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Die Liebe brachte sie um den Verstand

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PHILIPP DER SCHÖNE UND JOHANNA DIE WAHNSINNIGE

Wo immer er auftauchte, brach er die Herzen der Frauen im Sturm: groß, blond, mit strahlenden blauen Augen und einer athletischen Figur, betörte Philipp, der einzige Sohn Maximilians I. und Marias von Burgund, die Frauen im Reich seines Vaters. So sehr sich Philipp, dem schon die Zeitgenossen den Beinamen »der Schöne« verliehen, auch zur holden Weiblichkeit hingezogen fühlte, so wenig hielt er allerdings von den Plänen seines Vaters, der ihn aus Gründen der hohen Politik mit einer spanischen Prinzessin verheiraten wollte. Der Prinz sträubte sich zwar gegen eine eheliche Verbindung mit der bigotten Spanierin, er konnte aber nicht verhindern, daß der Kaiser intensive Kontakte zu den katholischen Majestäten Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon aufnahm, um für seinen Sohn und Erben eine der Töchter des Königspaares als Braut zu bestimmen. Dem Kaiser war an einer verwandtschaftlichen Beziehung zum spanischen Königshaus viel gelegen, da die Spanier ebenfalls keine Freunde des französischen Königs waren und Maximilian auf Unterstützung im Kampf gegen Frankreich hoffte.

Als die Abgesandten des Kaisers in Spanien um die Hand einer Tochter des Königspaares anhielten, war man hocherfreut und fühlte sich geehrt. Allerdings waren zwei Mädchen schon fest versprochen: die Älteste sollte den König von Portugal heiraten und die zweite, Catalina, war mit dem Thronfolger von England, Arthur, verlobt. So blieb nur die Jüngste Tochter Juana übrig, die man dem Kaiser und seinem Sohn anbot. Für Maximilian wäre selbstverständlich die älteste Tochter Isabel als Schwiegertochter willkommener gewesen, hätte er doch – und so überlegte man in diesen Zeiten stets – bei einem frühen Tod des spanischen Infanten für seinen Sohn Aussicht auf die spanischen Gebiete mit den überseeischen Kolonien gehabt. Für alle Herrscher war die Mitgift eine wesentliche Sache, und der Kaiser wußte, daß die spanischen Prinzessinnen gut ausgestattet waren.

Die Tragik des Schicksals wollte es, daß ausgerechnet Juana die Auserwählte für den Habsburgerprinzen war, ein Mädchen, das schon in seiner Jugendzeit durch Introvertiertheit und Zurückgezogenheit aufgefallen war, das nichts von seinen dynamischen Eltern geerbt hatte. Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon galten als das ideale Paar auf dem Königsthron, beide zusammen hatten es fertiggebracht, Spanien zu einigen, die spanischen Granden davon zu überzeugen, daß nur ein einiges Land stark sein konnte im europäischen Konzert der Mächte, daß aber zu einer politischen Einheit auch die religiöse vonnöten war. Und so hatten sie von allen Seiten starke Unterstützung erhalten, als vor allem Isabella begann, gegen die Mauren und Juden in Südspanien vorzugehen und versuchte, das Kalifat von Granada zu stürzen. Im Jahre 1492 war es dann endlich soweit, die letzten Mauren, die die schweren Kämpfe überlebt hatten, wurden vor die Wahl gestellt, entweder die katholische Religion anzunehmen oder das Land zu verlassen. Grausam ging man auch gegen die Juden vor, denen man Geschäftemacherei und Wucher vorwarf. Die katholischen Majestäten zeigten wenig christliche Nächstenliebe, sondern hielten Feuer und Schwert für probate Mittel im Kampf gegen die Andersgläubigen.

Aber sie hatten Erfolg: ein einiges Spanien war ihr Ziel gewesen, und das hatten sie erreicht. Und Isabella war es auch, die mit ihrem Weitblick die Fähigkeiten eines Christoph Kolumbus erkannt hatte, die dem Genuesen, der schon überall abgewiesen worden war, drei Schiffe zur Verfügung stellte, mit denen er neue Länder für die spanische Krone entdecken konnte.

Ferdinand hingegen stand, solange seine Frau am Leben war, fast in ihrem Schatten, und viele bezeichneten ihn gar als einen Pantoffelhelden, der seine Talente erst zeigen konnte, als Isabella ihr Reich Kastilien ihrer Tochter Juana vererbt hatte.

Maximilian hatte bei der Wahl der spanischen Prinzessin natürlich angenommen, daß eine Tochter aus einem solchen Elternhaus sicherlich auch besondere Begabungen besitzen müsse. Er wußte wenig über die spanischen Prinzessinnen, nur so viel, daß die jüngste Tochter nicht ohne Reiz war, und das war wichtig für seinen liebesdurstigen Sohn Philipp.

Juana, die im November 1479 das Licht der Welt erblickt hatte, war schon als kleines Kind anders als ihre Geschwister; sie spielte am liebsten allein in den weiten Parkanlagen, las, sobald sie konnte, Bücher, die eigentlich nicht ihrem Alter entsprachen und war von großem Ernst. Außerdem war das Kind ungewöhnlich fleißig und sprachbegabt, es dauerte nicht lange, und sie konnte sich mit ihren Lehrern in den Sprachen unterhalten, die eben unterrichtet worden waren. So sprach sie fließend Latein, außerdem natürlich Spanisch, Portugiesisch, Französisch und später Flämisch. Für Politik allerdings interessierte sich Juana überhaupt nicht, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, die immer wieder versuchte, sie in politische Dinge einzuweihen. Das Mädchen hörte gar nicht erst zu, wenn die Mutter es belehren wollte, es beschäftigte sich nur mit den Dingen, für die es Interesse hatte, und Politik gehörte nicht dazu.

Ganz anders war es mit der Religion. Juana war durch ihre Eltern fest im Glauben erzogen worden und befolgte alle Regeln genau. So wurde mindestens dreimal am Tag gebetet, sämtliche religiösen Feiertage wurden mit allen vorgeschriebenen Zeremonien begangen, und Juana dachte und tat nichts, was Priester und Bischöfe verboten hatten. Sie war in allem eine typische Spanierin, auch äußerlich. Dunkles Haar umrahmte ein ungewöhnlich apartes Gesicht, in dem die merkwürdig grünen Augen als Besonderheit auffielen und auf alle, die sie sahen, faszinierend wirkten. Sie sah ihrer Großmutter väterlicherseits, Johanna von Kastilien, sehr ähnlich, und ihre Mutter Isabella nannte sie manchmal scherzhaft »Schwiegermutter«. Sittenstreng, wie Juana erzogen worden war, fügte sie sich auch ganz dem Wunsch ihrer Eltern, als sie hörte, daß sie Philipp, den Sohn des Kaisers, heiraten sollte.

