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II. Die Kunstgeschichte und ihre Nachbardisziplinen

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Kunstgeschichte und Weltkunst

Die ‚klassische‘ Kunstgeschichte, wie sie an europäischen Hochschulen gelehrt wird, untersucht in ihrer Funktion als wissenschaftliches Fach die europäische Kunst vom Ende der Antike bis zur Gegenwart. Was seine kunstgeographische Begrenzung betrifft, so befasst sich das Fach generell mit Kunstwerken, die von der europäischen Kunstauffassung generiert und geprägt wurden. Insofern gehört auch die nachkolumbianische Kunst beider Amerikas zum Aufgabengebiet des Faches. Zentral für das Selbstverständnis der Kunstgeschichte sind die antiken und christlichen Wurzeln der Kunst und Kultur im Mittelmeerraum, deshalb gehören auch die christlichen Kulturen des Nahen Osten und des Kaukasus zu ihren Interessengebieten. Orientalische Kunstwerke im Mittelmeerraum werden dagegen eher am Rande und meistens in komparatistischer Absicht in die kunsthistorische Darstellung integriert. Zum Bereich der Disziplin gehören schließlich prominente Bauwerke und Kunstwerke, die im 20. Jahrhundert auf allen Kontinenten entstanden sind, unabhängig davon, ob sie, wie die berühmte Oper in Sydney, sowohl von ihrer Form wie auch genetischen Herleitung her integrale Teile der West-Kunst bilden oder, wie die späteren Petronas Towers in Kuala Lumpur, bewusst ein orientalisches Gepräge anstreben. Das an europäischen Universitäten gelehrte Fach hat sich ausdrücklich keine verbindende Betrachtung der europäischen und der islamisch-indisch-ostasiatischen Kunst aus der Zeit vor dem 20. Jahrhundert zum Ziel gesetzt:

West und Ost

Zwar enthält oder impliziert der Begriff der Kunstgeschichte keineswegs eine Beschränkung auf die europäisch geprägte Kunst oder, anders ausgedrückt, auf die sog. West-Kunst – man spricht selbstverständlich auch von der islamischen Kunstgeschichte oder der Kunstgeschichte Ostasiens. Trotzdem hat sich in der kunsthistorischen Praxis aus gutem Grunde diese Beschränkung durchgesetzt. Versuche, die Kunst Asiens oder Afrikas in die Rekonstruktionen der Entwicklungslinien der West-Kunst zu integrieren, waren in der Regel in heuristischer Hinsicht eher unergiebig, um hier nur auf das letzte, ambitiöse Projekt eines Atlas of World Art des englischen Kunsthistorikers John Onians zu verweisen (Onians 2004), das auf breite Kritik gestoßen ist. Die wenigen Bereiche, in denen es vor 1900 zu einer Synthese der östlichen und westlichen Kunst gekommen ist (z.B. die sog. Jesuitenkunst des 17. und 18. Jahrhunderts in China), können sowohl in methodischer als auch in komparatistischer Hinsicht nicht wirklich als Bindeglieder fungieren. Dasselbe betrifft die orientalischen Moden des 18. und 19. Jahrhunderts in Europa. Die chinesische Auffassung der Malerei und des Werkprozesses unterscheidet sich auch in ihren philosophischen Aspekten grundlegend von der europäischen. Dazu tritt noch ein pragmatisches Argument: Es gab und gibt auf der wissenschaftlichen Ebene eigentlich keine dauerhaften, personellen Verbindungen zwischen den Forschungen zur West-Kunst und zu den Künsten außerhalb Europas und Nordamerikas. Die wenigen Versuche, beim Studium der westlichen Kunst gewonnene Erkenntnisse oder Schemata auf in formaler Hinsicht andere stilistische Entwicklungslinien zu übertragen, haben keine überzeugenden Resultate erbracht.

Probleme einer ‚Weltkunstgeschichte‘

Immer wieder unternommene Versuche, den Ansatz einer umfassenden ‚Weltkunstgeschichte‘ zu verfolgen, erweisen sich als problematisch, da bis heute keine geeignete Darstellungs- und Argumentationsgrundlage erarbeitet wurde, die allgemein, gleichzeitig jedoch auch spezifisch genug wäre, um Kunstprodukte europäischer und außereuropäischer Kulturen vergleichen, d.h. eine fundierte Komparatistik betreiben zu können. Dennoch ist, angesichts der dramatisch fortschreitenden Globalisierung, aber auch durch das Vordringen der West-Kunst in immer neue Länder, in der Mitte des 20. Jahrhunderts der geographische Entstehungskontext von Kunstwerken zunehmend irrelevant geworden ist. Eine weitere Entwicklung im Bereich der Beziehungen zwischen der West-Kunst und den anderen Kunststrängen wird durch das Aufkommen der sog. post-colonial studies signalisiert, die sich mit dem westlichen Blick auf die indigene Kunst und Kultur befassen. Doch diese Studien, die auf die Einseitigkeit und Voreingenommenheit der westlichen Einstellung hinweisen möchten, behandeln, trotz ihrer gegenwärtigen Prominenz in der angelsächsischen akademischen Welt, ein hinsichtlich Fragen der Materialerschließung und Kunstanalyse für die Kunstgeschichte eher untergeordnetes Problem. Allerdings können postkoloniale Ansätze, insofern sie das Problem des ideologischen Blickes, der Blickwechsel und der gegenseitigen Spiegelung wissenschaftlich aufgreifen, in methodischer Hinsicht die Kunstgeschichte befruchten.

