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»Wir hätten in einem Rosengarten sitzen können …«
ОглавлениеMAXIMILIAN I. UND MARIA VON BURGUND
Karl der Kühne, der reiche und mächtige Herzog von Burgund, hatte nur eine einzige Tochter; die aber war sein ganzer Stolz. Auf Maria ruhte seine Hoffnung für die Zukunft, sie galt es, gewinnbringend zu verheiraten. Viele Freier waren im Laufe der Jahre aufgetaucht, die sich um die Hand der schönen Herzogstochter bewarben. Die große Mitgift, die Länder Burgunds mit ihren unendlich reichen Handelsstädten im Westen, hätte mancher gern als Morgengabe gesehen. Aber Maria hatte ihren eigenen Kopf und ganz bestimmte Vorstellungen von ihrem zukünftigen Gemahl, und so hatte sich auch der Vater noch nicht festgelegt, als ihn die Werbung des römisch-deutschen Kaisers erreichte, der Maria als Gemahlin für seinen Sohn Maximilian haben wollte.
Die Erkundigungen, die der burgundische Herzog über den Prinzen einziehen ließ, waren nur zu erfreulich. Man schilderte Maximilian in den schönsten Farben, als echten Ritter, der weder Tod noch Teufel fürchte, sich in jedem Turnier als tapferer und kühner Streiter erweise, der aber auch auffallend gut aussehen solle, blond, mit strahlend blauen Augen und einer männlichen Gestalt. Zudem gelte er als besonders charmant und liebenswürdig, so daß er die Herzen der Damen im Nu erobere.
So hatte sich Maria den Helden ihrer Träume vorgestellt, den Mann, mit dem sie ein ganzes Leben verbunden sein wollte. Freudig stimmte sie daher dem Wunsch ihres Vaters zu, dem Werben des Kaisers nachzugeben. Natürlich mußte man sich zunächst etwas zieren und durfte die Karten nicht offen auf den Tisch legen, denn allzu leicht hätte dies den Anschein erweckt, als wäre man froh, die Tochter möglichst schnell loszuwerden.
Daß Maria von Burgund mit Maximilian glücklich werden würde, war ihr nach Meinung ihres Schwiegervaters schon durch die Konstellation der Sterne vorherbestimmt. Denn wie immer bei wichtigen Angelegenheiten hatte Friedrich III. nach der Geburt Maximilians seine Hofastrologen gebeten, für seinen neugeborenen Sohn das Horoskop zu erstellen. Dieses versprach viel Gutes, obwohl auch ein dunkler, geheimnisvoller Aspekt zu vermerken war, und Maximilian wies bei den vielen Schicksalsschlägen, die er später erlebte, immer wieder auf diesen »dunklen Stern« hin. Ganz konnte er sich nie von der Vorstellung befreien, daß es die Gestirne eigentlich nicht gut mit ihm gemeint hatten, obwohl der Mathematiker und Astronom Johannes Regiomontanus, dem man die Erstellung des Horoskopes zuschreibt, den Lauf der Gestirne bestimmt nicht schlecht interpretiert hat.
Maximilian hatte nicht nur Habsburger Blut in den Adern, das ohnedies in den letzten Jahrhunderten durch die vielen Heiraten vermischt worden war. Seine Großmutter stammte aus Masovien und brachte polnisch-litauische Elemente in die Familie, daneben hatten die Habsburger immer wieder nach Deutschland, Italien und Böhmen geheiratet, so daß keine eindeutige Abstammung mehr festzustellen war. Habsburger Blut, was war das eigentlich? Viel eher ließ sich die Mutter Maximilians charakterisieren; sie hatte das leichte portugiesische Wesen, das die Kinder an ihr besonders liebten, ihre Heiterkeit und Fröhlichkeit hatte sie auch bei dem griesgrämigen Gatten und am langweiligen, finsteren Hof in Wiener Neustadt nicht verloren. Sie war ein Lichtblick für Maximilian, wenn er auch schon als Kind feststellen mußte, daß es zwischen den Eltern immer wieder Auseinandersetzungen wegen der Erziehungsrichtlinien gab.
Warum die schöne, lebenslustige und verwöhnte portugiesische Königstochter Eleonore sich damals freiwillig für den skurrilen Junggesellen Friedrich entschieden hatte, wußte sie wohl selbst nicht mehr ganz genau. Denn das fünfzehnjährige Mädchen hatte mit fester Stimme erklärt, sie wolle den (Friedrich) und sonst keinen! Vielleicht hatte die junge Prinzessin der Gedanke gereizt, einmal Kaiserin zu werden, vielleicht hatte sie auch ganz andere Vorstellungen vom Leben am Kaiserhof und von ihrem zukünftigen Gatten gehabt. Eleonore war an einem der luxuriösesten Höfe Europas aufgewachsen, war kostbare Teppiche, Seidentapeten und wohlige Wärme gewöhnt und konnte sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, daß es all dies im kalten und finsteren Österreich nicht gab.
Auch vor seiner Werbung um Eleonore hatte Friedrich seinen Hofastrologen beauftragt, die Sterne über die Braut zu befragen. Der mittlerweile 32jährige Herrscher war von Natur aus äußerst mißtrauisch, alles, was an ihn herangetragen wurde, prüfte er sehr genau, und erst wenn er keine Fußangeln erkennen konnte, entschloß er sich, zu handeln.
Aber die Auskunft seines Astrologen war durchaus zufriedenstellend. Auch die übrigen Erkundigungen, die Friedrich einziehen ließ, bestärkten ihn in dem Entschluß, eine Ehe mit der portugiesischen Prinzessin anzustreben. Ihre Porträtmedaillons betrachtete er allerdings mit großer Skepsis; zu schön war das Konterfei, das ihm entgegenblickte. Aber Eleonore mußten die Maler nicht schmeicheln; sie war ein anmutiges Mädchen, mit makelloser Haut und vollem braunem Haar, vielleicht etwas zu grazil, fast zerbrechlich. Man bevorzugte robustere Frauen, um auf jeden Fall mit reichlichem Kindersegen rechnen zu können.
Friedrich und Eleonore waren ein äußerlich und charakterlich ungleiches Paar. Er galt für die damalige Zeit als ungewöhnlich groß, 1,80 Meter, hatte fahles blondes Haar und eine markante lange Nase. Alles an Friedrich erinnerte an einen Asketen. Für ihn gab es nicht Saus und Braus beim Essen und Trinken, er hielt Maß und achtete in seiner engeren Umgebung streng darauf, daß keiner über die Stränge schlug. Gähnende Langeweile machte sich in seiner Gegenwart breit, er verstand es nicht, interessante Unterhaltungen zu führen, und jeder Gast war froh, wenn er in Gnaden wieder entlassen war.
