Читать книгу Weihnachtsgeschichten - Siegfried Mau - Страница 6
ОглавлениеDer Generationskonflikt
Man kann schon sagen, dass Freddy ein wenig stur ist. Ein wenig, sagt sein Vater.
Freddy ist wohl der sturste Kobold, den das Weihnachtsreich je hervorgebracht hat.
Das sagt er aber nicht böse und auch nicht wütend, sondern mit einem breiten, freundlichen Lächeln auf seinen alten Koboldlippen.
Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, dass die beiden einmal einen handfesten Krach miteinander hatten, denn Vater und Sohn verstehen sich jetzt ausgezeichnet und wenn Freddy wieder einmal zu umschweifend argumentiert und sein Vater gerade heftig mit rotem Kopf durchatmet, um seinen Standpunkt klar zu machen, dann sagt seine Mutter immer nur: »Stopp! Ja, ja, ja. Wie der Vater, so der Sohn. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«
Das sagt ja wohl schon alles. Aber was eine Mama in einem Koboldhaus sagt, dass ist Gesetz. Da widerspricht keiner. Das ist bei den Kobolden nicht anders als bei uns Menschen, oder?
Sicher wollt ihr nun wissen, was passiert war. Nun ja, wo soll ich da mit dem Erzählen anfangen?
Es geschah vor vielen, vielen Jahren, vor so vielen Jahren, dass selbst die uralten Kobolde nicht mehr genau sagen können, wann sich dieses Ereignis zugetragen hat, aber noch heute gibt es Kobolde, die es gut fanden und andere Kobolde, die es nicht so gut fanden.
Ihr seht, dass es bei den Kobolden nicht anders zugeht als bei uns Menschen auf der Erde.
Was war also geschehen?
Es war wieder einmal kurz vor Weihnachten. Im Weihnachtsreich herrschte reges Treiben. Der Weihnachtsschlitten war auf Vordermann gebracht worden und alle Verzierungen waren herausgeputzt und funkelten wie silberne Sterne in einer Vollmondnacht. Überall im Weihnachtsreich roch es nach den fertigen Lebkuchen und Spekulatius und das Fell der Rentiere war gestriegelt und glänzte ebenfalls im Mondschein. Selbst die kleinste Spitze in ihren Geweihen war auf Hochglanz poliert.
Wie jedes Jahr hat Frau Weihnachtsmann den Weihnachtsanzug des Weihnachtsmannes gebürstet und gebügelt und alle Knöpfe waren fest am Anzug angenäht. Die Weihnachtsmütze war gestärkt und saß einfach perfekt auf dem Kopf des Weihnachtsmannes.
In voller Montur stellte sich der Weihnachtsmann vor den riesigen, alten Spiegel im Ankleidezimmer und fröhlich rief er aus, wie gut er doch passt und stolz sagte er zu seiner Frau, dass er ja wohl kein Gramm im letzten Jahr zugenommen habe.
Seine Frau lächelte nur und erwiderte dann freundlich und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, dass er doch mal die Löcher an seinem Gürtel zählen solle.
»Papperlapapp«, erwiderte er jetzt mit wesentlich ernsterer Miene, »alles ist so perfekt wie alle Jahre zuvor.«
Dann sagte er noch fast flüsternd hinterher, dass er froh sei, solch eine Frau zu haben, so als wenn sie es nicht unbedingt hören sollte.
Da unterscheidet sich der Weihnachtsmann wohl doch nicht unbedingt von den Männern auf der Erde.
Aber nicht nur im Hause des Weihnachtsmannes wurde geputzt, gestriegelt, genäht und ausgebessert.
Auch bei den vielen Helfern des Weihnachtsmannes wurde alles getan, dass es wieder das perfekte Weihnachtsfest auf Erden gibt und es keinerlei Beanstandungen bei der traditionellen Kleidung gab.
Die grünen Gewänder der Kobolde, die dem Weihnachtsmann wie jedes Jahr beim Verteilen der Geschenke auf Erden helfen sollten, saßen perfekt und sahen aus, als ob sie gerade aus dem Laden kamen. Soviel Mühe haben die Mütter und Ehefrauen der Kobolde in die Herrichtung der Kleidung gesteckt.
Auch dies zeigt natürlich, wie wichtig die Frauen im Weihnachtsreich sind. Mindestens so wichtig wie unsere Mütter und Ehefrauen auf der Erde.
