Читать книгу Asitor10 - Asitor (Band1) - Simon Savier - Страница 5

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Planetensystem Sol

Planet Terra (Erde), Primus Quadrant

Lexington, Kentucky, USA

12.August 2423, terranische Zeitrechnung

Mel Boone arbeitete gerade unter einem original-1967-Shelby Mustang GT 500, als ihm drei Herren in seiner Baracke einen Besuch abstatteten. Nicht sehr höflich und schon gar nicht behutsam rissen sie ihn unter dem unbezahlbaren Auto hervor.

Mit einem Blick, als hätten sie ihm die Hose heruntergezogen, fragte Boone mit ölverschmiertem Gesicht die Männer. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

Ohne erkennbaren Ausdruck im Gesicht antwortete einer der schwarz uniformierten Männer. »Boone? Professor Mel Boone?«

Ein mulmiges Gefühl kam in ihm auf, denn nicht nur, dass sie ihn schroff aus seiner Arbeitskonzentration rissen und seinen Namen kannten, nein, sie waren auch alle bewaffnet. Unscheinbar, trotz allem furchteinflößend, zeichneten sich die Umrisse dreier Waffen unter ihren Uniformjacken ab. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, setzte sich auf und antwortete souverän… »Ja, der bin ich. Was kann ich für Sie tun, meine Herren?« …in der Hoffnung, dass sein Name nicht ausschlaggebend war, deren Waffen sprechen zu lassen.

Einige Augenblicke lang gab es keine Reaktion auf seine Antwort, doch dann wurden die Gesichter des düsteren Triumvirates noch ernster, dass sogar der Shelby überlegte, den ersten Gang einzulegen und abzuhauen. Tiefe Falten bildeten sich auf deren Stirnen.

»Wir möchten Ihnen ein Angebot unterbreiten. Genauer gesagt möchten wir Sie in ein Projekt einweihen, das der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegt. Sollten Sie diesen Vorschlag aus irgendeinem Grund ablehnen, versteht es sich von selbst, dass sie nachfolgende Informationen nie erhielten, genauso wie Sie uns nicht kennen und auch noch nie von uns gehört haben. Haben Sie mich verstanden?«, betete er wie auswendig gelernt herunter, immer begleitet von einem drohenden Unterton.

Boone sah suchend nach links, nach rechts und an den drei merkwürdigen Besuchern vorbei, ob er irgendwo versteckte Kameras entdeckte und stellte mit hochgezogenen Brauen scherzend die Frage: »Müssten Sie mich sonst erschießen?« Einer der drei Salzsäulen starrte ihn mit gefährlich blitzenden Augen an. Der Shelby machte sich fluchtbereit. »Schon gut, schon gut, ich habe verstanden.« Nachdem er die Schrecksekunde verdaut hatte, versuchte er seine Gedanken zu sammeln und stand auf. Dabei hinterließ er einen öligen Handabdruck auf dem Boden. »Wer sind Sie überhaupt? Woher kommen Sie? Und was zum Teufel wollen Sie von mir?« Boone nahm einen dreckigen Fetzen vom Regal und wischte sich damit das schwarze Gold und deutliche Zeichen seiner Arbeit von Händen und Gesicht. Vielleicht hätte er besser mit der Säuberung seines Gesichtes beginnen sollen. Denn als er sich über sein Antlitz wischte, verteilte der Ölprinz das schmierige Schwarz dank seiner mangelhaft gereinigten Hände gleichmäßig darauf. »Erzählen Sie mir endlich, worum es sich handelt.«

Die beiden Flankenmänner konnten ein minimales Grinsen nicht unterdrücken.

Im Gegensatz zu ihnen reagierte er – er wies sich als Commander Jason Croz aus – abgeklärt. Seine glattpolierte Glatze gab ihm einen Hauch von Verwegenheit und ließ ihn etwas älter aussehen als er war. Sein wahres Alter betrug vierundvierzig. »Hören Sie genau zu!«, warnte ihn der offensichtliche Vorgesetzte der beiden. »Ich bin der SC des ISV von der VfW.«

Boone versuchte erst gar nicht, sich zurückzuhalten. Er wusste, er hatte keine Chance gegen sein Alter Ego. »Und ich bin TAV des UA von der DNV.«

Die erste Regung in Jason Croz’ Gesicht kam zum Vorschein. Er war verdutzt. »Ich verstehe nicht«, gab der Commander zu.

Boone klärte ihn auf. »Ich bin Total Angepisst Von Unnötigen Abkürzungen, Die Niemand Versteht.«

Wieder mussten Croz’ Begleiter grinsen. Diesmal brachte der Commander sie mit einem scharfen Seitenblick zur Räson, bevor er sich an Boone wandte. »Ich bin der Sicherheitschef des Interstellaren Sicherheits-Verbands der Vereinigung freier Welten. Wir kommen von der Raumstation Varius-3 und haben Sie aufgesucht, weil wir auf Ihre Fähigkeiten angewiesen sind. Es handelt sich um einen Auftrag höchster Dringlichkeit und betrifft die interstellare Sicherheit. Das hört sich vielleicht ein wenig theatralisch an, aber Sie müssen unseren Worten Glauben schenken.«

Boone unterließ für einen Moment das Atmen und starrte ihn mit seinen dunkelbraunen Augen an. Wilde Weltraumschlachten fuhren wie Blitze durch seinen Kopf. Doch diese Bilder verdrängte er gleich. So ein Unsinn!

