Читать книгу Kommunalpolitik - Siegfried Frech - Страница 6
1 Kommunalpolitik beginnt vor der Haustür
ОглавлениеAm 26. Mai 2019 fanden in acht Bundesländern und in den zwei Stadtstaaten Bremen und Hamburg Kommunalwahlen statt, in denen über die Zukunft der Städte und Gemeinden abgestimmt wurde. Anlässlich dieser Wahlen führte die Bertelsmann Stiftung eine repräsentative Umfrage durch. Befragt nach der wichtigsten kommunalpolitischen Aufgabe hielten es 94,7 Prozent der Bürger für eine »wichtige oder sehr wichtige« Aufgabe, Kindern und Jugendlichen gute Chancen zu ermöglichen. Diese einhellige Einschätzung wurde unabhängig vom Alter, vom Bundesland und von der Größe der Kommune, in der die Befragten leben, getroffen. Dieses Thema steht neben Mobilität (86 %), Umwelt (84,5 %) und Wohnen (83,9 %) ganz oben auf der Agenda. Die Bürger sind sich darüber im Klaren, dass die Kommunalpolitik eine entscheidende Rolle spielt: Bei der Kinderbetreuung (73,6 %), bei Sport- und Freizeitangeboten (63,9 %) sowie Schulen und Bildung (59,7 %) wird den Städten und Gemeinden ein hoher Beitrag zur Problemlösung attestiert.
Befragt nach den kommunalpolitischen Akteuren wurde Bürgermeistern und Kommunalpolitikern ein großes Vertrauen entgegengebracht. Während nur 28,3 Prozent der Befragten den Bundespolitikern und 31,8 Prozent Europapolitikern »großes« oder »sehr großes« Vertrauen entgegenbringen, gab knapp die Hälfte (48,5 %) an, Kommunalpolitikern »großes« bzw. »sehr großes« Vertrauen entgegenzubringen. Offenbar ist die Beteiligung von Bürgern an politischen Prozessen vor Ort eine maßgebliche Voraussetzung dafür, dass die Bürger ihren Bürgermeistern, Stadt- und Gemeinderäten vertrauen. Mit 73,7 Prozent genießen Rathauschefs, deren Bürger sich an der Kommunalpolitik ausreichend beteiligt fühlen, deutlich bessere Zustimmungswerte als Bürgermeister, deren Bürger sich ein Mehr an Beteiligung wünschen (55,8 %).
Beanstandet wurden von den Befragten zwei Aspekte. Die Mehrheit ist mit der Beteiligung an Entscheidungsfindungen vor Ort nicht zufrieden. Die Zahl derer, die sich nicht genug in kommunalpolitische Entscheidungen eingebunden fühlen, ist mit 55,3 Prozent relativ hoch. In Großstädten sind sogar zwei von drei Bürgern unzufrieden (65,8 %). Das Potenzial, die Zufriedenheit der Bürger zu steigern, ist hoch. Ein weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde Einbindung von Frauen. Nur 25 Prozent sind kommunalpolitisch engagiert. Unter denen, die ein Bürgermeisteramt innehaben, liegt die Frauenquote gar nur bei zehn Prozent. 46,8 Prozent der befragten Männer und 61,1 Prozent der befragten Frauen wünschen sich deutlich mehr Frauen in der Kommunalpolitik.
