen italienischen Gemälden, denn im 19. Jahrhundert musste das verarmte Land einen großen Ausverkauf seiner Kunstschätze in die reicheren Länder Europas und nach Amerika hinnehmen.
Die New History of Painting in Italy eines englisch-italienischen Autorenteams (Cavalcasselle/Crowe 1864) lieferte die erste wissenschaftliche Übersicht der italienischen Malerei der vorklassischen Zeit, wobei beide Autoren historische Quellenstudien betrieben und ansatzweise auch maltechnische Probleme berücksichtigten. Ihre konsekutiven Untersuchungsprozeduren, ihre intensiven Diskussionen wie auch die besonderen, durch beide aufgestellten und strikt befolgten Regularien der Abgleichung und Abstimmung der beiderseitigen Ansichten bildeten ein Urmodell vieler späterer ähnlicher kollektiver Arbeiten, wie beispielsweise des seit 1968 in den Niederlanden tätigen Rembrandt Research Project (RRP).
Die im September 1871 in Dresden veranstaltete Holbein-Konferenz, auf der die zwei sich in Darmstadt und Dresden befindlichen Versionen der Madonna des Bürgermeisters Meyer von Hans Holbein dem Jüngeren miteinander verglichen und kritisch diskutiert wurden, bildete eine Sternstunde der kunsthistorischen Kennerschaft. Im Resultat wurde das in einer weniger prestigiösen Galerie verwahrte Bild zutreffend zum Original erklärt, im Dresdner Bild erkannte man eine aus dem 17. Jahrhundert stammende Kopie. Der lange andauernde Widerstand der Dresdner Galeriebehörden gegen eine solche Schmälerung der erstklassigen Dresdner Bestände sollte sich im 20. Jahrhundert noch in vielen anderen, von Abschreibungen betroffenen Museen wiederholen. Die an sich sehr sinnvolle Prozedur einer vergleichenden Bildgegenüberstellung wird bis heute oft angewandt, doch mittlerweile zunehmend mit flankierenden technologischen Untersuchungen.
Bode und Berenson
Der italienische Politiker und Kunsthistoriker Giovanni Morelli vertrat im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine besondere, vornehmlich detailorientierte Methode der Attribution, über die im nächsten Kapitel berichtet wird. Doch erst den nächsten zwei Generationen der Connoisseurs und Attributionisten (Wilhelm von Bode, Hofsteede de Groot, Bernard Berenson, Max J. Friedländer) gelang es, das Kennertum als Subdisziplin der Kunstgeschichte zu etablieren. Die massenhafte Verwendung der Kategorie der sog. Meister mit Notnamen half damals, viele Zuschreibungslücken zu schließen. Vor allem die schillernde Persönlichkeit von Bernard Berenson (1865–1959), eines bedeutenden, doch sehr eng mit den Praktiken des damaligen Kunsthandels verbundenen Gemäldekenners, dessen öffentliches Image die Attribute eines Salonlöwen mit denjenigen eines Magus mit quasi-divinatorischen Fähigkeiten vereinte, verhalf der Kunstkennerschaft zu einer hohen, wenngleich etwas problematischen Popularität. In einigen Ländern, vor allem in England und Italien, ist der kennerschaftliche Aspekt noch immer stark in der Kunstgeschichte präsent. In der deutschen Kunstgeschichte spielte die Kennerschaft nach 1945 eine erstaunlich geringe Rolle. Die Kunstgeschichte hat sich übrigens bis heute nicht in vertiefter Weise mit den methodischen Konsequenzen des reinen Kennertums befasst, das noch immer ein Bereich bleibt, in dem Scharlatanerie, kommerzielle Interessen, aber auch das aufgesetzt Divinatorische manchmal merkwürdige Verbindungen eingehen.
Wiener Schule
Der Reigen der historischen Methoden klingt mit der Wiener Schule der Kunstgeschichte der Jahrhundertwende und der ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts aus. Die vielgestaltige und in methodischer Hinsicht etwas hybride Wiener Schule hat die Entwicklung der Kunstgeschichte nachhaltig beeinflusst. Die von ihr ausgehenden Impulse und Anregungen reichen bis in unsere Gegenwart und sind in ihrem Reichtum noch immer nicht vollständig rezipiert worden. Von ihren führenden Vertretern (Franz Wickhoff, Alois Riegl, Max Dvořák, Julius von Schlosser, Joseph Strzygowski, Hans Tietze, Hans Sedlmayr, Otto Pächt) sollen Riegl, Sedlmayr, Schlosser und Pächt noch gesondert besprochen werden. Doch auch die anderen Wiener Forscher trugen damals zum Aufschwung des Faches bei, das um 1900 imstande schien, den führenden Platz unter den geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu beanspruchen.
