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KAPITEL 2: DAS KENNENLERNEN

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Schon als ich am Morgen die Augen öffnete, fühlte ich diese Glücksgefühle in mir. Die warmen Sonnenstrahlen ruhten auf meinem Gesicht, erwärmten mein Herz und meinen Körper.

-Dans Seite ist leer, er ist schon zur Arbeit gegangen und lässt mich wieder ausschlafen-, dachte ich

lächelnd.

Mit diesem Lächeln stand ich auf, streckte mich genüsslich im Schlafzimmer und warf, noch im

Nachthemd, einen Blick zum Hintergarten hinaus. Die Welt war im Frühlingserwachen. Die

kleinen Knospen zeigten sich schon und die Bäume waren in Blütenpracht, was mir jetzt schon

Freude bereitete.

Diese warmen Glücksgefühle verstärkten sich mehr und mehr in mir. Wie ein Krabbeln, wie Schmetterlinge fühlte es sich im Bauch an, ohne zu wissen, was mir heute passieren würde. Ich

hatte so eine Vorahnung, es würde mir heute etwas widerfahren, worauf ich mich freuen kann.

Ja, meine Vorahnungen und Träume standen bei mir schon immer im Mittelpunkt, bestimmten in gewisser Weise mein Leben.

„Du und Deine Vorahnungen, Liebes“, sagte Dan bei jeder Gelegenheit liebevoll. Er glaubte zwar nicht daran, liess mir aber meinen Glauben. Und „Du musst dich zur Realität stellen Liebes“, redete

er mir hin und wieder zu. Ich fragte mich – was Realität sein mag-.

Mein Glaube sagt mir; dass die Menschenseele eine Brücke zwischen irdischer und der anderen

Welt ist, und davon bin ich sogar überzeugt. Unsere Empfindungen, Eingebungen und Träume

wollen uns etwas mitteilen, andeuten, haben eine Bedeutung. Der Eine fühlt sie mehr, der Andere

weniger. Es hängt von den Gefühlen ab, die der betreffende Mensch hat.

Nach dem ich mich umgezogen hatte, stand ich schon im Gang des dritten Stocks, am

Treppengeländer, neben dem Lift, verzichtete sogar auf das Frühstück, damit ich so schnell wie möglich mit grössten Hoffnungen den freudigen Tag umarmen konnte. An der Treppe, die ich bis

heute vermied, schien es mir unmöglich, da hinab zu gehen nach dem skurrilen Unfall, den ich vor zwei Jahren hatte.

Kaum stand ich am Treppengeländer, blieb mein rechter Schuhabsatz an einem Bubble-Gum kleben und ich flog auf dem linken Fuss fünf Stufen abwärts, damals, hatte kaum Zeit, mich am Geländer

festzuhalten, ja ich brach mir beide Handgelenke. Das rechte Handgelenk musste operativ durch

eine Platinplatte ersetzt werden, das Linke hatte zum Glück nur einen Riss, ich fühlte mich aber

sehr behindert. Bis vor Kurzem hatte ich noch Schmerzen, musste mich bei jeder kleinen Belastung

in meinen Bewegungen kontrollieren. Zum Glück leistete mir Dan, mein Mann, Beistand, ohne

seine Hilfe wäre ich mit gebrochenen Handgelenken nicht so weit gekommen. Es kostete mich viel

Mühe, mich zu bewegen oder irgendetwas zu betätigen. Monatelang trug ich Gips mit mir herum.

Wir verlangten vom Nachbarn, dem Hauseigentümer, herauszufinden, wer von seinen Zwillingen

auf dem Treppengeländer einen rosaroten Kaugummi liegen liess; es gab ein Hin und Her, aber

ohne Beweise geriet die Sache in Vergessenheit.

8-DAS VERSPRECHEN

Aber heute wollte ich keinen Lift nehmen, sondern vom dritten Stock bis zum Ausgang auf der Treppe laufen. Ja, diese Stimme sagte zu mir, „Du schaffst es“. Und das Glücksgefühl in mir war

überwältigend. Mal waren die Stufen langgezogen oder in die Breite, es drehte sich alles um mich herum. Verschwommen wackelten sie wie bei einem Erdbeben oder waren gar nicht vorhanden.

