Читать книгу Die Sehnsucht der Kormorane - Silvija Hinzmann - Страница 14

Acht

Оглавление

Auf dem Weg zum Markt an der Valdibora kam ihm eine Gruppe asiatischer Touristen entgegen. Die Einheimischen waren stolz darauf, dass ihre Stadt zu einem Sehnsuchtsort von Menschen aus aller Welt geworden war und im gleichen Atemzug mit Rom und Venedig genannt wurde. Die Stadtführerin schwenkte ein Plastikfähnchen und lächelte Prohaska an, reflexartig wie die Menschen, die ihr folgten. Ihr Kreuzfahrtschiff wartet bestimmt im Nordhafen und schon morgen werden sie durch Venedig latschen, dachte Prohaska, als er an einer Backstube Brot kaufte.

Auch auf dem Markt wimmelte es von Urlaubern. Sie machten Fotos oder kauften eine Kleinigkeit ein. Vor dem Eingang einer Wirtschaft standen vier ältere Männer, ihrem Aussehen nach Fischer oder Handwerker, um ein Weinfass herum und genehmigten sich ein Bier oder eine Bevanda. Die Statue der heiligen Fuma hoch oben auf dem Campanile schaute aufs Meer. Es wurde immer wärmer, der Himmel war blau und wolkenlos.

Bello untersuchte die vielen Duftmarken am Straßenrand. Prohaska zog seine Wildlederjacke aus und legte sie über die Schulter. An einem Stand kaufte er ein Glas Honig, an einem anderen zwei Handvoll Kirschen und etwas Gemüse, und holte am Kiosk eine Tageszeitung und Tabak für Enzo.

Auf dem Spielplatz beim Denkmal für gefallene Soldaten im Zweiten Weltkrieg sprangen Kinder herum, die Souvenirhändler boten die übliche Billigware aus Fernost feil, Möwen flogen kreischend einem Fischerboot hinterher und kreisten über den Dächern auf der Suche nach Futter. Kurz vor dem Parkplatz kam Prohaska die alte Romni entgegen, die er hier schon oft gesehen hatte. Sie war längst über siebzig, klein und zierlich. Er wusste nicht, wo sie wohnte, aber es war ihm klar, dass sie und ihre Familie nicht immer genug zu essen hatten, am Rand der Gesellschaft standen und mit Misstrauen oder auch offener Ablehnung zu kämpfen hatten. Für die Roma hatte sich in den letzten Jahrzehnten in Europa zwar einiges gebessert, sie waren offiziell eine anerkannte und gleichberechtigte Volksgruppe, aber die hartnäckigen Vorurteile und der Rassismus waren leider die alten geblieben. Und da das Betteln in der Stadt verboten war, las sie den Leuten die Zukunft aus der Hand.

Heute war sie in Begleitung einer bildschönen jungen Frau, die einen Kinderwagen schob, in dem ein kleiner Junge döste. Bello kannte die alte Frau und fing zu kläffen an. Prohaska beugte sich zu ihm hinunter und redete auf ihn ein, still zu sein. Als er sich aufrichtete, stand die Frau vor ihm und lächelte. Die junge ging ein paar Schritte weiter, blieb stehen und widmete sich dem Kind.

»Gute Tag, Herr Joe, wie geht’s dir?«

Sie hatte ihm schon einmal aus der Hand gelesen und wusste, dass er an ihre Weissagungen eigentlich nicht glaubte.

»Danke, gut, Ihnen hoffentlich auch.« Prohaska griff nach seinem Geldbeutel, aber die Frau lächelte und schüttelte den Kopf.

»Nein, nein, du willst nicht wissen, was dir die Zukunft bringt, also kann ich auch nichts nehmen.«

»Aber essen und trinken muss man ja trotzdem«, sagte Prohaska, zog einen Geldschein aus der Geldbörse und drückte ihn der Frau in die Hand.

»Vergelt’s Gott.« Sie deutete mit dem Kinn zu ihrer Begleiterin. »Das ist meine Enkelin Mira und ihr Sohn Angelo.«

Prohaska nickte der jungen Frau zu. Sie lächelte zurück und sah schnell weg.

»Ach, die Ärmsten«, seufzte die Frau. »Sie wohnt jetzt bei uns. Es ist nicht einfach. Wir haben ja selber kaum genug, die Wohnung ist klein, alles ist so teuer, aber fürs Erste muss es gehen.«

»Was ist denn passiert?«

»Mira und ihr Mann haben drüben in Italien gelebt und als sie sechzehn und er zwanzig war, haben sie nach unserem Brauch geheiratet. Der kleine Angelo ist dort geboren. Ihr Mann war gut wie Brot, schön, anständig, fleißig. Er hatte eine wunderbare Stimme, spielte Gitarre zusammen mit seinen Brüdern und Onkeln bei Hochzeiten. Er war sehr beliebt, konnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Und jetzt ist Mira achtzehn und leider schon Witwe.«

»Oje, mein Beileid.«

»Danke«, flüsterte die Frau und kam etwas näher. »Es ist so traurig. Er war Hilfsarbeiter am Bau, und ist vor zwei Monaten verunglückt.«

Prohaska nickte, sah zu Mira, die sich von ihnen abgewandt hatte. Ihr langer Zopf fiel ihr über den schmalen Rücken bis zur Hüfte. Sie trug ein schwarzes T-Shirt und ein knöchellanges blaues Kleid, das wie ein indischer Sari gewickelt war.

