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Entwicklungsromane

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Einer der ersten Romane, die im deutschsprachigen Bereich das Frauenstudium thematisieren, ist Franziska von Kapff-Essenthers (1849 –1899) Frauenehre41 von 1873. Der umfangreiche, dreibändige Roman skizziert sehr kurz die Kindheit und behandelt ausführlich das Studium und – im zweiten Band – die Schwierigkeiten, die der gewünschten Verbindung von Berufsausübung und Ehe entgegenstehen.

Die Zwillinge Emil und Emilie werden nach dem Tod der Mutter vom liberalen Vater erzogen, wobei sich Emil schon bald als ziemlich unzuverlässig und leichtlebig erweist (er geht schließlich, gegen den Willen des Vaters, zum Militär), während Emilie großes Interesse für die Wissenschaft zeigt und auch alle Prüfungen, inklusive externer Matura-Prüfung, glänzend besteht. Doch zum gewünschten Medizinstudium wird sie, trotz Interventionen von Vater und Onkel, der selber Medizinprofessor ist, nicht zugelassen. Der Onkel, der gerade eine neue Professur antritt, greift daher zur List und inskribiert Emilie mit Emils Papieren an seiner neuen Universität. Die als Mann verkleidete Emilie besteht alle universitären und privaten Hürden meisterhaft – sie muss sich u. a. gegen amouröse Erpressungen eines Dozenten, der sie durchschaut, und gegen die ihrem Vorhaben ebenso gefährliche hingebungsvolle Liebe eines Kollegen wehren. Sie vollendet ihr Studium schließlich so bravourös, dass ihr ihr Doktordiplom auch nach Aufdeckung ihres Geschlechts nicht aberkannt wird. Interessant ist die Auseinandersetzung Emilies mit Linda, einer rauchenden, alleinlebenden emanzipierten Frau, die ihr ihre Solidarität anbietet. Doch zwischen der unabhängigen, selbstbewussten Emanzipierten und der weiblichen Emilie gibt es keine Möglichkeit der Verständigung – Emilie hält die „Frauenehre“ hoch und will sie lediglich durch die Möglichkeit einer sinn- und verantwortungsvollen Tätigkeit ergänzen, sexuelle, ja auch nur soziale Freizügigkeiten sind ihr ein Greuel, während es gerade diese Freiheiten sind, die für Linda Sinn und Zweck der Emanzipation ausmachen. Emilie verfolgt ihr Ziel auch nach dem Ende ihres Studiums, als der von ihr geliebte Konrad, der sie wegen ihres unweiblichen Studiums verlassen hat, nun doch um ihre Hand anhält – er ist bereit, ihr ihr Studium zu verzeihen, wenn sie nun nur noch seine Frau sein will. Doch sie beharrt auf der Ausübung ihres Berufs, und so scheitert die Beziehung ein zweites Mal. Sie baut, gegen viel Widerstand, mit Unterstützung liberaler und sozialistischer Freunde, eine Praxis auf, und nach einer ganzen Reihe politischer und privater Verwicklungen kehrt Konrad Linden als Redakteur einer fortschrittlichen Zeitung in seine Heimatstadt zurück und erkennt, dass Emilie mit ihrer Entscheidung recht gehabt hat – sie beschließen, den Kampf für die „wirkliche Emanzipation“ der Frauen, und das heißt die Verbindung von klassischem Frauenideal (attraktive, liebevolle, fürsorgende Frau) mit dem modernen Frauenbild (intellektuell gebildete, beruflich und politisch aktive Frau) gemeinsam zu führen.

