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2.

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Der erste Psychopath, den ich traf, war mein Vater.

Die Prügelorgien, die er abhielt, wenn er schlecht gelaunt war, endeten häufig damit, dass lärmempfindliche Nachbarn bei der Polizei anriefen, und mein Vater, der dies ahnte, pflegte irgendwann abrupt mit dem Verdreschen aufzuhören. Sein innerer Alarm ging präzise wie eine Uhr. Wenn er anschlug, dann setzte er uns rund um seinen Esstisch, und so kam es, dass wir alle, wenn die Polizisten schließlich klingelten, bei einem fröhlichen Kartenspiel beisammen saßen.

Wie oft habe ich in ihre verdutzten Gesichter gesehen. Es waren mehr oder weniger seine Ex-Kollegen, die immer leicht misstrauisch waren, denn wenn ein Polizist – so wie mein Vater – aus dem Dienst entfernt wurde, dann bleibt schon etwas zurück, irgendein unguter Geruch und die Frage, was hat er getan, wozu ist er noch fähig? Außerdem klingelten die Nachbarn häufig wegen uns um Hilfe an, dies konnte nicht immerzu grundlos sein, auch wenn das unschuldige Lamm, das mein Vater gab, dies behauptete.

Andererseits fühlten die Polizisten sich ihm gegenüber immer noch zu einer gewissen Solidarität verpflichtet. Einmal Polizist, immer Polizist. Er war ihr Kollege gewesen, und das machte sie hilflos. Es setzte ihr gesundes Misstrauen schachmatt.

Am Telefon hatten die Nachbarn von Geschrei und Geheule gesprochen, von dumpfen Geräuschen – wie von Schlägen –, doch nun, da Hilfe nah war, da sie gar in Uniform im Zimmer stand, fanden die Helfer ein vergnügtes Heim vor, eine nette Runde bei Tisch, ein vereintes Familienleben. Was war nun wahr, was war Lüge? Wo war das Geschrei geblieben?

Mein Vater konnte das gut: Uns vorführen. Sein von Zorn verzerrtes Gesicht glättete sich in Sekundenbruchteilen und nahm umgehend Lachfalten an. Er war ein Charmeur, nie um ein passendes Wort verlegen.

„Das muss ein Irrtum sein!“

Selbst ich nahm ihm die Verblüffung über den Vorwurf ab. Jedenfalls beinahe.

„– Die Nachbarn sind doch Idioten! Allesamt pingelige Idioten! Vielleicht hatte jemand den Fernseher zu laut an. Aber nicht bei uns! Wir spielen.“

Mit hoch erhobenem Kopf warf er einen Blick auf die Kulisse, die er zur Verwirrung seiner ehemaligen Kollegen zusammengestellt hatte. Was für eine Familie, die noch gemeinsam Karten spielt, und das in der heutigen Zeit!

Schon allein das hätte die Polizisten misstrauisch machen müssen.

„Verstehen einfach keinen Spaß, die sehr verehrten werten Nachbarn! Natürlich wird das etwas lauter, wenn’s rund geht…“

Damals wusste ich noch nicht, was ein Psychopath ist. Ich kannte weder das Wort, noch seine Bedeutung. Ich wusste nicht, was Psychopathen machen, solange sie sich nicht romanreif grauselig aufführen, ich wusste nicht, wozu sie sonst noch in der Lage sind: Dass sie Chefs sind, zum Beispiel, und große Anführer. Dass sie hemmungslos Charme versprühen, ihre Mitmenschen bezirzen, geschickt vorführen, welch überragend sympathischer Typ in ihnen steckt…

Ich wusste nicht, für wie nett man einen Psychopathen halten kann, bevor man ihm im Hinterzimmer begegnet.

„Und bei uns geht’s immer rund, nicht wahr?“

Mein Vater lachte offen und vergnügt. Wie gut er das konnte! Schauspielern, heucheln, die ganze Palette! Er klopfte meinem Bruder, der kaum auf seinem wunden, kreuz und quer durchgeprügelten Hintern sitzen konnte, eine seiner Spielkarten hin. Mein Bruder starrte auf die Tischplatte. Vor Angst brachte er es kaum fertig, die Bedeutung der Karte vor sich zu bewerten – wie sollte er spieltechnisch reagieren, welche seiner eigenen passte zur Situation? Welches Spiel spielten wir überhaupt?

War es Mau-Mau, Rommé, Schwarzer Peter, Elfer Raus, Skip-Bo, Skat oder Doppelkopf? Oder vielleicht eher King Louis, Black Jack, oder Siebzehn und Vier? Schummellieschen, Schweinchen, Solo, Stress? Hund, Ligretto, Einundfünfzig?

Und doch blieb meinem kleinen Bruder nichts anderes übrig, als zu reagieren, vorzugsweise richtig, denn sonst wäre er, sobald die Polizei uns verlassen hätte, wieder dran gewesen: Mit dem Hintern, versteht sich, nicht mit den Karten am Zug.

Meines Vaters Ex-Kollegen lachten. Und ließen uns einmal wieder mit unserem Vater allein.

Schocker (Herzallerliebst)

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