Die repräsentative Umfrage zeigt u. a., dass keine andere politische Ebene von den Bürgerinnen und Bürgern so unmittelbar wahrgenommen und bewertet wird wie die Ebene der Landkreise, Städte und Gemeinden. Die kommunale Ebene (Gemeinden, Städte und Landkreise) bildet die unterste Ebene des dreistufigen Verwaltungsaufbaus in Deutschland, darüber kommen die Landes- und Bundesebene. Und auch Europa ist in den Rathäusern angekommen. Städte und Gemeinden sind schon seit langem von der Rechtsetzung der Europäischen Union (EU) betroffen. Zwei Drittel der auf EU-Ebene getroffenen Regelungen betreffen direkt oder indirekt die Kommunen und deren Recht auf Selbstverwaltung. So hat z. B. die Landeshauptstadt Stuttgart mit der Umsetzung der 1999 von der EU beschlossenen Feinstaubrichtlinie erhebliche Probleme. Das hohe Verkehrsaufkommen führt bei einer bestimmten Wetterlage regelmäßig dazu, dass die Grenzwerte für Luftschadstoffe (Stickoxid, Schwefeldioxid, Blei) merklich überschritten werden. Sollte die Landeshauptstadt Stuttgart dieses Problem nicht in den Griff bekommen, drohen ein EU-Vertragsverletzungsverfahren und Strafzahlungen.
Kommunalpolitik findet vor der Haustür statt und betrifft die Bürgerinnen und Bürger in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld. Wer aufmerksam den Lokalteil der Tageszeitungen verfolgt, bekommt davon einen ersten Eindruck. In der Europäischen Union (EU), im Bund und auf der Landesebene wird die »große Politik« gemacht, in der Gemeinde hingegen wird sie konkret umgesetzt (und dort muss sie oft auch bezahlt werden). Die Beispiele sind zahlreich: Gullydeckel und Mülltonen, Kinderbetreuung, der Bus zur Schule und öffentlicher Nahverkehr, Wirtschaftsförderung oder aktuell und in den nächsten Jahren die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen sowie die Belebung der Innenstädte nach der Corona-Pandemie.
Das Buch »Politik in der Gemeinde« gliedert sich in fünf größere Kapitel. Im einführenden Kapitel wird am Beispiel anwachsender Flüchtlingszahlen in den Jahren 2015 und 2016 gezeigt, wie Städte und Gemeinden auf diese Herausforderung reagiert haben. Gerade die Flüchtlingsfrage und die seit Frühjahr 2020 sich ausbreitende Corona-Pandemie zeigen, dass globale Probleme vor Ortsgrenzen nicht Halt machen. Die wohl wichtigste Lektion aus der Pandemie lautet: Es gibt keine lokalen Lösungen für globale Probleme. Im zweiten Kapitel werden die »Spielregeln« beschrieben, nach denen Kommunalpolitik abläuft. In diesem Kapitel wird auch skizziert, wie das Zusammenspiel von Gemeinderat, Bürgermeister und Bürgern funktioniert. In einem weiteren Kapitel werden die konkreten Aufgaben von Kommunen ausführlicher dargestellt. Im letzten Kapitel geht es um die Akteure (Gemeinderat, Bürgermeister, Bürger) in Städten und Gemeinden, um kommunalpolitische Abläufe und Prozesse. Das Buch endet mit einem Glossar. In diesem Wörterverzeichnis werden die wichtigsten politischen Fachbegriffe kurz erklärt. Fachbegriffe, die sich aus dem Text erschließen lassen, wurden nicht in das Glossar aufgenommen.
Im Buch selbst wird mit der sogenannten Harvard-Zitierweise gearbeitet. Diese Zitierweise arbeitet mit Klammern, in denen der Name des Autors, das Erscheinungsjahr und die Seitenzahl genannt werden. Die vollständigen Titel der Bücher oder Aufsätze können dem Literaturverzeichnis entnommen werden. Interessierte, die an kommunalpolitischen Fragen Geschmack gefunden haben, finden im Anschluss an das Literaturverzeichnis ausgewählte Leseempfehlungen. Tageszeitungen waren eine weitere wichtige Fundstelle. Auf die entsprechende Ausgabe wird ebenfalls in Klammern verwiesen. Bei Zahlen und Fakten, die im Internet recherchiert wurden, wird die Fundstelle jeweils am unteren Seitenrand in einer Fußnote genannt. Die Angabe der vollständigen Webadresse im Text hemmt den Lesefluss.