»Kommt aus euren Zimmern!«, rief Freddys Mama ihrem Mann Robert und ihrem Sohn Freddy zu. »Ich will sehen, ob mit euren Anzügen alles perfekt ist. Schließlich will ich mir ja beim nächsten Treffen der Koboldfrauen nichts nachsagen lassen.«
Zuerst erschien Freddys Papa und präsentierte sich seiner Frau mit einer leichten Drehung um seine eigene Achse. Alles saß perfekt und passte wie angegossen.
Trotzdem musste Freddys Mama nochmals ein wenig mit der Hand über den Stoff der grünen Jacke streichen, auch wenn dort kein Krümel Staub mehr zu sehen war. Aber so sind sie nun mal, die lieben Ehefrauen.
Freddys Papa sagte nichts, gab aber seiner lieben Ehefrau einen dicken Kuss auf die Wange. Das sagte ja wohl mehr als tausend Worte.
Da sind wir ja mal wieder pünktlich fertig geworden. In fünf Minuten ist Abflug und der wurde in hunderten von Jahren nicht einmal um eine Sekunde verschoben.
Apropos Pünktlichkeit. Wo bleibt denn Freddy?
»Tari tara, ich bin ich schon da«, sagte Freddy und da stand er, mitten im Raum.
Dann war plötzlich Totenstille. Seine Eltern schauten ihn ungläubig mit riesigen Augen an. Das Ticken der Standuhr und der Herzschlag von Freddys Papa schienen diese Stille förmlich zerreißen zu wollen.
Dann folgte ein Aufschrei, der wohl durchs ganze Weihnachtsreich zu hören war und der die aufgehängten Bilder im Raum zum Vibrieren brachte. »Spinnst du, bist du jetzt total verrückt? Wie siehst du denn aus? Wo ist dein Koboldausgehanzug? Abflug ist in zwei Minuten! Wie willst du dich denn jetzt noch umziehen?«
Aber Freddy tat so, als wenn er gar nicht gemeint wäre, total selbstbewusst und ein wenig trotzig. »Bleib cool, Daddy, dieses Jahr fliege ich so mit. Es muss endlich mal Schluss sein mit den altbackenen Klamotten. Dieses Jahr fliege ich mit meinem neuen, blauen Koboldanzug mit. An dem ist absolut nichts auszusetzen. Da könnt ihr machen, was ihr wollt. Und außerdem ist der auch noch viel wärmer und bequemer«, fügte er trotzig hinzu.
Der Kopf von Vater Robert wurde röter und drohte zu platzen. Seine Atmung wurde so schwer, als wenn er den Weihnachtsschlitten alleine ziehen musste. Er musste förmlich nach Luft schnappen und schrie Freddy aus vollem Halse an. »Der Weihnachtsmann wird dir den Kopf abreißen, wenn du da so auftauchst. Er wird dich zum kältesten Punkt des Nordpools schicken, damit dein Verstand wieder klar wird! Weihnachten kannst du dann so lange vergessen, bis du einen Bart hast, der länger ist als der vom Weihnachtsmann. Welche Schande bringst du über unsere Familie?«
Freddys Mama stand nur da und hielt sich die Hände vor die Augen und sagte nur zu sich selbst, dass sie nie wieder vor die Tür gehen werde oder zu ihrer Schwester nach Nirgendwo ziehen werde, wo sie niemand kenne.
Dann war es auch schon so weit. Die Schlittenglocke erklang. Abflug in einer Minute.
Schnell lief Freddy zum Weihnachtsschlitten und sein Vater ging mit Abstand und gebeugtem Kopf hinter ihm her.
Da traf auch schon der Blick des Weihnachtsmannes auf die beiden Kobolde.
Eine Sekunde schaute er die beiden an und Freddys Vater dachte, jetzt käme der größte Anschiss, den je jemand im Weihnachtsreich vom Weihnachtsmann bekommen hat und auch die anderen Kobolde standen wie angewurzelt mit offenem Munde da, als wenn sie damit rechneten, dass jetzt jemand vom Blitz getroffen würde.
Aber der Weihnachtsmann lächelte nur und sagte: »Frohe Weihnachten, Robert, und frohe Weihnachten, Freddy. Freddy, du fliegst dieses Jahr mal in Blau mit? Dann haben wir ja endlich mal ein wenig mehr Farbe auf dem Schlitten.«
Dann folgte ein fröhliches »Ho, ho, ho. Alles aufsitzen, wir fliegen ab. Die Kinder auf der Erde warten schon.«
Seit diesem Tage tragen nicht mehr alle Kobolde einen grünen Koboldanzug, wenn sie Weihnachten dem Weihnachtsmann helfen, die Geschenke zu verteilen.
Aber noch heute erzählen sich alle Koboldkinder, wie mutig Freddy damals war.