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HEILKRÄFTIGES WASSER

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„Hurra, wir fliegen, wir fliegen!“, rief Birne voller Entzücken. Überschwänglich, doch im Schutze ihres Regentropfenfreundes, breitete sie ihre zierlichen Ärmchen aus.

Auch auf Mucks war der Funke der Begeisterung nun übergesprungen. Mit Ausrufen wie „Cool!“, „Voll abgedreht!“, oder „Traumhaft!“, also Worten, die eher dem Begriffsschatz Birnes zuzuordnen gewesen wären, brachte er dies deutlich zum Ausdruck. Und siehe da, seine vorherige Bangigkeit war vollends verflogen.

Gechtur war ein überaus versierter Flieger. Er machte sich einen Spaß daraus, seinen drei Freunden die Kunst des Fliegens hautnah vorzuführen. Abwechselnd, zwischen kurzen Flügelschlagserien und kurzem Gleiten bei völlig geschlossenen Flügeln, düste er vorwärts. Damit Birne, Mucks und Hoo die Welt aus allen Himmelsrichtungen betrachten konnten, zog er manchmal einen weiten Kreis. Wellenförmig flog er rauf und runter. Sogar den Slalom- und Rückwärtsflug beherrschte er meisterhaft. Nur riskante Flugmanöver, wie den Looping, oder die waghalsige 90-Grad-Drehung, hatte er verantwortungsvoll und mit Rücksicht auf seine kostbare Fracht aus seinem Flugprogramm gestrichen. Schließlich wollte er nicht, dass seine kleinen Passagiere sich unwohl fühlten oder gar von seinem Käppi herabfielen. Seinen drei Mitreisenden einfach nur ein spaßiges, unvergessliches Flugerlebnis bieten – das wollte er!

Birne und Mucks waren völlig aus dem Häuschen. Für die beiden Blattläuse war es das Schönste und Tollste, was sie je erleben durften. Gechturs persönlicher Sightseeing Flug, den er den winzigen Flittertäglern und Regentropfen Hoo zum Geschenk machte, offerierte ihnen am laufenden Band neue, lohnende Ausblicke. Oft kamen sie aus dem Staunen und zeitweiligem „Aaaaahh!“ und „Ooooohh!“ Rufen gar nicht mehr heraus. Sogar der laue Gegenwind, der ihnen mal stärker, mal schwächer um die Näschen wehte, bereitete ihnen eher Spaß, als dass er sie in Unruhe versetzte. Zwischen den Beinen ihres ebenso begeisterten Wasserfreundes wiegten sie sich vertrauensvoll in Sicherheit. Gechturs einzigartiger Flugreiseservice war wahrlich eine ‚Hochzeitsreise‘ wert.

Als Hoo unter sich, idyllisch eingebettet in die ländliche Gegend, einen klaren, halb von Mischwald umsäumten Moorsee mit geschütztem Uferbereich erblickte, in dem sich das weite Blau des Himmels mit vereinzelt hingetupften Quellwölkchen spiegelte, erinnerte er sich zurück an frühere Zeiten im Wolkenreich.

„Hallo, Gechtur“, rief er in die leichte Brise. „Bist du damit einverstanden, wenn ich dir so zwischendurch, äh, einiges aus meinem Leben erzähle?“

„Ja, ja, Hoo, tu das nur! Ich spitze meine Horcher und bleib exakt auf Tour!“, antwortete Gechtur kurz und bündig.

So begann Hoo seinen bisherigen Lebensweg noch einmal Revue passieren zu lassen. Dabei pickte er die wichtigsten Ereignisse in geschickter Zusammenfassung heraus, um sie Flugkapitän Gechtur moderat zu Gehör zu bringen.

Freund Buntspecht flatterte zielbewusst weiter und weiter. Hoos prägnanten, kurzen Schilderungen lauschte er mit großem Interesse. Auch Birne und Mucks spitzten ihre Öhrchen. Für sie war es die Vergnügungsreise schlechthin. Unterhaltung pur!


DIE ZEIT VERGING, im wahrsten Sinne des Wortes, wie im Fluge. Schon bald hatte Gechtur das dicht besiedelte Tal mit Obstbaumhainen und Gemüsegärten, Wiesen, Feldern, Äckern, Laubwäldern, Alleen, dem breiten Fluss, kleinen Bade- und Naturseen, verstreuten Gehöften, einem Dutzend Dörfern, Sportstätten und einem dichten Verkehrs- und Wegenetz hinter sich gelassen.

Etwas außerhalb der größten Ansiedlung, auf einer wiesengrünen Anhöhe, stach ihnen eine stämmige und mächtig hoch gewachsene Sommerlinde mit ihren herzförmigen, spitz zulaufenden Blättern ins Auge. In ihrer üppigen Baumkrone hielten sich mehrere Tauben und Singvögel auf. Am Fuße ihrer weit verzweigten Wurzeln stand eine weiß getünchte, schindelgedeckte Kapelle. Modisch gekleidete Menschen gingen geruhsamen Schrittes durchs geöffnete Portal ein und aus. Nahebei, auf einem Spielplatz, vergnügten sich Kinder auf Rutschen, Schaukeln, Klettergestängen und in einem Sandkasten.

Wenig später überflog Gechtur bereits höhere Regionen, wo hügeliges, eingezäuntes Weideland, Laubbäume im spätsommerlichen Farbenkleid und lichte, dunkelgrüne Bergwälder sich abwechselten. Aus weiter Ferne vernahm er den silbrigen Klang einer Kirchturmuhr.

„Groß ist mein Revier in Berg und Tal, die Glocke läutet schon dreimal“, kixte Gechtur seinen Fluggästen zu. „Zeit für Rast und Jause, gleich machen wir 'ne Pause!“

Gekonnt und überaus konzentriert peilte er eine stattliche, uralte Eiche an, die ihnen auf einer Hügelkuppe, inmitten einer Bergwiese, lichtvoll ihre knorrigen Äste entgegen reckte. In spiralförmigem Gleitflug um den imposanten Baum setzte er zur Landung an.

Unter dem weit verästelten Blätterschirm der mächtigen Eiche stand eine steinerne Viehtränke. Flatternd drosselte er die Fluggeschwindigkeit, bremste sanft ab und ließ sich mit seinen Passagieren sicher auf der breiten, rechteckigen Beckenumrandung nieder.

Wenn Gechtur durch sein weiträumiges Revier flog, war dieser beschauliche Ort stets einer seiner Lieblingsplätze, um sich ein wenig auszuruhen, Wasser zu trinken und im Geäst der hochbetagten Baumriesin nach Nahrungsschnäppchen zu suchen. In gewohnt dichterischer Weise gab er seinen kleinen Mitreisenden nun freundlich einige Anweisungen:

„Birne, Mucks, bleibt ihr noch sitzen, werd‘ gleich mit euch am Stamm raufflitzen. Eichenblätter schmecken lecker, würzig wie vom Knusperbäcker.

Hoo, ins Becken hüpfe du hinab, hol‘ dich nachher wieder ab. Frisches Wasser wird dir munden, weiter geht‘s in ein, zwei Stunden.

Droht Gefahr, schreit laut und grell, zu Hilfe komm ich dann ganz schnell!“

Wie gewohnt streckte Gechtur seinen fedrigen Nacken nach vorne und tauchte seinen spitzen, schwarzen Schnabel ins kühle Wasser. Durch die heftigen Niederschläge des letzten Gewitterschauers war die Tränke, deren Abflussloch auf dem Beckenboden fest verschlossen war, bis zum Rand gefüllt. Durstig wie er war, ließ er sich das klare, köstliche Regenwasser schmecken.

Auf seinem Rotschopf erhob sich Hoo mühsam von seinem Sitzplatz. Birne und Mucks guckten ihm aufmerksam nach, wie er langsam durch das flauschige Gefieder zum vorderen Rand des Käppis stapfte. Seine natürliche Hautfarbe hatte ihren bläulichen Glanz verloren und war etwas fahl geworden. Die Sonnenwärme, der lange Flug, das Erzählen seiner Geschichte, so nebenher, und akuter Wassermangel, hatten ihn sichtlich entkräftet. Auf seinem Kopf und über der Oberlippe hatten sich winzige Schweißperlen gebildet. Es war ihm ein unsägliches Bedürfnis, endlich mal wieder sauberes Wasser zu spüren, zu trinken und sich darin austoben und erfrischen zu können. Auch mit neuer, lebensnotwendiger Energie wollte er sich versorgen. Seit seiner Zeit auf der feuchtwarmen Mutterwolke hatte er keine Gelegenheit mehr dazu gehabt. Da hätte ihm der naturtrübe, wohlschmeckende Apfelsaft auf Dauer auch nicht helfen können. Nur im kühlen Nass, ausreichender Hydrierung in frischem, agilem Wasser – da war er voll und ganz in seinem Element!

Kritischen Blickes schaute er hinab auf die dunkle Wasserfläche. Sanfte Schatten und flirrende Sonnenreflexe, die von dem lichtdurchfluteten Blätterdach der Eichendame herrührten, spiegelten sich darin. Eichenblätter und einige länglichrunde Eichelfrüchte, die herabgefallen waren, schwammen obenauf. Den Oberkörper leicht gestreckt, holte er tief Luft. Feinsinnig schnupperte er mit seinem langen, flexiblen Schnorchel übers Wasser. „Mmmhh! Riecht nach Wolkenwasser ... Gewitterregen ... und – aaahh, herzhaft pikanter Eichelnwürze! Eine wahrlich topgesunde Mischung!“, stellte Hoo erfreut fest. „Duftet frisch, ist sauber und, äh, gut temperiert. Sehr verlockend, wirklich sehr verlockend!“ Ihm lief buchstäblich das Wasser im Munde zusammen. Seinen Superschnorchel zog er wieder auf Pünktchengröße ein.

„Soll ich, kann ich, äh, darf ich da hineinspringen, lieber Gechtur?“

Der durstige Specht unterbrach sein genüssliches Trinken. Hoos Frage beantwortete er mit cooler Gelassenheit: „Willst du schwimmen, spring hinein. Bist ein Feigling, lass es sein. Willst du nur ein wenig lecken, setz‘ dich auf den Rand vom Becken.“

„Au jaaahh! Spring hinein, Hoo! Bitte spring' ins Wasser!“, rief die kleine Birne ihm aufmunternd zu. „Nach dem langen Flug tut dir Bewegung, insbesondere Schwimmen, bestimmt doppelt gut!“ Fröhlich hopste sie auf ihrem weich gefiederten Platz umher.