Doch dann »Wollen Sie mich verschaukeln!?«, schoss es aus Boone heraus. »Ein wenig theatralisch? Sie erwarten doch nicht allen Ernstes, dass ich Ihnen diesen Schwachsinn abkaufe? Selbst wenn ich es glauben würde, wie stellen Sie sich vor, dass ich allein die Welt retten soll? `Ihr bösen, bösen Aliens, bitte verschont unseren Planeten, sonst muss ich Euch alle zu Tode toasten.´ Suchen Sie sich einen anderen für Ihre Grillparty.«

Croz’ Blick wanderte zu seinen Begleitern. Dann sah er wieder zu Boone. »Hören Sie, wir können Ihnen alles beweisen. Sie müssen nur mitkommen und sich davon überzeugen. Und dass Sie alleine auf diese Mission geschickt werden, ist ein Irrglaube. Dafür ist der Auftrag viel zu umfangreich. Wir haben die besten der besten Wissenschaftler sämtlicher Planeten für unsere Aufgabe gewinnen können. Wenn Sie uns begleiten, werden Sie alle kennenlernen.«

Boone erkannte die versteinerte Mine des glatzköpfigen Commanders. »Sie meinen das wirklich Ernst, nicht wahr?« Langsam fing er an, an die Sache zu glauben. Croz’ Verhalten war nicht gespielt. Trotz seiner harten trockenen Art war da etwas in seiner Stimme, ein Schleier der Beunruhigung, der seinen Schatten warf. Boone durchdrang ein mulmiges Gefühl. Er versuchte aber, sich von diesem nicht sonderlich beeindrucken zu lassen. Trotz alldem wusste er nicht, was er davon halten sollte. Jedoch war seine Neugier zu groß, um nicht Ja zu sagen. So beschloss er zur Erleichterung der drei Besucher, sich die Lage genauer anzusehen.

Bevor sie die Baracke - Boone nannte den maroden Schuppen ‘Werkstatt‘ - verließen, bemerkte Croz im Umdrehen ein beachtliches Loch im Dach. Er fühlte sich bemüßigt, Boone auf diesen Mangel aufmerksam zu machen. »Das sollten Sie reparieren lassen.«

Boone verzog das Gesicht und grummelte unverständlich vor sich hin. Als alle die Werkstatt verlassen hatten, schloss er ab.

Die Reise begann direkt vor Mels Haus. Er stieg die drei Stufen der Veranda hinunter und kletterte samt Gepäck, das er zuvor eilends zusammengesucht hatte, in ein Shuttle, das ihn nur wenig später auf einer Raumstation namens Varius-3 im Orbit um die Erde absetzte.

∞ ∞ ∞

Planetensystem Sol

Raumstation Varius-3, Primus Quadrant

Im Orbit des Planeten Erde

12.August 2423

Nachdem das Shuttle angedockt war, stach Boone sofort die Farbenvielfalt der Station ins Auge. Beinahe vermisste er die grauen sterilen Wände und das kalte Metall. Vermutlich weil er das klischeehafte Aussehen einfach erwartet hatte. Abgelenkt von den unterschiedlichsten Wandmalereien, die sich den gesamten Korridor entlang schlängelten, blieb er mitten in der Ausstiegsluke des Raumgleiters stehen, so dass niemand ein- oder aussteigen konnte.

Ein unangenehm schroffes Räuspern machte ihm deutlich, dass er den Weg freigeben solle. Ein kurzer Blick zurück zeigte ihm, dass der Captain des Gleiters hinter ihm stand, so knapp, dass er beim Drehen seines Kopfes mit der Nase beinahe die des Captains berührt hätte.

Aufgrund der unwirschen Aufforderung des Piloten bückte er sich langsam, tastete gemächlich nach seinem Gepäck, das er neben sich abgestellt hatte und anstatt den Ausstieg endlich zu verlassen, drehte er sich zu dem Shuttleführer um. Leidenschaftslos fragte Boone: »Können Sie mir vielleicht sagen, wie ich zur stationären Registratur gelange?« Diese Information war für ihn absolut überflüssig, denn Commander Croz und einer der beiden Begleiter würden ihn an den richtigen Ort geleiten. In Boones speziellem Fall, da alles streng geheim war, ohne Registratur, was er natürlich wusste, da Croz ihn auf dem Flug hierher über den weiteren Verlauf aufgeklärt hatte.

Ein Blinder hätte erkannt, wie sehr der Pilot mit seiner Fassung rang. »Ich möchte keinesfalls unhöflich erscheinen…«

»Ausgezeichnet!«, fiel Boone ihm ins Wort. »Ich wusste, Sie können mir weiterhelfen. Genau aus diesem Grund habe ich auch Sie gefragt. Sie sehen mir nach einem integren Mann aus.« Er schenkte ihm ein breites falsches Grinsen.

