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KAPITEL 4: DER SUPERMARKT
ОглавлениеJe mehr ich mich mit John beschäftigte, umso mehr verwöhnte ich meinen Mann Dan. Es sollte sich
diese trübselige Nacht nicht wiederholen, dachte ich; es wäre ungerecht Dan gegenüber. Dan
verwöhnte mich mit Liebe und Leidenschaft, und ich ihn mit köstlichen Menüs vom Fernsehen, aus Kochbüchern oder einfach selbst erfundenen Rezepten.
So wie heute; „Ich liebe meinen Mann“, rief ich mir in Erinnerungen auf dem Parkplatz eines
der grössten Supermarkts in unserer Stadt, in unserer Nähe lag. Dan war meine High-Schcool
Liebe und meine grosse Liebe bis heute geblieben. Wenn ich nochmal heiraten möchte, würde ich
ihn heiraten.
„Ich möchte keine frustrierte Karrierefrau, wenn ich heimkomme“, drückte er sich immer aus.
Es gefiel ihm, umgarnt zu werden, umso mehr verwöhnte er mich mit Liebe und Leidenschaft.
Dann wechselten meine Gedanken zu John, je mehr ich mich in ihn vertiefte, desto mehr geriet ich
ins Grübeln.
Eben wurde mir der letzte Parkplatz nahe des Einkaufszentrums weggeschnappt, weil ich, in
Gedanken beschäftigt, keine schnelle Reaktion zeigen konnte. Also fuhr ich weiter nach hinten, was
mich ärgerte; denn der Weg zum und vom Einkaufszentrum wird nach dem Einkauf mit vollem
Einkaufswagen länger und mühsamer. Das alles wäre mir nicht passiert, wenn ich mich auf das
reale Geschehen konzentriert hätte. Dan behielt an dieser Stelle Recht, als er behauptete;
„Nicht träumen, du musst mehr auf das Reale konzentriert sein, Liebes“
Zuerst stöberte ich in der Gemüseabteilung; Salat, Karotten, Auberginen und noch einige Früchte legte ich eins nach dem andern auf die Wage und dann in den Einkaufswagen.
An der Käseabteilung blieb ich stehen; Henry IV, Dans Lieblingskäse, lag ganz frisch und
unberührt auf der Käsetheke; ich verlangte ein grosses Stück davon. Dann kaufte ich noch
genügend Halbhartkäse.
An der Fleischtheke beobachtete ich die Fleischstücke ganz genau wegen Farbe und Lagerung. Die
Fleischverkäuferin kam zu mir und fragte mich nach meinem Wunsch.
„Rindsfilet bitte“, bat ich sie.
„Sehr gern“, und schon eilte sie davon.
Sie zeigte mir ein schönes Stück, das für zwei Personen gerade recht wäre und ich war damit
einverstanden.
„Anne Warren…Anne Warren!“, hörte ich irgendwo hinter mir.
Ich sah zur Verkäuferin, ob sie diese Rufe auch mitbekommen hatte, aber sie war beschäftigt mit
Fleisch wiegen und einpacken. Und ich war mir nicht sicher, ob mir meine Sinne wieder von neuem
einen Streich spielen, indem ich mir auch dieses Mal einbildete, John Derbys Stimme zu hören.
„Anne…Anne Warren…was für ein schöner Zufall.“
In der Tat stand John Derby neben mir in unmittelbarer Nähe, sodass ich sein herzliches Lächeln
und seine glänzenden Augen schnell registrieren konnte. Anscheinend hatte er grosse Freude, mich wiederzusehen, was aus seinem strahlenden Gesicht zu entnehmen war.
„Hallo John“, begrüsste ich ihn, hatte aber einen Moment Angst, er könnte meine Gedanken
verraten. Deshalb lenkte ich mit einer Frage ab, „…haben Sie sich gut eingelebt in ihrer Wohnung?“
17-DAS VERSPRECHEN
„Ja, ich bin sehr gern in meiner Wohnung.“
„Freut mich für Sie.“
„Was für eine schöne Überraschung“, sagte er, sein Grübchen vertiefte sich dabei. „Sie hier zu treffen!“
In der Tat, hier im Supermarkt hätte ich ihn am wenigsten erwartet.
„Ein schönes Stück Rindsfilet haben Sie gekauft. Rindsfilet ist auch mein Leibgericht.“
Und wie vermutet, hatte er auch ein Stück Rinds-Filet gekauft.
Er verzauberte mich mit seiner Aura und seinem herzlichen Charme. Wir erledigten des Rest des
Einkaufs gemeinsam; Seite an Seite, half er mir, einen guten Rotwein auszusuchen, wie er einen
guten Geschmack zeigte. Ja, wir tauschten sogar Rezepte untereinander aus.