Mucks stimmte dem Aufruf seiner lieben Traumlaus mit eifrigem Kopfnicken zu. „Aber ja, Hoo. Bitte tu es! Nur Mut! Das möchten wir gerne sehen. Wie jammerschade, dass wir selbst das Schwimmen nie gelernt haben!“

„Oooookay, Freunde“, erklärte Hoo sich dazu bereit. Frohgemut rieb er sich dabei die Hände. „Klar mach ich das! Mit dem allergrößten Vergnügen!“

Dann wandte er sich an den jungen Specht, dessen etwas kecke Bemerkung vorhin, doch ein wenig an seiner Ehre gekratzt hatte. „Ich, äh, von wegen feige! Bestimmt bin ich im Wasser genauso wendig wie du in den Lüften. Glaubst du mir das, Gechtur?“

„Bist ein Tropfen, ich ein Specht, freu mich sehr, wenn du hast Recht! Fliegen ist der Vögel Kunst, Schwimmen liegt in deiner Gunst!“, schnäbelte Gechtur unbescheiden, die unpassende Äußerung wiedergutmachend, und neidlos zu ihm hinauf.

„Das hast du aber, äh, jetzt schön poetisch gesagt, lieber Gechtur. Das kam voll gut! Darf ich dich dann noch, äh, um die Erlaubnis bitten, gleich von hier oben ins Wasserbassin zu springen?“ Schon ungeduldig trat Hoo am Käppirand von einem Fuß auf den anderen.

„Du darfst, Hoo. Spring nur runter, doch bitte, geh‘ dabei nicht unter!“, scherzte Gechtur mit verschmitzter Miene, in Anspielung auf seine Körperfülle.

„Wunderbar, Gechtur. Ich danke dir.“ Hoo strahlte übers ganze Gesicht. „Nun gut, äh, dann kann's ja losgehen!“

Lustvoll schleckte er über seine vollen Lippen. Wie zum Gebet faltete er seine Hände und murmelte noch bedächtig vor sich hin. Zu guter Letzt brachte er sich in eine geeignete Sprungstellung und bat seine Freunde um verbale Unterstützung.

„Äh, super wäre es, wenn ihr mich beim Absprung lautstark unterstützt, ja? Also, äh, ich sage: Auf die Plätze! – Fertig? – und ihr ruft dann, bitte alle zusammen: Los!“ Hoo schnaufte tief durch. „Geht das?“

„Ja, voll klaro, Hoo. Das machen wir!“, piepsten die Blattläuse und nickten. Eiligst und schaulustig, um ja alles genau mitzubekommen, krabbelten sie aus der Mitte ein Stückchen näher an den Rand des Spechtkäppis.

„Kix! Sonst nix? Das ist fix!“, antwortete Gechtur verlässlich. Er hielt seinen Kopf still und äugte gespannt zu ihm hoch. Hoo war bereit zum Sprung. Er mobilisierte seine letzten Kraftreserven. Unverzüglich begann er das Startkommando für sich selbst vorzugeben. „Auf die Plätze! – Fertig!“ …

„Looooooos!“, riefen Birne, Mucks und Gechtur wie ein dreistimmiger Jugendchor. Alle Augen waren auf Hoo gerichtet.

Und tatsächlich!

„Yippiieeehh!“ Hoo ließ einen urgewaltigen, befreienden Jubelschrei vom Stapel. Dabei hopste er mit schwingenden Armen und lang gestrecktem Körper, wie von einem federnden Schwimmbadsprungbrett, von Gechturs Käppi hoch. In hohem Bogen, die Arme flink vor seinem fülligen Bauch verschränkt und den Kopf leicht geduckt, klatschte er dann mitten hinein in die randvolle Tränke.

„Platschschsch ...!“ Schon war Hoo in das warme Oberflächenwasser eingetaucht. Viele Wassertröpfchen spritzten in die Höhe. Ein, zwei, mehrere Wasserringe breiteten sich aus. Die von dem Sprung ausgelösten, sich kurz kräuselnden Miniwellen schwappten sanft bis über die steinerne Umrandung.

Nach einer Weile hatte sich das Wasser wieder geglättet. Durch das Blätterdach des riesigen Eichenbaumes blinkte neugierig das wärmende Sonnenlicht. In geheimnisvoll glitzernden Farben flirrten die Lichtpunkte sternförmig auf der dunkel glänzenden Wasseroberfläche.

Doch wo blieb Hoo? Er hätte doch längst wieder auftauchen müssen! Wie konnte er so lange unter Wasser bleiben? Unruhe machte sich breit.

Gechturs stechende Augen suchten, spähten über den Wasserspiegel. Nichts regte sich. Hoo war nirgends zu sehen! Mehr als seiner eigenen, dunkel umrissenen Silhouette wurde er nicht gewahr. Da er recht wasserscheu war und nicht die speziellen Fähigkeiten eines Tauchvogels besaß, wie sie etwa dem kleineren, farbenprächtigen Eisvogel oder der nach Wasserinsekten tauchenden Wasseramsel zu eigen sind, blieb die sich spiegelnde Wasseroberfläche für ihn, wie auch für die besorgt guckenden Blattläuse, als natürliche Grenze undurchdringlich.

„Wo ...? Wo bleibt er? Was ist mit ihm?“, unterbrach Birne die beklemmende Stille.

„Wieso taucht Hoo nicht wieder auf?“, fragte sich Mucks.

Ihren Gesichtern war es deutlich anzusehen, dass sie sich arge Sorgen machten. Es war ihnen kurz zuvor nicht entgangen, wie geschwächt Hoo sich fühlen musste, als er sich langsam auf den Käppirand zubewegte.

Nun robbten sie beide an die Stelle, wo Hoo vom Käppi gesprungen war. Bekümmert guckten sie hinab auf die glatte Wasseroberfläche.

„Oh, oh, oh, gütiger Himmel, nein! Ihm wird doch nichts zugestoßen sein?“, piepste Birne verängstigt. Sie erschauderte. Ihr piepsiges Stimmchen zitterte bei den Worten, die sie eigentlich gar nicht aussprechen wollte: „Ist Hoo, ähm, ist Hoo etwa ertrunken?“

„Gigigig!“, meldete sich nun Gechtur. „Schwimmen hat er doch gelernt, in seiner Wolkenschule, himmelwärts entfernt. Tauchen ist wohl nicht so leicht, schließlich ist‘s hier drin nicht seicht!“

Einerseits zeigte auch er sich ernsthaft um Hoos Abtauchen besorgt. Andererseits aber beschlich ihn das untrügliche Gefühl, dass Hoo einen sehr wichtigen Grund zu haben schien, nicht so schnell wieder aufzutauchen.

Irgendetwas führt der Hoo im Schilde. Nur, was? Ich bin noch nicht im Bilde, rumorte es in seinen Gedanken. Deswegen fügte er vorausahnend und aufmunternd hinzu: „Abtauchen, und uns jetzt verlassen? Nein, das hat Hoo nicht im Sinn. Bestimmt sitzt er cool und voll gelassen irgendwo da unten drin!“

Dennoch hüpfte er jetzt sichtlich angespannt und in kurzen Sprüngen die etwas glitschige Umrandung der Tränke entlang. Dabei stieß er laute „Kix“-Rufe aus. Die arg bekümmerten Blattläuse hielten sich am fedrigen Käppirand fest. Sie waren völlig durcheinander. Die Adrenalinausschüttung, die Hoo durch sein spurloses Verschwinden so plötzlich in ihnen ausgelöst hatte, ließ ihre winzigen Herzen wie wild pochen. Drei Augenpaare schweiften nun unablässig über das stille, dunkle Wasser.


WAS SIE NICHT WISSEN KONNTEN WAR, dass die angenehme Wärme und Beschaffenheit des Wassers für Hoo ein wahres Lebenselixier bedeutete. So vermochte er darin sein körperlich geschwächtes Befinden voll wiederherzustellen. Und nicht nur das! Die Wassergüte war so hervorragend, dass sie ihm erstaunliche, ja sogar magische Fähigkeiten angedeihen ließ.

Nach seinem kühnen Sprung von Gechturs Käppi tauchte er bis auf den Grund des Bassins hinab. Sogleich verzauberte ihn die wohltuende Temperatur des klaren Wassers. Die so lang entbehrte Feuchtigkeit wirkte auf seine schon merklich ausgemergelte Haut wie ein Revitalisierungsbad.

Wie belebender Balsam, von seinem vertrauten Element gänzlich umschmiegt, sog er die frische, stärkende und anregende Energie in sich auf. Voller Freude vollzog er in der Tiefe der Tränke tänzelnde, rollende Wirbelbewegungen. Wie ein Kreisel drehte er sich vielmals um sich selbst. Dabei fühlte Hoo eine unermessliche, energetisierende, ja heilende Kraft in sich aufsteigen. Eine Kraft, wie er sie nicht einmal während der Schwimm- und Tauchkurse, Reinigungswaschungen, Wellnessbehandlungen und anderer Wassertropfenveranstaltungen auf der weißen Sommerwolke in der Wolkenschule verspürt hatte. Endlich! Endlich konnte er alle Zellen seines Körpers mit frischer, lebenswichtiger Wasserkraft versorgen. Wie sehr hatte ihm diese essenzielle, ja elektromagnetische Runderneuerung gefehlt!

Hoo genoss seinen Tauchgang in vollen Zügen. Völlig unbeschwert und losgelöst ließ er die geheimnisvolle Wandlung, des auf ihn einwirkenden, heilkräftigen Wassers mit sich geschehen.

Entspannt schaute er zu, wie immer wieder kleinste Luftbläschen aus seinen leicht geöffneten Lippen perlten und langsam an die Oberfläche stiegen. Von dort durchflutete weiches Sonnenlicht das in harmonisierendem Grün leuchtende, ruhige, klare Wasser. Wie seidene Schleier schimmerten die Strahlen bis zu seinem stillen Aufenthaltsort hinunter.

Ach du liebe Wasseruhr, kam es ihm plötzlich in den Sinn. Vor lauter revitalisierendem Wellnessbad hatte er gänzlich die irdische Zeit vergessen. Sicherlich waren seine drei Freunde schon sehr um ihn in Sorge!