»Tatsächlich?« Das unerwartete Kompliment hatte seine aufwallende Wut weggewischt. »Wenn das so ist … Sie müssen diesen Korridor links entlang gehen bis…«

Croz, der alles mitangesehen hatte und seinen Spaß an dem Schauspiel fand, verlor dennoch die Geduld. »Commander Jason Croz, Sicherheitschef der ISV«, stellte er sich lauthals vor und drückte seinen Ausweis sichtbar in des Piloten erschrockenes Gesicht. »Gestatten Sie, wir haben es eilig.«

Augenblicklich wich der Pilot wortlos und mit aufgerissenen Augen zur Seite, verschmolz beinahe mit der Wand, um Platz zu machen, und salutierte vor dem Ranghöheren.

Croz erwiderte beim Verlassen des Raumgleiters halbherzig den Salut und schnappte Boone am Arm. Er beugte sich zu dem Piloten, deutete auf Boone und flüsterte: »Ein Entlaufener.« Er ließ den Zeigefinger vor seiner Stirn kreisen. Dann verschwanden sie im langen Korridor. Einer der beiden Unteroffiziere nahm Boones Gepäck und brachte es in sein Quartier. Der andere folgte Croz.

Noch Minuten später stand der Pilot wie erschlagen in der Ausstiegsluke seines Gleiters und versuchte zu verstehen, was eben passiert war.

Allerhand kuriose Ornamente schmückten Wände, Decken und Böden. Befremdliche Objekte zahlloser Kulturen zierten viele Bereiche der Station. Lichtspiegelungen in den verschiedensten Farben funkelten über den Köpfen der Besucher. Es war eine warme und herzliche Umgebung, in der man sich wohl fühlen musste. Boone wusste nicht, wohin er zuerst sehen sollte. Beinahe wie ein Freudenhaus. Nur ohne die üblichen Freuden.

Commander Croz und der Unteroffizier geleiteten Mel Boone in eine Bar namens Zum schwarzen Loch, die nicht weniger beeindruckend war. Einer der beiden deutete auf einen abseits gelegenen Tisch, der beträchtlich größer war als alle anderen. Er bot Platz für etwa ein Dutzend Personen. Es sei denn, sie luden tisentianische Tamroggs ein, dann wäre nur Platz für vier.

Boone näherte sich der buntgescheckten Tafel und bemerkte, dass die dazugehörigen Stühle fehlten.

Der kahlköpfige Commander legte den Kopf schräg und beobachtete Boone. »Machen Sie einen Schritt nach vorne, mein Freund«, riet er dem Neuankömmling.

Boone machte eine Geste, als würde ihm jeden Moment ein Stuhl um die Ohren fliegen. Die ersten Sekunden geschah gar nichts. Er machte noch einen kleinen Schritt vorwärts, so dass er mit seinen Oberschenkeln den Tischrand berührte, um vielleicht doch noch etwas an seiner stehenden Position zu ändern.

Knapp hinter ihm tat sich der Boden auf, und ein gepolsterter Stuhl mit Arm- und Rückenlehne tauchte auf. »Wie raffiniert!«, entfuhr es Mel.

Nach genauerer Betrachtung des in der Mitte platzierten DNS- geformten Tischbeines stellte er fest, dass sich einige Erkennungsmagnete aktivierten und gleich darauf der Stuhl bereitstand.

»Welche Überraschungen erwarten mich denn noch, Commander?«, fragte Boone erheiternd.

Croz’ schüttelte den Kopf und seufzte: »Sie werden sich noch wundern, Mann! Wenn Sie damit schon überfordert sind<, er deutete auf den Stuhl, »dann möchte ich nicht wissen, wie Sie in Ihrem neuen Job reagieren werden, wenn Sie in gefährliche Situationen geraten.«

Boone glaubte sich verhört zu haben. Auf Bitten und Betteln hatte er sich dazu überreden lassen, der Station einen Besuch abzustatten. Und wozu? Um mich dann beleidigen zu lassen? »Wenn Sie so ein Bild von mir haben«, er verschränkte beleidigt die Arme, »dann verstehe ich eines nicht: Warum haben Sie mich für den Job ausgewählt?« Er lehnte sich in den Stuhl, legte die Füße auf den Tisch und wartete gespannt auf eine Antwort.

»Nun ja. Wissen Sie, auch wenn ich es nur ungern zugebe, aber Sie sind nun mal der verdammt beste Techniker, den wir finden konnten«, gestand er gedämpft und ließ dabei den Kopf sinken.

Es war eine Genugtuung, das von dem Frechling zu hören. Mit bleckenden Zähnen erwiderte er: »Mir das zu sagen, ist Ihnen bestimmt schwer gefallen.«

Der Commander lehnte unförmlich am Tresen, um die Scham, die er verspürte, mit seiner gespielten Gelassenheit zu überspielen. Er verzog seinen rechten Mundwinkel, tastete nach links, griff zu seinem Glas und nahm einen kräftigen Schluck.