Mit den Kunstwerken oder Artefakten der Zeit nach 40.000–30.000 v. Chr. befasst sich die Ur- und Frühgeschichte, mit den Kunstwerken des Mittelmeerraumes der Zeit zwischen 1700 v. Chr. bis zum Ende der Antike um 500 n. Chr. die klassische Archäologie. Die Kunstgeschichte als Disziplin befasst sich, wie es auch das in den meisten Ländern Europas und den USA gültige Schema der universitären Lehre suggeriert, mit Kunstwerken die nach dem Ende der Antike entstanden sind.

In welchem zeitlichen Rahmen der Kunsthistoriker sich bewegt, d.h. wie weit in die aktuelle Gegenwart sein Arbeits- bzw. Zuständigkeitsbereich reicht, lässt sich nur allgemein bestimmen und hängt von dem jeweiligen Selbstverständnis, aber auch von den objektiven Möglichkeiten des Forschenden ab. Es gibt Kunsthistoriker, die sich ausschließlich der Kunst der Gegenwart widmen. Deren Zahl ist zwar nicht sehr groß, doch in den letzten Jahren im Wachsen begriffen.

Kunstkritik

Die entscheidenden Differenzen zwischen der Kunstgeschichte und der Kunstkritik, die sich als eigenständige Disziplin in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich ausbildete, sind sowohl chronologischer wie auch methodischer Art. Der Kunstkritiker arbeitet induktiv und sucht, von einer konkreten ästhetischen Erfahrung und der aktuellen Definition der Kunst ausgehend, nach angemessenen Beurteilungskriterien. Der Kunsthistoriker seinerseits wiederum geht deduktiv vor und sucht für das analysierte Werk nach einem festen Platz in einem chronologisch strukturierten Ordnungs- und Bezugssystem.

Abgrenzung zur Kunstgeschichte

Noch immer besteht eine pragmatische Abgrenzung der Kunstgeschichte von der Kunstkritik, wobei für die Kunstgeschichte die Grenze ungefähr zwanzig bis dreißig Jahre vor der Kunst der jeweiligen Gegenwart angesetzt wird. Diese informelle Abgrenzung beinhaltet einen entscheidenden Vorteil, sie ermöglicht nämlich die Gewinnung einer historischen Perspektive und die Ausschaltung vieler allzu kontingenter Phänomene. Allerdings haben sich die historischen Abläufe in einer nie da gewesenen Weise beschleunigt. Die Ereignisse häufen und überschlagen sich derart, dass der für ein historisch fundiertes Urteil notwendige zeitliche Abstand kaum noch gegeben ist.

Typen der Kunstkritik

Die seit 1850 relativ stimmig beschriebene Position und Aufgabenstellung des Kunstkritikers – viele der Kritiker waren oder sind von ihrer professionellen Herkunft keine Kunsthistoriker – sind im letzten Vierteljahrhundert in beträchtlichem Maße diffuser und vielgestaltiger geworden. Es dominiert nunmehr der Typus des schreibenden Galeristen, der sehr oft auch kommerzielle Interessen vertritt. Die Grenze zwischen artistischen Manifesten, Statements, Katalogvorreden und kommentierender Kritik wird zwangsläufig immer unschärfer. In Verbindung mit dem Ausstellungsmacher und dem Kunstorganisator bildet der Kunstkritiker in der Regel einen Teil der florierenden Kunstindustrie und des Kunstmarktes. Eine neue Gruppe unter den Kunstkritikern stellen auch die Professoren für Kunstgeschichte an den Kunsthochschulen dar, die aktiv in den Kunstbetrieb eingreifen. Alle diese Faktoren haben dazu beigetragen, Kunstgeschichte und Kunstkritik einander anzunähern.

Situation des Faches

In der Zeit Winckelmanns aber auch in den Jahren 1890–1930/40 wurde die Kunstgeschichte – wenngleich gegen heftigen Widerstand der Historiker und Philologen – als eine Art Leitdisziplin der Geisteswissenschaften gehandelt. Diese Wertung war nie unumstritten, andere geisteswissenschaftliche Fächer warfen der Kunstgeschichte mangelnde Begrifflichkeit und methodische Durchdringung vor. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Kunstgeschichte ihren alten Glanz eingebüßt.

Ihre gegenwärtige Position im Spektrum der geisteswissenschaftlichen Fächer ist recht eigentümlich: Von der universitären, aber auch von der musealen Kunstgeschichte kommen Anregungen sowohl allgemeiner wie auch spezieller Art, doch gehört die Disziplin als Ganzes heute nicht zu der Gruppe der theoriestarken oder besonders diskursmächtigen Fächer; sie liefert auch keine modischen Schlagworte. Auch die Diskussionen um den iconic turn, in den 1990er Jahren und teilweise noch heute mit besonderer Intensität geführt, wurden von der Öffentlichkeit nur in geringem Maße mit der Kunstgeschichte in Verbindung gebracht. Die führenden Kunsthistoriker des letzten Vierteljahrhunderts und der Gegenwart sind außerhalb des Faches mit einigen Ausnahmen (so Martin Warnke, Werner Hofmann /gest. 2013/, Hans Belting, Horst Bredekamp) nur wenig bekannt.