Oh, du heilkräftiges Wasser! Höchste Zeit, aufzutauchen, riet ihm sein Gewissen. Eine Welle von Adrenalin schwappte durch seinen Körper. „Jetzt bin ich mit allen energetischen Wassern gewaschen und meine Freunde sind vielleicht schon fort ...? Könnte es sein, dass Gechtur mit Birne und Mucks ohne mich weitergereist ist? Nein, nein, die warten, die wollten sich erst Futter besorgen. Warten? Oje, die suchen mich, die schwitzen Blut und Wasser! Himmel und Hölle! Sie könnten annehmen, ich wäre untergegangen! Heiliger Schutzengel, nein! Wie lange bin ich denn schon hier unten?“, phantasierte und redete er mit sich selbst, als habe er literweise Quasselwasser getrunken.

Augenblicklich setzte er seinen wirren Vorstellungen ein Ende. Ohne sich noch weiter den Kopf darüber zu zermartern, was wie oder wie was sein könnte, sauste er mit rasanter Beschleunigung als erstarkter Powertropfen aus der lautlosen Tiefe der Tränke durch das wohlige Wasser nach oben ins Licht.

„Sssswuschschsch!“, schnellte Hoo wie ein mit Luft gefüllter Ball, den man unter Wasser gedrückt und plötzlich losgelassen hatte, in der Mitte des Bassins an die Oberfläche. Ein zufällig vorbei gaukelnder Großer Schillerfalter konnte ihm gerade noch ausweichen.

„Spinnst du?“, schimpfte dieser völlig verblüfft. Seine beiden großen, rot eingeschlossenen Augenflecke auf der Oberseite der Hinterflügel blitzten kurz hintereinander hell auf. „Du hast sie wohl nicht alle?“ Mit den Flügeln auf der Stelle fächelnd, zeigte der heimische Falter dem in die Höhe preschenden, dicken Regentropfen verärgert einen Vogel. Was ihn an dem ganzen Vorfall sehr verwunderte, war, dass der absonderliche Regentropfen nicht wie gewöhnlich von oben nach unten, sondern in genau umgekehrter Richtung daher sauste?

„Oh, entschuldige bitte, schöner Schmetterling. Ganz sicher war das nicht meine Absicht“, rief Hoo dem erschrockenen Gaukler im Vorbeibrausen freundlich zu. „Ich wünsch dir noch einen angenehmen Tag!“

Entrüstet und nachdenklich vor sich hin plappernd, flatterte der Edelfalter weiter seines Weges. Als er aus dem schattigen Milieu des hohen Eichenbaummethusalems hinausflog, schillerten seine Flügelspitzen blauviolett im Sonnenlicht.

Erst knapp unter den gekrümmten, weit verzweigten Ästen der mächtigen Eiche wurde Hoos Senkrechtflug durch die Anziehungskraft der Erde auf seinen Körper abgebremst. Eiligst blickte er nach unten. Ein Gefühl höchster Freude erfüllte ihn, als er Gechtur, mit Birne und Mucks auf seinem roten Käppi, am Beckenrand sitzen sah.

„Hallöchen, da bin ich wieder!“, konnte er ihnen gerade noch winkend zujubeln, bevor er mit Karacho ins bewegte Nass zurückplatschte. Es spritzte mächtig hoch. Hoo verschwand unumgänglich noch einmal im dunklen Wasser der Tränke.

Die plötzliche, spektakuläre Wiederkehr ihres Regentropfenfreundes kam für Gechtur und die Blattläuse völlig unerwartet. Total baff stand allen Dreien das pure Staunen im Gesicht. Nach so langem Warten auf ein Lebenszeichen von Hoo, vergeblichen Suchens und Schauens, war ihnen ja nur noch ein klitzeklammheimlicher Hoffnungsschimmer geblieben. Mit freudig klopfenden Herzen starrten sie nun wie gebannt auf die Stelle des nochmaligen Eintauchens.

„Schwupps!“ da tauchte Hoo aus den Fluten auch schon wieder auf. Energiegeladen patschte er mit seinen Händen aufs Wasser und paddelte flink auf seine drei sprachlos dreinblickenden Freunde zu.

„Ach, du liebe Zeit! Gütiger Himmel – und Hallo erstmal. Bin ich froh, dass ihr noch hier seid“, schlabberte er ihnen, seinen Mund halb unter Wasser, zu. Mit einem glückseligen Lächeln auf den Lippen rollte er sich, nahe an der Beckenumrandung und direkt vor ihnen, lässig auf seinen aalglatten Rücken. Er befand sich in bester Erzählerlaune!

„Bitte, bitte, liebe Freunde, Gechtur, Birne, Mucks. Könnt ihr mir noch mal verzeihen? Ich weiß nicht, wie lange ich mich da unten aufgehalten habe. Ich kann euch nur sagen – es ist fantastisch! Dieses Wasser ist ein wahrer Jungbrunnen, der absolute Kick! Ich habe meine Körperzellen frisch aufgetankt und fühle mich durch das ganzheitlich reinigende Wellnessbad wie neugeboren. Topfit! Ich bin ein fast vollkommener Tropfen. Seht nur, wie makellos meine Wasserhaut schimmert! Wie ein nigelnagelneues, blitzblank metallic, hellblau lackiertes Auto. Danke, liebe Kameraden, dass ihr so geduldig ausgeharrt und auf mich gewartet habt. Ich wüsste sonst gar nicht, was ich ohne euch hier und jetzt hätte tun sollen? Meine Befürchtungen gingen schon so weit anzunehmen, dass ihr nicht mehr da sein könntet. Oh, Leute, ich sag's euch, ich bin so froh. Richtig superquietschvergnügt froh!“

Gechtur, der Hoos überschwänglicher Begeisterung aufmerksam zugehorcht hatte, fand als Erster passende Worte. Vom Beckenrand aus stupste er ihn mit seinem spitzen Schnabel leicht an, sodass er etwas ins Schaukeln geriet. Mit scharfem Blick schaute er ihm in die fröhlich leuchtenden Augen und sprach: „Ente, Storch und Reiher, die Tränke ist kein Weiher. Hab's mir irgendwie gedacht, 'ne Frischzellenkur hast du gemacht! Stille Wasser gründen tief, doch alles noch mal gut verlief!“

Der Jungspecht fühlte sich in seiner Vorausahnung voll bestätigt. So äugte er stolz zu den Blattläusen hinauf, die, auf seinem Käppi herzig aneinandergeschmiegt, alles mit angehört hatten. Mit aufgestellten Brustfedern kixte er: „Seht ihr, lieber Mucks und liebe Birne. Ich, der kluge Specht, hatte Recht in meinem Hirne! Specht'sche Intuition, sie ließ mich nicht im Stich, Gefühl der starken Hoffnung mich beschlich.“

„Ja, du hattest Recht! Zum Glück, lieber Gechtur. Wäre nicht auszudenken gewesen, wenn Hoo, ähm ...?“, platzte es aus Birne heraus. Doch abrupt hielt sie in ihrem Satz inne und verschluckte die übrigen Worte. Stattdessen schluchzte sie selig: „Ach, Hoo, wir sind ja sooo froh, dass du wieder bei uns bist. Die überraschende Überraschung ist dir voll und ganz gelungen. Toll siehst du aus! Einfach spitzenmäßig gut!“

Von Rührseligkeit ergriffen, kullerten kleinste Freudentränen aus ihren strahlenden Äuglein. Mucks hielt sie zärtlich in seinen Armen und tupfte ihr mitfühlend die Tränchen weg. Erleichtert seufzte auch er auf. „Ja, wirklich, Hoo. Birne hat so Recht. Du siehst so frisch und vital aus. Derweil war uns die ganze Zeit angst und bange um dich. Beinahe hätten wir schon den Glauben daran verloren, dich jemals wieder zu sehen. E-r-t-r-i-n-k-e-n muss doch schrecklich sein!“

Was Birne gerade vorher tunlichst vermieden hatte auszusprechen, brachte Mucks nun gedankenlos und mit ungezügelter Zunge voll auf den Punkt. Birnes Augen funkelten ihren Läusegatten ungehalten an.

Mucks hatte „Ertrinken!!!“ gesagt – und Hoo horchte erregt auf. Wie eine Eins stand er in Null Komma nichts auf der Wasseroberfläche. Auf dieses schauderhafte Wort und seine spezifisch schlimme Bedeutung für Wasserwesen, war er Zeit seines Lebens schon allergisch. Niemandem wünschte er ein derart bejammernswertes, todbringendes Schicksal! Einerseits gehörte es im Sprachgebrauch der Wasser- und Regentropfen zu jenen ätzenden Worten, die für viele Geschöpfe höchste Lebensgefahr andeuteten. Andererseits aber war Ertrinken für alle Regentropfen ein absolutes Ding der Unmöglichkeit – solange sie gesund waren und nicht in lebensfeindliches, umweltgeschädigtes Terrain oder in Kontakt mit kontaminiertem Wasser, quasi in verschmutzte, verunreinigte oder verseuchte Gewässer gerieten! Hoo reagierte. Prompt, unmissverständlich – und schwankend zwischen Scherz und Ernst.

„Ertrinken? Ich, ertrunken? Nicht doch, beim dunkelgrünen Algenbart Neptuns, ich bitte euch! Wie könnt ihr so etwas nur denken? Ich bin ein junger, gesunder Regentropfen! Ich kann nicht ertrinken! Kein gesunder, agiler Regentropfen kann ertrinken! Und ich will auch nicht ertrinken! Nie-nie-niemals!“

Birne und Mucks starrten sprachlos und begriffsstutzig zu ihm ins Wasser hinab. Das war ihnen irgendwie zu hoch. Da fehlte ihnen der nötige Durchblick.

„Oh, verstehe“, sagte Hoo, als er in deren verdatterte Gesichter blickte. Ihm war sofort klar, dass seine Blattlausfreunde im Hinblick auf das feuchte Element und deren vielfältigen Eigenschaften und einzigartigen Fähigkeiten in höchstem Maße unwissend waren.

„Null Ahnung?“, fragte er sie nachdrücklich. Birne und Mucks nickten verhalten. „Nun, ich denke, da muss ich wohl fairer Weise erst noch aufklärend tätig werden. Das bin ich euch offensichtlich jetzt schuldig!“

Hoo streckte dem ebenfalls staunenden, jungen Buntspecht seine geschmeidigen Wasserarme entgegen. „Ach, lieber Gechtur, sei doch bitte so lieb und hilf mir, dann komme ich mal eben zu euch rauf, ja?“

„Jaaaaahh!“, piepsten die Blattläuse laut. Ihre Baffgesichter verwandelten sich umgehend in freudiges Strahlen. Mit spontanem Händeklatschen untermauerten sie ihr Glücksgefühl.