»Was ist eigentlich mit den anderen Freiwilligen? Haben die es sich anders überlegt?« Boone kam sich auf diesem riesigen Tisch verloren vor. Er rutschte ungeduldig hin und her. Außerdem wurde Geduld in seinem Vokabular nicht sehr groß geschrieben.

»Keine Sorge!«, winkte Croz ab. »Sie sind schon alle auf dem Weg hier her.« Er deutete in alle Richtungen und schüttete dabei fast sein Getränk aus. »Sie, Professor, hatten schließlich den kürzesten Weg.«

»Einstweilen wir hier warten«, fiel Boone ein, »könnten Sie mir doch einige Einzelheiten verraten.« Das ereignislose Herumsitzen steigerte seine Neugier zusehends.

Croz wurde dazu beauftragt, Mel Boone davon zu überzeugen, mit auf die Station zu kommen und darauf zu achten, dass dem Besucher nichts geschehe. Von Konversation war niemals die Rede. Dementsprechend genervt rollte er mit den Augen und trank noch einen Schluck aus seinem Glas. Schließlich war er der Sicherheitschef der ISV und kein Animateur. »Nur mit der Ruhe, Professor. Alles zu seiner Zeit. Außerdem bin nicht ich derjenige, der Ihnen alle weiteren Einzelheiten verrät.«

Boone übte sich in Geduld. Zumindest hatte er wirklich vor, es zu versuchen, was ihm wahrlich nicht leicht fiel. Allmählich gewann sein aufgewecktes, nicht zu bremsendes Gemüt die Überhand und zwang ihn dazu, sich auf der Station umzusehen. Er wartete einen Moment der Unachtsamkeit des Sicherheitschefs ab, nutzte die Chance und verschwand blitzschnell wie ein Fuchs im Gebüsch.

Boone durchstreifte bei seiner Erkundungstour eine Menge Etagen, Korridore, Veranstaltungsräume, frei zugängliche Laboratorien, Aufenthaltspassagen, Stationskantinen mit den erlesensten kulinarischen Leckereien und vielen weiteren Augenschmäusen. Er war verblüfft, was man aus einer einfachen, für gewöhnlich ziemlich tristen Raumstation machen konnte.

Abgelenkt von malerischen Kunstwerken, stieß er mit einer jungen Terranerin zusammen. »Tut mir leid, Miss …?« Miss Wow!

»Quinn, Abby Quinn«, antwortete sie mit lieblicher Stimme. »Nichts passiert. Ich weiß, wie ablenkend diese Malereien sein können. Mir ging es bei meinem ersten Besuch auf dieser Station nicht anders.«

Offensichtlich gibt es hier doch die zur Station gehörigen Freuden. »Eine äußerst ungewöhnliche Station«, gab er zurück, ohne den Blick von ihren haselnussbraunen Augen abwenden zu können. »Mein Name ist Mel Boone. Wenn es nicht allzu aufdringlich klingt, würde ich Sie bitten, mir mehr zu zeigen. Von der Station!«, fügte er sofort hinten an. »Das vermindert vielleicht auch die Gefahr, noch mehr Leute aus der Bahn zu werfen. Vorausgesetzt, ich nehme Ihre kostbare Zeit nicht zu sehr in Anspruch.«

Sie sah auf die Uhr. »Also schön, Mel Boone«, sie zwinkerte ihm zu, »ich würde Sie sehr gerne herumführen. Noch habe ich Zeit.«

Hoch erfreut darüber, dass diese junge Dame Andeutungen von Interesse an ihm zeigte … »Ausgezeichnet. Lassen Sie uns gehen«, …machten sie sich auf den Weg, die Station zu erkunden.

»Zwei fehlen noch, Sir«, sagte Stanson, einer der drei ISV-Männer zögerlich.

Als hätte Croz sich die ganze Zeit über, seitdem Boone sich davongeschlichen hatte, nicht von der Stelle gerührt, stand er an der Bar mit einem Getränk in der Hand und war sichtlich verstimmt. »Unfassbar!«, stieß er krächzend aus, was ihn sofort dazu veranlasste, einen weiteren kräftigen Schluck zu nehmen. »Hatte ich ihm nicht ausdrücklich gesagt, dass er hier in der Bar warten sollte? Und wo zum Teufel steckt die Terranerin? Ist sie überhaupt schon auf der Station?«

»Ja, Sir. Heute Nachmittag eingetroffen«, gab Stanson erfreut zur Antwort, da er ihm etwas Positives berichten konnte.

Croz erhob sich von seinem Hocker und bäumte sich knapp vor ihm auf. Er zog sich die Hose hoch und die Uniformjacke straff. »Und wo zur Hölle steckt sie dann?«, spuckte er ihn an. Durch Blinzeln versuchte Stanson der feuchten Attacke zu entgehen. Croz drehte sich zum nahezu vollbesetzten Tisch, dessen Gäste nicht minder bunt waren als der Tisch selbst, atmete tief durch, ließ seinem Gesicht kurz Zeit, die Röte verblassen zu lassen und sagte: »Meine Herrschaften, ich muss mich für die Unpünktlichkeit der beiden Terraner entschuldigen. Es kann sich nur noch um wenige Augenblicke handeln.« Mit diesen Worten versuchte er die Missstimmung der wartenden Gesellschaft zu lindern.