Wenn auch aus heutiger Sicht der idealistische Schluss des Romans zur Ironisierung geradezu einlädt, so müssen dagegen zwei Einwände erhoben werden. Zum einen gilt es zu historisieren: Nicht zuletzt die um 1870 noch andauernde Schiller-Begeisterung lässt ideale Helden – zu schweigen von Heldinnen – in der Literatur legitim erscheinen; gemischte Charaktere oder gar losers als Helden sind noch nicht die ausschließliche Norm. Dies trifft für Frauen noch mehr zu, da sie bisher in der erzählenden Literatur nicht allzu oft als Hauptpersonen zu finden waren.42 100 Jahre später wird Möhrmann dieses Argument zur Rechtfertigung von autobiographischen Texten von Frauen gebrauchen. Der bei Kapff-Essenther vorgestellte Frauen-Typus ist innovativ, denn Medizin-Studentinnen hat es zwar in der Realität in einigen Exemplaren gegeben, in der Literatur hingegen noch nicht.43 Und wenn auch das Ende des Romans und der Charakter der Heldin ideal sind, so finden sich doch im Text viele differenzierte Passagen, die den Untertitel Roman aus dem modernen socialen Leben gerechtfertigt erscheinen lassen. Insbesondere die Insistenz auf der Verbindung von Beruf und erfülltem Privatleben ist für eine Zeit, die gerade erst zögerlich darangeht, die Möglichkeit der Berufstätigkeit von ledigen Frauen als Lösung des ökonomischen Problems zu diskutieren, geradezu revolutionär. Übersehen wir nicht, dass gute 50 Jahre später in den Zeiten der Wirtschaftskrise das Berufszölibat für Frauen im Staatsdienst problemlos akzeptiert wird und dass auch am Beginn des 21. Jahrhunderts die Kombination von Kindern und Karriere ein keineswegs gelöstes Problem ist.

Auch Suttners Die Waffen nieder! (1889) ist ein Beispiel für einen weiblichen Entwicklungsroman, wobei ihre Heldin tatsächlich eine Entwicklung durchmacht und nicht von Anfang an ihre Bestimmung kennt und sie nur gegen äußere Schwierigkeiten durchsetzen muss. Bei Suttner führt die Erfahrung der Schrecken des Kriegs eine sehr durchschnittliche Frau aus den oberen Schichten dazu, den Krieg abzulehnen. Sie organisiert nicht wie die historische Florence Nightingale systemimmanent die Verwundetenversorgung, sondern Suttner und ihre Heldin Martha stellen die Notwendigkeit des Kriegs, und damit einen der sogenannten Grundpfeiler der männlichen Gesellschaft in Frage. Das Raffinement des Romans besteht in der Durchschnittlichkeit der Heldin, die sich lediglich dadurch auszeichnet, dass sie sich ihren jugendlichen rationalen Widerspruchsgeist bewahrt, den sie spielerisch gegenüber der frommen Tante und dem patriotischen Generals-Vater einsetzt. Es sind nicht nur die Schicksalsschläge (Tod des ersten Mannes im Krieg, Verlust des zweiten Kindes, Verlust des Vermögens durch den Krieg, Verlust von Vater, zwei Schwestern und Bruder durch kriegsbedingte Cholera), die zu ihrer Anti-Kriegshaltung führen, sondern die konsequente Weiterentwicklung ihres rationalen Denkens, die sie, verbunden mit den entsprechenden Studien, zum Durchschauen der religiösen und patriotischen Phrasen führen. Und ihre Durchschnittlichkeit wird auch nie ins Heldenhafte erhöht; sie genießt ihr privilegiertes Privatleben, sie versagt angesichts der realen Kriegsgräuel völlig und muss von dem befreundeten Arzt von der Front, wo sie ihren Mann suchen wollte, nach Wien zurückgebracht werden. Auch ihr Kampf gegen den Krieg spielt sich nur im privaten Kreis und durch das Verfassen eines Buches ab – keine öffentlichen Auftritte, kein heroisches Pathos. Suttners Buch ist getragen von einem noch ungebrochenen naturwissenschaftlichen Fortschrittsglauben, der die Überwindung des Kriegs nur als eine Frage der Zeit erscheinen lässt. Das gewählte literarische Muster ist traditionell, was die Radikalität der Tendenz umso überraschender macht; die autobiographischen Bezugspunkte verbürgen die Authentizität des Anliegens.

Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000

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