Für die temperamentvolle portugiesische Prinzessin bedeutete die Abreise aus ihrer Heimat das Ende ihres unbeschwerten Lebens. Schon die Fahrt übers weite Meer, während der das Schiff von Piraten und heftigen Stürmen bedroht wurde, war für Eleonore ein einziges Schrecknis. An der italienischen Küste erwartete sie dann ihr zukünftiger Gemahl. Aber Friedrich war nicht aus dem Holz geschnitzt, einer Frau leichten Herzens gegenüberzutreten. Als er sie zum ersten Mal sah, begann er am ganzen Leibe zu zittern und benahm sich in seiner Verlegenheit ausgesprochen linkisch. Nur die italienische Bevölkerung, die dem deutschen König stets mißtrauisch, ja feindselig begegnet war, begrüßte die Prinzessin mit lauten Jubelrufen, ihr öffneten sich die Herzen, die Friedrich verschlossen geblieben waren.
Anders als jeder normale Bräutigam suchte Friedrich immer wieder einen Grund, um nicht mit seiner Braut allein sein zu müssen. Eleonore war allerdings von der italienischen Zauberwelt so gefangen, daß sie Friedrich nirgends vermißte. Auch als er sich nach der feierlichen Trauung durch den Papst in Rom sofort in seine Gemächer zurückzog, sah Eleonore in seinem Verhalten nichts Ungewöhnliches. Sie genoß die schönen Tage in der alten Stadt und nahm von Rom und seinem Volk nur schwer Abschied, als man in Richtung Neapel aufbrach, wo ein Onkel Eleonores residierte, der alles daran setzte, das Paar mit jedwedem Luxus, den man aufbieten konnte, zu verwöhnen. Glanzvolle Bankette wechselten mit Schauspielen ab, dann wieder maß man sich bei Turnieren und sportlichen Wettkämpfen in Geschicklichkeit und Kampfesmut. Der Wein floß in Strömen, aber Friedrich war all der Trubel zuviel, er stand als Griesgram inmitten der Lebensfreude, argwöhnisch und mißtrauisch. Wo er nur konnte, ging er seiner Frau aus dem Weg. Allmählich wurde Eleonores Onkel auf die Haltung Friedrichs aufmerksam und stellte mit Erstaunen fest, daß dieser das Beilager mit seiner schönen Frau noch nicht vollzogen hatte. Wenigstens pro forma sollte dies stattfinden, ließ Alfonso seinen angeheirateten Neffen wissen. So sehr sich Friedrich auch sträubte, er konnte nicht mehr anders, als mit seiner Frau vor versammeltem Hof ein breites Bett zu besteigen. Beide waren bis zum Hals bekleidet. Dann zog Friedrich kurz die Decke über den Kopf, gab Eleonore einen Kuß, und die Ehe war offiziell vollzogen.
Man begann die junge Frau zu bedauern, und die Hofdamen bemühten sich durch alle möglichen Tricks, den Kaiser in das Ehebett zu locken. Die Bettwäsche wurde mit Weihwasser und Parfüm beträufelt, Liebeslieder klangen durch den weiten Palast, aber immer noch weigerte sich Friedrich, mit seiner Frau zu schlafen. Viel zu groß war seine Angst, hier in Italien einen »welschen Bastard« zu zeugen. Vor allem vor der Amme Eleonores fürchtete sich Friedrich, sie sah er als unheimliche Hexe an, die sicherlich das Bett verwünscht hatte. So befahl er seiner Gemahlin, ihm auf sein Zimmer zu folgen. Wie der Vertraute des Kaisers, Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., berichtete, konnte der blutleere Friedrich aber dann doch, als sie allein waren, den Verlockungen des jungen, schönen Körpers seiner Frau nicht widerstehen.
Einen »welschen Bastard« hatte Friedrich allerdings nicht gezeugt. Denn schon auf der Weiterreise wählte man getrennte Wege, und erst drei Jahre nach der Eheschließung wurde der erste Sohn geboren, so daß böse Zungen nicht verstummen wollten, die behaupteten, daß Friedrich gar nicht der Vater seiner Kinder sei.
Wie nicht anders zu erwarten, hatte Friedrich auch zu seinen Kindern keinen übermäßig guten Kontakt, er war vor allem Respektsperson, ihm mußten sie blind gehorchen. So wurde auch Maximilian erzogen. Da der Vater sich den Kindern selten zeigte, kümmerte sich die Mutter um so liebevoller um sie. Sie war Maximilians ein und alles, und Eleonores früher Tod war der schwerste Schlag im Leben des Kindes.
Maximilian war ganz der Sohn seiner Mutter und hatte nur wenige Eigenschaften von seinem Vater geerbt. Die große Weltoffenheit, der Hang zu Kunst und Wissenschaft, aber auch eine gewisse Unstetigkeit gehen auf das mütterliche Erbe zurück. Natürlich war sein Vater, wahrscheinlich auch durch die schwierige politische Situation, in der er sich immer befand und in die er manchmal ohne sein Zutun geraten war, verbittert und erstarrt. Er sollte an allen Ecken und Enden kämpfen und hätte sich doch lieber in seine Privaträume zurückgezogen, um sich der Magie und Alchemie hinzugeben.
Demütigende Erlebnisse für die Familie gab es genug. In Wien wurde sie von Wiener Bürgern wochenlang belagert, und einer der Rädelsführer war der eigene Bruder des Kaisers, Albrecht VI. Der Bruderzwist schwelte lange, die beiden gegensätzlichen Habsburger konnten keinen Ausgleich finden, vor allem deshalb, weil Albrecht aufgrund seines Wesens und Auftretens eine große Anhängerschar in Österreich besaß, die es lieber gesehen hätte, wäre er anstelle seines Bruders Kaiser geworden. Albrecht war ein aufgeschlossener Fürst und hätte das Ruder der Politik wohl besser führen können als sein zaghafter Bruder. Als Freund der Wissenschaft und der Kunst gründete er die Universität Freiburg, er war ein Mann der Tat, der alles begehrte, und wenn er es bekam, zugleich wieder verschleuderte, um es an anderer Stelle mit brutaler Gewalt wieder zu nehmen – eine schillernde Gestalt in dieser bewegten Zeit.