Professor Rewa, ein kleiner Mann vom Planeten Sonim zappelte nervös auf seinem Stuhl herum. Man hatte den Verdacht, eine Armee von Ameisen würde ihm das Leben schwer machen. Er schien durch die Verzögerung deutlich aufgeregt zu sein.

Mel Boone schlenderte mit seiner attraktiven Begleitung zurück in die Bar Zum Schwarzen Loch. Von Eile keine Spur. Jason Croz kam mit erregtem Gemüt auf die beiden zu, und sein verblasstes Rot im Gesicht glich wieder einer Tube Ketchup. »Haben Sie völlig den Verstand verloren!?«, presste er hervor und versuchte sich verbissen in der Gewalt zu halten. »Was fällt Ihnen ein, die Bar zu verlassen und dann auch noch viel zu spät hier wieder anzutanzen? Und das auch noch in aller Seelenruhe.«

Boone ließ seine Begleitung stehen und baute sich vor Croz auf. »Ich möchte eines klarstellen:«, stieß Boone brutaler aus als er geplant hatte. »Das hier ist kein Gefängnis, und ich lasse mich auch nicht wie ein Gefangener behandeln! Haben Sie mich verstanden?«

Erstaunt über die Reaktion erwiderte Croz: »Hey, Mann, immer mit der Ruhe. Regen Sie sich nicht gleich so auf.«

Doch immer noch erzürnt über Croz’ Verhalten, sagte Boone weiter: »Sie sind derjenige«, er deutete mit dem Finger auf ihn, »der meine Hilfe braucht, nicht umgekehrt! An Ihrer Stelle würde ich mich mäßigen, wenn Sie nicht wollen, dass ich aussteige, bevor ich überhaupt weiß, worum es geht.«

»Sie haben Recht, Boone«, sagte Croz reumütig. Er sah ein, dass seine Reaktion übertrieben war. »Aber verstehen Sie auch unsere Lage. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit um…«

»Entschuldigen Sie, Commander«, wurde er von einer hellen Stimme unterbrochen. »Aber könnte ich unsere Gäste nun mit Ihrer Aufgabe vertraut machen?« Die dunkelhäutige, schwarzhaarige Dame war die Person, die die Mission leitete. Eine kurze Vorstellung ihrer Person verriet, dass sie Doktor Libby Samura hieß. Aus ihrem Monolog ging hervor, dass sie eine leidenschaftliche Astronomin war. Ihre strahlendweißen Zähne lenkten Boone so sehr ab, dass er zwar Samuras Mundbewegungen folgen konnte, aber nicht den Worten, die ihn verließen. Sie stand am oberen Ende des langes Tisches und hatte Blickkontakt zu all ihren speziellen Gästen. »Diese Mission trägt die höchste Prioritätsstufe.« Sie drohte mit dem Zeigefinger, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. »Es versteht sich von selbst, dass absolute Diskretion vorausgesetzt wird.«

Boone, der in der Zwischenzeit Platz genommen hatte, hob die Hand, rutschte nach vorne, senkte seinen Kopf und flüsterte: »Ähm, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Wenn das hier so eine geheime Operation ist, warum dann dieses Treffen in der Öffentlichkeit? Und vor allem verstehe ich nicht, warum Sie Ihren Bericht im Beisein von Miss Quinn beginnen.« Er deutete auf seine Begleitung, die neben ihm Platz genommen hatte und ihn freundlich anlächelte. »Sie hat mit der Sache nichts zu tun.«

Samura musterte Quinn einige Sekunden, bevor sie sich dem Terraner widmete. »Ganz einfach, Mr. Boone, weil sie eben doch etwas mit der Sache zu tun hat. Sie ist, wie Sie, eine der auserwählten Zehn.«

Überrascht blickte er zu seiner Nachbarin. Sie warf ihm einen verschmitzten Blick zu.

»Warum ich diesen Ort für meine Erläuterungen gewählt habe, ist ganz einfach erklärt:«, fuhr sie mit dem zweiten Teil der Antwort fort. »Manchmal sind offensichtliche Dinge geheimer als geplante Top-Secret Aktionen. Offiziell feiern wir meinen Geburtstag.« Sie ließ den Blick durch das Lokal schweifen. Niemand außer den Zugehörigen schenkte ihr Aufmerksamkeit. Boone war kurz davor, sie zu fragen, wie alt sie geworden war. Aufgrund seiner guten Erziehung entschloss er sich, zu schweigen. Dann fuhr Samura mit ihrer Erläuterung fort. »Ich werde Ihnen nun in kurzen Worten erklären, welche Aufgaben und Tätigkeiten ich bei dieser Mission, die ihnen Professor Rewa ausführlich schildern wird, zu erfüllen habe.« Sie deutete auf einen kleinen zappeligen, wie von Feuerameisen befallenen Sonim. »Meine Aufgaben sind die Kommunikation zwischen der Regierung Sonims und Terras sowie der Kontakt zum Außenteam Ten4 und deren Überwachung. Ten4 ist der Name des Teams, das sich aus Ihnen zusammensetzt. Sollten Probleme auftauchen, werde ich alles daran setzen, diese zu lösen. Klingt nicht sehr beeindruckend. Die Verantwortung dafür zu tragen, ist es aber umso mehr.« Sie drehte sich zu dem Sonim. »Ich übergebe das Wort nun an Professor Rewa.« Sie setzte sich.