Ob Juana von Philipp vorher schon etwas gehört hatte, ist nicht bekannt; jedenfalls soll sie von seinem Anblick entzückt gewesen sein, als die Gesandten des Kaisers ihr ein Medaillon mit dem Bildnis des Bräutigams überreichten. Man mußte dem jungen Prinzen nicht schmeicheln, wie das die Maler gerne taten, die im Auftrag eines Herrschers ein Konterfei herstellten, das dann dem zukünftigen Ehepartner übersandt werden sollte: Er war ein makelloser junger Mann, und die unerfahrene spanische Prinzessin verliebte sich auf den ersten Blick in ihn. Philipp hingegen war nicht gerade begeistert, als der Hochzeitstermin immer näher kam, erkannte er doch, daß er sein lustiges Leben zumindest vorübergehend aufgeben mußte, und das war etwas, woran er nicht einmal denken mochte. Von frühester Jugend auf war er an allerhand Abwechslungen gewöhnt, die sich ihm in den Niederlanden und im Reich boten. Dazu gehörten nicht nur seine vielfältigen Liebesabenteuer (die manchmal dazu führten, daß der kaiserliche Prinz im letzten Moment aus dem Fenster eines Hauses springen mußte, wenn er den gehörnten Ehemann die Treppen heraufkommen hörte), sondern auch die rauschenden Feste, auf denen er nächtelang tanzte und den Wein in vollen Zügen genoß. Das Leben war bunt und schön für einen freien Mann in Flandern, und Philipp dachte mit Schaudern an die Fesseln, die ihm sein Vater anlegen wollte. Außerdem hörte er, daß seine Braut sehr sittenstreng erzogen worden war, daß sie sich kasteite, wenn die Fastengebote dies verlangten, daß sie streng nach dem katholischen Glauben lebte. All dies war nicht dazu angetan, ihn mit Freude an die Zukunft denken zu lassen. So beschloß er, wenigstens die letzten Monate vor der Hochzeit noch ausgiebig zu genießen. Er verließ die Niederlande, um im Auftrag seines Vaters im Reich nach dem Rechten zu sehen und sich dort, oft vor den Augen der Öffentlichkeit, noch ausführlich zu amüsieren. Mit Philipp trauerte eine Unzahl schöner Mädchen, denen der Prinz die Gunst einer Nacht gewährt hatte, und von denen jede einzelne hoffte, daß er doch einmal zurückkehren würde.

Philipp war achtzehn Jahre jung, als er heiraten sollte, aber ein Mann mit reicher Erfahrung, was die Frauen betraf. Hinter vorgehaltener Hand flüsterte man auch am spanischen Hof über sein ausschweifendes Liebesleben, und Juana hörte den Erzählungen der Hofdamen fasziniert und abgestoßen zugleich zu.

Der Tag der offiziellen Hochzeit wurde festgesetzt; zur gleichen Zeit sollte der Bruder Juanas, der Infant von Spanien Juan, Philipps Schwester Margarete heiraten. Wie es zur damaligen Zeit üblich war, wurde die Hochzeit durch Stellvertreter durchgeführt, »per procurationem«; zu Beginn des Jahres 1496 fand die Trauung Juanas in Valladolid statt. Philipp, der nicht anwesend sein konnte, hatte den Bastard von Burgund geschickt, der den Platz des Bräutigams in der Kirche einnehmen sollte. Zuvor hatte man noch in Antwerpen einen offiziellen Vertrag aufgesetzt, in dem die Ziele der Eheschließung genau dargelegt waren und der in Anwesenheit vieler illustrer Persönlichkeiten von Philipp und dem Kaiser unterzeichnet worden war. Die habsburgischen und spanischen politischen Interessen kamen hier klar zutage, und nicht nur die Eingeweihten wußten, daß die Politik der beiden Großmächte eindeutig gegen Frankreich gerichtet war. Der Erzfeind sollte durch diese Einkreisungstaktik endgültig in die Knie gezwungen werden. Daß der junge Philipp dem französischen König gar nicht so schlecht gesonnen war, erkannte der Kaiser zwar mit großem Widerwillen, er hoffte aber, daß sein Sohn allmählich seine Meinung ändern würde.

Nachdem die ersten Formalitäten vorüber waren und Maximilian sich mit Isabella und Ferdinand verständigt hatte, sollte die kirchliche Eheschließung mit großem Pomp und Prunk in Flandern stattfinden. Von Tag zu Tag wurde Juana aufgeregter, als die Abreise näherrückte. Am meisten fürchtete sie sich vor dem Abschied von ihrem Vater. Obwohl Ferdinand sich nie besonders um seine jüngste Tochter gekümmert hatte, hatte diese doch im Laufe der Jahre eine innige Liebe zu ihm entwickelt, während sie die Mutter eher wie eine Außenstehende betrachtete. Die beiden Frauen hatten einander wenig zu sagen, und so sehr sich Isabella immer wieder um die Tochter bemühte, sie stieß nur auf kühle Ablehnung.

Tag und Nacht war die Königin in den nächsten Monaten tätig, um die Abreise ihrer Tochter nach Flandern zu planen. Es sollten mehrere Schiffe ausgerüstet werden, um die Mitgift und Aussteuer Juanas zu befördern. Außerdem wurde der Prinzessin ein eigener Hofstaat aus spanischen Bediensteten mitgegeben, deren Zahl nicht genau bekannt ist. Isabella wußte, daß ihrer Tochter ein ungewisses Abenteuer bevorstand. Eine Seefahrt zu dieser Zeit bedeutete für alle ein großes Risiko, denn die Segelschiffe, die nach Norden reisten, waren den Stürmen und haushohen Wellen oft nicht gewachsen. Daher sollten viele Schiffe nach Flandern segeln, um die Gefahr für Juana möglichst gering zu halten. Lebensmittel und Hausgeräte wurden auf die Lastschiffe geladen, allein 85 000 Pfund geräuchertes Fleisch, 150 000 Heringe, 1000 durcheinander gackernde Hühner, 10 000 Eier, 2000 Gallonen Essig und 400 Fässer Wein, damit die Spanier in den Niederlanden nicht auf ihr gewohntes Getränk verzichten mußten.

Bei dem Gedanken an die schwere niederländische Kost, die fast immer auch am Hofe von Gent serviert wurde, erschauerte so mancher Spanier in Juanas Gefolge. Hier im Süden vermied man fettes Schweinefleisch, derbe Gemüse und Hülsenfrüchte, und vor allem trank man Wein statt Bier. Alle hatten schon längst von dem für spanische Begriffe liederlichen Lebenswandel der flämischen Bevölkerung gehört, auch in den besten und angesehensten Kreisen, daß man nächtelang aß und trank und schließlich in irgendein Bett fiel, meist nicht in das eigene. Angeblich schleppten die Frauen oder leichten Mädchen die stocktrunkenen Männer im Morgengrauen nach Hause, und es dauerte einen halben Tag, bis die vom Bier Berauschten wieder fähig waren zu erkennen, wo sie sich eigentlich befanden. Für einen Spanier waren solche Sitten unvorstellbar, hier achtete man die Gesetze der Moral, und obgleich so mancher im geheimen neugierig war auf dieses Leben, verabscheute er es doch nach außen hin.

Das Gefolge, das die Königstochter in die Niederlande begleiten sollte, bestand schließlich aus 22 000 Personen. Immer mehr Schiffe vergrößerten die Flotte, und schließlich machten sich 130 Segler bereit, in See zu stechen. Isabella hatte die Damen und Herren, die Juana begleiten sollten, sorgfältig ausgewählt, es waren gebildete Angehörige des spanischen Hochadels, die Juana das Leben in der Fremde erleichtern sollten. Sie konnte nicht voraussehen, daß diese Getreuen bald ihren Einfluß verlieren und von Philipp systematisch entmachtet werden sollten.

Die Abreise im Sommer 1496 gestaltete sich zu einem Fest. Von weit und breit war das Volk herbeigeeilt, um der scheidenden Prinzessin, die bis dahin beinahe niemand gekannt hatte, ein letztes Lebewohl zu sagen. Man hatte gehört, welch hohe Aufgabe ihr einmal zukommen sollte und sah in ihr schon die zukünftige Kaiserin. Unter dem Jubel der Bevölkerung lichtete man die Anker. Schwer stachen die völlig überladenen Schiffe in See, im letzten Moment hatten die Granden, die Juana begleiten sollten, noch ihr Gefolge mitgebracht. Allein der Admiral brauchte 450 Bedienstete, so daß die Schiffe aussahen, als würden sie im nächsten Augenblick in den blauen Fluten des Atlantik versinken. Den ersten Versuch, die Seefahrt zu beginnen, mußte man bald abbrechen, denn kaum waren die Schiffe aus dem schützenden Hafen ausgelaufen, als sich das Wetter als äußerst ungünstig erwies und man es vorzog, noch ein paar Tage im Hafen abzuwarten.

