Читать книгу Wehre dich deiner Haut - Sigrid Uhlig - Страница 10
DER ÄRGER GEHT WEITER
ОглавлениеMehr als ein Jahr lief alles gut. Dann hatte Erna oft kein Netz und schließlich bekam sie zum Freitagvormittag keine Internetverbindung mehr. Es dauerte immer sehr lange, bevor sie den Kundendienst erreichte, oft erst nach mehreren Versuchen. Danach klappte es einige Tage. Dann begann das Theater von vorn. Da ihr fernmündlich nicht wirklich, und vor allem nicht nachhaltig geholfen wurde, begab sie sich in einen Handy-Shop. Den bereits bekannten in ihrem Wohngebiet gab es nicht mehr. Dort fragte man nach dem Netzanbieter.
Als sie den Namen sagte, hob man abwehrend beide Hände und fragte: „Wie können sie nur?“
Hilfe bekam sie nicht. Sie schrieb den Vorstand an. Eine freundliche, A4-seitenlange Entschuldigung folgte. Nichts änderte sich am technischen Zustand. Obwohl die Vertragslaufzeit noch sechs Monate lief, schrieb sie zum Ablauftermin die Kündigung und gab sie im Shop ihres Netzanbieters ab.
Eine nette junge Frau sah im Computer nach und stellte fest, dass Erna seit zehn Jahren Kundin war und fragte nach ihren Problemen. Erna erzählte ihr die ganze Odyssee und was sie schon alles unternommen hatte. Die Mitarbeiterin bestätigte die schlechte Netzqualität: „Zur Zeit finden Umbauarbeiten statt. Die Modernisierung ist bald abgeschlossen und damit sind die Störungen beseitigt.“ Sie klang so überzeugend, dass Erna blieb. Für kurze Zeit waren die Verbindungen einigermaßen akzeptabel. Dann wurden sie immer schlechter. Durch die ständigen Telefonate mit dem Kundendienst kannte Erna inzwischen alle möglichen Tricks, wie man doch noch ins Internet kam. Irgendwann halfen die nicht mehr und auch nicht die neuen Adapter und Simkarten, die ihr zugeschickt wurden.
Nachdem es ihr mehrere Tage nicht gelang, eine Internetverbindung herzustellen, rief sie die Störungsstelle an. Schnelle Hilfe wurde versprochen. Laut Vertrag sollten Störungen innerhalb von vierundzwanzig Stunden, bei schwierigen Fällen von achtundvierzig Stunden beseitigt sein. Als Erna nach dieser Zeit nichts hörte, rief sie an: „Wir arbeiten dran“, war die lapidare Antwort. Nach drei Wochen arbeitete man immer noch dran. Da reichte es ihr. Sie schrieb erneut eine Kündigung und legte einen Termin fest. Inzwischen sah sie sich nach einem neuen Anbieter um. Dort brauchte sie keinen Zweijahresvertrag zu unterschreiben, sondern nur für vier Wochen. Aber auch hier war der Empfang nicht besser, so dass sie den Vertrag nach vier Wochen wieder kündigte. Erna entschloss sich, zum althergebrachten Festnetz zurückzukehren.
Der Vierwochenanbieter versuchte mehrmals, Erna als Dauerkundin zu gewinnen, gab dann jedoch seine Aktivitäten auf.
Für den Daueranbieter hatte sie bei Vertragsbeginn einen Einziehungsauftrag erteilt. Als nach der Kündigungsfrist vier Wochen später die Rechnung ebenfalls von ihrem Konto abgebucht wurde, ließ sie den Betrag von der Bank zurückholen. Sie rief die Rechnungsstelle an, die von der Kündigung nichts wusste und entzog dem Unternehmen den Einziehungsauftrag. Nach weiteren vier Wochen kam die nächste Rechnung, einschließlich einer Mahnung und Verzugszinsen.