Man hatte das Gefühl, Boone war enttäuscht, dass Samura eine Sprechpause einlegte und er gezwungenermaßen eine Schneeweiß-Zahn-Hypnosepause einlegen musste.

Rechts neben Samura erhob sich ein kleiner, aufgeregter, humanoider Mann, dessen Teint an starken Sonnenbrand erinnerte. Seine rosa schimmernden Augen musterten fahrig die Gäste. Seine kurzen gelben Haare standen ihm zu Berge. Er kramte umständlich in seiner Umhängetasche, während er dabei beinahe darin verschwand. Nach längerem Bemühen fischte er ein sehr altes Schriftstück hervor, das er vorsichtig aus einer Schutzhülle nahm.

»Also … wir haben … also diese bemerkenswert alte Schriftrolle«, seine Nervosität schlug sich deutlich auf die Artikulation nieder. »Wir glauben etwas Sensationelles entdeckt zu haben. Aus diesem Schriftstück geht hervor, dass sich auf vier Planeten je ein Geheimnis – wie wir vermuten, neue Energiequellen größter wissenschaftlicher Sensation – verbirgt.« Die Paarung Aufregung und Nervosität verkrafteten einander nur schwerlich. Seine Stimme überschlug sich. »Es ist nun an Ihnen, diese zu finden und zu erforschen. Die Finanzierung übernehmen Terras und Sonims Universitäten.« Umständlich legte er einen detaillierten Finanzplan vor sich auf den Tisch. »Der Grund für die Kooperation sind bruchteilhafte Erwähnungen Terras in der Schriftrolle.« Dann tat er etwas, das er fast vergessen hätte – atmen. »Die Mission muss exakt innerhalb eines Sonim-Jahres abgeschlossen werden.« Rewa machte eine kurze Pause, holte noch einmal tief Luft und wischte sich den triefenden Schweiß von der Stirn. »Laut Schriftrolle verwirken die Energiequellen ansonsten ihren Effekt. Also … ähm, also Sie können jetzt Fragen stellen, die Ihnen unsere Koordinatorin Doktor Samura beantworten wird.« Mit diesen Worten schloss er seine erstaunlich magere Erläuterung ab, setzte sich erleichtert zurück auf den imaginären Haufen Feuerameisen und verschwand beinahe komplett unter dem Tisch.

Stille.

Im ersten Moment saßen die auserwählten Zehn da, als wären es Wachsfiguren. Einige Köpfe wanderten wie in Zeitlupe zu ihren möglichen neuen Kollegen.

Samura hatte mit einer derartigen Reaktion gerechnet. Sie erhob sich erneut, um anfallende Fragen zu beantworten.

Plötzlich, bevor sie noch irgendetwas sagen konnte, brandete ihr ein Wortschwall aller Gäste - bis auf den beherrschten blauhaarigen Creen – entgegen.

»Welche Mission?«

»Wohin führt uns diese Mission?«

»Welche Gefahren drohen uns?«

»Wo sollen wir was finden?«

»Welche Sicherheitsvorkehrungen wurden getroffen?«

… Eine Fülle an Fragen stürmte auf Samura ein.

Sie hob besänftigend beide Arme. Mit einem derartigen Ausbruch hatte sie nicht gerechnet. »Aber, aber, meine Herrschaften. Einer nach dem anderen. Ihre Fragen werden alle beantwortet werden.«

Doch bevor sie das tat, bat sie die zehn Kandidaten, ihr in einen menschenleeren Nebenraum zu folgen, da sich die Gruppe für ihren Geschmack mittlerweile zu auffällig und laut verhielt. Die ungewollte Aufmerksamkeit sämtlicher Gäste der Bar war ihnen gewiss.

Sie musterte die aufgewühlte Meute auserlesener Spezialisten.

»Am besten beginnen wir mit Ihnen, Doktor Throna«, schlug sie vor und deutete auf einen ruhigen stattlichen Mann mit beachtlicher Muskulatur.

Als der Creen aufsah, erkannte man, dass seine Augen ebenso bizarr blau leuchteten wie seine langen Haare und sein Bart, der seinen Mund umspielte. Seine Haut dagegen war schwarz wie Teer und hatte eine raulederartige Struktur. Bedächtig richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. Er wartete noch einen kurzen Moment. »Was hat es mit den geheimnisvollen Energiequellen auf sich?«, stellte er die Frage so sanft, dass sich die übrigen Gäste beruhigten und - bis auf Boone - ihre Blicke neugierig zu Samura wanderten.