Endlich war es soweit; der Admiral gab das Kommando zum Aufbruch, und die Segel der Schiffe flatterten im Wind, der sich allerdings allmählich zum Sturm entwickelte. Eine Fahrt im Herbst durch den Golf von Biskaya war schon immer ein schwieriges Unterfangen gewesen, und auch der Segen der Kirche, mit dem die Flotte ausgestattet worden war, konnte nicht verhindern, daß die gefürchteten »temporales« über die Schiffe herfielen, die Segel wie Zunder zerfetzten und die Segler wie Nußschalen hin- und herwarfen. Tagelang tobte der Sturm, haushohe Wellen überrollten die Planken, Menschen und Tiere wurden fortgeschwemmt und versanken in den Fluten. Unter Deck warfen sich die Männer und Frauen zu Boden und flehten alle Heiligen an, doch endlich den Winden Einhalt zu gebieten und dem Wüten der Elemente ein Ende zu machen.

Als der Sturm endlich nachließ, war die Hälfte der Flotte ein Opfer des Sturmes geworden. Juana hatte man im letzten Moment, bevor ihr Schiff zu versinken drohte, unter größten Gefahren auf einen anderen Segler gebracht.

Es war ein trauriger Anblick, als die spanischen Schiffe, die von der stolzen Flotte übriggeblieben waren, mit zerfetzten Segeln und schwerer Schlagseite an der Küste von Zeeland vor Anker gingen. Völlig durchnäßt – sie hatte schon seit Tagen keine trockene Kleidung am Leib gehabt –, hustend und niesend betrat die zukünftige Herzogin von Burgund und spätere Königin den niederländischen Boden. Ein Teil ihres Heiratsgutes war genauso wie viele Spanier ihres Gefolges ein Raub der Wellen geworden, und Juana hatte nur den einen Wunsch, in den nächsten Monaten das Meer nicht mehr sehen zu müssen.

Als die knapp sechzehnjährige Prinzessin das Land ihres Bräutigams betrat, war ihre Enttäuschung riesengroß. Hier stand kein Philipp, der auf sie wartete und das völlig erschöpfte junge Mädchen liebevoll in die Arme schloß. Der Prinz war nicht in Flandern; er hatte zwar gehört, daß seine Braut übers Meer fuhr, aber er wollte von ihr so lange nichts wissen, so lange es nur irgend möglich war. Er hatte sich noch immer nicht mit dem Gedanken abgefunden, sein freies Junggesellendasein aufgeben zu müssen. So kam ihm der Auftrag des Kaisers gerade recht, ihn in Deutschland zu vertreten.

Die Enttäuschung Juanas wich ein wenig, als ihr von den Niederländern ein begeisterter Empfang bereitet wurde. Neugierig und gespannt hatte die Bevölkerung in Flandern auf die Braut ihres Prinzen gewartet, und alles war auf den Beinen und wollte die Prinzessin sehen. Wo immer sie sich zeigte, brauste Jubel auf, man warf ihr Blumen entgegen und feierte sie »wie eine Königin«. Mit großem Pomp zog sie in Antwerpen ein, Kinderchöre sangen in den Straßen, durch die der festliche Zug kam, man schrie und klatschte, als man die junge Braut sah, Girlanden schmückten die mächtigen, spitzgiebeligen Häuser, die Fenster waren weit geöffnet, und wo die Blumen den Schaulustigen noch Platz ließen, konnte man dicht gedrängt die Menschen sehen, die der jungen Prinzessin zujubeln wollten. Juana sah bezaubernd aus in ihrem golddurchwirkten Kleid, mit dem dunklen Haar, ihrer makellosen olivfarbenen Haut und den meergrünen Augen, sechzehn Jahre jung, lächelnd, winkend, strahlend.

Margarete, die Schwester Philipps, hatte es übernommen, die Hochzeitsfeierlichkeiten genau festzulegen und die Trauung in allen Einzelheiten zu planen. Sie war Juana mit besonderer Herzlichkeit entgegengekommen und hatte das verschlossene Mädchen sofort für sich eingenommen.

Die Hochzeitsfeierlichkeiten waren für den 20. Oktober 1496 festgesetzt worden. Je näher dieser Zeitpunkt rückte, desto neugieriger wurde nun auch Philipp auf seine spanische Braut. Endlich traf er in Lier ein, wo Juana auf ihn wartete. Philipp war früher als angekündigt gekommen, und als die Prinzessin den Hufschlag seines Pferdes im Hofe hörte, begann ihr Herz wild zu klopfen. Im nächsten Augenblick wurden die Türen aufgerissen, und Philipp stand vor ihr, jung, mit wehendem Haar, verschwitzt, aber dennoch strahlend, hinreißend. Juana sah ihn, und es war um sie geschehen.

Aber auch Philipp war von ihrem Anblick überwältigt. Die Prinzessin war so ganz anders als die Mädchen, die er bisher gekannt hatte. Sie faszinierte ihn so sehr, daß er alles Protokoll über den Haufen warf; er mußte sie sofort haben, er wollte nicht warten, bis die offiziellen Trauungszeremonien vorüber waren. Zufällig war ein Geistlicher im Raum, dem Philipp bedeutete, er möge sie jetzt und auf der Stelle trauen. Der Priester, ein Spanier, verstand nicht sofort; Juana aber deutete instinktiv die Blicke, die Philipp unverwandt auf ihr ruhen ließ, richtig und gab dem Priester den Befehl, sie sofort im christlichen Sinne zu verbinden. Beide knieten kurz nieder, Philipp hielt die Hand Juanas, der Geistliche sprach einige Worte, die beide kaum hörten, dann verließen die jungen Leute fluchtartig den Raum. Philipp zerrte Juana in einen Saal des Palastes, in dem ein breites Himmelbett stand, über dem schnell eine Dienerin ein Kruzifix angebracht hatte, dann warfen sie sich aufs Bett und rissen sich gegenseitig die Kleider vom Leib. Für Juana begann die Liebesraserei, die sie um den Verstand bringen sollte.

Die formellen Hochzeitsfeierlichkeiten am darauffolgenden Tag ließen die beiden bloß noch über sich ergehen: für die Bevölkerung des Landes aber waren sie ein Fest. In den Straßen wurde getanzt und gesungen, farbig gekleidete Menschen und bunte Blumen bildeten den festlichen Rahmen, Musik spielte auf, und man jubelte dem jungen Paar zu, wo immer es sich zeigte. Sie waren ein Brautpaar wie aus dem Bilderbuch, der Prinz groß und blond, strotzend vor Kraft und Gesundheit, die Prinzessin zierlich, beinahe zerbrechlich, dunkel, geheimnisvoll. Philipp und Juana waren wie in Trance, als die Trompeten den Einzug der Brautleute in der Kollegienkirche von Cambrai ankündigten. Sie schritten durch ein Spalier von begeisterten Menschen zum Altar, wo der Bischof feierlich die offizielle Trauung der beiden Königskinder vornahm.

Der Hochzeitsschmaus wurde im alten Palast der Herzöge von Brabant eingenommen, aber es stellte sich bald heraus, daß die Räumlichkeiten für die vielen geladenen Gäste zu klein waren. So wandelte man in aller Eile einen in der Nähe gelegenen Getreidespeicher zum Bankettsaal um, Tische und Bänke wurden hereingeschleppt, einige Teppiche eilig aufgelegt, um den kahlen Raum etwas gemütlicher zu gestalten, und dann flossen Wein und Bier in Strömen. Alles, was Küche und Keller zu bieten hatten, wurde aufgetragen, die Silberschüsseln gingen über von all den Köstlichkeiten, die Hunderte von Köchen zubereitet hatten. Juana und Philipp saßen inmitten der fröhlichen Schar und warteten nur auf den Augenblick, in dem sie sich ungesehen zurückziehen konnten. Die Prinzessin war kaum fähig, ein paar Bissen zu sich zu nehmen, und auch Philipp lehnte dankend die ihm angebotenen Becher Weines ab. Das Feuer der Liebe und Begierde brannte in ihnen beiden lichterloh, und das konnte kein Wein löschen. Juana war wie in einem Bann, ihre Zurückhaltung und Schüchternheit waren einer rauschhaften Leidenschaft und Besitzgier gewichen, die für die Zukunft nichts Gutes versprachen. Die Flammen, die sie beide zu Beginn ihrer Ehe verzehrten, mußten sie im Laufe der Zeit verbrennen.