„Klaro, das ist null Problem. Wusch, schon ist's geschehn!“, schnäbelte Gechtur. Hilfsbereit senkte er seine Schnabelspitze, damit Hoo sich daran festhalten konnte. Ruckzuck hievte er ihn soweit vom Wasser hoch, dass er auf Gechturs glattem, kräftigem Schnabel wie auf einer Rutsche hinuntersausen konnte.

„Fluuuutschsch!“, ließ Hoo sich abwärtsgleiten. Wie bestellt, kam er neben Birne und Mucks auf dem flauschigen Käppi zum Sitzen. Hoo staunte nicht schlecht. „Huuiiii, das ging aber flott. Und lustig war's auch. Ich danke dir, mein Freund!“

Sofort nahm Meister Verseschmied den günstigen Moment wahr, um ihn eindringlich daran zu erinnern, dass sie seit ihrem Abflug vom Apfelbaum nichts mehr zu sich genommen hatten. „Nichts zu danken, lieber Tropfen. Doch denk daran, wir müssen unsere Mäuler stopfen! Drum bitte, Hoo, fass dich recht kurz, ich spür's, in meinem Magen knurrt's!“

„Oh ja, Hoo, bitte, bitte! Wir nagen auch schon elendiglich am Hungertuch!“, flehten ihn die Blattläuse mit unmissverständlichen Hungergebärden an.

„Potz Eichenblatt und Käferlarve!“, dämmerte es Hoo. „Ihr seid ja alle voll hungrig! Wie rücksichtslos von mir! Nun gut, meine lieben Freunde, ich mach extra schnell. Währenddessen“, wandte er sich an Birne und Mucks, „möchte ich euch beiden gerne anbieten, mein frisch aufgenommenes Wasser zu kosten. So vermag ich euch nebenher Gutes zu tun und eure Hungergefühle wenigstens vorübergehend ein wenig zu lindern. Wollt ihr?“

Und ob sie wollten! Wie besessen krabbelten sie auf seinen glatten Bauch. Das gesunde, nährstoffreiche Wasser, das Hoo in winzigen Tröpfchen wieder aus seiner Bauchmulde fließen ließ, schmeckte diesmal ganz besonders. Viel besser noch als der eh schon himmlisch schmeckende, ursprüngliche Begrüßungstrunk.

Hoo musste nicht lange überlegen. Während Birne und Mucks begierig und mit Wonne ihren größten Durst löschen durften, ließ er seinen Erklärungen darüber, weshalb jeder gesunde Regentropfen nicht der akuten Gefahr des Ertrinkens ausgesetzt ist, schon mal gestenreich freien Lauf. Zudem gab er seinen winzigen Erdenfreunden einen vagen Einblick in das Wesen und Verhalten seines Elements, dem er als hochwertiger Regentropfen angehörte.

„Wie ihr ja wisst, bin ich ein lebensfroher, gesunder und wissensdurstiger Tropfen. Reines Wasser ist mein Element. Schwimmen und Tauchen sind Fähigkeiten, die allen Regentropfen, den Guten, wie auch den vermeintlich Bösen, angeboren sind. In gut temperiertem, gesundem Wasser halten wir uns bestens in Form und bringen uns immer wieder neu in Schwung, indem unsere Moleküle sich rasend untereinander austauschen. Und das in jeder Art von Gewässer! Sei's hier in dieser Tränke, in Quellwasser, einem Bächlein, einem Fluss, einem Strom, einem See, einem Teich, einem Brunnen, oder in den wunderbaren, salzhaltigen Meeren und Ozeanen. Wasser – die Quelle allen Lebens und das höchste Gut des Planeten Erde und seiner Bewohner – macht's möglich! Fließende Gewässer werden von uns natürlich bevorzugt, weil wir es schon seit Urzeiten lieben, ständig in Bewegung zu sein. Einer unserer besten Freunde zwischen Himmel und Erde – der Wind, aber auch frische Niederschläge – machen selbst stehende Gewässer für uns erträglich.

Die Schulen im Wolkenreich veranstalten laufend die wildesten Wasserpartys in eigens dafür geschaffenen, frei zugänglichen www-Räumen, wo wir unserem angeborenen Bewegungsdrang dynamisch und facettenreich nachkommen können. Darüber hinaus werden speziell auch die Eigenschaften des schnellen molekularen Austauschs durchgespielt und eifrig trainiert.“

„Wahnsinn, Hoo. Das ist irre!“, rief Mucks beeindruckt. Weil er nicht bedachte, dass er zu viele Wassertröpfchen in sein Mäulchen aufgesogen hatte, verschluckte er sich. Seine Augen wurden feucht, und er musste ein paar Mal kräftig husten. Birne klopfte ihm fürsorglich leicht auf den Rücken. Mit krächzenden Worten meinte er dann noch: „Danke, mein Birnchen, ist schon wieder okay.“ Noch einmal räusperte er sich. „Da muss es ja echt hoch hergehen!“

„Na, und ob!“, antwortete Hoo aus tiefstem Herzen. „Das sind absolute Spaß-Events. Höchst beliebt und immer ausgebucht! Da bilden sich im Bruchteil einer Sekunde die unterschiedlichsten Gruppierungen, bewegen sich wirbelartig durcheinander und lösen sich auf, um sich dann wieder neu anzuordnen. Eine Riesengaudi ist das! Wir Wasserwesen sind nun mal muntere Geschöpfe, sehr neugierig, verspielt und wandlungsfähig. Wo sonst kann man auf die Schnelle so viele Tropfen und Tröpfchen kennenlernen und noch dazu so beweglich bleiben?“

„Oho! Voll der chaotische Partnertausch, ähm, Tropfenwechsel, wie?“, rutschte Birne diese spitzfindige und zudem gänzlich unpassende Bemerkung von der Zunge. Sie errötete leicht, fand aber gleich wieder zum Thema zurück.

„Also, nun mal im Ernst, lieber Hoo. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das so 'ne Art gemeinschaftliches Überlebenstraining, oder? Ich meine, für euch Regentropfen besteht doch die einzige Bestimmung darin, irgendwann einmal auf die Erde zu regnen. Seid ihr dann hier eingetrudelt, erhöhen diese olympisch anmutenden Vorbereitungsspiele – wohlweislich zur Stärkung eurer Widerstandskraft gedacht – somit eure Chancen zu überleben, da ihr ja gar nicht wissen könnt, wo auf der Erde ihr landen werdet? Das kann doch überall sein! Im Trockenen, wie im Nassen! Kurzum: Ihr müsst also schleunigst zusehen, möglichst rasch wieder mit eurem Element, dem Wasser, in Kontakt zu kommen. Sehe ich das so richtig?“

„Voll korrekt, liebe Birne, meine Hochachtung!“, bestätigte Hoo ihre hervorragende Denkarbeit. Humorvoll fügte er noch hinzu: „Hey, Mucks, dein süßes Weibchen ist echt 'ne Superbirne!“

„Ähem, das will ich meinen!“, räusperte sich Mucks mit funkelnden Augen. Verliebt und stolz schaute er sein Birnchen an. Die grinste läusisch, blinzelte kurz und klapperte kaum hörbar mit ihren winzigen, blend-a-med-weißen Beißerchen.

Hoo lachte kurz auf. Daraufhin jedoch wirkten seine Gesichtszüge für einen Moment wie erstarrt. Er schlug einen ernsthafteren Ton an und setzte seine Aufklärungsarbeit zu dem heiklen Thema fort. „Leider, liebe Freunde, gibt es eine drastische Kehrseite der Medaille. Die Realität, hier auf der schon ziemlich dicht von der Spezies Mensch bevölkerten Erde, sieht für uns Wasserwesen oft und in vielerlei Hinsicht wenig erfreulich aus. Erinnert ihr euch noch an meine Geschichte, als ich euch von den kranken und kraftlosen Regentropfen erzählte, mit denen ich vor dem eckigen, weißen Schleusenportal zusammenstand und darauf wartete, in die Eiskammer eingelassen zu werden?“

„Oh ja, wir erinnern uns, natürlich!“, piepste Birne mit trinkfeuchten Lippen. Beide nickten. „Du, ähm, musstest ein voll krasses Missverständnis einfach so hinnehmen, Hoo!“

„Dem Hagelflieger sei Dank wurdest du gerettet!“, fügte Mucks wissend hinzu.

Hoo schnaufte tief durch. „Zum Glück! – Und Dank dem Globalen Wettermeister, der meine Bittgebete erhört hat! Doch das, ihr lieben Läuse, habe ich damit nicht gemeint.“

Nun brachte er das Thema ‚Ertrinken‘ auf den Punkt. „Geraten also gesunde Wasser- oder Regentropfen, wie es eben jenen vor dem Eiskammerportal wartenden passiert war, in irdische, gestörte Wasserkreisläufe, in Gewässer mit einer überproportionalen Anzahl schon erkrankter Regentropfen, oder schlimmer noch, kommen sie in Berührung mit Giftstoffen, Industriemüll, Pestiziden, Chemikalien, Mikroverunreinigungsrückständen und dergleichen mehr, besteht die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass die Selbstreinigungskräfte immer weiter versiegen. Dieser mehr oder weniger lange Prozess der Schwächung würden folglich, über vielerlei Krankheiten hinweg, fatale Folgen nach sich ziehen – auch global! Wasserwesen können sich nur in Bewegung entfalten. Unaufhörlich verlören ehemals gesunde Regentropfen ihre Beweglichkeit und allerletzten Endes sogar ihr Leben – und das, meine lieben Freunde, verstehen wir unter Ertrinken!“ Hoo ließ das schreckliche Wort in der Luft hängen und legte eine Sprechpause ein.

Birne und Mucks blieb erstmal die Spucke weg. Gechtur hockte ruhig da. Ab und zu nahm er einen tüchtigen Schluck des köstlichen Wassers aus der Tränke auf. Er wunderte sich allmählich immer mehr über den bedeutungsvollen Smalltalk, der sich da auf seinem fluffigen Käppi topkurz entsponnen hatte und sich nun merklich in die Länge zog. Doch er blieb gelassen und mischte sich nicht ein. Noch nicht! Der Dauerplausch seiner drei Gäste amüsierte ihn. Zudem fand er Hoos Aufklärungsarbeit, seine Ansichten und Einsichten über die Substanz ‚Wasser‘ hochinteressant und sehr lehrreich.