Frühere Stärke des Faches – Nach dem Zweiten Weltkrieg

Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts sah die Situation der Disziplin noch anders, zweifellos auch besser aus. Um die Jahrhundertwende zehrte die Kunstgeschichte vom Ruhm der Bücher Jacob Burckhardts, die zum absoluten Bildungskanon des Bürgertums gehörten. Nach 1900 begann auch die Karriere des Kenners und großen Attributionisten Bernard Berenson, dessen medialer Ruhm als Berater und Kunstagent amerikanischer Kunstsammler von keinem anderen Gelehrten und Kenner – vielleicht mit Ausnahme Wilhelm von Bodes – erreicht wurde. Zwischen 1900 und 1945 war einigen in methodischer Hinsicht sehr fortschrittlichen Forschern wie Max Dvořák und Heinrich Wölfflin (jedoch wohlgemerkt nicht Alois Riegl) wie auch einer Reihe anregender, wenngleich eher rhetorisch begabter Kunsthistoriker, z.B. Henry Thode, Joseph Strzygowski oder Richard Muther, eine Wirkung auf das gebildete Publikum, auf die Gelehrten der mitteleuropäischen Universitäten und auf die verwandten geisteswissenschaftlichen Fächer beschieden, von der heutige Kunsthistoriker nur träumen können. Die Impulse, die damals von der Kunstgeschichte auf die Nachbardisziplinen ausgingen, so die Übernahme der stilistischen Schemata durch die Kulturgeschichtsschreibung und die Literatur- und Musikwissenschaft, die nach 1920 ungemein breite Rezeption der Kategorien von Heinrich Wölfflin, dessen Vorlesungen in München und Zürich auch Vertreter der intellektuellen Elite frequentierten, und die auf den deutsch-tschechischen Kunsthistoriker Max Dvořák zurückgehende Konzeption der Kunstgeschichte als Geistesgeschichte, scheinen nach zwei Jahrzehnten ungebrochener Popularität in den Jahren um 1940 mehr oder weniger versiegt zu sein. Einen ähnlichen Einfluss übte nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch Erwin Panofskys ikonologisches Drei-Stufen-Modell aus, doch die Rezeption von Panofsky vollzog sich in mehreren Schüben, von denen für die gebildete Welt und die Nachbardisziplinen erst die relativ späte Phase nach 1975/80 entscheidend war. Das Paradoxe an dieser verspäteten Breitenrezeption war die Tatsache, dass in der Kunstgeschichte selbst die Kritik an Panofsky nach 1980 sehr zunahm, ein Umstand, der exemplarisch für die Abkopplung der Breitenwirkung von der fachimmanenten Entwicklung stehen kann. Trotz alledem kommt der Kunstgeschichte im Gefüge der Geisteswissenschaften sowohl in ihren universitären als auch in ihren außeruniversitären Bereichen eine wichtige verbindende, mehr noch: eine ausgesprochen integrative Rolle zu. Dieses Gefüge und die bestehenden Verbindungen sollen im Weiteren erläutert werden. Dabei werden auch eine Reihe kleinerer Disziplinen besprochen, obwohl die klassischen Nachbarfächer der Kunstgeschichte, die auch in der Regel als parallele Nebenfächer an den Universitäten studiert werden, schnell aufgezählt werden können: Es sind dies die klassische Archäologie, die Geschichtswissenschaft und die Literaturwissenschaft. Die Letztere steht auch, sozusagen als pars pro toto, für die bei Studenten beliebten Nebenfachverbindungen zu den einzelnen Philologien. Das Problem der Verbindungen der Kunstgeschichte zur Medienwissenschaft wird ansatzweise im letzten Kapitel angesprochen.

Kunstgeschichte und Ästhetik

Die Kunstgeschichte unterhält, wie jede andere geisteswissenschaftliche Disziplin, Beziehungen zur Philosophie und etwas engere zur Geschichte der Philosophie. Darüber hinaus ist sie eng mit der Ästhetik, die als eine selbständige (philosophische) Disziplin erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts von Alexander Gottlieb Baumgarten begründet wurde (Aesthetica, 1750), als der philosophischen Theorie der Künste und des Schönen verbunden. Die Ästhetik bemüht sich auf philosophischer Grundlage um die Gewinnung einer systematisch-normativen Theorie des Schönen; erst in zweiter Linie kann man bei ihr von einer angestrebten Philosophie der Kunst sprechen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Ästhetik in beträchtlichem Maße aufgefächert: Sie umfasst natürlich die Theorie des Schönen, rekurriert jedoch verstärkt auf das ursprüngliche griechische Verständnis von aisthesis als eines Vorganges der Wahrnehmung. In letzter Zeit kamen noch die Felder der reellen ästhetischen Erfahrung hinzu, vor allem dasjenige der formalen Ästhetik, verstanden als eine Geschichte der Erforschung der reinen Sichtbarkeit des Bildes. In diesem Sinne zeigt die formale Ästhetik gewisse Verbindungen zu einer formalistischen Kunstgeschichte à la Wölfflin. Die Ästhetik bildet in einigen Universitäten einen Teil des philosophischen Curriculums; ihre institutionellen Bindungen zur Kunstgeschichte sind zurzeit aber eher loser Natur.