Noch war Philipp an Juana interessiert, noch konnte sie ihn durch ihre Leidenschaft verzaubern, und er glaubte sogar, das feurige Mädchen für alle Zeit zu lieben. Er verwechselte Leidenschaft mit Liebe, da er aber die wahre Liebe nicht kannte, glaubte er sie nun gefunden zu haben.

Aber Philipp war kein Mann fürs Leben, kein Ehemann, den man an sich binden konnte, der zu Hause blieb und keine andere mehr ansah. Dazu hatte er zu leichtes Blut in den Adern und zu viele Erfahrungen mit anderen Frauen hinter sich. So konnte es nicht ausbleiben, daß er sich bald nach der Hochzeit eingesperrt, eingeengt und umklammert fühlte und sich mit allen Mitteln zu befreien suchte. Es kam zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen den beiden, zu Vorwürfen, Ausflüchten, Versprechungen und Tränen. Und danach stürzte man gemeinsam ins Bett und feierte ausgiebig Versöhnung. Dabei verstand es Philipp meisterlich, die Sehnsüchte und Zweifel seiner jungen Gemahlin zu zerstreuen.

Aber allmählich wurde selbst dem liebesdurstigen Philipp die Raserei seiner Frau zuviel, und er bemerkte wieder, daß es außer Juana nach wie vor auch andere schöne Mädchen gab, die er, wenn sie ihn nicht beobachtete, wohlgefällig betrachtete. Und er wußte, daß die blonden und blauäugigen flandrischen Frauen für ihn jederzeit zu haben waren und daß sie ihn nach einer gemeinsam verbrachten Nacht nicht an sich ketten wollten. Juana erkannte instinktiv diese Gefahr und wachte eifersüchtig darüber, daß an ihrem Hof kein hübsches weibliches Wesen zu finden war. Sie bedachte dabei allerdings nicht, daß sie Philipp auf diese Weise noch eher aus dem Haus treiben würde. Er hatte immer wieder andere Vorwände, um den Palast zu verlassen: einmal war es eine Jagd mit Freunden, das nächste Mal ein ritterlicher Wettkampf, zu dem nur die Männer geladen waren. Dazu kam, daß Juana schon bald ein Kind erwartete, so daß ihr beschwerliche Reisen nicht zuzumuten waren. Der Prinz war froh und glücklich, wenn er sich im Kreise seiner alten Freunde aufhalten konnte, die lustigen Zeiten waren noch lange nicht vorüber, und meist endeten diese Ausflüge im Bett eines schönen Mädchens. Der spanische Gesandte Gomez de Fuersalida schilderte den jungen Habsburger: »Er ist ein guter Mensch, aber willensschwach, ist ganz und gar seinen Gelüsten ausgeliefert, die ihn im Trubel eines leichtfertigen Lebens von Bankett zu Bankett, von einem Weib zum anderen schleppen …«

Es konnte Juana nicht verborgen bleiben, wo sich Philipp tage- und wochenlang aufhielt, sie hatte ihre Informanten, die ihr von den amourösen Abenteuern ihres Mannes berichteten. Kehrte er dann zu ihr zurück, kam es zu den häßlichsten Eifersuchtsszenen, die darin gipfelten, daß er Juana auf seine Art strafte und nicht mit ihr schlief. Er ließ sich von seinen Dienern ein eigenes Zimmer für die Nacht zurechtmachen und zog sich unter dem lauten Geschrei seiner liebesdurstigen Frau dorthin zurück.

Wahrscheinlich wäre das Leben beider in anderen Bahnen verlaufen, hätte Juana Philipp nicht ständig auf Schritt und Tritt bewachen lassen und versucht, Toleranz zu üben, wäre sie ein wenig gelassener und großzügiger gewesen. So aber trieb sie ihn mit ihrer Eifersucht aus dem Haus. Wenn er sich dann heimlich zurückschlich und versuchte, abseits von ihren Räumlichkeiten in Ruhe die Nacht zu verbringen, bezog Juana, kaum hatte sie von seiner Rückkehr erfahren, ein Zimmer im Stockwerk über seinem Raum und begann mit den Fäusten auf den Boden zu trommeln und immerfort seinen Namen zu rufen. Als Philipp einmal nicht reagierte, begann sie die Bretter des Fußbodens herauszureißen und flehte ihn weinend an, doch zu ihr zu kommen. Philipp blieb in seinem Raum und machte ihr nach dieser schlaflosen Nacht am nächsten Tag vor sämtlichen Dienern und Gefolgsleuten eine fürchterliche Szene.

Aus der leidenschaftlichen Liebe war ein schrecklicher Kampf geworden. Und je mehr Juana sich Philipp unterwarf, desto mehr fühlte er sich von ihr abgestoßen, je leidenschaftlicher sie ihn umarmte, desto mehr erkaltete er in ihren Armen.

In jeder Frau, in jedem Mädchen, das in die Nähe Philipps kam, erblickte Juana eine mögliche Rivalin, die sie mit dem größten Mißtrauen verfolgte. Einmal beobachtete sie ein blondes Mädchen, das einen Brief für Philipp in Händen hielt. Juana stürzte sich auf das Mädchen und versuchte ihm den Brief zu entreißen. Wahrscheinlich war es auch wirklich ein Liebesbrief, denn die Besucherin zerriß das Schreiben vor den Augen Juanas und schluckte die Papierfetzen hinunter. Das war zuviel für die rasende Frau, es war ein Eingeständnis und mußte schwer bestraft werden. Juana lief ins nächste Zimmer, ergriff eine Schere und stürzte sich auf die Ahnungslose. Vor den Augen aller schnitt sie dem Mädchen das lange, blonde Haar bis zur Kopfhaut ab und begann es mit Fäusten ins Gesicht zu schlagen. Philipp war durch den Lärm aufmerksam geworden, entriß Juana die Schere und versuchte die beiden Frauen zu trennen. Als Juana nicht von dem Mädchen lassen wollte und es mit Fußtritten attackierte, schrie der Prinz seine Frau an und versetzte ihr mehrere Hiebe, dazu schleuderte er ihr unflätige Worte ins Gesicht. Der Skandal war perfekt.

Wochen der Trennung folgten, die schlimmste Strafe, die Philipp seiner Frau antun konnte. Nachdem ihr Zorn verraucht war, versuchte Juana jedes Mittel, um die Aufmerksamkeit ihres Gemahls wieder zu erringen. Das war nun doppelt schwer, da sie fast ständig schwanger war und in diesem körperlichen Zustand einen Mann wie Philipp kaum reizen konnte. Juana gebar ihrem Mann im Laufe ihrer Ehe sechs Kinder, aber auch diese schufen keine Verbindung mehr zwischen den beiden; ebenso wie Philipp betrachtete Juana die Söhne und Töchter bloß als Notwendigkeit für den Fortbestand der Dynastie, entwickelte aber keine besondere Beziehung zu ihnen (außer zu ihrer jüngsten Tochter Katharina).

Es gab niemanden in den Niederlanden, dem Juana wirkliches Vertrauen schenkte. Sie war einsam in dem fremden Land, das düster und kalt geworden war und ihr feindselig vorkam. Daß sie selber durch ihr Wesen und ihren Charakter die Bevölkerung gegen sich aufbrachte, kam ihr nicht in den Sinn. In ihrer schwarzen Tracht, die sie schon in jungen Jahren bevorzugte, wirkte sie auf die lebensfrohen Niederländer, die sich gerne farbenprächtig kleideten, wie das leibhaftige schlechte Gewissen, die personifizierte ewige Mahnung. Alle, die sie sahen, wichen vor ihr zurück, vor ihrem flackernden Blick und den hastigen Gesten. Man fand die junge Frau unheimlich und konnte Philipp gut verstehen, wenn er sie mied. Es dauerte nicht lange, da tauchte das Gerücht auf, Juanas Großmutter sei im Wahnsinn gestorben. War etwa sie auch …?