Das Verhältnis Friedrichs zu Maximilian war nicht gut. Die Kindheit des Prinzen war überschattet von Auseinandersetzungen zwischen den Eltern. Der Kaiser suchte die Erzieher seiner Kinder selbst aus, ihre Ausbildung war ihm ein wichtiges Anliegen, und die besten Lehrer – oder was er darunter verstand – waren gerade gut genug. Die Erziehungsmethoden allerdings entsprachen ganz und gar nicht dem Naturell des Kindes. Hätte die Mutter noch gelebt, so wäre vielleicht einiges anders verlaufen. Sie hatte noch die Humanisten Johannes Hinderbach und Enea Silvio Piccolomini als Lehrer für ihren Sohn bestellt, Friedrich III. aber wollte Männer der alten Schule, den Steirer Jakob von Fladnitz und den harten Peter Engelbrecht von Passail. Beide glaubten, sie müßten ihr Wissen, vor allem aber die lateinische Grammatik, dem Prinzen mit körperlichen Züchtigungen buchstäblich einbleuen. Die Reaktion des Kindes war natürlich, daß es sich bockig und stur stellte, so daß der Vater auf den Gedanken kam, sein Sohn sei ein Idiot, wie er wortwörtlich gesagt haben soll. Daß aber das begabte Kind nur eine entsprechende Motivation gebraucht hätte, auf eine solche Idee kam niemand. Hätte der Kaiser wirklich auf seinen Astrologen gehört, so hätte er sehr bald wissen müssen, daß sein Sohn ein ungewöhnlich intelligenter Mensch war, für alles Neue aufnahmefähig und an Wissenschaft und Kunst ein Leben lang interessiert. (Für Liebhaber der Astrologie: Die Sonne im siebenten Haus deutete auf die hervorragende Begabung Maximilians.)
Der Prinz liebte die Jagd und die ritterlichen Disziplinen. Auch als Reiter übertraf er alle seine Altersgenossen, mit denen er gern und viel beisammen war und die den jungen Kaisersohn wegen seines heiteren, unkomplizierten Wesens schätzten und liebten. Es lag ganz im Sinne der Zeit, daß auch der eher einsiedlerisch veranlagte Friedrich seinen Sohn als echten Prinzen erziehen ließ. Dabei hielt er sich auch an die Regeln, die in der Goldenen Bulle, jenem von Kaiser Karl IV. im Jahre 1356 erlassenen Grundgesetz für das Heilige Römische Reich, festgelegt waren. Dort wurden nicht nur die Richtlinien für die deutsche Königswahl fixiert, sondern auch genau beschrieben, welche Rechte und Pflichten die Gemahlin des Königs oder Kaisers habe und wie die Söhne zu erziehen seien. So sollten die Knaben vom siebenten bis zum vierzehnten Lebensjahr in der lateinischen Sprache, vor allem in der Grammatik, unterrichtet werden (was, sehr zum Leidwesen Maximilians, auch geschah), daneben sollten sie Italienisch und eine slawische Sprache erlernen. In der Goldenen Bulle findet man ferner einen interessanten Passus, worin es den Eltern freigestellt war, die Söhne auf Reisen zu schicken, damit sie sich die fremden Sprachen im Ausland aneigneten, oder sie diese zu Hause lernen zu lassen. Friedrich hielt wahrscheinlich nicht allzu viel vom Reisen, und so mußte Maximilian wohl oder übel am Hof von Wiener Neustadt in den sauren Apfel beißen und die strengen Schulstunden über sich ergehen lassen.
Ab und zu aber durfte er nach Augsburg ziehen, um sich dort in den ritterlichen Disziplinen weiter auszubilden. Für den jungen Prinzen waren das glückliche Zeiten, in denen er nach Herzenslust auf die Jagd gehen, reiten und sich mit den Altersgenossen im fairen Kampf messen durfte. So entwickelte er im Laufe der Zeit eine besondere Vorliebe für diese Stadt, es war für ihn jedesmal ein Fest, wenn er durch die Tore zog und den Jubel der Bevölkerung hörte.
Zu Augsburg gab es in Maximilians späterem Leben noch eine andere Beziehung. Immer in Geldnöten, holte er sich die Gulden, wo er konnte, oft mit rücksichtslosen Mitteln, so daß er in manchen Städten fast gefürchtet war und man schnell die Tore schloß, wenn der Kaiser mit seinem Gefolge angekündigt war. Auch pflegte er immer öfter seine Schulden nicht zu bezahlen, nahm Kredite auf, von denen er wußte, daß er sie in diesem Leben niemals zurückzahlen konnte und verpfändete ganze Gegenden an die Fugger und Welser in Augsburg. Trotzdem war er streng religiös und hatte vor allem nach dem frühen Tod seiner Mutter eine tiefe Frömmigkeit entwickelt, rief immer wieder die Heiligen an, besuchte täglich den Gottesdienst und schickte regelmäßig dreimal am Tag seine Gebete zum Himmel. Daß daneben auch der Aberglauben seinen Platz im Denken des Kaisersohnes hatte, ist beinahe natürlich. Er versuchte die Himmelszeichen zu deuten, beschäftigte sich mit Naturerscheinungen, von denen man nicht wußte, wie man sie interpretieren sollte, trug stets Reliquien bei sich und glaubte an einen besonderen Schutzzauber. Von den alchemistischen Versuchen seines Vaters beeindruckte Maximilian vor allem die Vorstellung, Edelsteine herstellen zu können, denn er liebte die Kleinodien mit ihrem verwirrenden Glanz genauso wie sein Vater. Auch er träumte davon, das Geheimnis ihrer Herstellung zu ergründen.
Der jugendliche Prinz, der sich bis zur Erschöpfung durch körperliche Anstrengungen verausgaben konnte, entdeckte damals eine besondere Vorliebe, die in dieser Zeit unüblich war: er stieg gerne und oft auf die Berge seiner Heimat und setzte sich dabei auch extremen Gefahren aus. Besonders die Berge in der Gegend von Innsbruck hatten es ihm angetan, und sooft es ihm möglich war, kletterte er in den steilen Felswänden herum. Dabei überhörte er geflissentlich die Warnungen der einheimischen Bevölkerung, die noch daran glaubte, daß die Berge Sitz von Göttern seien, die man nicht stören durfte, wollte man sich nicht ihren Fluch zuziehen.