Gemeinsam liefen wir beide an die Kasse. Nachdem wir bezahlt hatten, sagte er: „Bitte
entschuldigen Sie, ich muss noch war erledigen“, und bog nach rechts ab, wo sich der Kiosk, der
Blumenladen, das Sportgeschäft und zwei kleine Boutiquen befanden.
Ich konnte diesem jungen Mann nichts nachtragen, nur Positives fiel mir ein, während ich den
langen Weg zu meinem Wagen folgte.
Es hat sich einiges gestapelt, dachte ich, als ich die eingekaufte Ware in den Kofferraum lud. Der
kleine Raum füllte sich nach und nach; ein bisschen besser einordnen, und ich bekam den Rest auch noch rein. Als ich den Kofferraum zuklappte, war ich von Neuem erschrocken; John stand neben meinem Auto, einen Blumenstrauss in der Hand. „Für die netteste, freundlichste Nachbarin der
Welt“ Mit diesem Satz überreichte er mir diesen herzlich.
„John, ich weiss nicht, was ich sagen soll“, in der Tat war ich sprachlos.
„Sagen Sie einfach Dankeschön und dass sie Ihnen gefallen.“
„Oh, vielen Dank, sie sind wunderschön, die roten Rosen.“ Seine Liebenswürdigkeit übertraf alle
meine Erwartungen.
„Rosen symbolisieren zwar die Liebe, aber machen auch eine gute Figur auf dem Friedhof.“
Seine Worte trafen mich wie ein kalter Schock, ein extremer Gedanke ging mir durch den Kopf.
„Oh, bitte entschuldigen Sie mein Fehler. Es tut mir leid, ich wollte Sie damit nicht erschrecken
und in Trauer stürzen, habe dies nur als Beispiel genommen, war dumm von mir.“
Er musste meine Verwirrung bemerkt haben, entschuldigte sich noch mehrmals.
Für die unerwartete Geste streckte ich ihm meine Hand entgegen. Anstatt sie zu schütteln, brachte
er meine Hand an seine Lippen und küsste sie. Damit verabschiedete er sich von mir.
„Auf Wiedersehen, Anne.“
„Auf Wiedersehen, John, nochmals vielen Dank.“
„Sehr gern geschehen“, sein herzliches Lächeln verbreitete sich, sodass man seine weissen
gleichförmigen Zähne sehen konnte.
Als ich ihm tief in die Augen schaute, bestätigte sich meine Vorahnung, er trüge ein Geheimnis mit
sich.
Nach dem ich den Einkaufswagen zurückbrachte und mit meinem Wagen zur Ausfahrt fuhr, sah ich
ihn nochmals auf seinem Fahrrad, den Einkaufskorb hinten festgebunden, davonfahren.
Ein grosses Glück überfiel mich daheim;
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der junge Mann, den ich als einen Stalker gehalten hatte, entpuppte sich erwiesenermassen,
als ein liebenswerter Verehrer. Gut gelaunt steckte ich die Blumen in eine schmale, lange Vase
und stellte sie auf den Tisch; so kamen sie am Besten zur Geltung.
Dann ging ich in die Küche und bereitete das Essen für Dan zu.
Noch bevor Dan heimgekommen war, erfrischte ich mich, wusch mein Gesicht, malte frischer
Lippenstift auf die Lippen, zog mir das neue Kleid an und zündete zwei Kerzen auf dem Tisch an,
welche für eine romantische Atmosphäre sorgten. Der Kerzenschein warf halbdunkle,
mattierende Schatten überall an die Wände, ans Frontfenster und schuf so in dem grossen
Salon ein besonderes Ambiente. Ich schaltete das Licht aus und wartete auf meinen Mann.
Als die Tür aufging, hörte ich schon seine Stimme. „Anne…Liebes“, rief er nach mir, wie immer,
und streckte seinen Kopf zuerst in den halbdunklen Salon.
In diesem Moment drehte ich das Licht auf. „Überraschung!“, rief ich fröhlich.
Er kam auf mich zu. „Oh, Liebes, das ist dir gelungen.“ Ich bekam einen heissen Kuss von ihm.
„Gibt es einen besonderen Grund für diesen Abend?“
„Du, mein Schatz, bist der Grund! Du und deine Liebe.“
„Und du, Liebes, bist besonders schön. Du strahlst, blühst ja regelrecht heute.“
Wir überhäuften uns mit lobenden Worten, genossen genüsslich unser Dinner, mit heute gekauftem
Rinds-Filet unter Kerzenschein. Hatte ich wohl eine gute Wahl mit dem Rotwein zur Menü getroffen,
welcher mir John beim Aussuchen empfahl.
Als mich Dan zufällig nach den wunderschönen Blumen befragte, sagte ich: „Sie sind ein Geschenk des Himmels.“ Zwar verstand er die Bedeutung nicht, aber so sehr im Glück, bohrte er nicht weiter.
Ich hatte auch nicht den Mut, ihm die ganze Wahrheit zu gestehen und durch seine Eifersucht den schönen Abend zu verderben.