Kunstgeschichte und Denkmalpflege

Eine weitere Neben- oder Subdisziplin der Kunstgeschichte bildet die Denkmalpflege, die inzwischen auch an Dutzenden von europäischen Universitäten gelehrt wird. Für die Denkmalpflege spielt die Kunstgeschichte dank ihrer Nähe zum Objekt eine sehr wichtige Rolle. Die kunsthistorische Denkmalforschung fließt zum einen in die objektbezogene Analyse und Restaurierung seitens der Denkmalpfleger ein, sie bildet zudem auch die Basis der von beiden Disziplinen getragenen Denkmalinventarisierung. Bei denkmalpflegerischen Entscheidungen sind sowohl die ästhetische wie auch die historische Sachkenntnis des Kunsthistorikers gefragt. Das denkmalpflegerische Studium basiert in der Regel auf einer Verbindung kunsthistorischer Inhalte mit technischen Kenntnissen und einer mehr oder weniger gründlichen Architekturausbildung. Trotzdem ist die Zahl der in der Denkmalpflege tätigen Kunsthistoriker ohne jegliche konservatorisch-technische Ausbildung noch immer beträchtlich; die notwendigen Kenntnisse technischer Art werden durch eine Art learning by doing erworben. Die zunehmende Spezialisierung wird zukünftig jedoch gewiss zu einer vertieften Technisierung und teilweisen Abspaltung der Denkmalpflege von der Kunstgeschichte führen. In begrifflicher Hinsicht steuert die Terminologie der Denkmalpflege eine ganze Reihe von Kategorien zur Kunstgeschichte bei, so z.B. die durch Walter Frodl vorgeschlagene Triade des künstlerischen, historischen und funktionalen Wertes eines Denkmales (Frodl 1967) oder die unterschiedlichen Kategorien der Denkmalrekonstruktion (z.B. Rekonstruktion, Restaurierung, Anastylose). Eine wichtige Problemstellung liegt im Umgang mit der sog. Originalsubstanz, was an späterer Stelle genauer besprochen werden soll.

Museologie

Die Museologie galt lange Zeit als eine wenig bedeutende Subdisziplin der Kunstgeschichte, die in besonderen ergänzenden Studienkursen vermittelt wurde. In den letzten zwei Jahrzehnten ist im Gefolge des Museums-Booms ihr Stellenwert, auch in der universitären Ausbildung, sehr gestiegen; gleichzeitig haben sich ihre Bande zur Kunstgeschichte gelockert. Die Fragen der Präsentation von Kunstwerken sind inzwischen größtenteils an ambitionierte Designer und Innenarchitekten delegiert worden. Das Hauptinteresse der Museologie konzentriert sich jetzt auf die nichtkünstlerischen Einrichtungen, also auf die technischen, wissenschaftshistorischen, naturkundlichen Museen wie auch auf die übergeordneten didaktischen Prinzipien der Exposition, die in der Regel als ein verbindliches Gesamtkonzept aufgefasst werden. Befragt werden somit weniger die Probleme der Zurschaustellung des Schönen als die Rolle der künstlerischen und vor allem nichtkünstlerischen Exponate im Prozess der Wissensvermittlung. Die meisten Museologen verfügen auch nicht mehr über einen kunsthistorischen Hintergrund.

Ur- und Frühgeschichte

Die materiellen Artefakte sowie die frühen Bilder und Skulpturen der menschlichen Ur- und Frühgeschichte gehören zum Bereich der Forschungs- und Universitätsdisziplin der Ur- und Frühgeschichte. Die Verbindungen der Kunstgeschichte zu dieser Disziplin sind eher okkasioneller Art. Es gibt oder gab Universitäten, so in den USA oder den ehemaligen sozialistischen Staaten, in denen die Kunstgeschichte beginnend mit den Malereien in den Höhlen von Altamira oder Lascaux gelehrt wurde, wogegen selbstverständlich wenig einzuwenden ist. Inspirationen oder eine Verbindung methodischer Art zum Studium der späteren Entwicklungslinie der Kunst haben sich daraus nur in den seltensten Fällen ergeben. Es ist offensichtlich, dass wir von einer eigenständigen künstlerischen Produktion im Fall der Höhlenmalerei nicht sprechen können. Zudem gibt es auch nur kleine inhaltliche Berührungspunkte mit dem um 10.000 v. Chr. einsetzenden Kunstschaffen unter den Vorzeichen des magischen Denkens früher religiöser Riten.

Ägyptologie und vorderasiatische Archäologie

Die Ägyptologie und die vorderasiatische, bzw. anatolische Archäologie befassen sich u.a. mit dem ersten bewussten Kunstschaffen der Menschheit. Unabhängig davon, dass Kenntnisse in diesen Bereichen zur allgemeinen Bildungspflicht des Kunsthistorikers gehören, existieren hier zahlreiche Verbindungslinien sowohl ikonographischer als auch formaler Art. So muss z.B. jede kunsthistorische Untersuchung künstlerischer Kanonsetzung und Kanonbeachtung mit der Rolle des Kanons in der ägyptischen Kunst beginnen; auch in Bezug auf die Typenforschung gibt es wichtige Verbindungslinien. Einige auch später in der Kunst anzutreffende vorderorientalische Symbole, z.B. der Lebensbaum, der Adler mit der Schlange oder der Löwenbezwinger, haben in dieser Zeit ihre lang andauernde Karriere in der Ikonographie begonnen.

