Читать книгу Swanns Vergeltung - Shira Anthony - Страница 6

Kapitel 1

Оглавление

Graham Swann schwang sich auf sein Rennrad. Die Sonne stand schon so hoch am Himmel, dass die feuchte Shorts lange vor Beginn des Schlusslaufs getrocknet sein würde.

Nebel bildete sich über dem Asphalt und verwandelte die Bäume zu beiden Seiten der Rennstrecke in verschwommene Umrisse. Nach den ersten drei Meilen kam der Cape Fear River in Sicht. Funkelnd spiegelte sich das Licht auf der Oberfläche und durchdrang den trüben Nebelschleier.

Der Fahrer vor Graham wurde langsamer, um schnell einen Schluck zu trinken. Graham erkannte ihn an seinem unglaublich durchtrainierten Körper und den türkisfarbenen Streifen an der Seite der Triathlon-Shorts. Auf Oberarmen und Waden trug der Mann seine Teilnehmernummer – 247 – und sein Alter. Mit 32 war er genauso alt wie Graham. Sie waren in derselben Schwimmergruppe gestartet, aber der Typ hatte das Ziel einige Minuten früher erreicht. Was angesichts seiner starken Schultern und der muskulösen Brust keine Überraschung war.

Für die nächsten Meilen hielt Graham das Tempo, indem er Nummer 247 auf den Fersen blieb. Mehr als einmal musste er sich daran erinnern, dass es nicht darum ging, den knackigen Hintern von 247 zu bewundern, sondern um das Erreichen der Ziellinie. Er biss sich auf die Wange, als er sich dabei erwischte, wie er sich die Lippen leckte. Tri-Shorts überließen nichts der Vorstellungskraft.

247 fuhr etwas langsamer als Graham. Doch bei einem Triathlon dieser Länge kam es darauf an, ein möglichst gleichmäßiges Tempo zu halten. Ein paar Meter vor der Markierung auf halber Strecke gab Graham sich einen Schubs und zog vorbei. Nummer 247 winkte ihm zu und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das dafür sorgte, dass Grahams Magen einen Salto schlug. Kastanienbraune Locken lugten in 247s Nacken unter dem Helm hervor, und Graham hätte zu gern gewusst, von welcher Farbe die Augen hinter der verspiegelten Brille waren.

Konzentrier dich! Graham trat härter in die Pedale. An der Vierzig-Meilen-Markierung überholte er einige weitere Fahrer und konnte bereits ein paar der jüngeren Konkurrenten sehen, als er in die Übergangszone einfuhr.

Die letzten paar Meter bis zum Fahrradständer schob er das Rad, tauschte seine Fahrrad- gegen Laufschuhe, und ein paar Sekunden später schlugen seine Füße bereits auf dem Asphalt auf. Die warme Brise roch salzig und er wünschte, er hätte guten Gewissens einen Urlaub in Terris Strandhaus einschieben können. Hoffentlich entspannte sich die Lage im Büro ein bisschen, wenn die neuen Mitarbeiter nächste Woche anfingen.

Konzentrier dich! Wenn er sich nicht für die Dauer dieses kürzeren Wettkampfs konzentrieren konnte, wie sollte er dann einen Ironman-Triathlon bewältigen?

Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, fiel ihm auf, dass sich jemand an seine Fersen geheftet hatte. Ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass Nummer 247 sein Tempo von einer Meile in sieben Minuten wie ein Kinderspiel aussehen ließ. Graham winkte ihm zu. 247 erwiderte die Geste und lief schneller, passte sich Grahams Rhythmus an.

Großartig. Graham wappnete sich innerlich für den wohl bevorstehenden Small Talk – übliche Themen waren die Hitze oder das letzte Rennen des anderen –, doch umsonst. Stattdessen grinste 247 ihn nur an und lief einfach weiter hinter ihm her. Er hielt einen angenehmen Abstand, was Graham zu schätzen wusste.

Als sie sich der Zwölf-Meilen-Markierung näherten, stolperte die Frau, die ungefähr eine Viertelmeile vor ihnen gelaufen war.