Nach dem genussvollen Dinner zogen wir uns in dem grossen Salon, in die gemütliche Wohngruppe
zurück. Plötzlich hörten wir unten jemanden Klavier spielen. Ja, John spielte Klavier. Es war das erste
Mal, dass wir überhaupt von ihm etwas zu hören bekamen. Dan und ich waren sehr überrascht,
schauten uns gegenseitig an, doch ohne Worte folgten wir den Klängen nach.
Die Melodie war so lebendig, hatte wunderschöne, sinnliche Klänge. War sie von einem bekannten
Komponisten oder selbst komponiert; jedenfalls waren wir beide sehr berührt davon. Jeder von uns
tauchte in seine eigene Welt, während wir der Melodie lauschten.
Ich war so mitgerissen, die Gefühle kamen wieder hoch in mir, in meinem Innern berührte sich
etwas für diesen jungen Mann. Ich und John, wie vor Stunden, er mit dem Blumenstrauss in der
Hand, sein herzliches Lächeln, das Grübchen an der linken Wange, wie er den Blumenstrauss mir
entgegenstreckte; ich, wie ich unbeschreiblich daran Freude hatte.
Als der Klang der Melodie verstummte, hörte mein Traum auch auf. Wie ausradiert, einfach weg.
Die Gefühle, die dieses Erlebnis hervor holte, waren einfach dahin. Etwas Sonderbares ging in mir vor.
„Warum spielt er ausgerechnet heute Abend Klavier?“, sprach ich meine Gedanken laut aus.
„Sagtest du nicht, er wäre sehr still, man höre nichts von ihm, jetzt haben wir etwas von ihm gehört.“
Es war etwas anderes; dass er ausgerechnet heute Klavier spielte, hing mit unserem Treffen
zusammen, weil er seine Gefühle durch Noten ausdrücken und mit Blumen erklären wollte.
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Aber wusste er nicht genau, um welche Gefühle es sich handelte, doch es war für mich, als fühlte
ich etwas mit ihm.
„Liebes, du sagtest selber, er wäre so still“, holte mich Dan von meinen Überlegungen zurück.
„Dan, Schatz du weisst doch, wie die Sommers laut waren, sich öfters gestritten hatten,
vor allem Mrs. Sommer; sie war sehr temperamentvoll mit ihrer Aussprache, meinst du
nicht auch?“
„Ja, mich störte sie auch teilweise. Dann sollten wir ja froh sein, dass er unter uns wohnt.“ Er
näherte sich mir, streichelte zärtlich meine Haare, dann mein Gesicht.
Ich verstand auch so, dass er keine lange Unterhaltung mehr wünschte, sondern….
Ja, er warb um mich, also gingen wir früh zu Bett. Ich wurde belohnt für meine Bemühungen, in
dieser Nacht.
Die darauf folgenden Wochen begannen Ereignislos, versprachen reiner Alltag zu werden. Keine
Illusionen, keine Erscheinungen, keine Blumen. Seine Wohnung lag nach wie vor in der Stille.
Das Leben nahm wieder seinen normalen Lauf. Keine Vorahnungen, keine Verfolgungen,
keine Ängste mehr; das Alltägliche war wieder da. Nur dass ich mich umso mehr mit John beschäftigte.
Obwohl er sich sehr still verhielt, hatte ich so ein Gespür, glaubte in der ganzen Wohnung, gar in jedem Zimmer, wo ich mich aufhielt, seine Anwesenheit und Nähe zu spüren, als ob er meine Nähe suchte. Sowohl bei Tag, als auch in der Nacht. Was zwar absurd war, aber es war so und meine Neugier für ihn wuchs weiter.
Da war noch etwas; ich selbst. Ich war sehr gehemmt, vor allem im Schlafzimmer, bildete mir ein,
er könnte uns klar und deutlich hören, nahm mir vor, vorsichtig damit umzugehen, wollte
verhindern, nicht zu sehr unser Privatleben zu offenbaren oder zur Schau zu stellen. Denn Dan,
wenn er in seinem Element war, konnte man ihm kaum bremsen; wenigstens ich sollte die
Vernünftigere sein.
Doch hörte ich noch einmal sein Klavierspiel, diesmal tagsüber; wie beim letzten Mal führten mich
seine Klänge zu ihm, beim Supermarkt, die Blumen, es lief wie ein Filmband vor meinen Augen ab.
Ja, die Blumen, sie waren zwar wunderschön, ich hatte auch lange Freude daran, doch seine Bemerkung, dass sie nicht nur die Liebe symbolisieren, sondern auch beim Grab gute Figur machen,
kam mir schon ein wenig makaber vor. Ich konnte es ihm sogar glauben, dass es nur ein Ausrutscher
war.
Heute ist mir jedoch klar, dass diese Worte leise Schreie seiner Seele waren; nach Liebe, Nähe und
Hilfe.
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