Boone war ein wenig enttäuscht, hatte er doch damit gerechnet, dass auch seine Zähne dieses strahlende Blau aufwiesen. Das strahlende Weiß seiner Zähne half ihm über seine Enttäuschung hinweg. Es war kaum zu glauben, dass jemand weißere Zähne haben konnte als Dr. Samura. Der Creen konnte. Seit wann habe ich eine derart ausgeprägte Affinität zu Zähnen?

Die Astronomin überlegte einen Augenblick und holte Boone mit ihrer Antwort zurück in die Bar. Fasziniert beobachtete er sie beim Sprechen. »Ich kann Ihnen nicht mehr dazu sagen, als Professor Rewa es bereits getan hat. Wir wissen nicht, um welche Art von Energiequelle es sich handelt. Die Fragmente des Schriftstückes sind zwar noch nicht völlig enträtselt, aber unsere Wissenschaftler gehen fest davon aus, dass jene Teile mit genau dieser Information nicht mehr rekonstruierbar sind. Auch die Systemscans waren durch die Entfernung insuffizient. Nur eine Untersuchung vor Ort bringt Gewissheit.«

»Also«, setzte der Terraner Mel Boone mit einem spöttischen Seitenblick auf Professor Rewa zu seiner Frage an, »wohin zum Teufel schicken Sie uns eigentlich? Ich dachte, wir müssten Terra retten. Zumindest hatte Croz diesen Eindruck bei mir erweckt.«

»Also … es besteht durchaus die Möglichkeit … also … es kann sein, dass die Ergebnisse in weiterer Folge einen großen Nutzen für Terra als auch für Sonim haben könnten. Die Ausmaße sind uns leider nicht bekannt«, schob der Sonim Rewa die zwei Sätze ein.

Samura fuhr mit der Beantwortung fort: »Wie vorhin angeschnitten, reisen Sie zu vier Planeten, deren Koordinaten und Flugrouten bereits errechnet wurden. Ich werde Ihnen die Kategorien der einzelnen Planeten näher bringen. Sollten danach noch Fragen offen sein, finden Sie genauere Details in den vor Ihnen liegenden Unterlagen.« Erst da bemerkte Mel Boone, dass jemand Informationsmaterial ausgeteilt hatte. Er sah sich um. Niemand war in dem Raum, der die Unterlagen hätte austeilen können. Er war versucht, unter den Tisch zu lugen.

»Ihr erster Zielort ist ein Wüstenplanet namens Aroia – trocken und heiß. Von dort aus führt Sie Ihr Kurs zum Eisplaneten Kalsar – kalt und verschneit. Anschließend geht es Richtung Wasserplanet Seyth – weitläufig und nass. Zuletzt steuern Sie den Tropenplaneten Mesan an – feucht und schwül. Dafür haben Sie knapp 18 Monate terranischer Zeitrechnung. Das zeitliche Limit wird in einer Passage der Schriftrolle erwähnt. Dabei handelt es sich um einen Zyklus, der sich nur alle Zehntausend Jahre wiederholt. Nach Ende des Zyklus’ hat man dreißig Monate Zeit, um die Bestimmung zu erfüllen. Vermutlich wurde die Bestimmung in dem zerstörten Teil der Schriftrolle erläutert, denn es war nicht möglich herauszufinden, worum es sich dabei handelt. Vor nicht ganz zwölf Monaten haben die Sonim die Schriftrolle entdeckt. Daraus ergeben sich die knapp 18 Monate Restzeit. Deadline ist der 16. März 2425.« Noch bevor jemand etwas einwerfen konnte, fuhr Samura rasch fort. »Sie denken vermutlich, dass achtzehn Monate eine lange Zeit und völlig ausreichend sind. Ich sollte Ihnen fairerweise sagen, dass gut siebzehn Monaten davon reine Flugzeit sind.« Die Anwesenden wechselten schnelle Blicke. Sie wussten sofort, was das zu bedeuten hatte. Es handelte sich um eine eilige Geschichte. »Das bedeutet, Ihnen steht lediglich ein Monat - genau gesagt - sechsundzwanzig Tage zur Verfügung, um zu finden, wonach Sie auf den vier Planeten zu suchen haben. Nach Ablauf der Frist dürften die Vorkommen für die nächsten Zehntausend Jahre unerreichbar werden. Gezwungenermaßen ergibt sich daraus ein enormer Zeitdruck für Sie. Das zwingt uns dazu, den Start Ihrer Mission bereits auf morgen früh 07:00 festzusetzen. Sie werden gebeten, Ihre persönlichen Angelegenheiten bis spätestens heute Abend 18:00 zu erledigen.« Samura sah kontrollierend auf ihre Uhr. »Das heißt, es bleiben Ihnen exakt acht Stunden und siebenundzwanzig Minuten, um sich auf der Station wieder einzufinden. Ich bitte um Pünktlichkeit.« Sie sah Boone strafend an.