Philipp versuchte, wo es nur ging, seine Frau zurückzulassen, wenn er verreiste; von Zeit zu Zeit aber mußte er sie aus politischen Rücksichten wohl oder übel mitnehmen, so auch bei einer Reise nach Spanien, während der er seine Schwiegereltern kennenlernen und sich ein Bild der Lage verschaffen wollte. Es galt, Thronforderungen geschickt anzumelden.

Da sich Philipp zeit seines Lebens vor Seereisen fürchtete, beschloß er, den Weg durch Frankreich zu nehmen. Dieser Plan erregte ungeheures Aufsehen, war sein Vater, der Kaiser, doch jahrzehntelang aus politischen und persönlichen Gründen mit dem französischen Königshaus verfeindet gewesen, und auch die katholischen Majestäten Ferdinand und Isabella betrachteten Frankreich als Erbfeind. Und jetzt wollte der junge Prinz die Traditionen brechen und in Freundschaft das französische Königspaar aufsuchen! Aber Philipp hatte ganz andere Absichten für die Zukunft, er wollte nicht den dauernden Krieg, er wollte Annäherung und Ausgleich.

Juana wehrte sich, so gut sie konnte, gegen die Absicht ihres Mannes, den König von Frankreich aufzusuchen. Sie hatte von Kindheit an gehört, wie verderbt und verworfen die französischen Könige wären und wollte unter keinen Umständen den Hof Louis’ in Blois betreten.

In Frankreich war man entzückt von der Aussicht, Maximilians Sohn begrüßen zu können. Die Intrige konnte perfekt werden, wenn es gelang, Philipp den Aufenthalt am Hof so angenehm wie möglich zu gestalten. Und man wußte, was zu tun war, man hatte von den Vorlieben des jungen Mannes gehört und bereitete alles vor, was das Herz Philipps erfreuen konnte. Dabei war man sich aber auch auch im klaren darüber, daß seine eigene Frau all diesen Zielen im Wege stand, daß Juana als Feindin Frankreichs kommen würde. Sie sollte also von ihrem Mann getrennt und isoliert werden, so gut es ging.

Die Begrüßung Philipps am Hofe von Blois fiel ungemein herzlich aus. Der König, erst vor kurzem mit seinen vierzig Jahren zum ersten Mal Vater geworden, war bester Laune. Als er Philipp erblickte, rief er aus: »Voilà un beau prince!« Nachdem der Kaisersohn drei Bücklinge vor dem französischen König gemacht hatte, erhob sich Louis und umarmte Philipp freundschaftlich. Juana hatte man im Vorzimmer zurückgehalten, und erst als die Begrüßung der beiden Männer zu Ende war, öffnete sich die Tür für die spanische Prinzessin, die mit finsterer Miene auf den König zuschritt. Louis erkannte sofort, daß Juana nicht freiwillig gekommen war, umarmte sie aber trotzdem und gab ihr einen Kuß auf beide Wangen. Entsetzt wich Juana zurück; nach der spanischen Etikette war diese Vertraulichkeit ihr gegenüber unerhört. Die weitere Unterhaltung war sehr kurz, keiner wußte so recht, was er mit der düster dreinblickenden jungen Frau reden sollte, und so verabschiedete sie der König in großer Eile und sagte Juana, die Königin brenne darauf, sie kennenzulernen.

Anne de Bretagne war den Habsburgern wohlbekannt, sie hatte vor Jahren mit dem Kaiser ein undurchsichtiges Spiel gespielt und der Schwester Philipps, Margarete, den Mann (Karl VIII.) weggeheiratet. Nun war sie die zweite Gemahlin Ludwigs XII. Philipp hatte diese Schmach für die Familie längst vergessen, nicht aber seine Frau. Für sie war Anne eine intrigante Person, und es schien, als sollte sie recht behalten. Als sie zu Anne ins Schlafgemach geführt wurde, versetzte man ihr, gerade als sie sich vor der Königin verneigen wollte, einen kräftigen Stoß, so daß sie hinfiel und auf den Knieen vor der Königin von Frankreich lag. Wut und Scham stiegen in ihr auf, und sie flüchtete beinahe aus dem Zimmer Annes.

Für Philipp waren die Tage am französischen Hof amüsant und kurzweilig. Vormittags vergnügte man sich beim Ballspiel, am Nachmittag traf man zu einer Kartenpartie oder zum Schachspiel zusammen, während Juana von den Damen in Beschlag genommen wurde, die die fromme spanische Prinzessin von einer Messe zur anderen schleppten. Juana wußte nicht, wie sie der Damengesellschaft entkommen sollte, die sie über alle Maßen langweilte.

Von den abendlichen Gesellschaften suchte man sie mit allen Mitteln fernzuhalten. Einmal kredenzte man ihr im Übermaß Süßigkeiten, von denen ihr übel wurde, ein anderes Mal war sie vom Aufenthalt in den ungeheizten Kirchen so durchfroren, daß sie nur noch die Wärme ihres Bettes suchte. Die Privatgemächer Juanas waren mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet, die Wände glänzten von goldenem Stoff und weißem Satin, überall lagen Kissen im Raum verstreut, und feinste Teppiche bedeckten die Böden. Hunderte Kerzen brannten in silbernen Kandelabern, im Kamin prasselte das Feuer und verbreitete Wärme und Behaglichkeit. All dieser Komfort sollte dazu beitragen, sie in ihrem Zimmer festzuhalten. Sechs kleine Pagen kamen, von denen jeder einen silbernen Leuchter trug, danach klopfte die Herzogin von Bourbon an die Tür und brachte ein goldenes Kästchen mit Konfekt, eine andere Herzogin bot kandierte Früchte an, in einer grünsamtenen Schatulle befanden sich Spiegel, Waschzeug, Kerzen, Kleiderbürsten, Kämme und Nachthauben: kurz, man setzte alles daran, daß sich Juana wohlfühlte. Nur einen brachte man ihr nicht: den Mann, nach dem ihr Herz begehrte. Der vergnügte sich unterdessen an der Tafel des französischen Königs mit allerlei schönen Damen und vermißte seine eifersüchtige Frau nicht im geringsten, im Gegenteil, er hatte Auftrag gegeben, Juana möglichst weit weg von ihm unterzubringen.

Juana sehnte sich nach Spanien. Aber auch dort sollte sie nicht die erhoffte Erholung finden, denn schon bald nach ihrer Ankunft bemerkte sie, daß es zwischen Philipp und ihren Eltern keine Gesprächsbasis gab, sobald diese den Schwiegersohn einmal durchschaut hatten. Die spanische Krone in den Händen eines jungen Mannes, dem Sitte und Moral unbekannt waren! Das war eine Vorstellung, die Ferdinand und Isabella sehr unangenehm sein mußte.

Philipp hatte auf äußerst ungeschickte Art die Schwiegereltern zu beeinflussen gesucht, ihm für die Zukunft Erbansprüche auf Spanien zuzusichern. Dabei stellte er seine Frau als geistig labil und wankelmütig hin, obwohl Juana gerade während dieses Aufenthaltes in Spanien noch sehr klare Entscheidungen traf. Der Schwiegersohn reiste schließlich vorzeitig ab, ohne Juana, die ein Kind erwartete. Erst als Philipp nach dem überraschenden Tod des spanischen Infanten Juan erkannte, daß seine Chancen auf den spanischen Thron wieder gestiegen waren, schrieb er eilends Briefe an seine Frau und bat sie, möglichst bald zu ihm zurückzukehren, obwohl er sich vorher kaum um sie gekümmert hatte.