Kalte Schweissperlen bildeten sich auf meiner Stirn, aber ich wollte nicht aufgeben, endlich musste ich meine Treppenphobie hier und jetzt überwinden können.

So was von tapfer war ich heute, endlich konnte ich Stärke zeigen.

Ich klammerte mich ans Treppengeländer, so fest ich nur konnte, schloss meine Augen und setzte mich in Bewegung. Kurzatmigkeit trat hervor, es wurde mir schwindlig, aber ich liess nicht locker.

„Ich schaffe es, ich schaffe es“, sprach ich mir Mut zu.

Sobald ich mich ins Bett legte und die Augen geschlossen hatte, flog ich anfänglich nach dem

Unfall noch lange ins Leere, bekam ich Angstzustände vor jedem Treppenabstieg. Vor allem in unserem Block vermied ich es, die Treppe zu nehmen und fuhr lieber mit dem Lift. Aber heute hatte ich das Gefühl, alle meine Ängste beseitigt zu haben und traute mir zu, über die Stufen abwärts laufen zu können.

Mit einem Mal wurde ich auf der zweiten Stufe, im dritten Stock, abgelenkt.

„Hallo“, hörte ich eine Stimme, die gerade vor der Tür im zweiten Stock, direkt unter uns, den Schlüssel in der Hand hielt und entweder beim aufmachen oder beim abschliessen war.

Er kam auf mich zu, als ob er mein Dilemma verstand. Mit herzlichem Gesichtsausdruck streckte

er mir schon seine Hand entgegen; er schien gegen Mitte zwanzig zu sein.

„Guten Tag, ich heisse John Derby, ich bin der neue Nachbar“.

„Ich bin Anne Warren, wohne direkt über Ihnen. Es freut mich, Sie kennenzulernen“.

Mit Schwung und Begeisterung sprach ich ihn an und nahm sogar die letzte Stufe runter ohne Problem. Seine Herzlichkeit steckte mich an.

„Die Freude ist ganz meinerseits. Mrs. Warren!“

Obwohl sein herzliches Lächeln andauerte, blickte er mich erwartungsvoll an.

„Wenn Sie etwas brauchen, können Sie ungeniert bei uns vorbeikommen und danach fragen“, versicherte ich ihm.

„Danke schön für Ihr Angebot, gut zu wissen, vielleicht komme ich eines Tages darauf zurück“.

Ich hätte mich mit ihm stundenlang unterhalten können. Er hatte eine angenehme Aura und eine warme Stimme, ja, auch einen sanften Händedruck.

„Dann wünsche ich Ihnen einen guten Aufenthalt und auf gute Freundschaft“, wünschte ich ihm,

wie aus der Luft gegriffen, wie aus heiterem Himmel, unerwartet.

„Das wünsche ich mir auch sehr, danke“, sein herzliches Lächeln vertiefte sich, dabei wurde das

Grübchen auf der linken Wange sichtbar, seine grünen Augen glänzten vor Freude.

-Du hast einen grossen Fehler begangen- dachte ich ein wenig verlegen.

„Auf Wiedersehen, Mrs. Warren“, hörte ich noch seine Stimme hinter mir, als ich mich von ihm abwandte und meinen Weg vom zweiten Stock weiterfuhr. Lange spürte ich seine Blicke auf mich gerichtet und sein herzliches Lächeln.

9-DAS VERSPRECHEN

-Auf eine Freundschaft, einem wildfremden Mann gegenüber, was redest du daher- warf ich mir

noch unterwegs vor. Eine gute Nachbarschaft, aber niemals eine Freundschaft!

-Aber gerade dieses herzliche Lächeln, seine nette Begrüssung, diese Augen und erst noch das

Grübchen auf der linken Wange zogen mich in einer gewissen Art in ihren Bann-, verteidigte ich

mich selbst beschwichtigend.

Ja, ich stand schon unten, ganz unten! Ich könnte die ganze Welt umarmen und hinausschreien.