Maximilian entwickelte sich allmählich zu einem strahlenden, jungen Mann, der die Blicke aller, vor allem aber der Mädchen, auf sich zog. Mit seinem leidenschaftlichen Temperament entfachte er die Sinne so mancher Schönen, und es konnte nicht ausbleiben, daß er viele Herzen im Sturm eroberte. Die Kunde von dem »minniglichen Prinzen« verbreitete sich weit über die Grenzen der Länder seines Vaters und erregte die Phantasie vieler heiratsfähiger Prinzessinnen. Er war der Liebling aller, keiner konnte ihm widerstehen, Männer und Frauen zog er in seinen Bann mit seinem Temperament, seinem Charme und seiner Redegabe. Die Worte flossen ihm von den Lippen wie »geschmolzenes Gold«, und wenn er die lateinische Sprache, die Sprache der Gebildeten, in der man sich damals in der vornehmen Gesellschaft zu unterhalten pflegte, auch nur als barbarisches Küchenlatein beherrschte, wie er seiner Tochter Margarete später gestand, so wußte er doch alle Register zu ziehen, um die Zuhörer an sich zu fesseln. Dazu war er liebenswürdig und humorvoll, mutig und kühn, konnte über einen Scherz von ganzem Herzen lachen und nahm nichts auf der Welt allzu schwer. Der Augenblick regierte ihn, und er gab sich diesem Glück, das er momentan fassen wollte, ganz hin.
Maximilian hat viel begonnen, hatte zeitlebens große Pläne, aber er konnte wenig davon wirklich vollenden. Er war spontan, wo er ausdauernd und geduldig hätte sein müssen. Manchmal widerrief er Entschlüsse, die er am Morgen gefaßt hatte und von denen er felsenfest glaubte, daß sie richtig wären, noch am selben Abend. Seine Phantasie war grenzenlos, und in dieser Welt lebte er, von ihr ließ er sich beherrschen und treiben. Selbstbeschränkung und Zweifel an sich selbst kannte er nicht, und in seinem Bestreben, hunderterlei auf einmal zu machen, überließ er kaum etwas seinen Ratgebern, einerseits, weil er von seinem Vater gelernt hatte, wenigen zu trauen, andererseits, weil ihn alles, was zu tun war, selber interessierte und faszinierte. Er überdachte die Dinge zu wenig, er war das Gegenteil seines Vaters, der ewig zauderte und zögerte, ständig von Zweifeln geplagt war. Ein Diplomat aus Florenz berichtete über den jungen Maximilian an Machiavelli, daß sich der Erzherzog in beständiger körperlicher und geistiger Aufregung befinde.
Vielleicht hat ihn dieser ununterbrochene Trubel, die andauernde Anspannung aber auch jung und vital erhalten, denn viele Zeitgenossen erzählen, daß der spätere Kaiser stets ein jugendliches Aussehen gehabt habe und ihm sein Alter nie anzumerken gewesen sei.
Diesen Mann also sollte Maria von Burgund zum Gemahl bekommen. Ihr Vater, Karl der Kühne, der das im Laufe der Jahrhunderte aus den verschiedensten Teilen zusammengestückelte Land – Teile der heutigen Niederlande, Flandern, Brabant, Brügge, Teile des späteren Frankreich, ohne einheitliche Sprache – beherrschte, hatte es verstanden, den Reichtum und die Kultur seiner Gebiete als einigendes Band um das Land zu schlingen. Neidisch blickte der König von Frankreich, Ludwig XI., auf seinen Nachbarn und hätte gerne teilgehabt an all dem, was der Burgunderherzog sein eigen nannte. Maria wäre auch für seinen Sohn Karl eine begehrenswerte Partie gewesen, sollte doch das reiche Land eines Tages an sie fallen. Karl der Kühne aber suchte einen mächtigen Schwiegersohn, der seine Stellung aufwerten konnte, der ihm vielleicht sogar den Königstitel verschaffen und – so weit plante Karl der Kühne voraus – nach einer eventuellen ehelichen Verbindung seiner Tochter mit dem Kaisersohn sich dafür einsetzen konnte, daß Karl die Kaiserwürde über das Gesamtreich übertragen bekam. In dem kraftlosen Friedrich vermutete er einen geeigneten Gesprächs- und Verhandlungspartner, dem er mit Pomp und Reichtum zu imponieren strebte.
Die beiden Herrscher trafen im September 1473 in Trier zusammen. Auch Maximilian war mit dem Vater gen Westen gereist, um den reichen Herzog von Burgund selber kennenzulernen. Alles, was der junge Mann bisher an Prunk und Pracht gesehen hatte, wurde hier in der alten Römerstadt in den Schatten gestellt. Der Herzog war mit vierhundert Wagen in Trier erschienen, die seinen gesamten Hausschatz zur Schau stellen sollten. Maximilian konnte sich kaum fassen, als er das Gold- und Silbergeschirr Karls bewunderte, seine Tapisserien, die Sakralgeräte aus feinstem Gold mit kostbaren Edelsteinen. Welch eine Welt tat sich hier auf! Niemals hatte Maximilian solch reiche und üppige Kleider aus Samt und Seide gesehen, niemals so glänzende Ritter in Prunkrüstungen, eine kunstvoller als die andere.
Die Verhandlungen mit dem Kaiser gestalteten sich langwierig und zäh. Zwar willigte Friedrich III. in eine Verbindung der beiden jungen Leute ein, die Königs- oder gar Kaiserpläne Karls lehnte er aber rundweg ab und sicherte sich bei dieser Ablehnung auch die Zustimmung der deutschen Kurfürsten. Karl aber war nicht der Mensch, schnell und ohne Widerstand die Flinte ins Korn zu werfen, er wiegelte Städte gegen den Kaiser auf, so daß es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Karl und den Kaisertreuen kam, und versuchte, sein Gebiet noch nach Süden auszudehnen, indem er die Eidgenossen und Lothringen angriff. Dieser Krieg wurde ihm persönlich zum Verhängnis; bei Nancy 1477 verlor er nicht nur eine Schlacht, sondern auch sein Leben. So glanzvoll er gelebt hatte, so schmachvoll und tragisch war sein Ende. Schwer verwundet wurde er in einem Wald liegen gelassen, niemand kümmerte sich um den Sterbenden, und als seine Getreuen ihn schließlich fanden, war die Leiche schon von Wölfen und Raben angefressen.