Mit sicherem Instinkt hatte Isabella ihren Schwiegersohn erkannt und suchte, soweit ihr dies möglich war, zu verhindern, daß er Juana ausschalten konnte. Andererseits wußte auch sie, wie problematisch ihre eigene Tochter sein konnte und wieviel Energie sie aufwenden müsse, um das Volk davon zu überzeugen, daß Juana durchaus in der Lage war, zum Wohle des Landes zu regieren. Immer neue Meldungen über das eigenartige Verhalten ihrer Tochter machten die Runde unter den Adeligen. Philipp war ein Meister im Ausstreuen von Gerüchten über seine Frau, so daß sich Isabella ernsthaft überlegte, wie sie die Frage der Nachfolge um den Thron von Kastilien lösen sollte. Und sie setzte deshalb in ihrem Testament fest, daß bis zum Eintreffen Juanas Ferdinand die Regierungsgeschäfte erledigen sollte.

Als Isabella von Kastilien 1504 im Alter von nur 53 Jahren starb, erfuhr Philipp von diesen Bestimmungen. Trotz seiner Empörung unternahm Juana nichts, um den Vater von diesen Aufgaben zu entbinden. Im Gegenteil, es schien, als sei sie froh, auf diese Weise einen letzten Trumpf, die spanische Krone, in Händen zu haben. Philipp hatte einiges unternommen, um Juana zu einer Verzichtserklärung zu veranlassen, aber alles, was sie unter Druck oder plumpen Schmeicheleien unterschrieben hatte, widerrief sie schon Stunden später, wenn Philipp die Maske fallen ließ und wieder sein brutales Alltagsgesicht zeigte. Als der Habsburger sah, daß er nichts erreichte, änderte er seine Taktik noch einmal von Grund auf. Er spielte plötzlich wieder den Verliebten und lockte Juana, wann immer es ging, ins gemeinsame Bett. Aber sie war nicht mehr zu täuschen. Wenn Philipp sich ihr scheinbar liebevoll näherte, begann sie zu schreien und zu toben und lieferte damit ihren Gegnern neue Gründe, ihre geistige Gesundheit anzuzweifeln. Im geheimen hatte Philipp das Tagebuch, das Juana über ihr Leben und ihre Einsamkeit am flandrischen Hof verfaßt hatte, abschreiben lassen, um diese verzweifelten und manchmal wirren Aufzeichnungen in Spanien gegen sie zu verwenden. Als die Zeit reif war, ließ er die Zeilen Juanas öffentlich vorlesen und die Zuhörer darüber urteilen, ob eine Frau, die derlei Dinge einem Tagebuch anvertraute, sich im Vollbesitz ihrer Geisteskräfte befinde.

Noch heute erschüttert die Tragik von Juanas Schicksal: wie sie systematisch in das politische und menschliche Abseits gedrängt wurde, wie durch ihre eigene Leidenschaft und durch die Gleichgültigkeit ihres Mannes dunkle Züge in ihrem Wesen die Oberhand gewannen.

Nach dem Tode Isabellas beschloß Philipp, mit Juana nach Spanien zu fahren, um die Dinge in seinem Sinne zu ordnen. Und obwohl ihm die Anwesenheit seiner Frau eher zuwider war, konnte er nicht umhin, sie mitzunehmen. Er ließ eine Flotte ausrichten, die den Stürmen und Wellen trotzen sollte. Unter dem großen Gefolge, das das Paar begleiten sollte, befanden sich auch Hunderte Dirnen, die Philipp auf ein eigenes Schiff bringen ließ. Juana schrie laut auf vor Empörung, als sie die leichten Mädchen mit ihren bunten Kleidern und bemalten Gesichtern sah und bestand darauf, daß die Frauen sofort von Bord gehen müßten, andernfalls würde sie selbst nie den Fuß auf ein Schiff setzen. Philipp schäumte vor Wut, mußte sich aber ihrem Willen fügen, da er seine Gemahlin vor den spanischen Cortes unbedingt brauchte. Allerdings wußte er einen Ausweg: in der Nacht ließ er die unliebsamen Passagiere wieder auf das Schiff bringen, so daß für geeignete Unterhaltung während der Seereise gesorgt war.

Kaum war man aus dem schützenden Hafen ausgelaufen, als Sturm aufkam und die Schiffe kaum noch gesteuert werden konnten. Die Wellen türmten sich haushoch, seekrank und triefend naß lagen die Reisenden im Schiffsrumpf und sahen sich schon als Raub des Meeres. Auch Philipp war schwer angeschlagen, er jammerte und beklagte sein Schicksal und wäre beinahe von einer riesigen Welle über Bord gespült worden, hätten ihn seine Diener nicht im letzten Moment zurückgerissen. Seine Getreuen nähten ihn in einen Ledersack ein, den sie mit Luft aufbliesen. Auf der Außenseite schrieben sie mit großen Lettern: El Rey Don Felipe. Falls der König über Bord ging und hilflos im Meer trieb, so sollten doch die Fischer, die ihn irgendwo herauszogen, wissen, welch großer Fisch in ihre Netze gelangt sei.

Juana stand dabei und sah zu, wie man ihren Mann, der bis dahin als Held gegolten hatte, in den Sack einnähte. Alle wunderten sich über ihren Gleichmut und ihre Furchtlosigkeit, und als man sie nach dem Grund ihres Verhaltens fragte, antwortete sie: sie habe noch nie von einem König gehört, der im Meer ertrunken sei. Sie selbst zog ihr schönstes Kleid an, niemand mußte ihr dabei Beistand leisten, da alle ihre Dienerinnen seekrank waren und selbst der Hilfe bedurft hätten. Dann suchte sie einen Beutel mit Dukaten hervor und stieg damit an Deck. Als man die Königin sah, bat man sie um eine Opfergabe, denn man hoffte, den Himmel durch eine Kollekte gnädig zu stimmen. Alle hatten viel von ihrem Vermögen geopfert, und als nun Juana auch ihr Scherflein beitragen sollte, kramte sie lange in ihrem Beutel herum und legte schließlich die kleinste Münze auf den Opferteller. Es sei genug, meinte sie, die Unwetter würden auch ohne Geldspenden aufhören. Ihre Reaktion wurde natürlich wieder mißverstanden, man sah in ihr nicht die furchtlose Frau, sondern glaubte, daß nur jemand, der daran war, den Verstand zu verlieren, angesichts des drohenden Todes so reagieren konnte.

Nach den Tagen und Nächten des Grauens wurden die niederländischen Schiffe schließlich an die Küste von England verschlagen, wo ihnen der König, Heinrich VII., freundschaftlich Schutz und Hilfe anbot. Philipp nahm die Einladung des Königs nur zu gerne an, einige Wochen bei ihm als Gast zu bleiben, Juana hoffte darauf, ihre Schwester Catalina (Katharina von Aragon) zu treffen, die Witwe des Thronfolgers Arthur, der zwei Jahre zuvor gestorben war. (Später sollte sie dessen Bruder Heinrich ehelichen, der sie dann wegen Anna Boleyn verstieß.)

Kaum war das Gefolge Heinrichs VII. an der Küste eingetroffen und hatte die Einladung seines Herrn überbracht, als sich Philipp schon auf ein Pferd schwang und auf und davon ritt. Im Schloß des Königs wurde alles vorbereitet, um dem Sohn des Kaisers den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Niemand fragte sich, was eigentlich mit Juana geschehen sollte. Man wußte aus Erzählungen, daß die Ehe der beiden beinahe am Ende war. Ein Fest jagte das andere, die Nächte wurden zum Tag gemacht, dazwischen gab es Turniere und Treibjagden. Alles, was Philipp liebte, wurde ihm hier am englischen Hof geboten, die köstlichsten Speisen, die erlesensten Weine und die schönsten Frauen. Erst nach Wochen entsann sich Philipp seiner Gemahlin, die immer noch in einem feuchten Schloß an der Küste darauf wartete, entweder als Gast des Königs bewirtet zu werden oder ihre Reise nach Spanien fortsetzen zu können. Endlich kam ein Bote, der eine Einladung Heinrichs nach Windsor überbrachte. Und jetzt hatte es Juana nicht mehr eilig. Sie ließ sich Zeit. Als sie schließlich in Windsor ankam, war es, als würde ein Eishauch auf die fröhliche Gesellschaft fallen. Sie erschien in schwarzer Tracht, das Haar streng zurückgekämmt, wie eine Rächerin. Vorbei war es mit Gesang und Tanz, und auch der König erkannte, daß es an der Zeit sei, sich von den Gästen zu verabschieden. Und Philipp beschloß, mit seiner Frau an die Küste zurückzukehren und dort zu warten, bis die schwer mitgenommenen Fregatten wieder in Ordnung gebracht waren.