„So gesehen“, erklärte Hoo weiter, „wäre es natürlich besser, schnurstracks in ein intaktes Flusswasser oder ohne Umwege gleich in ein Meer zu platschen. Die Regentropfen, denen solches widerfährt, dürfen sich wahrhaft glücklich schätzen. Hingegen müssen sich die unzähligen anderen Tropfen mit dem Gedanken anfreunden, dass ihnen in mancherlei Situation das Wasser sprichwörtlich bis zum Halse stehen könnte! Jeder einzelne Tropfen kann in so einen einzigartigen, oft unendlichen Strudel von unvorhersehbaren, ja geradezu abenteuerlichen und lebensbedrohlichen Ereignissen, oder in ein Wasserschädigendes Umfeld geraten. Bis diejenigen Tropfen dann auf unterirdischen, verschlungenen Transportpfaden oder wie auch immer in den kurzfristigen Wasserkreislauf zurückgelangt sind, da kann schon allerhand passieren.“

„Kurzfristiger Wasserkreislauf?“, grübelte Mucks und kratzte sich am Köpfchen. „Willst du da nicht auch hin, Hoo?“

„Na, klar will ich da hin!“, antwortete Hoo erregt. Seine himmelblauen Augen leuchteten. „Wenn wir mal meinen Fall betrachten, so gehöre ich ja zu den zahlreichen Tropfen, die nicht dem Schnorchel nach in ein fließendes Gewässer oder – ach, wie wunderbar wäre es gewesen – direkt ins Meer gefallen sind. Stattdessen bin ich ja, samt meinen hochfliegenden Wunschträumen, erstmal ordentlich baden gegangen!“

Hoo lachte hellauf los. Seine letzte Äußerung fand er ausgesprochen ulkig! Birne und Mucks, die ja immer noch auf seinem Bauch hockten, wurden während seines überraschenden Lachanfalls regelrecht durchgerüttelt.

Waren es Tränen der Freude? Oder waren es Tränen der Betrübnis, die dabei aus seinen Augen kullerten? Große Gefühle, die nur er zu empfinden vermochte, bewegten seine zartsinnige Seele. Es dauerte eine ganze Weile, bis sein verrücktes Lachen letztendlich mit leichtem Schluchzen abebbte und er seine Selbstbeherrschung wiederfand.

„Hast du dich wieder eingekriegt, lieber Hoo? Bist du okay?“, wagten Birne und Mucks sich vorsichtshalber nach seinem werten Befinden zu erkundigen.

Hoo nickte ruhig und wischte über seine feuchten Augen. „Alles bestens, liebe Läuse. Danke für euer Verständnis und der Nachfrage – und entschuldigt bitte, aber ich denke, das musste einfach mal raus!“

„Gut so!“, piepsten die Blattläuse erleichtert. Gechtur kixte.

Hoo erzählte weiter.

„Also, wie ihr es ja selbst mitbekommen habt, bin ich mit Ach und Krach voll daneben geplumpst und auf eurem Apfelbaum gelandet. Doch, wenn ich's mir im Nachhinein genauer überlege, bin ich sogar froh darüber. Ja! Ich bin froh, dass es so gekommen ist. Wie hätte ich euch lieben Tierchen sonst kennenlernen können? Ein bisschen mehr zu erleben als so manch andere Regentropfen, hat gewiss auch seinen Reiz. Vielleicht erfüllt das Ganze doch einen tieferen Sinn?“

Hoo geriet ins Grübeln. Urplötzlich zog sich eine starke Falte senkrecht über seine Stirn. Er musste wieder an diesen anscheinend mysteriösen Blackout, den verronnenen Traum und die rätselhafte Gedächtnislücke in seinem Kopfe denken, die ihm seit jenem Tag des Aufweckens aus dem Tiefschlaf auf seinem Wolkenkissen keine Ruhe mehr ließ. Dadurch lief sein junges Tropfenleben Knall auf Fall in eine andere Richtung, ja, bekam eine völlig neue, ungeahnte Dimension! Blitzartig verdrängte er das aufkommende Trübsal und sagte: „Jedenfalls fühle ich mich nach diesem erfrischenden, heilsamen Wellnessbad in der Tränke so ultrafit regeneriert wie noch nie zuvor in meinem Leben!“

„Spitzenklasse, Hoo!“, piepste Birne. „Du hast die richtige Einstellung. Ähm, mit deiner Power, und einer gehörigen Portion Glück, schaffst du es ganz sicher, ans Meer zu kommen. Davon bin ich fest überzeugt!“

„Alles eine Sache des Standpunkts!“, bemerkte Mucks trocken. „Ehrlich gesagt, wäre mir das alles viel zu gefährlich! Na ja“, seufzte er mit gesenktem Köpfchen und sichtlich bedrückt, „ich bin halt kein Supertropfen, so wie du einer bist, Hoo. Ich bin halt nur eine kleine, einfältige, ängstliche, armselige, spießige, nörgelnde, saugende und verfressene grüne Blattlaus!“

„Mucks, aber nein, nein, nein! Ich hör' wohl nicht recht? Was redest du denn für dummes Zeug?“, widersprach ihm Birne energisch. Sie drückte ihren treuen Läusegatten herzhaft an sich – ein kleines grünes Knäuel Verliebtheit! – und bestärkte ihn mit den Worten: „Das bist du ganz und gar nicht! Du bist mein mutiger, begehrenswerter, süßer, allerliebster Mucksischatz! Und das soll auch immer so bleiben, jawohl!“ Leidenschaftlich küsste sie ihn auf Wangen, Näschen und Mund. „Und ich hab dich zum Fressen gern!“

„Mmmmhh, das tut sooo gut, mein Birnchen“, hauchte er ihr liebevoll ins Ohr. Ihm hatten nur ein paar Streicheleinheiten und das Geknuddelt werden gefehlt. „Ich hab dich auch zum Anbeißen lieb.“ Zärtlich knabberte er an ihrem ach so winzigen Ohrläppchen herum.

„Trrrrrrr!“ Mit einem leicht erschütternden Kurzwirbel, den Gechtur auf die steinerne Umrandung trommelte, erregte er jetzt volle Aufmerksamkeit. Er hatte der längst nicht mehr kurzen, sondern eher ausschweifenden ‚Wissen macht Ahhh!‘-Unterhaltung seiner witzigen Passagiere lange genug gelauscht. Ungeduldig mischte er sich ein und drängte darauf, dass das Blatt sich nun schnell wende.

„Fressen! Wohl hab das Stichwort ich vernommen, mein Magen drückt schon wie beklommen! Schnell müssen wir jetzt Fressen was, sonst macht der Weiterflug null Spaß. Die Party-Time rückt immer näher, von fern rätscht's schon Freund Eichelhäher. Nicht länger dürfen wir verweilen, die Dunkelheit wird sich beeilen. Nun sei's getrommelt und gekixt, fast hätt' die Zeit uns ausgetrickst.“

„Ja, ja! Fressen! Saugen! Fressen!“, piepste Birne zappelig. Sie legte ihre Händchen auf ihr sich leer anfühlendes Bäuchlein und klapperte mit ihren Beißerchen.

„Allerdings! Da wäre ich jetzt auch dafür!“ stimmte Mucks seiner Birne und Gechtur zu. Ihre Mägen knurrten. In Hoos blaue Augen guckend, fügte er an: „Ist ziemlich notwendig!“

„Verehrter guter Specht, meine lieben Läuse, ihr habt ja so Recht!“, antwortete Hoo einsichtig. Höflich bedeutete er Birne und Mucks, von seinem Bauch zu krabbeln. Sodann erhob er sich flink von seinem warmen, weich gefiederten Platz. Gehörig entschuldigte er sich bei allen für seinen drängenden, wahrlich nicht aufdringlich gemeinten Redefluss.

„Nun denn, so will ich euch nicht länger aufhalten, damit ihr euren übermächtigen Kohldampf endlich stillen könnt. Da oben in der ehrwürdigen Eiche“ – Hoo deutete beiläufig zu dem uralten, stattlichen Baumriesen hinauf – „erwarten euch bestimmt leckere Appetithäppchen.“

Er war schon im Begriff an den Rand des Käppis zu latschen, um ins wohlige Nass der Tränke zurückzuhüpfen, als ihm doch noch eine kleine, ihn persönlich betreffende Kuriosität einfiel.

„Halt!“, rief er, blieb abrupt stehen und drehte sich fragend zu den Blattläusen um. „Nur eins noch, liebe Freunde! Gestattet mir bitte noch eine letzte, persönliche Frage!“

„Ähm, ja? Was ist denn, Hoo?“, piepste Birne. Voll der Neugier schauten alle drei ihn an.

„Ach, ich wollte eigentlich nur wissen, ob euch die ganze Zeit über, die wir seit meinem Auftauchen aus der Tränke miteinander geplaudert haben, nichts Besonderes an mir aufgefallen ist?“

„Etwas Besonderes an dir aufgefallen?“, piepsten Birne und Mucks. Da ihnen im Moment nichts Erwähnenswertes dazu einfiel, zuckten sie nur still mit den Achseln. Gechturs Schnabel blieb diesbezüglich auch zugeklappt. Keiner von ihnen hatte eine Vorstellung davon, worauf Hoo hinauswollte. So ließ er des Rätsels Lösung aus dem Sack.

„Ich bin sprachlos, meine lieben Freunde! Habt ihr denn wirklich nicht bemerkt, dass die kurzen Sprechpausen, die ich sonst immer mit ‚äh‘ überbrücken musste, ganz und gar verschwunden sind?“

„Ahh ja, stimmt. Tatsächlich!“, stieß Birne verblüfft hervor. „Jetzt, wo du es sagst. Wow! – Das ist cool!“

„Aha. Gibt's nicht!“, sagte Mucks bass erstaunt. „Wie bist du das denn losgeworden?“

„Gigigig, vielleicht mit einem Zaubertrick?“ kixte Gechtur fraglustig hinterdrein.

„Ha, ha, ha, ha“, lachte Hoo aus vollem Hals. „Damit liegst du gar nicht mal so daneben, lieber Gechtur. Doch es ist viel besser als ein Zauberkunststück. Viel, viel besser. Wenn ihr wollt, erzähle ich es euch? Dauert auch gar nicht lange!“

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass allen Dreien daran gelegen war, dies sogleich zu erfahren, setzte er sich nochmal hin, um ihnen auch dieses sehr erfreuliche Wunder, das ihm widerfahren war, nicht vorzuenthalten.

„Na, ich will's mal als eine günstige Fügung des Schicksals betrachten. Ganz sicher habe ich das der besonderen Zusammensetzung des Wassers, da, in der Tränke, oder besser gesagt, der uralten Eiche zu verdanken.“

Erfüllt von tiefer Dankbarkeit, schaute er dabei zuerst auf das dunkle, heilkräftige Wasser, dann zur imposanten Eiche hinauf. Wie ein schützendes Geflecht verzweigte sie in einiger Höhe würdevoll ihre knorrigen, starken Äste über das weit aus dem Erdreich hervortretende Wurzelwerk.