Klassische Archäologie

Die klassische Archäologie war lange Zeit größtenteils nichts anderes als, um hier den Titel des zentralen Werkes von Winckelmann zu bemühen, eine Geschichte der Kunst des Altertums (Winckelmann 1764). Es gab zwar im 20. Jahrhundert keine Forscher mehr, die in Personalunion sowohl die Archäologie als auch die Kunstgeschichte zu vertreten versuchten, doch war und ist die gegenseitige Kenntnis relativ groß. Auch gab und gibt es Fälle, in denen Kunsthistoriker mit ihren Forschungen bis in die Antike zurückgingen. So lieferte der große österreichische Kunsthistoriker Alois Riegl in seinen Untersuchungen zur spätantiken Kunst wichtige methodische Anstöße für beide Disziplinen. Vor allem im Bereich der ikonographischen Forschungen gehören Bezüge zum antiken Themenrepertoire und zur antiken Motivik – so bei den antiken Göttern, den Allegorien und Personifikationen – zum alltäglichen Arbeitsgegenstand der Kunsthistoriker. Beide Fächer sind miteinander auch durch das universitäre Lehrgebiet der sog. classical tradition verbunden. Es ist dies die Bezeichnung einer Subdisziplin, die besonders in der englischsprachigen Archäologie und Kunstgeschichte benutzt wird und die als Forschungsgebiet oder als festes Lehrangebot an den Universitäten vor allem die Rezeption der klassischen Kunst und die Wirkung des Klassizismus bis in die Moderne zum Gegenstand hat. Sowohl die Kunstgeschichte wie auch die klassische Archäologie müssen sich mit relativ ähnlichen Fragestellungen auseinandersetzen; beide befassen sich sehr intensiv mit klassischen Architekturordnungen. Die klassische Archäologie endet traditionell mit dem Untergang des römischen Imperiums. Dieselbe Zäsur bildet gleichzeitig den chronologischen Anfang der Kunstgeschichte. Im universitären System wird aber die Übergangszeit vom 3. bis zum 8. Jahrhundert unter der Bezeichnung frühchristliche und byzantinische Kunstgeschichte gelehrt und erforscht, und zwar sowohl von Wissenschaftlern an kunsthistorischen Instituten wie auch von Kirchen- und Kunsthistorikern an theologischen Fakultäten. Die klassische Archäologie umfasst aber auch die Sphäre der Grabungen und Grabungstechniken. Im Gegensatz zur universitären Kunstgeschichte, in der die personellen Verbindungen zur Welt der Museen und zur Denkmalpflege sich in jüngster Zeit sehr gelockert haben, ist in der klassischen Archäologie noch immer der Idealtypus des grabenden, entdeckenden und seine Grabungsergebnisse analytisch verwertenden, daneben aber selbstverständlich auch über andere Fragen des Faches forschenden und lehrenden Archäologen verbindlich.

Formanalytische Prozeduren

Andererseits ist die Zeit abzusehen, in der die Technisierung der Ausgrabungen und die immer stärkere naturwissenschaftliche Ausrichtung der Untersuchungen eine Zweiteilung in technisch versierte Ausgräber sowie interpretierende und auch synthetisierende Archäologen bewirken wird. Die stilistisch-formanalytischen Untersuchungen der klassischen Archäologie waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr stark an den Stilbegriffen der Kunstgeschichte orientiert. So hat man z.B. in der Zeit von 1910 bis 1960 hinsichtlich der Plastik des 2. Jahrhunderts v. Chr. gerne etwas pointiert von einem ‚hellenistischen Barock‘ gesprochen, doch dieser besondere begriffliche Einfluss ist später größtenteils zurückgegangen. In einzelnen Bereichen wie der Vasenmalerei verfügen die klassischen Archäologen über ein Datierungsgerüst – ein Beispiel hierfür sind die ausgezeichneten Arbeiten zur Vasenmalerei des 6. bis 4. Jahrhunderts n. Chr. des englischen Archäologen J.D. Beazley –, das relativ präzise Zuschreibungen und Datierungen, in einigen Fällen sogar mit einem geringen Schwankungslimit von lediglich fünf Jahren zulässt und um das die Kunsthistoriker die klassischen Archäologen, wenn man an die beträchtlichen Datierungsprobleme im Bereich der mittelalterlichen Kunst denkt, wirklich beneiden können. In den formanalytischen Prozeduren treten, im Vergleich zur Kunstgeschichte, bei Skulpturen Fragen nach dem Volumen, der Pose und Ponderation stärker in den Vordergrund. Allerdings ist im Altertum die Anzahl distinkter und analytisch erfassbarer Künstlerpersönlichkeiten vergleichsweise gering.

Besonders auffallend und im methodischen Sinne bedeutsam sind natürlich die Differenzen zwischen beiden Disziplinen im Bereich der Unterscheidung von Original und Kopie, bedingt durch die bis heute in all ihren Konsequenzen nicht leicht abzuschätzende Gegebenheit, dass der größte Teil der griechischen Plastiken durch römische Kopien überliefert worden ist. Auch sind die antiken Nachahmungs- und Replizierungskategorien schwerer zu erfassen und zu differenzieren als die klassische kunsthistorische Trias Original – Replik – Kopie.

Ähnlichkeiten und Unterschiede

Die ikonographischen Prozeduren der klassischen Archäologie sind denen der Kunstgeschichte zwar ähnlich, doch sind sie später angelaufen und haben sich nur tastend dem Einfluss von Panofsky geöffnet; auch hat die Realienkunde in der Archäologie eine viel wichtigere Bedeutung. Die Untersuchungen zur römischen politischen Ikonographie zeigen mitunter – so bei Paul Zanker (vgl. Zanker 1987) – Ähnlichkeiten mit der Kunstgeschichte. Doch letztlich ist es offensichtlich, dass beide Disziplinen seit der Zwischenkriegszeit immer stärker getrennte Wege gehen. Die Archäologie hat allmählich den Anspruch auf die normative Geltung der klassischen Kunst aufgegeben und ist damit vom – realiter für die Antike sowieso ahistorischen – Kunstbegriff abgerückt. Die Erfassung der materiellen und kultischen Kultur der Antike sowie die Rekonstruktion von Siedlungsstrukturen stehen nunmehr eindeutig im Vordergrund, und auch die sozial- und mediengeschichtlichen Fragestellungen unterscheiden sich von denen der Kunstgeschichte. Erwähnt werden soll hier noch der merkwürdige Umstand, dass die sehr stark ‚archäologisierende‘ Methodenlehre des amerikanischen Kunsthistorikers George Kubler von den archäologischen Wissenschaften weder in den USA noch in Europa rezipiert wurde.