Juana hatte wieder einmal alle Frauen und Mädchen aus ihrer Nähe verbannt, so daß sie das einzige weibliche Wesen war, das Philipp zu sehen bekam. Nur so ist es wahrscheinlich zu erklären, daß er die Nächte in diesen Tagen ausschließlich mit seiner eigenen Frau verbrachte; mied er auch am Tage Juana, so fiel er doch jede Nacht in ihre offenen Arme.

Es waren die letzten gemeinsamen Stunden, die Juana und Philipp miteinander verbrachten. Als sie die endlich wieder seetüchtigen Schiffe bestiegen, waren sie einander nicht mehr als zwei Fremde, von denen einer den anderen haßte. Juana ahnte, daß es Philipps einziges Ziel war, ihr die Krone von Kastilien zu entreißen, und sie wußte nicht, wem sie in ihrer Not mehr mißtrauen sollte, ihrem Mann oder ihrem eigenen Vater. Aus Gerüchten hatte sie erfahren müssen, daß auch Ferdinand daran interessiert war, die Tochter vom kastilischen Thron zu verdrängen.

Philipp hatte in Spanien gut vorgearbeitet, seine Helfershelfer hatten die mächtigen Adeligen Spaniens überzeugen können, daß ein junger, dynamischer König mehr für das aufstrebende Land erreichen könne als ein Herrscher, der bis dahin jahrzehntelang unter dem Pantoffel seiner Frau gestanden sei. Daß der junge Monarch ein Habsburger war, störte die Landesfürsten kaum, im Gegenteil, wenn Philipp nach seinem Vater die Kaiserkrone erbte, würde er selten Spanien besuchen, dachten sie, und jeder könnte in die eigene Tasche arbeiten, ohne fürchten zu müssen, vom König überwacht zu werden.

Juana und Philipp hatten kaum spanischen Boden betreten, als es zum offenen Konflikt aller gegen alle kam. Juana wollte die Huldigung der Cortes entgegennehmen, aber Philipp hatte dies geschickt zu verhindern gewußt. Alles verzögerte sich, und niemand wußte, was eigentlich in den nächsten Wochen passieren würde. Dazu kam, daß Ferdinand noch einmal geheiratet hatte, eine französische Prinzessin, die weder schön noch gescheit war, aber ihrem Gemahl half, seine Beziehungen zu Frankreich zu verbessern. Im Lande allerdings hatte er sich durch diese Heirat Sympathien verscherzt, da seine erste Frau über alle Maßen beliebt gewesen war.

Philipp und Juana zogen zunächst im Land hin und her, ohne Ferdinand zu treffen. Beide Männer vermieden die offene Konfrontation. Aber Philipp war gezwungen zu handeln, bevor es zu spät war. Sollte die neue Frau dem alternden Ferdinand einen Sohn schenken, war alles verloren und Juanas Anspruch null und nichtig. Und Ferdinand tat auch alles, um noch einen Thronerben zu zeugen, er versäumte keine Gelegenheit, um mit der unattraktiven Germaine die Nächte zu verbringen, es war ihm kein Lager zu schlecht, um es nicht unterwegs mit ihr zu teilen. Auch Germaine ließ kein Mittel unversucht, um den König aufzupeitschen, sie braute aus geheimnisvollen Kräutern und aus den Hoden eines Bullen Liebestränke, die sie unter Beschwörungsformeln ihrem liebesmüden Gatten einflößte.

Sie hätte sich gar nicht so sehr abmühen müssen, denn der Tod übernahm die Rolle des Richters in diesem unseligen Streit. Philipp war schon kurze Zeit, nachdem er den Boden Spaniens betreten hatte, von düsteren Ahnungen befallen worden. Ein altes Weib hatte ihm in Galicien aus der Hand gelesen und ihm prophezeit, er werde als Toter größere Strecken in Spanien zurücklegen denn als Lebender. Hastig hatte Philipp seine Hand zurückgezogen und laut aufgelacht, aber sein Lachen klang gezwungen, und die Umstehenden, die es hörten, schauderten. Wenige Wochen später sah man einen Kometen am Himmel aufflammen, drei Nächte hintereinander. Philipp befragte die Gelehrten nach der Ursache und bekam zur Antwort, daß das Erscheinen des Himmelskörpers entweder Pestilenz oder Fürstentod bedeute. In der brütenden Hitze, die über dem Land lag, vermeinte man den Hauch des Todes leibhaftig zu spüren.

Drückend und schwer hing die Luft über Valladolid, als Philipp mit seinem Gefolge in der Stadt einritt. Juana war die einzige Frau in dem Zug, mit starrem Gesicht und im fünften Monat schwanger ritt sie allein unter den Männern, sie hatte jeder Frau untersagt, im Gefolge Philipps zu verweilen. Ihr genügten schon die jungen Mädchen auf den Balkonen, die einen Blick des schönen Philipp auffangen wollten, was Juana nicht verhindern konnte. Das Paar nahm in Valladolid getrenntes Quartier. Hier in dieser Stadt wollte Philipp ein Exempel statuieren, das beispielhaft für das übrige Spanien sein sollte. Er beantragte vor den versammelten Cortes, daß Juana aufgrund ihres Geisteszustandes für regierungsunfähig erklärt werden solle. Die Cortes sollten ihm, Philipp, stellvertretend sämtliche Rechte übertragen. Aber Juana hatte immer noch Fürsprecher in Spanien, und wütend mußte ihr Mann erkennen, daß es ein diplomatischer Fehler gewesen war, die Katze endgültig aus dem Sack zu lassen und sein wahres Gesicht zu zeigen. Jetzt wartete er nur noch auf die Stunde, da er sich endgültig Juanas entledigen konnte. Er hatte den festen Plan, sie in ein Kloster zu stecken und entmündigen zu lassen. Aber er kam nicht mehr dazu, all dies auszuführen. Der Tod wartete schon auf ihn.

Nach einem Bankett, bei dem Philipp in lustiger Runde gegessen und getrunken hatte, stand eine Partie Pelota auf dem Programm. Alle wußten, daß Philipp ein hervorragender Spieler war, daß keiner so behend und schnell war wie er. Obwohl der König sich den ganzen Tag über nicht wohl gefühlt hatte, wollte er dennoch seine körperliche Schwäche nicht zu erkennen geben und verausgabte sich bis zur völligen Erschöpfung. Außer Atem und schweißüberströmt verlangte er nach einem Krug kalten Wassers, das er hastig und ohne abzusetzen in einem Zug hinunterstürzte.

