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Bruder Aurelius

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Kurz darauf klopfte ich an das Tor eines nahegelegenen Klosters und wurde auf mein Bitten hin zu Bruder Aurelius geführt.

Ich kannte ihn aus meinen Besuchen im Klostergarten. In diesem Garten, in welchem ich oft und gerne spazieren gegangen war, hatten wir uns getroffen, angefreundet und so manches interessante Gespräch geführt. Dort hatte er mir auch gesagt, dass ich ihn jederzeit aufsuchen dürfte, wenn ich Fragen oder Sorgen hätte.

So empfing er mich wie einen alten Freund, und nachdem wir uns begrüßt hatten, setzten wir uns an einen kleinen, runden Tisch im Gästeraum einander gegenüber. Dann fragte er mich nach meinem Anliegen und ließ sich meine Geschichte erzählen.

Ich erzählte ihm sehr bewegt von der Suche nach dem Auto, meinen Ängsten, und dem unheimlichen Gesicht, das sich mir hinter der Parkplatzmauer und hinter der Hecke gezeigt hatte. Er hörte schweigend zu und sagte dann:

„Nun, Johannes, nun bringst du mir das eben wild Vorgebrachte noch einmal in Reim form – du kannst doch reimen…“

Ich schaute ihn erstaunt an. Damit konnte ich ja nun gar nichts anfangen. Aber der, trotz seines Alters jugendlich wirkende Mann, schaute mich aus seinen ruhigen Augen freundlich an und wartete geduldig, bis ich mich gesammelt hatte. Zögernd begann ich:

Ich war der Welt und mir verloren,

Als ich aus dem Theater kam.

Dann stockte ich. Es fiel mir schwer, meine Gedanken beieinander zu halten. Aber Bruder Aurelius wartete geduldig, bis ich die nächsten Zeilen gefunden hatte.

Zum Opfer ward ich auserkoren,

Für den, der mir mein Denken nahm.

Jetzt erhob er sich von seinem Stuhl und stellte sich in die Nähe des Fensters. Seine schlanke Gestalt und sein ebenmäßiges Gesicht waren aber dort gegen das Licht für mich kaum noch zu erkennen. Ich blinzelte und fuhr fort:

Ich sah ihn nicht,

Nur sein Gesicht,

Das ihm gehört,

Und mich zerstört.

Dann schwieg ich und wartete auf seine Reaktion. Doch plötzlich meinte ich, das unheimliche Gesicht, das mich belauert hatte, in ihm zu erkennen und sprang entsetzt auf. Da trat er schnell zu mir, legte seine Hand auf meine Schulter und bat mich, mich wieder zu setzen. Dann setzte auch er sich wieder und sagte: „Sprich die Reime noch einmal, aber hintereinander weg.“

Das tat ich dann auch, obgleich ich sehr suchen musste, da ich sie schon fast wieder vergessen hatte:

Ich war der Welt und mir verloren,

Als ich aus dem Theater kam.

Zum Opfer ward ich auserkoren,

Für den, der mir mein Denken nahm.

Ich sah ihn nicht,

Nur sein Gesicht,

Das ihm gehört,

Und mich zerstört.

Da kam mir mit einem Male eine Erkenntnis. Warum hatte ich gesagt: der mir mein Denken nahm? Warum das Wort „Denken“ und nicht das Wort „Leben“? Spielte mir mein Denken einen Streich? Bruder Aurelius nickte, als er meine Gedanken sah, und sagte:

„Dein Denken ist es, dein Denken zerbricht. Du siehst es in dem Gesicht.“

Ich erschrak. „Gibt es gar keinen Fremden, der mir schaden will? Bin ich es selbst in meinem Denken? Das kann ich nicht glauben …Wie kann denn ein Denken zerbrechen?“

„Es zerbricht, wenn du es nicht mehr halten kannst“, sagte er, und fügte hinzu: „Und halten lässt es sich nur aus eigener Kraft. Deshalb solltest du mir dein Denken in Reime kleiden.“ „Das war ansträngend“, sagte ich.

„Eben“, bestätigte er, „das sollte es auch sein. Nach unter rutscht man von alleine, nach oben muss man steigen. Lerne dich zu kontrollieren, Johannes. Der Mensch ist sein eigener Herr, sein Meister, sein Dompteur, sein Wagenlenker. Er schleift sich mit sich selbst, so wie ein Diamant. Er wird nicht fremdbestimmt.“

„Auch nicht von solch einem Gesicht?“

„Auch nicht von solch einem Gesicht. Erkenne dich selbst, Johannes – und bitte, folge mir, ich möchte dir etwas zeigen.“

Demenz

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