Maximilian brachte dem toten Schwiegervater stets Verehrung entgegen, er sah in ihm einen großen, tatkräftigen Herrscher, vielleicht weil sein eigener Vater so ganz anders geartet gewesen war, und oft hörte man von ihm die bedauernden Worte: »Wenn nur Herzog Karl noch lebte!«
Die junge Maria, noch nicht zwanzig Jahre alt, stand also plötzlich allein auf der Welt, die sich ihr an allen Ecken und Enden feindlich zeigte. Karl hatte die niederländischen Städte, die stets um ihre eigenen Rechte kämpften, mit Gewalt niedergehalten, jetzt sahen sie den Zeitpunkt gekommen, selbständig und unabhängig zu werden. In Gent, Brüssel und Brügge bildeten sich Parteien, die nur den einzigen Wunsch hegten, möglichst großen Gewinn zu erzielen und diesen in ihren Geldtruhen verschwinden zu lassen. Was konnte ein junges Mädchen dagegen ausrichten? An den Grenzen lauerte »die Spinne Europas«, Ludwig XI. von Frankreich, der alles unternahm, um Maria als Braut für seinen schwächlichen, erst siebenjährigen Sohn Karl in seine Gewalt zu bekommen.
In dieser verzweifelten Situation erinnerte man sich plötzlich daran, daß Maria offiziell mit dem Kaisersohn verlobt war: insgeheim hofften die Niederländer vielleicht auch darauf, daß der Sohn des tatenlosen Kaisers wohl auch nicht gewillt sein würde, sich allzu sehr in die niederländischen Angelegenheiten einzumischen. Zumindest waren die Habsburger weiter weg als Ludwig und schienen daher für die handelspolitischen Interessen der Niederländer weniger gefährlich. In aller Eile wurden Kuriere nach Osten geschickt, um Maximilian aufzufordern, ja ihn geradezu zu bitten, nach Gent zu kommen, um die elternlose Maria zu heiraten.
Der Erzherzog konnte sich natürlich nicht wie irgendein gewöhnlicher junger Mann aufs Pferd schwingen und einfach nach Westen reiten, um seine Braut in die Arme zu schließen. Er mußte, wie es die Etikette vorschrieb, wie ein Prinz freien, auf seinem Zug durch das Reich Prunk und Pomp demonstrieren. Friedrich III. kratzte alles Geld zusammen, das er entbehren konnte, aber bei seiner Knauserigkeit war das nicht eben viel. Maximilian wäre wahrscheinlich gar nicht bis Burgund gekommen, hätten nicht einige Städte, in denen er in hohem Ansehen stand, beschlossen, dem Sohn des Kaisers zu helfen. Die Stadt Augsburg öffnete nicht nur ihre Stadttore, um Maximilian mit seinem Gefolge zu begrüßen, sondern auch großzügig die Kassen, so daß der Erzherzog für die weitere Brautfahrt wenigstens einigermaßen ausgerüstet war. Ein mit Dukaten gefüllter Pokal war ein beruhigender finanzieller Hintergrund.
Aber die lange Reise kostete mehr, als alle angenommen hatten. In jeder Stadt, durch die der Prinz zog, mußten üppige Feste gegeben werden, und wenn auch vieles von den Bürgern bezahlt wurde, so blieben doch große Summen, die der Kaisersohn aus der eigenen Tasche ziehen mußte. Als er die Stadt Köln erreichte, waren seine Vorräte wieder aufgebraucht, und Maximilian konnte nur auf ein Wunder hoffen, sonst hätte er aus der Ferne zuschauen können, wie der Dauphin von Frankreich ihm seine Braut vor der Nase wegschnappte, die schon verzweifelt auf den Retter wartete.
Ein guter Engel kam den beiden jungen Leuten zu Hilfe: Margarete von York, Schwester des englischen Königs Edward IV., zweite Gemahlin Karls des Kühnen und also Stiefmutter Marias. Instinktiv erkannte sie die mißliche Lage des jungen Mannes und ahnte, warum er nicht schon längst angekommen war. Sie schickte aus ihrer Privatschatulle kurzerhand eine ansehnliche Summe nach Köln und bat den Freier ihrer Stieftochter, doch rasch dem Pferd die Sporen zu geben und Maria zum Altar zu führen. Als die Stadtväter von Köln von dem großzügigen Geschenk erfuhren, legten auch sie noch einen Teil dazu, und der Erzherzog konnte endlich seinen Weg fortsetzen.
Maria erwartete ihren künftigen Gemahl in Gent, in einem riesigen Palast, wo alles für seine Ankunft vorbereitet war. Um elf Uhr nachts ritt Maximilian endlich ein. An der Treppe, die zum Großen Saal führte, stand Maria …
Vergessen war für Maximilian seine heiße Jugendliebe Rosina von Cray, vergessen waren die Strapazen und Enttäuschungen seiner langen Reise nach Burgund; endlich war er am Ziel seiner Wünsche. Vor sich sah er ein ungewöhnlich anziehendes junges Mädchen, das leicht errötete, als es die Blicke des schönen Prinzen auf sich gerichtet fühlte. Maximilian folgte einem Brauch des Landes und küßte die anwesenden Damen, eine nach der anderen, wobei er kein Auge von Maria ließ. Dann begann er mit zitternden Fingern nach einer Blume zu suchen, die sie nach einer burgundischen Sitte an sich verborgen trug. Man hatte ihm bedeutet, daß der Bräutigam dieses Zeichen der Liebe finden sollte. Erst nachdem er Marias Gewand geöffnet hatte, fand er eine Nelke. Beide standen sich stumm gegenüber, in den Anblick des anderen versunken. Sie hätten sich so viel zu sagen gehabt, aber Maria verstand nicht die deutsche Sprache, und Maximilian war weder im Französischen noch im Flämischen bewandert. Aber auch ohne Worte verstanden sie einander vom ersten Augenblick an und wußten, daß sie füreinander bestimmt waren.
Im Ehekontrakt wurden alle Rechte und Pflichten des künftigen Herzogs von Burgund festgelegt, auch die Stellung der zu erwartenden Nachkommen. Dann überreichte Maximilian seiner Braut das Hochzeitsgeschenk, das alle überraschte, die von den Geldnöten des Erzherzogs wußten. Das kostbare Schmuckstück war auf viertausend Gulden geschätzt worden und stammte wahrscheinlich aus der Edelsteinsammlung Friedrichs III. Der Kaiser war ein Sammler von wertvollen Pretiosen, die er zum Teil selbst aus dem Orient mitgebracht hatte. Und obwohl er sich beinahe nie von einem seiner Stücke trennte, war die burgundische Hochzeit seines Sohnes doch Anlaß genug. Das Festbankett war für Punkt Mitternacht angesetzt, es dauerte aber nur eine Stunde, da sich Braut und Bräutigam bald zurückzogen, worauf auch die übrigen Gäste keine besondere Lust mehr hatten, die Feiern fortzusetzen.