Obwohl bei Vertragsverletzungen einseitige Kündigungen vorgesehen waren, wurde die von Erna nicht akzeptiert. Fernmündlich und schriftlich hatte sie versucht, eine vernünftige Klärung herbeizuführen. Anstatt einer Antwort wurde ihr vom Netzanbieter nach drei Monaten gekündigt und sie aufgefordert für weitere zwei Jahre die Grundgebühr zu bezahlen und rückwirkend die angefallenen Kosten. Ansonsten würde man ein Inkassounternehmen beauftragen und die Schufa informieren. Da suchte Erna Rat bei einer Verbraucherzentrale. Von einem Wartebereich wurde sie in ein nicht sehr großes, aber ansprechendes Büro geführt. Dort dominierte eine äußerst korpulente Dame neben einem schlanken Herrn den Raum. Sie ließ ihrem Mitarbeiter keine Chance und zog das Geschehen sofort an sich. Erna erklärte kurz, warum sie Hilfe suchte. Die Dame fragte nach dem Inkassounternehmen, blätterte in A4-Seiten und erklärte dann: „Das Unternehmen ist bei uns gelistet. Sie müssen bezahlen.“
Erna traute ihren Ohren nicht. „Aber ich habe doch alles bezahlt, sogar die Internetleistungen, obwohl ich sie nicht nutzen konnte.“
Die Höflichkeit der Korpulenten schwenkte sofort in Strenge und Unnachgiebigkeit um. Erna habe die aufgelaufenen Beiträge einschließlich der Verzugszinsen sofort zu bezahlen, ansonsten wäre sie eine Betrügerin.
Die Rentnerin war zur Verbraucherzentrale gegangen, um Rat und Hilfe zu erhalten und nicht, um hier auch noch beschimpft und beleidigt zu werden. Verdattert und sprachlos wollte sie das Büro verlassen. Sie verstand die Welt nicht mehr. Der schlanke Herr versuchte mildernd einzugreifen, indem er auf einen gleichgelagerten Fall verwies. Das Gericht hatte dem Kunden Recht gegeben.
Sie möchte sich doch vertrauensvoll an die Verbraucherzentrale wenden, sollte es zum Gerichtsverfahren kommen.
Immer noch verwirrt verließ Erna das Gebäude. Hoffentlich bekam der schlanke Herr keinen Ärger. Ein Inkassounternehmen meldete sich. Vergeblich hoffte sie auf Einsicht. Innerhalb eines halben Jahres war so ein Betrag von 548,97 Euro entstanden Erna zahlte nicht.
Nach weiteren drei Monaten lag ein Gerichtsbeschluss mit einem Widerspruchsformular vor. Dieser Akt war mit Kosten verbunden und Erna sollte nun 695,13 Euro zahlen. Sie füllte das Widerspruchsformular aus, schickte es dem Gericht zurück mit der Mitteilung, dass alle Leistungen, die sie vom Kläger erhalten hatte, auch nachweislich von ihr bezahlt wurden. Ihre Nerven lagen schon lange blank. Ihr Herz raste, wenn sie die Briefumschläge nur sah. Das Inkassobüro bot ihr daraufhin Teilzahlung an.
Erna lehnte ab.
Dann bekam sie eine neue Information. Man würde ihr 150,00 Euro erlassen, wenn sie den Restbetrag in einer Summe zahlte.
Erna bedankte sich höflich für das Angebot, lehnte aber eine Bezahlung weiterhin ab.
Um doch noch zu Geld zu kommen, fiel dem Inkassobüro etwas Neues ein. Erna sollte ein vorbereitetes Schreiben mit ihrer Unterschrift bestätigen. Darin stand, dass sie den Widerspruch zurückzieht. Sie unterschrieb nicht.
Seitdem hat sie vom Netzanbieter, dem Inkassounternehmen und dem Gericht nichts mehr gehört.
Ernas Hoffnung: „Möge es so bleiben!“
Zwei Jahre waren vergangen. Da stand ein Artikel in der Tagespresse:
„Ärger beim Wechsel des Anbieters“
Im Artikel wurde festgestellt, dass die meisten Kunden aller zwei Jahre die Netzanbieter wechseln, die Umstellung nicht immer klappt und die Bundesnetzagentur sehr viele Beschwerden zu bearbeiten hat. Der Grund des ständigen Wechsels besteht darin, dass Neukunden mit niedrigen Preisen angelockt werden, während Stammkunden immer auf den hohen Gebühren sitzenbleiben.
Ernas Schlussfolgerung daraus: Die Netzanbieter sind an jahrelangen Stammkunden nicht interessiert, sonst würden sie Preisvorteile erst an die Stammkunden weitergeben, anstatt an Neukunden.