Archäologie des Mittelalters

Die in den letzten Jahrzehnten stärker hervorgetretene Archäologie des Mittelalters ist ein etwas hybrides Fach, das in seinem Kern Bauforschung meistens zerstörter mittelalterlicher Gebäude – was das Fach sehr stark mit der kunsthistorischen Bauforschung verbindet – wie auch mittelalterliche Siedlungsgeschichte betreibt. Kunsthistorisch relevant sind auch die Forschungen zur mittelalterlichen Sachkultur (überwiegend Keramik). Die in den letzten Jahrzehnten hinzugekommene Technikgeschichte des Mittelalters bleibt allerdings außerhalb der kunsthistorischen Interessengebiete.

Kunstgeschichte und Volkskunde

Viele Verbindungen bestehen zwischen der Kunstgeschichte und der Volkskunde, unter welcher hier auch die unterschiedlich definierten Disziplinen der Ethnologie und der Empirischen Kulturwissenschaft subsumiert werden sollen. Hier sind es vor allem das Problem des sog. abgesunkenen Kulturgutes der Hochkultur sowie die Fragen nach den Adaptationsmodi der Kunstproduktion für höhere Schichten durch die Volkskunst, aber auch viele Probleme der religiösen Ikonographie, die beide Fächer miteinander verbinden. Es ist die Aufgabe der Volkskunstforschung zu klären, inwieweit die religiösen Bilder der Volkskunst als Andachts-, Meditations- und Erbauungsbilder, als Gnaden-, aber auch als Wunderbilder fungierten. Die Volkskunstforschung untersucht zudem auch die Rolle der Bilder als Amulett, Talisman, Fetisch, Idol oder kommunikatives Zeichen, als Rechts-, Macht- und Herrschaftsmittel, womit ein großer Bereich von Gemeinsamkeiten mit der Kunstgeschichte umrissen wird. Bei den in Frankreich durch die sog. Schule der Annales in den 1970er Jahren beförderten Untersuchungen der Volksfrömmigkeit wurde besonders der verbindende Bereich zwischen der Volkskunst und den populären Varianten der religiösen Hochkunst neu interpretiert.

Volkskunst und Kitsch

Die Kunstgeschichte und die Volkskunstforschung haben aber noch immer keine überzeugende Analyse der gegenseitigen Bezüge von Volkskunst und Kitsch vorgelegt, so auch im Hinblick auf die wichtige Rolle der Scharnierzeit von 1800–1850, in der die große Linie der Volkskunst endete und die Karriere des Kitsches als Massenprodukt begann. Während für die Übernahme von Elementen der Hochkultur durch die Volkskunst das Konzept des abgesunkenen Kulturgutes noch immer gültig erscheint, wäre es für die anderen Kulturgüter ein Irrtum zu glauben, dass es eine bestimmte Regel für Niveauverschiebungen innerhalb des ganzen Universum von Kulturprodukten gäbe. Hier bleibt es bei der übrigens auch für das eigene Feld der Kunstgeschichte relevanten Feststellung, dass Funktionsänderungen und Ritualisierung sowie die Nachahmung eines angestrebten, da erfolgreichen Vorbildes die eigentlichen Triebfedern des kulturellen Wandels sind.

Filmbild und cadrage

Über die Berührungspunkte der Kunstgeschichte mit der Film- und Theaterwissenschaft sei hier in relativ kurzer Form berichtet. Mit der Filmwissenschaft bestehen, trotz gelegentlicher Beiträge eminent wichtiger Kunsthistoriker wie Erwin Panofsky, nicht allzu viele Überschneidungen in den Forschungsfeldern und analytischen Begriffen. Genauso wie die Kunstgeschichte bis heute nicht über eine allgemein akzeptierte Definition des Bildzeichens verfügt, besitzt die Filmwissenschaft keine allgemeingültige Definition des sog. Filmbildes. Einige Kunsthistoriker benutzen für die Bezeichnung eines Bildausschnittes sogar den filmischen Begriff der cadrage (die eindeutschende Übersetzung als Kadrage hat sich nicht durchgesetzt). Mit dem zweidimensionalen Tafelbild verbinden die Filmbilder gemeinsame Konstruktionsprinzipien und Fragen nach der Rahmung der einzelnen Einstellungen, dies ungeachtet des Umstandes, dass die Filmwahrnehmung, wie man weiß, keine statischen Einzelbilder kennt. Ein weiteres verbindendes Element besteht in den Problemen der räumlichen Repräsentationsmodelle, vor allem demjenigen der Projektion dreidimensionaler Körper auf eine zweidimensionale Fläche, denn mit den Regeln der geometrischen Projektion lassen sich sowohl im Film als auch im Tafelbild verwandte Effekte erzielen. Der Umstand, dass die sog. film stills, die ja, was nicht immer erkannt wird, keine Aufnahmen des Filmes selber, sondern zu Reklamezwecken speziell angefertigte Standphotos sind, ein Bindeglied zwischen Photographie und Film darstellen, hat bisher erstaunlicherweise nur eine geringe analytische und komparatistische Beachtung seitens beider Fächer gefunden. Auch die sich noch entwickelnde Video-Kunst hat bisher nicht zu der Entstehung eines die Filmwissenschaft mit der Kunstgeschichte verbindenden methodischen Instrumentariums geführt. Allerdings werden durch Kunsthistoriker manchmal die Avantgardefilme der Zwischenkriegszeit, Filmdekorationen – so die des deutschen expressionistischen Filmes – oder solche besonderen Verbindungen von Bild und Filmbild, wie sie in den Filmen des Peter Greenaway bestehen, analysiert.