Zwischen den ovalen, kurvig eingeschnittenen Blättern hingen, in Zweier- und Dreiergruppen vereint, viele Eichelfrüchte an ihren Stielen. Komisch aussehend, wie knapp zwei Zentimeter große, einheitlich braune, eiförmige Männchen oder Weibchen, mit becherförmigen, grünlichbraunen Hütchen auf ihrem Kopf, hatte es den Anschein, als würden sie sich alle untereinander verständigen können. Immer dann, wenn ein sanfter Windhauch die Blätter berührte, durchdrang ein geheimnisvolles Lispeln den gesamten Blätterschirm. Ab und an – insbesondere bei stärkeren Winden – geschah es dann, dass sich Eichelfrüchte lösten, wobei so manches dieser Früchtchen auch ins Bassin der unter dem altehrwürdigen Baum platzierten Viehtränke fiel.

„Es ist nämlich so“, fuhr Hoo ehrfürchtig fort, „wenn sich der Gehalt an speziellen Wirkstoffen, welche Eichenblätter und in höherer Konzentration auch Eichelfrüchte enthalten, mit reinem Regenwasser vermengt, ergibt diese Flüssigkeit ein höchst wirksames Heilgetränk. Und sogar noch mehr! Wem sich wie mir, der ich ein lebensbejahender und bewegungsfreudiger Regentropfen bin, in naturgegebener Weise die Möglichkeit bietet, darin zu baden, einzutauchen, spiralförmige Strudel zu bilden und auch reichlich davon zu trinken, dem werden besonders regenerierende Kräfte, schöpferische Energien, jugendliche Spannkraft und Redegewandtheit zuteil. So hat dieses Elixier auch meine kleine Sprachstörung auf wahrlich wundersame Weise bereinigt.“

Als Gechtur dies hörte, kixte er voller Entzücken in die Runde: „Oh, Wunder! Ach, wie ich mich freu, schon lange trink ich dies Gebräu. Oft, wenn ich mich dran erquicke, hält die Dichtkunst mich im Bann. Füllt so manch Gedächtnislücke – oh, wie bin ich angetan!“

„Hach, was für ein Genuss müsste es sein, darin ein Bad zu nehmen“, schwärmte Birne etwas entrückt. Wie berauscht wisperte sie: „Komm Mucks, wir rutschen auf Gechturs Schnabel hinein, ja?“ – und schon wollte sie sich spornstreichs auf den Weg machen.

„Birne, liebste Birne, bist du nicht ganz bei Sinnen?“, tadelte Mucks. Er umklammerte sie fest, um sie von dieser Torheit abzuhalten. Heftig rüttelte er sie aus ihrem unerklärlichen, tranceähnlichen Zustand. „Oh, lieber Schatz, entschuldige bitte, aber was ist denn plötzlich in dich gefahren? Wir zwei können doch gar nicht schwimmen!“

„Ach nein? Nicht schwimmen? Wirklich nicht?“, murmelte Birne. Sie taumelte kraftlos in Mucks' Armen, als hätte sie einen leichten Schwächeanfall. Traurig und sehr hungrig senkte sie ihr Köpfchen und schmollte. „Wie schade, das ist sehr sehr schade!“

„Dafür ist es uns aber vergönnt, gleich schmackhafte Eichenblätter zu knabbern“, flüsterte ihr Mucks Trost spendend zu. „Das hat uns der liebe Gechtur ganz fest versprochen, hörst du?“ Damit traf Mucks den Nagel auf den Kopf. Es war völlig klar, dass ihr eigenwilliges Benehmen darauf zurückzuführen war, dass sie schrecklichen Hunger verspürte.

„Aber ja, super! Fressen! Fressen, knabbern, saugen!“ Birne befreite sich aus Mucks' fürsorglichen Armen und hopste vor Freude in die Luft. Sie schüttelte sich, war gleich wieder versöhnt und bei der Sache. „Wie so ein Eichenblatt wohl schmeckt? Ich bin schon so gespannt!“ An Hoo stellte sie die Frage: “Vielleicht kriegen wir dann auch etwas von den himmlischen Wirkstoffen ab? Nur ein Bisselchen?“

„Schon möglich, liebe Birne. Ich wünsche es euch von Herzen“, antwortete Hoo zuversichtlich. „Auf alle Fälle ist die Flüssigkeit, von der ihr ja nun schon ein wenig gekostet habt, ein Geschenk des Himmels! Wir Regentropfen nennen solch besondere Wasserqualitäten, die sich meist an magischen Orten befinden, ‚Regenerationswässerchen‘. Sich das Wissen darüber anzueignen ist Teil der in den Wolkenschulen stattfindenden Wasserpartys und gehört zum allgemeinen Lehr- und, äh, Lernprogramm. Oh! Da ist mir doch noch eine Gesprächspartikel rausgerutscht!“

Mit diesem sprachlich bedeutungslosen Miniausrutscher brachte Hoo alle zum Lachen. Das fanden sie echt lustig. „Na und? Kann ja mal vorkommen. Ist doch völlig normal. Nobody is perfect – und Energie verbraucht sich“, brummelte Hoo humorvoll. Flink sprang er auf seine Füße und beendete somit den Talk auf Gechturs knallrotem Käppi.

„Nun, Kameraden, was sein muss, muss sein! Ich denke, da sollte ich doch noch mal nachhelfen. Mir noch mehr von diesem exquisiten Wasser-Eichel-Mix zuzuführen, kann ja nur gut sein! Also, dann passt mal auf!“

Ohne langes Zögern hüpfte er mit einem mordsmäßigen Salto hinab ins Bassin, sodass es ordentlich spritzte. Birne, Mucks und auch Gechtur, zeigten sich verblüfft über die enorme Sprungkraft, die Hoo jetzt an den Tag legte. Staunend blieben ihnen der Mund, respektive der Schnabel, offenstehen.

Kaum war Hoo wieder aufgetaucht, schwamm er so irre schnell im Kreis herum, dass sich ein kleiner Strudel bildete. Durch die so entstandene, spiralförmige und rhythmisch pulsierende Sogwirkung ließ er sich plötzlich in die Mitte driften. Dort drehte er sich pirouettenartig mit, bis die Wasserverwirbelung langsam wieder zum Stillstand kam.

„Na, hat euch das gefallen?“, prustete er ihnen fragend und mit klopfendem Herzen zu.

„Jaaahh!“, tönten drei begeisterte Stimmen. Birne und Mucks klatschten eifrig Beifall. Gechtur ließ anerkennend einen gellenden Pfiff ertönen.

„Allererste Sahne!“, rief Mucks mit erhobenem Däumchen.

„Uiuiui! Da wird einem allein schon vom Zuschauen schwindlig!“, meinte Birne und wackelte mit ihrem Köpfchen.

„Voll krass! Ein toller Spaß, im frischen Nass!“, setzte Gechtur Hoos Darbietung in gewohnt dichterischer Weise noch eins drauf.

„Danke für die Anerkennung, Freunde“, entgegnete ihnen Hoo gut aufgelegt. „Damit will ich natürlich keine Lorbeeren ernten. Durch so eine rotierende, kühlende Energiespirale halte ich mich lediglich in Form. So fühle ich mich jung, sportiv und bleibe wassersportlich fit!“

„Wie sagte schon Schillers Wilhelm Till? Früh übt sich, was ein Meister werden will!“, reimte Gechtur, ein schelmisches Blitzen in seinen Augen.

„Aber hallo, lieber Gechtur? Du bist literarisch auf Zack!“, äußerte sich Hoo respektvoll, gefolgt von einem kurzen, heiteren Lachen. Ihm war klar, dass der Jungspecht Wilhelm Tells Namensgebung aus dem gleichnamigen Drama von Friedrich Schiller nur deshalb so lustig vorgetragen hatte, damit es sich auch reimte.

Hoo selbst hatte sich in der Wolkenschule darüber schlau gemacht. Im www-Raum ‚Weltnaturerbe – Weltkulturerbe – Weltliteraturerbe‘, in welchem er des Öfteren verweilte, konnte sich jeder Tropfen Wissenswertes über die drei höchst umfänglichen Themenbereiche vermitteln lassen und sich darin vertiefen.

Als ihm plötzlich bewusst wurde, dass die Zeit schon wieder im Sauseschritt den Bach runtergegangen war, plagte ihn ein schlechtes Gewissen. Wieder hatten sie sich durch seine Redseligkeit verplaudert! So spornte er jetzt seine drei hungrigen Freunde entschuldigend und entschlossen an. „So, genug gequatscht! Tut mir aufrichtig leid für die nochmalige durch mich verursachte Verzögerung, liebe Freunde, verzeiht mir bitte. Nun ist es aber wirklich allerhöchste Wasserbahn! Ab mit euch zum Fressen fassen!“

„Jaaahh! Fressen! Fressen! Saugen! Saugen! Es ist soweit!“, piepste Birne. Ihre Äuglein leuchteten malachitgrün. Beide legten sie die Händchen auf ihre Bäuche. Überdeutlich verspürten sie, wie ihre Mägen schon heftig rebellierten.

„Freunde, ich werde hier auf euch warten. Holt mich bitte nach eurer Jause, wie versprochen, wieder ab, ja?“

Hoo winkte ihnen fröhlich zu. Er fühlte sich, umgeben von so gesundem Wasser und den liebenswerten Gefährten, rundum glücklich und zufrieden. Mit einem seiner coolen Sprüche verabschiedete er sie: „See you, when you see me! Ich wünsche euch wohl zu speisen!“

Birne und Mucks winkten zu ihm zurück, krabbelten dann schnell in die Mitte des Käppis und hielten sich sorgfältig im flauschigen Gefieder fest.

„Kix-Kix-Kix!“, stieß Gechtur gleich dreimal laut aus. Er freute sich auf die leckeren Insektenhappen, die, wie er wusste, auf dem Eichenstamm und unter der rissigen Borke stets reichlich zu finden waren.

„Ein halbes Stündchen wird uns wohl genügen, lieber Tropfen. Sind wir dann wieder hier, so werd' ich lautstark nach dir klopfen!“

Winkend und seine Deckfedern schüttelnd, breitete er seine weiß gestreiften Flügel aus. Mit seinen niedlichen Freunden flog er weit hinauf ins dichte Blätterwerk. Dort setzte er das Läusepärchen auf einem großen, würzig riechenden Eichenblatt ab. Da sie ihren mächtigen Hunger nicht mehr zügeln konnten, begannen sie fresslustig daran zu knabbern, zu saugen und zu mampfen.