Es existieren (zunächst heimlich aufgezeichnete) Berichte, wonach das Verlangen und die Leidenschaft des Brautpaares nicht durch kirchliche Vorschriften aufzuhalten gewesen seien und sie sich noch in der gleichen Nacht angehört hätten, ohne auf den Segen der Kirche zu warten. Freilich hätten in einem solchen Fall nur wenige Getreue davon wissen können, denn die offiziellen Hochzeitsfeierlichkeiten waren in allen Details geplant und mußten in aller Form durchgeführt werden.
Schon sehr früh am Morgen des nächsten Tages, am 19. August 1477, fand die kirchliche Trauung statt. In der Burgkapelle legte der Legat die Hände der beiden jungen Leute ineinander, so wie es die Sitte seit alters her vorschrieb. Dann übergab Maximilian der Braut dreizehn Goldstücke, die symbolisieren sollten, daß er immer für sie sorgen wolle. Nach diesen Förmlichkeiten schritten beide zur Hochzeitsmesse, Maximilian in glänzender silberner Rüstung, jung, schön, stark, ein echter Ritter eines sterbenden Zeitalters, und Maria im goldbestickten Damastkleid, mit einem edelsteinblitzenden Gürtel, an dem ein Geldbeutel hing, einen Hermelinmantel um die Schultern, die Krone Burgunds auf den braunen Locken. Vor dem Altar knieten sie nieder und erflehten, jeder in seiner Sprache, den Segen des Himmels für die gemeinsame Zukunft. Alle geladenen Hochzeitsgäste, Niederländer und das österreichische Gefolge des Kaisersohnes, waren gerührt von dem Anblick der beiden jungen Menschen, die einander verliebt und glücklich ansahen. Nach dem Ja-Wort küßte der Legat Maximilian, und der Bräutigam gab diesen Kuß an Maria weiter. Am Ende der Messe wurde dem Legaten nach altem Brauch eine Semmel gebracht, von der er ein Stück abbiß, worauf sich das Brautpaar den Rest teilte und ebenfalls verzehrte. Auch ein Becher Wein durfte nicht fehlen, aus dem Maximilian und Maria je einen Schluck nahmen.
Damit war die Trauung zu Ende, aber Maximilian und Maria waren fast nicht in der Lage, die Kirche zu verlassen. Sie hielten sich fest umschlungen und waren beide vor Aufregung blaß; man mußte vor der Kirche auf sie warten.
Es folgte ein prunkvolles Hochzeitsfest nach den Sitten des Landes. Die Tische bogen sich von feinstem Silber, Damastdecken und den erlesensten Genüssen aus der damals bekannten Welt. Den ganzen Tag währte die Ausgelassenheit und Fröhlichkeit, und als man genug getrunken hatte, begann der Tanz bis spät in die Nacht hinein. Erst als Maximilian und Maria von ihren Rittern und Edelfrauen zu ihrem Schlafgemach geleitet wurden, begann sich die Hochzeitsgesellschaft zu zerstreuen. »Wie es da gangen ist, wais ich nit«, meinte ein Ritter aus Maximilians Gefolge später. Im Brautgemach war das Paar allein, aber obwohl die Chronisten nur diskrete Andeutungen machen, kamen die Ritter und Edelfrauen, die zumindest im Nebenraum Zeugen dieser – vielleicht zweiten – Hochzeitsnacht wurden, doch auf ihre Rechnung, denn Maximilian war kein unbedarfter Liebhaber und hatte in seiner Heimat schon reichlich Erfahrung gesammelt. So erzählte man sich am burgundischen Hof bald pikante Geschichten von der Manneskraft des jungen Habsburgers, und er wurde weithin im Lande als »Begatter und richtiger Mann« bezeichnet.
Das junge Paar verbrachte abwechslungsreiche Tage und leidenschaftliche Nächte miteinander, und bald sprach sich die Kunde herum, daß Maria ein Kind erwarte.
Maximilian mußte sich hier in Gent wie im Schlaraffenland fühlen, er, der als Kind Hunger und Not kennengelernt hatte, lebte nun in einem unvorstellbaren Überfluß, der sich von Tag zu Tag noch steigerte. Seine Frau wurde nicht müde, ihren geliebten Mann mit immer phantastischeren Kostbarkeiten zu überraschen, sie ließ prachtvolle Kleider in ihre Privaträume bringen. Die Seiden- und Samtstoffe waren eigens aus Florenz gekommen, und oft geschah es, daß Maximilian morgens erwachte und auf seinem Bett diese schönen Dinge fand. Die Tische waren überreich gedeckt, und Maria befahl, Leckerbissen aufzutragen, von denen Maximilian nicht einmal den Namen kannte. Tanz und Spiel unterhielten das junge Paar und sein Gefolge bis spät in die Nacht hinein, und Maximilian, der eine bekannt schöne Stimme hatte, trat als viel gefeierter Sänger auf, dem man besonders applaudierte, wenn er ein Lied aus seiner österreichischen Heimat vortrug.
An manchen Tagen fanden Scharaden statt, man verkleidete sich, um dann unter lautem Jubel doch erkannt zu werden. Maria und Maximilian waren die Hauptpersonen in all den Stücken, und man wurde nicht müde, sich immer neue allegorische Figuren einfallen zu lassen. Einen Abend lang wurde die römische Geschichte lebendig, Cäsar und Cleopatra zogen durch den Palast, gefolgt von Titus und Nero.
Vieles, was zum Wohl des jungen Paares beitragen sollte, bestimmte schon das burgundische Hofzeremoniell. Hier waren die einzelnen Handgriffe für jeden Diener genau festgelegt. So entstand im Laufe der Zeit eine unübersehbare Schar von dienstbaren Geistern, die alle für die beiden jungen Leute zu sorgen hatten. Freilich waren die Vorschriften noch nicht so erstarrt und streng wie später im spanischen Hofzeremoniell, denn in Gent war es vielen erlaubt, auch unangemeldet das Herzogspaar aufzusuchen, was in späteren Zeiten undenkbar gewesen wäre.