Gestik und lebende Bilder

Dagegen haben sich durch die Forschungspraxis beider Disziplinen in den letzten zwei Jahrzehnten einige interessante Verbindungen zwischen der Theaterwissenschaft und der Kunstgeschichte ergeben. Abgesehen davon, dass sich die Kunstgeschichte traditionell für die Szenographie interessiert, betreffen diese Verbindungen vor allem die Probleme der für beide Gattungen in der Zeit um 1800 wichtigen tableaux vivants (lebende Bilder) wie auch die komparatistische Analyse der Gestik im Theater und in der Historienmalerei im 18. und 19. Jahrhundert. In letzter Zeit hat sich auch das Interesse der Kunstgeschichte den Problemen der bildlichen Überlieferung von Theateraufführungen zugewandt.

Literaturwissenschaft

In begrifflicher Hinsicht bildet die Literaturwissenschaft die vielleicht nächste geisteswissenschaftliche Nachbardisziplin der Kunstgeschichte, auch wenn Bilder und Worte, Kunst- und Sprachsysteme durch einen fundamentalen, in einem gewissen Sinne unüberbrückbaren Unterschied voneinander getrennt sind. Die Kunstgeschichte teilt mit dieser Disziplin die kunstgeschichtlich geprägten Stilbegriffsbezeichnungen: Es waren dies graduelle Adaptationen und Übernahmen, die vor allem zwischen 1920 und 1980 stattgefunden haben und deren Höhepunkt inzwischen wohl überschritten worden ist. 1939 bedauerte der bekannte Germanist Emil Staiger nachdrücklich die Tatsache, dass es noch immer keine überzeugende Stilgeschichte der Literatur und somit keinen literaturwissenschaftlichen Heinrich Wölfflin geben würde. In den siebzig Jahren nach Staigers Wortmeldung hat der Prozess der Adaptation von Stilbegriffen als Ordnungskriterien die meisten großen, mehrbändigen Geschichten der einzelnen Nationalliteraturen erfasst.

Gemeinsame Begrifflichkeit

Viele wichtige literaturwissenschaftliche Termini wurden entweder von beiden Disziplinen schon früher gemeinsam benutzt (z.B. Allegorie, Symbol) oder in einem graduellen, in den 1950er Jahren beginnenden Prozess von der Kunstgeschichte übernommen (Metapher, Metonymie, in jüngerer Zeit mise en abîme und Intertextualität). Die seit den 1940er Jahren bis in die 1970er Jahre dominierende Schule des New Criticism hat – durch ihre Präokkupation mit Begriffen wie imagery, structure, technique, great metaphor – auch dazu beigetragen, dass die Verbindungen zur Kunstgeschichte nicht abgerissen sind. Es gibt weitere wichtige Bereiche, in denen der Kunstgeschichte ein Import oder Transfer literaturwissenschaftlicher Termini sehr nützen könnte, so z.B. im Bereich der mit satirischen Verfremdungstechniken zusammenhängenden Begriffe, und auch hinsichtlich der Subdisziplin der Komparatistik eröffnen sich Anknüpfungspunkte. In der Tat treten die meisten traditionellen Richtungen der Literaturwissenschaft in verschiedenen Ausprägungen auch in der Kunstgeschichte auf. Und schließlich verbinden die Probleme von Stoff und Inhalt sowie die sog. Motivkunde beide Disziplinen auf besonders enge Weise.

Kunstgeschichte und Geschichtswissenschaft

Die Kunstgeschichte ist eine historische Wissenschaft; im 17., 18. und 19. Jahrhundert ist sie auch in weiten Teilen aus der frühen Geschichtswissenschaft hervorgegangen und hat sich lange Zeit ihrer Methoden bedient. Der große Künstlerbiograph Giorgio Vasari hat in seinen Lebensläufen italienischer Künstler als Grundlage das biologistische Entwicklungsschema gewählt, das auch den historischen Narrationen seiner Zeit zugrunde lag. Auch Winckelmann übernahm das biologistische Geschichtsschema und ergänzte es durch ein weiteres, der Geschichtswissenschaft entlehntes Modell, nämlich durch die geographische Milieutheorie. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vertrat der bedeutende Kunsthistoriker Carl Schnaase die Hegel’sche Geschichtskonzeption des „Weltgeistes“; in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts hat der große Schweizer Jacob Burckhardt in glänzender Weise beide Fächer miteinander verbunden. Im 19. Jahrhundert kam es auf der Basis der Quellenkritik und eines positivistisch geprägten Primates archivalischer Forschung zur vielleicht engsten Verbindung beider Disziplinen. Diese Verbindung, die im Verlauf des 20. Jahrhunderts etwas in den Hintergrund getreten ist, bleibt trotzdem noch immer für die Kunstgeschichte von fundamentaler Bedeutung.