Am nächsten Tag wurde er von Schüttelfrost befallen. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, und am Abend stellte sich Fieber ein. Aber Philipp wollte die Anzeichen der Krankheit nicht beachten, da für den nächsten Tag eine Jagd angesetzt war. Einen Tag schleppte er sich dahin, ohne irgend jemandem gegenüber eine Andeutung zu machen. Erst am darauffolgenden Tag ließ er die Ärzte holen, die sofort alle Mittel, die sie zur Verfügung hatten, an Philipp ausprobierten. Auch das Allheilmittel der damaligen Zeit wendeten sie an und ließen den Prinzen ausgiebig zur Ader, um ihn von den »schlechten Säften«, die ihrer Meinung nach das hohe Fieber verursachten, zu befreien. Aber Philipps Zustand verschlechterte sich von Stunde zu Stunde. Juana wich nicht von seinem Bett, wischte ihm den Schweiß ab und versuchte alles zu tun, damit Philipp wieder zu Kräften käme. Mit Entsetzen bemerkte sie, daß er plötzlich Blut zu spucken begann. Die Ärzte setzten Schröpfköpfe an, die aber das Befinden des Kranken nicht besserten. Die Kehle schwoll an, so daß er weder sprechen noch Nahrung zu sich nehmen konnte, dazu kam am sechsten Tag seiner Krankheit Durchfall, der ihn völlig entkräftete.

Die Ärzte am Hofe wußten sich keinen Rat mehr und schickten nach Salamanca, wo der berühmte Doktor Parra praktizierte. Man bat ihn, in aller Eile zu kommen. Kaum war Parra eingetroffen, als ein heftiger Streit über die Behandlungsmethoden entbrannte. Man diskutierte am Bett, während Philipp vor den Augen seiner schwangeren Frau ins Koma fiel. Sein einstmals so schöner Körper war mit roten und schwarzen Flecken übersät. Der Sohn des Kaisers war unrettbar verloren, jede Hilfe war zu spät gekommen. Noch in derselben Nacht, am 25. September 1506, verschied er in den Armen seiner Frau.

Juana war am Bett des Toten zusammengebrochen, und niemand konnte sie dazu bewegen, ihren Gemahl zu verlassen. Als die Höflinge kamen, um den Toten in einen hermelingefütterten Königsmantel zu hüllen, ihm eine schwarze Samtkappe auf die blonden Locken setzten und ihn mit flämischen Tapisserien umgaben, da konnte man ein fast stummes Schluchzen zwischen den Miserere-Gesängen hören. Die ganze Nacht zogen die Würdenträger des Landes durch die Räume, an dem toten Prinzen vorbei, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Am nächsten Tag wurde Philipp vom Thron herabgeholt, und in Anwesenheit Juanas begannen die Ärzte ihr grausiges Werk. Die Leiche wurde ausgezogen, dann wurde der Schädel geöffnet und das Gehirn herausgenommen. Den Körper schlitzte man von oben bis unten auf, entfernte das Herz und legte es in eine goldene Kapsel, um es nach Flandern bringen zu lassen. Die Gedärme und Eingeweide wurden verbrannt, aus den übrigen Körperteilen preßte man das Blut, damit die Verwesung nicht so schnell fortschreiten konnte. Weil man nicht die Möglichkeit hatte, den Körper einzubalsamieren, pumpte man Parfüm in die Adern. Anschließend wurde Philipp, oder was noch von ihm übrig war, wieder zusammengenäht und in gelöschten Kalk gebettet. So wurde der königliche Leichnam in einem Sarg aus Holz, in dem sich ein Sarg aus Blei befand, zum offiziellen Begräbnis in den Dom gebracht.

Hatte der lebende Philipp Juana schon beinahe verrückt gemacht, so verlor sie nun vollends den Verstand. Sie verfiel in dumpfes Brüten, starrte tagelang vor sich hin und untersagte es, daß die Leiche Philipps nach alter Sitte beigesetzt wurde. Sie weigerte sich, den Sarg herauszugeben, sie wollte den toten Gemahl immer und überall bei sich haben. War es ihr schon zu Philipps Lebzeiten nicht vergönnt gewesen, ihren Mann ganz für sich alleine zu haben, so sollte ihr wenigstens der Tote nicht entgehen. Bald kursierten im ganzen Land die schauerlichsten Geschichten, daß Juana immer wieder den Sarg öffnen lasse, den Toten streichle und liebkose, zu ihm die zärtlichsten Worte spreche, wie sie Philipp neben sich zu Tische setzen lasse und ihn neben sich ins Bett lege. Ob all diese Gerüchte auch tatsächlich wahr waren oder ob ihr eigener Vater sie verbreiten ließ, um die Tochter im Lande in Mißkredit zu bringen, ist nicht sicher. Aber eines war deutlich zu erkennen: Juana zeigte nach dem plötzlichen Tod Philipps nicht mehr das Verhalten eines normalen Menschen. Sie gebärdete sich wie eine Rasende, wenn man versuchte, ihr den Sarg wegzunehmen und sie überreden wollte, Philipp doch endlich beisetzen zu lassen. Dazu kam, daß sie mit einem Mönch gesprochen hatte, der ihr erzählte, wie ein verstorbener König nach vierzehn Jahren wieder zum Leben erwacht sei. An diesen Gedanken klammerte sie sich mit all den Geisteskräften, die ihr noch geblieben waren. Sie war felsenfest überzeugt, daß auch Philipp nach dieser Zeit auferstehen würde. Vor versammelten Adeligen ließ Juana immer wieder den Sarg öffnen, und alle mußten ihr, bei dem schaurigen Anblick, den die Leiche bot, bestätigen, daß Philipp nur schlafe.

Ein Jahr nach seinem so plötzlichen Tod erschien in Deutschland ein Gedenkblatt, in dem ausgesprochen wurde, was viele Gemüter bewegte. Wie konnte es sein, daß ein junger kräftiger König, ein Bild von einem Mann, so plötzlich, von einem Tag auf den anderen, von einer tödlichen Krankheit befallen worden war? Konnte da nicht etwas anderes, etwa Gift, im Spiel sein? Der Spanierin traute man allmählich alle Schlechtigkeiten zu. War es nicht möglich, daß sie in ihrem Eifersuchtswahn den Gatten selbst ermordet hatte, um ihn endlich, wenn auch nur als Toten, ganz für sich allein zu haben? Hatte sie nicht durch ihre vielen gräßlichen Eskapaden schon bewiesen, wozu sie fähig war?

In dem Gedenkblatt war nachzulesen:

»In seinem Hals fand man ein gswer

Darab gestorben was der herr.

Als landes fürsten und doctor

Sagen uns gantz furwor,

das es war ein vergifft feber,

Das do entspringt von der leber,

daran er etlich tage lag,

Und man gros rates hilfe pflag.

Es möcht aber alles gehelfen nit,

Es must des lebens werden quidt.«

Allmählich wandten sich auch die letzten Getreuen von Juana ab, sie hatte die Nerven derjenigen zu sehr strapaziert, die sie bedauert und mit ihr geweint hatten. Sie war in ihrem Wahn nicht mehr zu ertragen. Man versuchte wieder einmal, ihr den Leichnam wegzunehmen, aber bei diesem Unterfangen schrie sie laut und schlug wild um sich, spuckte und geiferte. Alles, was durch Jahre hindurch an Absonderlichem, Merkwürdigem, beinahe Verrücktem in ihr geschlummert hatte, brach mit solcher Heftigkeit aus ihr hervor, daß alle, die sie sahen, auch ihr eigener Vater Ferdinand, von Grauen gepackt wurden.

In ihrem eigenen Interesse und zum Wohle des Staates gab es nur eine einzige Lösung: man mußte sie in Gewahrsam nehmen. Sie wurde nach Tordesillas gebracht und dort für ihr weiteres Leben von den Mitmenschen abgesondert. In einem Tag und Nacht bewachten, versperrten Zimmer dämmerte sie dahin, wusch sich nicht, nahm kaum Nahrung zu sich und lag wirr und mit zerzaustem Haar, völlig verwahrlost, auf dem Fußboden wie ein wildes Tier. So erblickte ihr junger Sohn Karl, der Kaiser, zum ersten Mal Juana, als er sie auf seiner Spanienreise besuchte. Entsetzen ergriff ihn, als er sehen mußte, wer seine Mutter war.

Völlig vergessen von der Welt starb Juana im Jahre 1555, eine Frau, die ihr Leben durch zügellose Leidenschaft selbst zerstört hatte. Ihr eigener Mann hatte sie um den Verstand gebracht.



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