„Mmmmhh, sooo lecker!“ ... „Sehr bekömmlich!“ ... „Leicht verdaulich!“ ... „Toller Geschmack!“ ... „Super knackig!“, hörte Gechtur sie zwischendurch noch nuscheln.

Gechtur selbst kletterte auf der Suche nach allerlei Insekten emsig am massiven Baumstamm, der von dicker, borkiger Rinde ummantelt war, rundherum und rauf und runter. Immer wieder gab er sich durch kräftiges Pochen und Hämmern zu erkennen.

So führten sich Gechtur, Birne und Mucks ausreichend Nahrung zu. Nach ihrem unbeabsichtigt langen Zwischenaufenthalt, unten an der Tränke, war dies auch eine dringende Notwendigkeit.


HOO HATTE IHNEN NOCH GLÜCKSELIG NACHGEGUCKT. Kaum allein tauchte er ab und verbrachte einige wohlige Minuten unter Wasser. Dann, nachdem er seine ‚Batterien‘ mit extrafrischer Wasserenergie gefüllt hatte, erzeugte er noch einmal eine sich rasant drehende Energiespirale, die wiederum seiner Fitness zugutekam. Jetzt ließ er sich besinnlich und heiteren Gemüts auf der duftenden Wasseroberfläche treiben.

Hoo nutzte die verbleibende Zeit mit stillem Schauen. Wie schon im knorrigen Apfelbaum, so gab es für ihn sicherlich auch hier, unter der Krone der uralten, ehrwürdigen Eichenbaumriesin, so manches Neue und Interessante zu entdecken.

Da Regentropfen wahre Gedächtniskünstler sind, kam ihm dabei eine aufschlussreiche Vorlesung über ‚Baumarten und ihre Eigenschaften‘ in den Sinn, die er sich seinerzeit im stets gut besuchten www-Raum ‚Wasser – Wüsten – Wälder‘ angeguckt hatte. Der robusten Eiche galt damals sein besonderes Interesse. Er erinnerte sich genau an den Wortlaut des ausgewiesenen Meistertropfens, Experten und Referatsleiters namens Hans Baumwälder: „Die Eiche zeichnet sich durch überaus imponierende, erdige Charakterzüge wie Stabilität und Beständigkeit aus, wenn es um Dinge wie Erfolg, Macht, Ausdauer und Treue geht. Aufgrund ihrer gewaltigen Kraft und ihrer langen Lebensspanne – sie kann durchaus über Tausend Jahre alt werden – ist sie der Schutzbaum schlechthin. Ihre ganze Aufmerksamkeit widmet sie den Bereichen Gesundheit, Wohlstand, Heilung, Stärke, Fruchtbarkeit, Würde, Individualität und Glück. Wer nach einer längeren Krankheit nur Energie schöpfen möchte, ist bei der ‚Königin der Bäume‘ stets willkommen. Ganz bestimmte Tierarten, unscheinbare, aber auch extravagante, zieht die stets Licht bevorzugende, gastfreundliche Eiche magisch an.“

In der oberen Etage des königlichen Baumes, in einer Astgabel in Stammnähe, erkannte Hoo das aus abgenagten Zweigen und welken Blättern bestehende Nest eines Eichhörnchens. Da! Da war es auch schon! Flink kletterte es den dicken, dunkelbraunen Stamm hinauf. Flugs war es in seinen mit Gräsern und Moosen ausgepolsterten Kobel gekrochen, den es nicht nur zum Schlafen, sondern auch als Nahrungsdepot für Eichelfrüchte benutzte. Nur kurze Zeit später kam das schwarzbraun gefärbte Fellbüschel wieder zum Vorschein. Schnell sprang und balancierte der Eichenbaumuntermieter auf den Ästen umher, wobei es seinen buschigen Schwanz als Steuer gebrauchte. Dann sauste das quirlige Eichhörnchen eiligst am knorrigen Baumstamm abwärts und entschwand aus seinem Blickfeld.

Einen Moment nur schaute Hoo dem Herabtorkeln eines Eichenblattes zu, da tauchte das kleine Säugetier plötzlich, wie aus dem Nichts, wieder auf. Mit einem gewaltigen Satz war es von einem Stammausläufer des fest verwurzelten Methusalems auf die Umrandung der Tränke gesprungen. Hoo hatte sich derart erschrocken, dass er schon wegtauchen wollte. Sein Verstand aber sagte ihm, dass das emsige Waldtier ihm gar nicht gefährlich werden konnte, solange er sich entfernt genug von ihm aufhielt. Da er ziemlich in der Mitte des Bassins schwamm, sich im Schutze seines Elements kaum von der Wasserfläche abhob und zudem ruhig verhielt, hatte er also nichts zu befürchten.

„Tschuk-Tschuk-Tschuk“, rief es mit spitzem Stakkato-Ton. Ruckartig, immer hellhörig die Puschelohren gespitzt und mit wachsamen Augen, schlich es sich ein Stückchen auf der Umrandung entlang. Dann endlich, als hätte es ein Weilchen Zeit zur Muße gefunden, senkte das Eichhörnchen durstig seinen Kopf, um sich der notwendigen und erfrischenden Flüssigkeitszufuhr zu widmen.

Kaum Wasser zu sich genommen, richtete es sich sichernd, ständige Gefahr witternd, blitzschnell wieder auf. In ‚Männchenstellung‘ sitzend, den buschigen Schwanz hinten am Rücken angelegt, verharrte es so still, bewegungslos und mit starrem Blick, als wäre es das ausgestopfte Exemplar eines Tierpräparators. Wunderschön konnte Hoo in diesem Moment das weiße Fell auf der Bauchseite des kletter- und springfreudigen Nüssenagers erkennen. Ein kurzes Knistern und Knacken sowie das plötzlich schrille Gerätsche eines heranfliegenden Eichelhähers genügten, und das tagaktive Eichhörnchen sprintete fluchtartig davon.

Übergangslos erregte das auffällige, heisere Gekreische des Eichelhähers Hoos Aufmerksamkeit. Der große, farbenprächtige Singvogel hatte sich ganz in der Nähe von Gechtur im Eichenbaum eingefunden. Seine schwarz-weiß-blauen Federchen auf rotbraunem Rumpf waren beim Anflug deutlich zu erkennen gewesen. Guter Sichtkontakt durch das üppige Spätsommergrün der Eichenblätter war nur eingeschränkt möglich. So konnte Hoo zwar ihre Stimmen hören, doch verstehen, worüber der kluge Eichelfrüchteliebhaber sich mit Jungspecht Gechtur so lange und aufs Anregendste unterhielt, das gelang ihm nicht. Das Gerätsche und Gekixe der beiden Vögel blieben der Entfernung wegen undeutlich im dichten Blattwerk hängen.

Könnte es sein, dass dies Glandar, Gechturs bester Vogelfreund ist? Hört sich ganz danach an! Derlei Gedanken flossen Hoo durch den Kopf. Noch bevor der Buntspecht ihnen im Apfelbaum seine Einladung zum Vollmondfest entboten hatte, brachte er seinen geschäftigen Kameraden und dessen vielseitigen Aufgaben ins Gespräch. Wohl schon bald, so erhoffte sich Hoo, würden er und seine Blattlausfreunde den topaktiven, furchtlosen Waldvogel kennenlernen.

Neben der Plauderei mit Gechtur bereitete es dem Eichelhäher offensichtlich Spaß, an den Stielen der nährstoffreichen Eichelfrüchte herumzuzupfen. Zwei oder drei der wohlschmeckenden Eicheln hatte er sich in den Schnabel gestopft, wohlweislich als Reiseproviant gedacht. Dann flog er mit wiederholenden „Schrräh“-Lauten wieder von dannen, wobei Hoo ihn noch einmal kurz zu Gesicht bekommen hatte.

Von hoch oben aus der Krone kam in rasanter Geschwindigkeit etwas ganz anderes angeflogen. Durch das Herumzupfen des Eichelhähers an seinen Lieblingsfrüchten hatte sich im Nachhinein ein Eichelpärchen samt Stiel von einem dünnen Ast gelöst. Auf Äste klackend und zwischen Blättern hindurchfallend, bahnte sich die Zwillingseichel ihren Weg in Richtung Boden. Die letzten Meter Luftlinie sauste sie unaufhaltsam wie ein kleines Geschoss herab und platschte gefährlich nah neben Hoo in die Mitte des Bassins. Eine schlanke Wassersäule türmte sich kurz auf. Mehrere Tropfen hüpften zentimeterweit hoch. Durch den Aufprall kräuselte sich die Wasseroberfläche. Eine mehrfache Wellenbewegung breitete sich ringförmig aus und schwappte, allmählich sanfter werdend, an den Rand der Tränke.

Hoo ließ sich geschockt auf den Wellen treiben. „Oha, das war aber verdammt knapp!“, wetterte er leise, heilfroh darüber, nicht getroffen worden zu sein. In gleichem Maße wie die Oberfläche des Wassers sich beruhigte, erholte sich auch Hoo von seinem flüchtigen Schreck. Um die Wartezeit auf seine Freunde zu verkürzen, bereitete es ihm bewegungsfreudiges Vergnügen, das auf der Wasseroberfläche schwimmende Eichelpärchen mit stetig erzeugten Miniwellen bis an den Rand des Beckens zu schaukeln.


NUR NOCH WENIGE MINUTEN VERSTRICHEN, bis Hoo den gesättigten Specht, mit Birne und Mucks im Gepäck, zur Tränke heranfliegen sah. Was den Weiterflug betraf – er war dafür gerüstet.

Kaum hatte Gechtur am Beckenrand aufgesetzt, krabbelten die Blattläuse von ihrem kuscheligen Sitzplatz zum Käppirand. Sie winkten und hielten nach ihrem Regentropfenfreund Ausschau. „Hoo! Hoo!“, riefen sie piepsstimmig. Ein lautes Klopfen, wie Gechtur es eigentlich vorgehabt hätte, war jedenfalls nicht mehr nötig, denn Hoo schickte ihnen bereits begrüßende Worte aus dem wohligen Wasser entgegen.