Historizität des Kunstwerkes

Für das 19. Jahrhundert bildete die Historizität des Kunstwerkes eine entscheidende Prämisse seiner kunsthistorischen Einordnung und Würdigung. Seit den 1850er Jahren konstituierte die jeweilige Nationalgeschichte eine zentrale Grundlage für die Arbeit des Kunsthistorikers. Die historische Biographistik beeinflusste wichtige frühe kunsthistorische Biographien, beispielsweise diejenige von Carl Justi über Velazquez.

Einfluss der Annales

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte die nunmehr betont formalistische Ausrichtung der Kunstgeschichte eine Lockerung der gegenseitigen Beziehungen zur Folge. Auch die Geschichtswissenschaft ließ damals Bildquellen weitgehend außer Acht oder benutzte sie in einer rein illustrativen Weise. Eine Wende brachte nach 1945 der Einfluss der französischen Historiker-Schule der Annales, welche die Position einer interdisziplinären Geschichtswissenschaft in Verbindung mit einer historischen Anthropologie vertrat. So gewannen bei den französischen Historikern die Werke und Prozeduren der Kunst nunmehr den Status von explizierenden Zeichensystemen grundsätzlicher historischer Prozesse.

Konstruierte Geschichtsbilder

Inzwischen ist der Ansatz der Annales-Schule beinahe zu einem Gemeinplatz historischer Forschung geworden. Eine tiefgreifende Wendung in der Geschichtswissenschaft hat in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer beispiellosen Intensivierung der Verbindungen zwischen beiden Disziplinen geführt, so wie sie sich in anschaulicher Weise im Thema des Deutschen Historikertages von 2006 in Konstanz, „Geschichtsbilder“, niedergeschlagen hat. Die Historiker begreifen Bilder nicht mehr allein als illustrierende Beiwerke, sondern als eigenständige Dokumente geschichtlicher Einstellungen und Sehweisen. Der immer größere Einfluss von Bildern und Photographien auf politische Ereignisse hat zum Versuch einer Rückprojizierung dieser Prozesse auf die geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen des historischen und nationalen Bewusstseins geführt. Einerseits bestimmt die Bildproduktion vergangener Zeiten die Art und Weise, in welcher sie von uns als Gegenstand historischen Wissens angeeignet werden, andererseits untersucht die Geschichtswissenschaft die Macht der Bilder als Zeugen ihrer Zeit. Den entscheidenden Schritt bildete für die Geschichtswissenschaft die Abkehr von rein fachspezifischen Untersuchungen zu Form und Sprache von Propagandakunst und die rezente Etablierung des Begriffes der „visuellen geschichtlichen Konstruktion“ (vgl. Paul 2006) als eines bewussten, geschichtskreierenden Aktes durch die Verwendung von Bildern.

Politische Ikonographie

In gewissem Sinne geht der Begriff der visuellen Konstruktion auf den Ansatz Michel Foucaults zurück, gesellschaftliche Wirklichkeiten als Konstrukte eines Geflechts von Wirklichkeitsinterpretationen aufzufassen (vgl. Foucault 1973, 1974). Auch die nach 1980 erfolgte Herausbildung einer Subdisziplin der Politischen Ikonographie weist in diese Richtung. In den letzten zwei Jahrzehnten ist vor allem das komplexe Verhältnis von Kriegserfahrung, Medialität und Kunst zum Reflexionsfeld einer die Disziplingrenzen überschreitenden Imagologie geworden, in der die Kunsthistoriker sehr stark vertreten sind. Bilder bilden zwar nie direkt die Realität ab, vermitteln aber wichtige und einleuchtende Zugänge zu zeitgenössischen Sichtweisen.

Das Kunstwerk in der Geschichte

Die Realität aller Kunst ist jedoch transitorisch und fluktuierend. Mit sehr treffenden Worten sind die Paradoxien der Geschichtlichkeit der Kunst vom Historiker und Kunsthistoriker Bernd Roeck charakterisiert worden:

Damit wird ein Problem grundsätzlicher Natur angesprochen: Ist das Kunstwerk als Kunstwerk nicht wesensgemäß der Zeit enthoben? Oder ist das Transitorische – das mit dem Historischen gleichgesetzt werden kann, sich aber definitionsgemäß der Fixierung entzieht – wesentliches Merkmal von Kunst bis heute? Ist das eben deshalb der Fall, weil sich das Kunstwerk nicht absolut, sondern nur in der Wahrnehmung realisiert – oder besser, in Wahrnehmungen, die ihrerseits historisch konditioniert sind? Ist nicht ein dauerndes „Werden“, also ein historischer Prozeß?

Die Historisierung des Kunstwerks wird eine paradoxe Folge haben: Das eiserne Band, von dem Werk und Autor umschlossen sind, lockert sich, schließlich wird es aufgesprengt. Die Rezipienten treten in den Kreis derer ein, die dem Kunstwerk zu Wirklichkeit verhelfen und bestimmen, was es aussagt; ja selbst was seine Schönheit ausmacht. (Roeck 2004, 101)

Diese Darstellung verweist bereits auf einige Erwägungen zur Methode der Kunstgeschichte, die in den folgenden, der künstlerischen Form gewidmeten Kapiteln erläutert werden.

Einführung in die Kunstgeschichte

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