„Ich habe es geschafft, bin geheilt, habe gesiegt“!

Nach dem Einkauf befand ich mich immer noch in einem glückseligen Zustand.

Ich vernahm aus der Küche, wie unsere Wohnungstür auf und zu geschlossen wurde.

„Dan, bist du es?“

„Ja, Liebes, ich bin daheim.“

Dan, mein Mann, kam als Erstes immer zu mir und gab mir einen Kuss zu.

„Hallo Schatz, wie war dein Tag“, fragte ich ihn nach dem Begrüssungskuss und wartete auf die

Gegenfrage, denn ich hatte ja so einiges zu berichten.

Mit einer Gegenantwort wollte ich ihn in ein Gespräch locken, konnte meine Neuigkeiten nicht

mehr für mich behalten.

„Gut, sehr gut, ich habe zwei Verträge erfolgreich abgeschlossen.“

„Wunderbar“, antwortete ich und dachte, meine Vorahnungen setzen sich Stein für Stein in Realität

um. Dan als Versicherungsagent hatte ausgerechnet heute zwei erfolgreiche Verträge abschliessen können und ich…

„Wie war dein Tag, Liebes?“

„Stell dir vor, ich bin heute die Treppe heruntergelaufen“, sagte ich stolz.

„Seit wann läufst du wieder Treppe?“, fragte er mich interessiert und gab mir einen sanften Kuss.

„Seit heute.“

„Das heisst, du hast keine Treppenphobie mehr?“

„Ja, ich bin sehr froh und stolz darüber. Kostete mich zwar eine grosse Überwindung und die Angst sass ganz schön tief in meiner Brust. Aber ich habe es geschafft!“

„Es freut mich für dich, Liebes, dass es endlich vorbei ist.“

Dan liess mich allein in der Küche, lief Richtung Schlafzimmer.

„Wir haben einen neuen Nachbar“, rief ich ihm nach, streckte meinen Hals, damit er mich besser hören konnte.

„Neuen Nachbar?“, hörte ich ihn aus dem Badezimmer zurückrufen.

„Ja, er heisst John Derby, habe ihn beim herunterlaufen in den zweiten Stock kennengelernt. Ein gut aussehender junger Mann.“

Ich hielt die Nachricht für wichtig, damit er weiss, dass wir wieder nach Sommers einen neuen

Nachbar haben.

Es wurde still um Dan, ich dachte, er ist schon unter der Dusche. Während ich Kartoffeln von Hand zu

Pommes-Frites schnitt, weil Dan sie etwas dicker als gewöhnlich mochte, nahm ich plötzlich einen

Schatten neben mir wahr. Als ich mich zu ihm wandte, liess ich die Kartoffel und das Messer fallen.

„So, er sieht also gut aus“, sagte er mit amüsiertem Ton.

10-DAS VERSPRECHEN

Ich war überrascht auf seinem unerwarteten Auftauchen neben mir, hatte nicht damit gerechnet.

„Ja, John sieht wirklich sehr gut aus.“

„John?“ fragte er erstaunt.

„John Derby, so heisst er doch, unser neuer Nachbar“, lächelte ich ihn süss an. „Dan, mein Schatz,

fällt dir etwas auf?“

„Nein, nicht dass ich wüsste.“

„Du bist ja ganz nackt.“

„Das habe ich auch beabsichtigt.“

„Aber warum, weshalb?“

„Damit du sehen kannst, dass dein eigener Mann noch besser aussieht!“

Ich schlang meine Arme um ihn, er sah ja so hinreissend, so himmlisch aus.

„Das weiss ich doch, wie konnte ich das vergessen…Nun spüre ich einen Hauch von Eifersucht.“

„Vielleicht!“

„Oh, Dan, du bist einfach wunderbar und ich liebe dich so sehr.“

„Das war es, was ich hören wollte“, scherzte er; mit einem sanften Kuss löste er sich von mir und schickte sich zum zweiten Mal an, ins Badezimmer zu gehen.

11-DAS VERSPRECHEN

Das Versprechen

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