„Hallo, ihr drei Hübschen. Schön, euch wieder zu sehen. Ich habe euch schon sehnlichst erwartet!“ Er musterte sie mit großen Augen. „Gut seht ihr aus, liebe Läuse. So glücklich, in frischem Grün und satt gefressen. Ist wohl völlig überflüssig zu fragen, ob euch der Eichenblattgeschmack überzeugt hat – ich seh's euch an den Nasenspitzen an!“

„Stimmt, lieber Hoo, das kann man wohl so sagen!“, piepste Birne vollauf begeistert. Sie kaute immer noch auf einem Reststückchen Eichenblatt herum. „Voll geiler Geschmack. Wir haben vorzüglich gespeist, nicht wahr, Mucks?“

„Fein, sehr delikat, diese Eichenblätter. Ein prima Leckerbissen“, stimmte Mucks mit wohlbefindlichem Kopfnicken zu. „Ich hab sogar das Gefühl, dass die Inhaltsstoffe der Blätter tatsächlich ihre Wirkung entfalten. Gell, Birne, wir fühlen uns richtig frisch in unserer Haut. Fröhlich und fidel, nicht lausig lasch, vielmehr putzmunter und gut drauf!“

„Oh ja, uns könnte es gar nicht besser gehen“, schwärmte Birne. „Eichenblattsalat könnte ich mir durchaus als unser allerliebstes Leibgericht vorstellen. Hach! Ich könnte fressen, saugen, fressen, saugen – mmmhh!“

„So ist es, mein Birnchen! Ich selbst kann dies nur unterstreichen. Nie zuvor hab ich in so was Leckeres gebissen. Ich hab immer noch den würzigen Geschmack auf der Zunge. Wenn ich nur daran denke, läuft mir der Saft im Munde zusammen“, gelüstete auch Mucks danach. „Hoo, wir sind schon am Überlegen, ob wir nach der Vollmondparty vielleicht hierher zurückkehren sollten. Ein Baumwechsel wäre, von unserer Seite aus gesehen, problemlos möglich.“

„Ja, das wäre supercool! Unseren wunderbaren Apfelbaum mit seinen köstlichen Blättern und dem leckeren Apfelsaft behalten wir natürlich in ewiger Erinnerung!", piepste Birne, als wäre definitiv alles schon geregelt. Sie fühlte sich so richtig in Aufbruchstimmung.

„Das sowieso, liebe Birne“, stimmte Mucks ihr nachdenklich, ja fast schon ein wenig melancholisch bei. Sanft streichelte er ihr über den Rücken. An Hoo gewandt, ließ er schließlich verlauten: „Es ist nur so – wir haben festgestellt, dass wir hier im Eichenbaum unser kurzes, fressorientiertes Leben noch mal so richtig in Schwung bringen könnten ...“

„Hach, und diese Aussicht von dort oben, lieber Hoo“, piepste Birne freudentaumelig dazwischen. „Traumhaft! Da kann man während des Blattknabberns und Saftsaugens das ganze wunderschöne Tal überblicken. Die Sonnen- und Mondaufgänge müssen echt romantisch sein?“ Liebäugelnd blickten sie sich an.

„Na, dann tut es doch! Verwirklicht euch diesen Traum!“, bestärkte Hoo ihre neuen, wunderbaren Pläne. „Eure Hochzeitsreise ins Glück würde somit wohl in einem zweiten Frühling auf einem neuen Baum gipfeln. Astrein! Diese Gelegenheit solltet ihr echt ergreifen. Das kann doch euren Lebensgeisterchen nur guttun! Euer Vogelfreund Gechtur ist bestimmt so lieb und gerne bereit, euch diesen Wunsch zu erfüllen.“

Gut zugehorcht und ohne lange zu überlegen, zeigte sich Freund Buntspecht sofort damit einverstanden. „Gigig! Bravissimo, ihr lieben Läuse! Wohin ihr wollt, flieg‘ ich euch hin. Voll korrekt, ja, wie ein Preuße, stets zu Diensten ich euch bin! Dabei euch wohl nur Gutes widerfährt, dann ist's schon einen Umzug wert!“

Da spürten Birne und Mucks, dass es die richtige Entscheidung sein würde. Ja! Sie wollten den Baumwechsel wagen. Ihre Herzen hüpften vor Freude. Überschwänglich fielen sie sich in die Arme.

Gechtur beugte sich leicht nach vorne. Er ließ seine lange Zunge ins wohltuende Wasser schnellen. Nach reichlich fetten Happen, die er im Eichenbaum gefunden und vertilgt hatte, nahm er das köstliche und vitalisierende Nass umso genüsslicher auf.

Nun endlich wandte er sich an den Regentropfen: „Die Party ist in aller Munde, wir jetten noch 'ne gute Stunde. Glandar, mein Freund der Häher, ein exzellenter Späher, sah kommen allerlei Getier, zum schönsten Platz im Brutrevier.“ Gechtur spreizte seinen linken Flügel übers Wasser. „Drum, Hoo, steig auf, damit wir pünktlich sind, wenn dort das Vollmondfest beginnt!“

„Also doch! Das war Glandar!“ Hoo gurgelte es freudig und leise vor sich hin. Dann versicherte er seinem Buntspechtfreund: „Bin schon am Kraulen, gleich bin ich da!“

Wassersportlich fit schwamm er näher und ergriff die äußerste Federspitze. Locker baumelnd ließ er sich, wie von einem Schwenkkran, auf Gechturs rote Kopfbedeckung hieven. Dort nahm er behutsam seinen alteingesessenen Sitzplatz hinter Birne und Mucks ein.

Alle freuten sich sehr, dass sie frisch gestärkt, bei bester Gesundheit und reich an Erlebnissen wieder beisammen waren. Somit war alles startbereit.

„Kix! Kix! Kix!“, ließ Gechtur sein Signal zum Abflug erklingen. Voller Energie hob er mit seinen reiselustigen Gästen zur zweiten, landschaftlich überaus reizvollen Flugetappe von der Viehtränke ab.

Sachte steuerte er unter dem weit verzweigten Blätterdach der betagten Eiche hindurch. Dann schwenkte er fast senkrecht nach oben in mildes Spätnachmittagslicht. Nur einige Meter über der schön kugelig geformten, sonnigen Krone hielt er sich mit schwirrendem Flügelschlag in der schwachwindigen Luft. Es war ihnen allen ein echtes Anliegen, sich von der weisen, ehrwürdigen Baumriesin, durch die ihnen so viel Gutes widerfahren war, gebührend zu verabschieden und ihr zu danken. Gemeinsam riefen sie ihr ein herzliches „Dankeschön, für alles, liebe Eiche!“ zu. Gechtur, Birne und Mucks hängten noch ein freundliches „Auf Wiedersehen, bis bald!“ an. Mit kräftigem Winken unterstützten die Blattläuse ihren herzlichen Gruß.

Als hätte die liebenswerte, greise Dame die Abschiedsworte der kleinen, illustren Reisegruppe vernommen, drang daraufhin ein gedehntes, brüchiges Ächzen und tiefes Stöhnen aus der zerfurchten Rinde ihres hohen und verdrehten Leibes.

„Oh, habt ihr's gehört?“ flüsterte Birne überrascht. „Sie hat uns geantwortet!“

„Ja, das war bestimmt der uralte Eichengeist!“, vermutete Mucks voller Ehrfurcht.

„Eine wahrlich weise, knorrige Persönlichkeit!“, bemerkte Hoo. „Hört zu, liebe Blattläuse. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es der gealterten Eichendame Freude macht, euch die eine oder andere spannende Geschichte aus ihrem Jahrhunderte langen, alte Geheimnisse hütenden Leben zu erzählen. Ich denke, ihr solltet sie nur höflich darum bitten, wenn ihr zurückgekommen seid, um bei ihr zu wohnen!“

„Hach, das wäre ja wunderbar, wo ich doch Geschichten so sehr liebe!“, piepste Birne. Ihre malachitgrünen Äuglein funkelten.

„Doch ja, das hat was!“, sagte Mucks. Beide fühlten sich sehr glücklich, und Birne konnte nicht umhin, noch schnell hinzuzufügen: „Danke, lieber Hoo, für diesen tollen Tipp!“

„Gigigigigig!“, rief Gechtur in schneller Folge. Um nicht noch mehr Zeit zu vergeuden, drehte er nun südwärts ab. Unbeirrt lenkten ihn seine Flügel in Richtung ‚Platz des Mondenscheins‘. Nuancenreich wölbten sich die blauen Farben des wolkenlosen Himmels über die sattgrüne, wellige Landschaft. Als sie noch einmal zur ehrwürdigen, freistehenden Zeitzeugin zurückblickten, beobachteten sie, wie die für ihr Alter noch sehr widerstandsfähige Eichenriesin aus ihrem tiefsten Inneren ein geheimnisvolles, durchscheinendes Leuchten verströmte. Das gesamte Labyrinth ihres gewaltigen Wurzelwerks flackerte sekundenlang in mystisch farbigem Licht.

Vom Standort der betagten Baumkönigin bis in die Nähe eines von Obstbäumen umsäumten Gehöfts erstreckte sich eine eingezäunte Weide. Fleckviehglücklich und friedlich grasten und duselten dort ein Dutzend prächtiger Milchkühe vor sich hin. Das vernehmlich helle Bimmeln einer Glocke, welche die Leitkuh um ihren dicken Hals trug, klang bei jeder ihrer Bewegungen leise herüber. Ihre rosafarbenen Euter unter dem samtenen, braunen Fell, waren prall gefüllt.

Das sind bestimmt glückliche Kühe, geben gesunde, frische Milch und werden heute noch gemolken, dachte sich Hoo. Dann drehte er seinen Kopf in die lind bis leicht auffrischende Brise. Er machte sich extrabreit, um Birne und Mucks während des Fluges wieder genügend Windschutz zu bieten.

Die drei Erlebnisse, die sich in Abwesenheit seiner Gefährten, oder besser gesagt, während seines alleinigen Aufenthalts in der Tränke, in rascher Folge abgespielt hatten, hatte Hoo unter der Bezeichnung ‚3E‘ – was für ‚Eichhörnchen – Eichelhäher – Eicheln‘ steht – in sein phänomenales Gedächtnis abgespeichert. Bei nächstbester Gelegenheit, möglicherweise während einer beschaulichen Erzählstunde im Laufe des Abends und der Nacht, wollte er ihnen davon erzählen.

Immer höher hinauf führte Gechturs eingeschlagene, doch exakt bestimmte Flugroute. Gemeinsam betrachteten sie den abwechslungsreichen, landschaftlichen Traum, der sich wie ein super gedrehter Breitwandfilm vor ihnen abspulte und in unvergleichlichen, nie zuvor gesehenen Bildern unter des Buntspechts Schwingen vorbeizog.


HOO

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