»Schrecklich.«

»In der Nacht davor gab es dort ein heftiges Unwetter. Als er am nächsten Morgen mit den anderen Kollegen auf die Baustelle kam, mussten sie zuerst das Gerüst reparieren, weil der Sturm die Plane weggerissen hatte. Dabei rutschte er auf einem Brett aus, das sich gelöst hatte, und stürzte in die mit Matsch und Regenwasser gefüllte Baugrube. Sie holten ihn raus, aber er war zu schwer verletzt und ist auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.«

»Das tut mir sehr leid«, sagte Prohaska, während er ihr einen weiteren Geldschein zusteckte.

Die alte Frau seufzte und wischte sich eine Träne weg. »Danke, das war wohl sein Schicksal.«

Mira drehte sich zu ihnen um, kam näher und flüsterte ihrer Großmutter etwas zu.

Prohaska verstand kein Wort, aber ihr Gesichtsausdruck sprach Bände.

»Ja, Kind, gleich«, sagte die Frau auf Kroatisch und schaute wieder zu Prohaska hoch. »Sie mag es nicht, wenn ich fremden Leuten davon erzähle. Das Leben ist voller Leid und Tränen. Wir müssen es ertragen, egal was kommt. Doch es gibt Gott sei Dank auch gute Menschen, und du bist einer von ihnen. Deine Bestimmung ist, den Armen und Schwachen zu helfen und das Unrecht, das ihnen angetan wurde, wieder in Recht zu verwandeln.«

Prohaska lächelte.

»Sie meinen, so wie Robin Hood?«

»Ach, den gab es gar nicht, eine schöne Legende, weiter nichts. Das hat mir mein Enkelsohn gesagt, er hat es im Internet gelesen. Er geht jetzt in die fünfte Klasse und will später unbedingt Anwalt werden.«

»Das ist eine gute Entscheidung.«

»Und du bist ein guter Polizist und ein guter Mensch. Eines Tages wird dir alles vergolten. Gott sieht alles.«

»Nun denn«, sagte Prohaska und hob den Blick zum Himmel.

»Ich muss dir noch etwas sagen.«

»Okay.«

Die alte Frau sah ihn eindringlich an und berührte sachte seinen rechten Arm.

Sie muss in ihrer Jugend eine sehr schöne Frau gewesen sein, dachte Prohaska, dem der feine Grauschleier nicht entging, der über ihren braunen Augen lag.

»Hüte dich vor falschen Schlangen. Wenn sie dir begegnen, wirst du sie vielleicht nicht gleich erkennen. Sie sind schön, ihre Worte sind honigsüß, aber ihr Herz ist kalt.«

Noch so ein Kalenderspruch, dachte Prohaska und lächelte. Aber wenn sie eine Freude daran hatte, bitte, ihm sollte es recht sein.

»Keine Sorge, ich passe schon auf mich auf.«

»Und hüte dich vor blauen Augen.« Sie ließ seinen Arm los, nickte, und ohne seine Antwort abzuwarten wandte sie sich um und ging mit ihrer Enkelin zum Markt.

»Das Orakel hat also gesprochen«, sagte Prohaska zu Bello. »Lass uns gehen und blauäugige Schlangen suchen.«

Am Nordhafen lag ein Kreuzfahrtschiff mit australischer Flagge. Die Leute blieben stehen, um den Riesenkahn zu fotografieren. Prohaska fragte sich wieder einmal, ob es wirklich nötig war, auf diese Weise um die Welt zu reisen. Er fand die schwimmenden Kleinstädte grässlich und gefährlich. Erst vor ein paar Wochen hatte in Venedig so ein Monsterkahn ein Touristenboot gerammt und war anschließend gegen das Ufer geprallt, wobei mehrere Menschen verletzt wurden. Und was, wenn man auf so einer Reise krank wurde oder eine Seuche ausbrach? Es gab kein Entrinnen. Er jedenfalls würde nie im Leben seinen Fuß auf so ein Schiff setzen. Nicht nur wegen des Umweltschutzes, sondern weil er spätestens am zweiten Tag einen Koller bekäme.

Er blieb zwischen den in der vordersten Reihe parkenden Autos stehen, um eine Gruppe Passagiere vorbeizulassen, die gerade an Land gekommen war und sich in die Stadt aufmachte.

»Oh, what a cute doggy!«, rief ein etwa sechzehnjähriges Mädchen und zeigte auf Bello. Dabei lächelte sie Prohaska an und genoss seine offensichtliche Verwirrung.

Erst als sie weg waren, wurde Prohaska klar, warum er das Mädchen so angestarrt hatte. Ihre Augen waren blau wie der Himmel über ihm. Die Suggestion hatte bereits gewirkt.

Er ging zu seinem alten Cabrio, klappte das Verdeck herunter, ließ Bello auf den Beifahrersitz hüpfen, stieg ein und verließ die Stadt. Für heute hatte er genug von Aufträgen, niedergebrannten Häusern, Orakelsprüchen und blauen Augen.

Die Sehnsucht der Kormorane

Подняться наверх