Maximilian mußte sich erst an das Heer von Dienern gewöhnen: So gab es einen, der am Morgen die Vorhänge zum Himmelbett zurückzog, einen anderen, der die Pantoffeln reichte, ein dritter sorgte für genügend Licht, und so stand den ganzen Tag einer bereit, um dem Herzogspaar jeden Wunsch von den Augen abzulesen, bis ein letzter am Abend die Vorhänge des Bettes wieder zuzog.
Maximilian und Maria genossen die traute Zweisamkeit wie ein Geschenk, als hätten sie geahnt, daß das gemeinsame Leben nur kurz sein würde. Sie konnten lange am Abend beisammensitzen, um Sagen und Geschichten zu hören oder zu lesen. Beide waren an den Erzählungen von Troja, an den Sagen von König Artus und der Tafelrunde oder von Parzival interessiert. Jeder hatte begonnen, die Sprache des anderen zu lernen; Abende lang wiederholten sie die Worte, die der Partner sprach, um sie nie mehr zu vergessen. Maximilian lernte schnell und viel, er war ein sprachbegabter junger Mann, der außer dem Französischen, das ihm Maria liebevoll beibrachte, auch noch von einer Hofdame Flämisch lernte.
Der junge Herzog lernte in Wort und Bild, denn was er aus den Büchern und Anleitungen nicht verstand, das konnte er, wenn die Texte von Sagen handelten, auch aus den prachtvollen Tapisserien ablesen, die an den Wänden hingen. Die riesigen Gobelins, die die Räume zierten, stellen vielfach mythologische Motive dar und faszinierten den jungen Mann besonders. Vielleicht erinnerte sich Maximilian, als er die Geschichte des trojanischen Königs Priamus betrachtete, an die Versuche seines Vaters, das Geschlecht der Habsburger bis auf diesen König zurückzuführen. Viel später, als Maximilian schon ruhelos durch Europa zog und den Beinamen »der Kaiser mit den fliehenden Sohlen« trug, beschäftigte er selbst einen ganzen Stab von Gelehrten, die ebenfalls nachweisen sollten, daß sich die Habsburger bis zu den Wurzeln der Menschheit zurückverfolgen ließen.
Maria und Maximilian liebten besonders die traulichen Abende am flackernden Kamin, wenn draußen schon leise die Flocken fielen und nur ab und zu die Ankündigung eines Zuges beim Schachspiel die Stille unterbrach. Beide hatten das Spiel der Könige schon in früher Jugend gelernt, und so war einer dem anderen ein idealer Partner im Kampf um die Macht auf dem karierten Brett. Sie fanden sich nicht nur im Gleichklang der Charaktere, sie entdeckten auch, daß ihre Interessen wunderbar übereinstimmten. Maximilian hatte von klein auf eine besondere Vorliebe für die Jagd entwickelt, und Maria galt im ganzen Land als ausdauernde und exzellente Reiterin und Jägerin. Sie war mit den schnellsten Pferden und den kräftigsten Hunden vertraut, damals keine Seltenheit für ein Mädchen. Karl der Kühne hatte seine einzige Tochter schon als Kind auf Treibjagden mitgenommen, und sie war es gewohnt, den Wildschweinen nachzuhetzen, über Gräben zu springen und die Reiher im Flug zu erlegen. Sie stand ihrem Mann in nichts nach, und Maximilian war glücklich, wenn Maria ihn begleitete. Er allerdings konnte es seiner Frau nicht gleichtun, denn in einer sportlichen Disziplin war sie ihm bei weitem überlegen: im Schlittschuhlaufen. So sehr sich Maximilian auch bemühte, auf den schmalen Kufen anmutig übers Eis zu gleiten, er mußte bald erkennen, daß er kein großes Talent dazu hatte. Aber er gab die Hoffnung nicht auf, den Volkssport der Niederländer zu erlernen, und Maria war eine geduldige Lehrmeisterin. Kaum hatte sich Eis auf den Kanälen und kleinen Seen gebildet, zog die ganze Hofgesellschaft hinaus, und unter lautem Gelächter wurde der Herzog übers Eis geschleppt.
Trotz dieser fröhlichen Abenteuer trieb es Maximilian immer mehr hinaus, wo sich in den Büschen das Wild versteckt hielt. Schon der Vater Marias war ein begeisterter Jäger gewesen, der neben den Jagdfalken auch noch um die viertausend Jagdhunde am Hofe hielt, daneben eine Unzahl von Falken, hervorragenden Pferden und versierten Treibern. Wann immer es möglich war, wurde zum Halali geblasen, und Maria war stets mit von der Partie. Selbst als sie ihre Kinder erwartete, schonte sie sich nicht.
Doch die schönen Tage in Gent waren bald vorüber, und Maximilian mußte erkennen, daß er mit der Erbin Burgunds auch die Probleme des Zwischenreiches geheiratet hatte. Der böse Nachbar im Westen zögerte nicht, dem jungen Mann das Leben schwer zu machen. Ludwig spekulierte zunächst richtig, als er sich vorstellte, der junge, verliebte Ehemann würde kein großes Interesse an der Politik zeigen. Er intrigierte in den Niederlanden, wo er nur konnte, und fand in einigen Städten bereitwillige Zuhörer, obwohl man sich zunächst noch nicht gegen den Habsburger stellen wollte. Aber die Keime für spätere Auseinandersetzungen waren schon gesät, und es mußte nur die richtige Zeit kommen, damit sie aufgehen konnten.
Heimtückisch griff Ludwig XI. das burgundische Reich an, brandschatzte und zerstörte, und wenn Maximilian im Süden kämpfte, hetzte er die Städte im Norden auf. Nicht nur einmal lief der arglose Kaisersohn dem raffinierten Gegner ins offene Messer. Aber immer wieder gelang es Maximilian mit persönlicher Tapferkeit, seine Leute mitzureißen, und so manches Mal kam er nur aufgrund seiner Kühnheit aus den mißlichsten Lagen.