Wickhoffs Formen der Bilderzählung
Franz Wickhoff (1853–1909) vertrat einen sehr breiten kunsthistorischen Ansatz, der von der Spätantike über die Probleme des Kunstgewerbes bis zur Ingenieurkunst des 19. Jahrhunderts und der impressionistischen Malerei reichte. In seiner Untersuchung der sog. Wiener Genesis (1895) schuf Wickhoff ein begriffliches Schema zur Unterscheidung von Formen der Bilderzählung, das, trotz mancher Modifikationen, bis heute die Grundlage für vertiefte Analysen bildet. Als älteste Form bezeichnete er die komplettierende Erzählweise, bei der sämtliche Geschehnisse eines Handlungsstranges gleichzeitig dem Betrachter vorgestellt werden, jedoch ohne dabei die handelnden Personen zu wiederholen. Aus dieser habe sich in der griechischen Klassik der distinguierende Erzählstil entwickelt, der mit nebeneinander platzierten Einzelszenen gearbeitet habe und schließlich in der Neuzeit zum ausschließlichen Darstellungsprinzip avanciert sei. In den Jahrhunderten dazwischen habe jedoch der in römischer Zeit entstandene kontinuierende Erzählstil vorgeherrscht, der die Narration unterbrechungslos und mit wiederholten Auftritten derselben handelnden Personen vorzeige. Die Handschrift der Wiener Genesis repräsentiert laut Wickhoff den letzteren Typus der narrativen Darstellung. Mit der Übergangszeit zwischen der Antike und dem Christentum – die sowohl Wickhoff wie auch Alois Riegl fasziniert hatte – befasste sich auch der in Wien lehrende polnisch-österreichische Kunsthistoriker Joseph Strzygowski, der die Wurzeln der christlichen Kunst im Orient auszumachen glaubte (Strzygowski 1903). Strzygowskis interessante frühe Entwürfe sind durch seine spätere faschistoide Rassenmystik ins Zwielicht geraten, ohne indes völlig ihre Berechtigung verloren zu haben.
Dvořák: Kunstgeschichte als Geistesgeschichte
Wichtiger war jedoch das Vermächtnis eines weiteren großen Wiener Gelehrten, des tschechischen Kunsthistorikers Max Dvořák (1874–1921), der als zeitweiliges Haupt der ersten Wiener Schule fungierte. In seinen Versuchen, gegensätzliche formale Gestaltungsweisen zu charakterisieren, konzentrierte sich Dvořák auf Elemente der damals gegebenen Weltsicht, mit der er den Gegensatz zwischen Idealismus und Naturalismus im 15. Jahrhundert erklären wollte. Dvořák interessierte sich für Epochen des Überganges, wie die Spätgotik oder den von ihm neu definierten Manierismus, in denen er vor allem nach den geistesgeschichtlichen Hintergründen suchte. Anders als Wölfflin lehnte er ein kontradiktorisches Modell gegensätzlicher Stile ab; dagegen war er einer der ersten Kunsthistoriker, die im Einzelwerk gegensätzliche Elemente zu registrieren bereit waren. Kollektivpsyche und künstlerische Form gingen bei ihm eine besonders enge Verbindung ein. Dvořák betonte mit Nachdruck die wesenhafte Historizität des Kunstwerkes, das nur selten Elemente enthalte, die den Denkhorizont seiner Epoche überschreiten. Sein methodischer Ansatz wird am besten, wenngleich etwas verkürzt, mit dem Schlagwort ‚Kunstgeschichte als Geistesgeschichte‘ charakterisiert.
Das Fach um 1914
In der Zeit vor 1914 hat sich die Kunstgeschichte als eine selbständige Wissenschaft herausgebildet, vertreten im universitären Curriculum (die einzigen Ausnahmen bildeten Großbritannien und die Vereinigten Staaten) sowie mit einer stetig wachsenden Reihe von Museen, die vornehmlich Kunsthistorikern Arbeit boten und mit einer sich allmählich in Mitteleuropa etablierenden Denkmalpflege, die auch die ersten Vorhaben der Inventarisierung der Denkmäler in Angriff nahm. Auch die gesellschaftliche Position der noch immer nicht sehr zahlreichen Kunsthistoriker war damals eine relativ hohe. Diese in Anlehnung an eine zeitlich frühere Strömung der deutschen Literaturgeschichte als Sturm und Drang-Periode der jungen Disziplin zu bezeichnende Phase fand in der Zeit des Ersten Weltkrieges ihr Ende. Die Richtungen, die nach der Wende zum 20. Jahrhundert und in der Zwischenkriegszeit aufkamen, nehmen bis heute jedoch einen nicht unbedeutenden Platz im wissenschaftlichen Methodenrepertoire des Faches ein.