Graham sah sich nach einem freiwilligen Helfer für die Frau um, doch es war keiner in Sichtweite. 247 legte einen Sprint hin, der Graham in Atemnot brachte. Hatte er die ganze Zeit vorgehabt, Graham hinter sich zu lassen? Aber statt weiterzulaufen und einen Freiwilligen aufzutreiben, rannte 247 zu der Frau und kniete sich neben ihr hin.

So schnell, wie 247 gelaufen war, hätte er wahrscheinlich einen Medaillenplatz in ihrer Altersgruppe errungen. Dass jemand nur ein paar Meilen vor der Ziellinie anhielt, kam so gut wie nie vor.

»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich 247. »Können Sie aufstehen?«

Die Frau schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, als sie sich den Knöchel rieb.

»Da vorne muss es einen Helfer geben«, sagte 247 zu Graham. »Ich bleibe bei ihr. Würden Sie Bescheid sagen, damit ihr jemand zu Hilfe kommt?«

»Ich… Ja, sicher.« 247 blieb bei ihr? Dadurch verlor er jede Chance auf einen Rang.

Nicht mein Problem. Trotzdem bewunderte Graham den Kerl. Die meisten Teilnehmer an dieser Art von Wettbewerb nahmen den Wettkampf sehr ernst. Und so fit, wie 247 war…

»Danke!«, rief ihm 247 hinterher, als Graham die beiden hinter sich ließ.

Eine halbe Meile weiter die Straße hinunter winkte Graham einen freiwilligen Helfer heran und erklärte ihm die Situation. Und sogar noch während des Endspurts dachte er an 247.

Eine halbe Stunde später setzte er sich an die Ziellinie und verschlang einen faden Bagel und eine Banane, die er sich von einem der Tische mit Erfrischungen geschnappt hatte. Beides schmeckte erstaunlich gut, allerdings hatte er vor dem Wettkampf auch nicht viel runterbekommen. Die Banane war fast aufgegessen, als 247 die elektronische Ziellinie überquerte. Er musste Graham erspäht haben, denn er nickte und lächelte ihm zu, bevor er zu einem älteren Mann hinüber joggte, der ihn mit einem High Five und einer festen Umarmung begrüßte. Die große Ähnlichkeit ließ vermuten, dass es sich um seinen Vater handelte.

247 schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf, und Graham erhaschte einen Blick auf seine außergewöhnlich blauen Augen. Zu seiner Überraschung überkam ihn das starke Gefühl eines Déjà-vus. Waren sie sich schon einmal begegnet? Graham überlegte, kam jedoch nicht darauf, ob er ihn von einem anderen Wettkampf kannte.

Nein. Du würdest dich an ihn erinnern.

In dem Moment stieß eine Läuferin mit ihm zusammen.

»Tut mir leid.« Sie lächelte ihn an.

»Macht nichts.« Graham warf einen Blick zur Ziellinie, doch 247 war in einer Gruppe von Gratulanten verschwunden.

Die Frau zögerte für einen Moment, als wollte sie noch etwas sagen, änderte dann aber ihre Meinung und ging weiter. Graham seufzte erleichtert auf. Er hatte sich noch nie wohlgefühlt, wenn ihm eine Frau – oder ein Mann – Aufmerksamkeit entgegenbrachte, und war froh, dass er sich keine Ausflüchte einfallen lassen musste, um einer Unterhaltung aus dem Weg zu gehen.

Einige Zuschauer brachen in Jubel aus und schwenkten Kuhglocken, als ein paar weitere Läufer ins Ziel kamen. Zeit zu gehen. Graham bahnte sich einen Weg zur Übergangszone, in Gedanken bei 247 und der Frage, wie dessen volle Lippen schmecken mochten. Bei der Vorstellung wurde es eng in seiner Hose, sodass Graham tief durchatmete.

Nachdem er sich frisch gemacht hatte, würde er das Rad verladen, in Terris Haus eine Dusche nehmen und sich vor der After-Race-Party in der Innenstadt von Wilmington kurz hinlegen. Mit ein bisschen Glück würde 247 sich dort blicken lassen.

Swanns Vergeltung

Подняться наверх