Читать книгу Schluss mit gratis! - Sibylle Stillhart - Страница 8

«Feierabend»

Оглавление

Nach langweiligen zweieinhalb Stunden ist die Sitzung um. Ich schlendere zurück in mein Büro, sitze vor meinem Computer und checke – zum wohl 29. Mal heute – meine Mails. Punkt 17 Uhr hechte ich aus dem Büro, während meine Kollegen weiter auf Facebook ihr «erfolgreiches» Leben zelebrieren oder gucken, wo sie die nächsten Ferien verbringen. Ich haste aufs Tram, dränge mich in die Büromenschenmasse, steige nach fünf Haltestellen aus, um in die Kita zu laufen, wo mich meine zwei Buben bereits sehnsüchtig erwarten. Ich begrüsse sie, froh, dass sie einen «guten Tag» hatten, wie mir Milena, die Erzieherin, versichert, ziehe ihnen Jacke, Kappe, Handschuhe und Schuhe an, tröste den Kleinen, der sich das Knie geschürft hat, und unterhalte mich noch kurz mit der Betreuerin, während die Buben auf dem nassen Fussboden tollen. (Oh nein!, denke ich, ich muss heut Abend noch waschen!)

Milena ist 53 Jahre alt, arbeitet seit ihrer Ausbildung als Sozialpädagogin mit Kindern und Jugendlichen. In der Kita, die meine Buben besuchen, leitet sie eine Gruppe von zehn bis zwölf Kindern im Alter zwischen eineinhalb und fünf Jahren. Pausenlos ist sie damit beschäftigt, Kinder zu trösten, zu motivieren, Streit zu schlichten, zu basteln, zu füttern, zu wickeln, zu singen, zu spielen. Selber hat Milena drei eigene Kinder grossgezogen, während sie sich «fifty-fifty» Erwerbs- und Familienarbeit mit ihrem Mann aufgeteilt hat.

Würde sie Vollzeit arbeiten, verdiente sie einen Lohn von monatlich 5000 Franken. Sie sagt, dass sie ein solches Pensum in ihrem Alter nicht bewältigen könnte – sie würde den Kindern «keinen Gefallen» tun. Die Arbeit sei anstrengend und fordere sämtliche ihrer Kräfte. Daher arbeitet Milena 60 Prozent und verdient 3000 Franken. Weil sie mittlerweile geschieden ist, muss sie mit diesem Geld allein über die Runden kommen. Die Miete für eine Wohnung in der Stadt und die wachsenden Krankenkassenprämien fressen einen beachtlichen Teil ihres Lohns. Eine Lohnerhöhung könne sie sich jedoch auf Lebzeiten abschminken. Denn in den Kitas werde immerzu gespart: Eben wurde entschieden, dass einer Betreuerin noch mehr Kinder zugemutet werden können, als dies bislang der Fall war. Auch sollen die Arbeitszeiten ausgeweitet werden. Betreuerinnen sollen am Mittag («Wenn Hochbetrieb ist!») eine längere Pause nehmen, damit sie abends länger zur Verfügung stehen können. Milena zuckt die Schultern. «Wir kümmern uns den ganzen Tag um das Wertvollste, was Eltern haben», sagt sie. Doch offenbar sei dies der Ge­sellschaft nicht viel wert. Immerhin erhalte sie An­erkennung von den Kindern. Kehre sie jeweils aus den Ferien zurück, sei die Freude in der Gruppe riesig. «Welcher An­gestellte kann das schon von sich behaupten?», fragt sie lachend.

Mit einem leicht schlechten Gewissen mache ich mich mit meinen Kindern auf den Weg nach Hause. Ich verdiene mit meinem Job (auf Vollzeit gerechnet) beinahe das Doppelte von Milena, ohne dass die Gesellschaft von meiner Tätigkeit etwas hat; einmal abgesehen von den Steuern, die ich von meinem Einkommen bezahle. Auch fühle ich mich nach einem Arbeitstag weder gebraucht, noch er­füllt – eher leer, ausgelaugt und müde. Meine sinnlose Büroarbeit schadet nicht nur mir; sie bringt auch sonst niemandem etwas.

Wir machen noch kurz einen Abstecher beim Käse­laden, um Milch und Butter fürs Abendessen zu kaufen. Zu Hause trage ich das Baby die drei Stockwerke hoch, zusammen mit der Einkaufstasche, gleichzeitig lotse ich den Grossen, der lieber meine Hand halten möchte, die Treppe hinauf. Oben angekommen, schlüpfe ich aus dem Mantel, ziehe die Kinder aus, wärme in der Küche Milch, bevor das Baby zu jammern beginnt und den Kopf auf den Boden schlägt. Dann kümmere ich mich um das Abendessen, koche Haferflocken und schneide Brot, während der Kleine quengelt und getragen werden möchte. Das Nachtessen ist in fünf Minuten beendet, wobei der Grossteil des Essens auf dem Boden gelandet ist statt in den Bäuchen meiner Kinder. Ich hieve den Jüngsten aus dem Kinderstuhl, trage ihn ins Zimmer, ziehe ihm den Pyjama an, während der Grosse einen Trickfilm auf meinem Laptop gucken darf. Ich lege das Baby in sein Bettchen, lösche das Licht und verharre eine Viertelstunde im Zimmer, bis es eingeschlafen ist. Endlich! Dann eile ich zurück in die Stube, wo das grosse Kind fasziniert vor dem Computer hängt, gebannt von der bestimmt bereits neunten Folge vom «Kleinen Maulwurf». Ich bin gerade dabei, die Geschirrspülmaschine einzuräumen und die Brotkrumen vom Küchenboden aufzuwischen, als mein Telefon piepst: Mein Mann teilt mir mit, dass er nun fertig sei mit der Arbeit und auf den Zug gehe. Es ist mittlerweile halb neun Uhr abends, ich bin gerädert.

Schluss mit gratis!

Подняться наверх