Zwölf Jahre sollte der immer wieder aufflackernde Krieg gegen Frankreich das Schicksal Maximilians bestimmen, er kostete Unsummen, und sogar der burgundische Hausschatz mußte dafür verpfändet werden. Der junge Herzog versuchte in ganz Europa, Hilfe gegen den französischen König zu finden, und es gelang ihm auch, ein Bündnissystem gegen Frankreich aufzubauen, das für die Zukunft die Politik Europas prägen sollte. In England, seit langem verfeindet mit Frankreich, fand er offene Ohren für seine Probleme, und Spanien haßte Frankreich ebenso wie der Herzog der Bretagne. Durch geschicktes Taktieren gelang es Maximilian schließlich, Frankreich einzukreisen, und nach der verlorenen Schlacht bei Guinegate im August 1479 sah sich Ludwig XI. gezwungen, wenigstens vorübergehend den Frieden einzuhalten. Dabei war die Situation für Maximilian bei Guinegate keineswegs eindeutig gewesen, denn nach dem ersten Zusammenstoß flohen seine Reiter Hals über Kopf. Als Maximilian die aussichtslose Lage erkannte, ließ er nach »österreichischer und böhmischer Art« die Wagen vorziehen, um eine Art Wagenburg zu errichten, in deren Schutz er sich mit seinen Fußtruppen behaupten konnte. Das Blatt wendete sich, und Maximilian errang mit den Österreichern und Niederländern einen glänzenden Sieg, der sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land herumsprach und ihm große Sympathien unter der Bevölkerung einbrachte. Jetzt hatte man einen Herrscher, der die Interessen des Landes wahren würde, einen, der stark und fähig war, die Gefahr, die immer wieder aus dem Westen drohte, abzuwehren. Überall, wo Maximilian auftauchte, scholl ihm Jubel entgegen, und er genoß es, wenn im Volk der Ruf laut wurde, er solle zeigen, wie er schießen könne: Dann ging er zu den Schießständen der Bürger und schoß die Figuren der Reihe nach von der Stange, so daß es bald im ganzen Land hieß: »Österreich schoß den Vogel ab, das den Franzosen groß Verdrießen gab.«
Auch das private Glück Maximilians war an einem Höhepunkt angelangt, als Maria im Juli 1478 einem Knaben, Philipp, das Leben schenkte. Und selbst in dieser Situation versuchte Ludwig XI., durch eine perfide Lüge die Freude des jungen Vaters zu trüben. Maximilian war bei der Geburt seines ersten Kindes nicht im Land, und so ließ der König von Frankreich überall das Gerücht verbreiten, daß der Knabe in Wirklichkeit ein Mädchen wäre. Geschickt verteilte er seine Einflüsterer in den niederländischen Städten, so daß die Bevölkerung allmählich mißtrauisch wurde und zu glauben anfing, was der König von Frankreich sagte. Als die Taufpatin des Kindes, die Stiefmutter Marias, Margarete von York, von diesen Intrigen hörte, wickelte sie, resolut und lebensnah wie sie war, kurzerhand das Kind aus den Windeln und zeigte dem Volk, daß es unverkennbar männlichen Geschlechts sei.
So schnell Maximilian konnte, eilte er nach Gent, wo ihn Maria mit dem Kind auf dem Arm am Stadttor erwartete. Er sprang vom Pferd, umarmte seine Gemahlin und trug seinen Sohn durch die Straßen der Stadt bis zum Palast. Gerührt jubelten die Menschen dem glückstrahlenden Vater zu, und auch die Stadtväter konnten sich der allgemeinen Freude nicht entziehen und machten dem jungen Prinzen ein fürstliches Taufgeschenk von 14 000 Gulden.
Im folgenden Jahr brachte Maria ein Mädchen zur Welt, das nach ihrer Stiefmutter Margarete benannt wurde; der zweite Sohn Franz starb schon nach ein paar Wochen.
Das Schicksal Maximillans an der Seite Marias hatte sich beinahe erfüllt. Einen einzigen Sohn hatten ihm die Sterne prophezeit, und die frühe Trennung von einer geliebten Person. Und so geschah es auch: Nach wenigen kurzen Jahren des größten Glücks verlor er seine Frau, seine Kinder und auch das Land. Mitten in den Freuden des Lebens traf ihn der härteste Schlag, den er sein Lebtag nicht mehr verwinden konnte.
Im März des Jahres 1482 war Maria wieder guter Hoffnung. Trotzdem ließ sie sich nicht davon abhalten, an der Reiherjagd teilzunehmen. Sie ließ sich aufs Pferd heben, setzte ihren Lieblingsfalken auf den Arm, gab dem Pferd die Sporen und sprengte darauflos. Plötzlich flog ein Reiher vor ihr auf: Maria wollte den Falken loslassen, achtete dabei nicht auf das Gelände, und ihr Pferd strauchelte. In hohem Bogen flog die junge Frau durch die Luft, landete in einem Graben, und im nächsten Moment fiel das Pferd auf sie. Schwerverletzt blieb Maria liegen.
Ihre Getreuen und auch Maximilian waren wie gelähmt vor Schreck. Man hob sie vorsichtig auf, aber erst am nächsten Tag konnte sie ins Schloß gebracht werden, da sie zu starke Schmerzen hatte. Die herbeigerufenen Ärzte stellten schwere Rippenbrüche fest, aber auch innere Blutungen infolge der fortgeschrittenen Schwangerschaft. Maria weigerte sich, schamhaft wie sie war, eine Untersuchung der Ärzte in jenen Körperregionen vornehmen zu lassen, die für andere Männer tabu waren. So verblutete sie langsam: es dauerte Tage, in denen sie elend dahinstarb. Maximilian konnte sich in seiner Verzweiflung kaum fassen, er lief mit Asche auf dem Haupt herum, ließ eine Messe nach der anderen für die geliebte Frau lesen und konnte trotzdem nur zusehen, wie der Tod unerbittlich den Sand durch das Stundenglas rinnen ließ.
Maria war hoffnungslos verloren. In einem lichten Augenblick, in dem sie merkte, daß sie allmählich in eine andere Welt hinüberglitt, verabschiedete sie sich von dem geliebten Mann und den kleinen Kindern. Dann schickte sie die Familie mit den Worten hinaus: »Bald, ach, werden wir voneinander getrennt sein!« Auch den Rittern des burgundischen Hausordens, des Goldenen Vlieses, und ihren Ratgebern sagte sie Lebewohl und bat alle um Vergebung, wenn sie irgendeinem jemals Unrecht getan haben sollte. Dann schloß sie die Augen für immer. Zurück blieben ein unglücklicher, schluchzender Mann und zwei kleine Kinder in einer feindlichen Welt.
Von dieser Zeit an trugen die Rosen für Maximilian nur noch Dornen. Von einem Tag zum anderen war sein ganzes Glück gewichen. Ein ganzes Leben lang trauerte der Erzherzog und spätere Kaiser um seine erste Gemahlin, und keine andere konnte sie ihm jemals ersetzen.