Celáhr Dran, der perlmuttfarbene, hochgewachsene Gidaner, griff sich an den Kopf und schüttelte selbigen. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«, schoss es brüsk aus ihm heraus. »Sie haben kaum verwertbare Information für uns und gehen tatsächlich davon aus, wir lassen alles liegen und stehen, um schon morgen eine achtzehnmonatige Reise ins Ungewisse anzutreten?«

Die dunkelhäutige Astrophysikerin war der Auffassung, dass es das Klügste wäre, nicht auf den unbeherrschten Gidaner zu reagieren, also fuhr sie fort. »Ihre Aufgabe ist es, die von mir zuvor erwähnten Energien zurück zur Erde zu schaffen. Hinterher wird festgestellt, was man damit anstellen kann. Wir hoffen, neue technologische Türen aufzustoßen und damit neue Möglichkeiten zu eröffnen.«

»Klingt interessant. Klingt sehr interessant. Meine Neugier haben Sie in der Tat geweckt«, sagte Condara Tyy, ebenfalls eine blauhaarige Creen wie ihr Partner Yadoo Throna. Bis auf die etwas weiblichere Figur war sie ihm optisch sehr ähnlich.

Ein Lächeln umspielte Samuras Gesicht. »Das freut mich zu hören.« Sie musterte jeden einzelnen der auserwählten Zehn. Galt es nur noch neun davon zu überzeugen. Sie hoffte inständig sich an dem griesgrämigen Gidaner Celáhr Dran nicht die Zähne auszubeißen. Ihre nächste Frage richtete sie an alle: »Kann ich mit Ihrer Kooperation rechnen?«

Anstatt einer Antwort stellte Boone eine Gegenfrage: »Was passiert, wenn einer von uns nicht mitmachen will?« Er zog gespannt seine Brauen hoch. »Sie können nicht davon ausgehen, alle auf Ihrer Seite zu haben mit einer Hand voll Informationen, die löchriger sind als ein verrostetes Sieb.«

Rewa riss die Augen auf. Seine Atmung stockte. Der Sonim stand kurz vor einem Herzinfarkt, zumindest machte er diesen Eindruck.

»Natürlich haben Sie Recht, Professor Boone«, stimmte Samura erstaunlich gelassen zu. Sogar den Ansatz eines herausfordernden Lächelns umspielte ihr Gesicht, »aber sehen Sie es aus unserer Warte.« Sie sah dabei den noch mehr als zuvor aufgewühlten Professor Rewa an. »Ein Fundstück wie dieses«, sie nahm das alte Papier zur Hand, »ist eine Sensation, ein Spektakel, ein Erlebnis, von dem Sie alle ein Teil werden können«, ereiferte sie sich immer lauter. »Sie können sich nicht vorstellen, welche Reaktionen es bei diversen Wissenschaftlern gab, als ihnen dieses Pergament zufällig in die Hände fiel. Überlegen Sie!«, sagte sie geradezu visionär. »Wenn sich einige Wenige derart an etwas kaum noch Vorhandenem erfreuen und begeistern können, wie groß wird dann erst die Freude und Begeisterung bei allen sein, wenn Sie mit der Entdeckung des Jahrtausends zurückkehren?«, versuchte Samura, Boone mit leuchtenden Augen schmackhaft zu machen.

Es war keine Plattitüde, die der Doktor ihnen auftischte, dessen war Boone sich sicher. Das Feuer, das in ihr brannte, war heißer als die Sonne. Er kniff die Augen zusammen, wollte sie fordern. »Aber steht das Risiko denn wirklich in Relation mit der Freude anderer?«

Sie sahen einander tief in die Augen. Beide wussten, wie wichtig ihre Argumente waren. Sie waren so darauf konzentriert, dass alles andere um sie herum ausgeblendet war.

»Die berechnete Gefahr ist minimal. Sicherheitsvorkehrungen wurden getroffen.«

»Und wie viel Prozent spucken Ihre Berechnungen in Bezug auf ein Restrisiko und unvorhersehbare Elemente aus?«

»Das ist nicht berechenbar, sonst würde es kaum `unvorhersehbares Element´ heißen.«

»Genau diese unberechenbaren Prozent lassen meinen Verstand zurückschrecken.« Um seinem Unbehagen Nachdruck zu verleihen, schlug er einige Male mit seiner rechten Faust in seine linke Hand.

Samura ließ sich davon nicht beeindrucken. »Und ich dachte, gerade Sie wüssten eine Herausforderung zu schätzen, die mit Unberechenbarkeit durchwachsen ist. Allein Ihr Hobby das Sie zum Beruf machten, die unberechenbaren Störfaktoren, Zwischenfälle, Auswirkungen. Nie zu wissen, ob die Veränderung den gewünschten Effekt erzielt hat, bis man es getestet hat, es ausprobiert hat, das Risiko der Unberechenbarkeit eingegangen ist.«

Er schüttelte den Kopf. »Mit dem Unterschied, dass mein Beruf mich nicht umbringt.« Seine zur Faust geballte Rechte verlor langsam an Energie und wedelte noch ein paar Mal kraftlos vor seinem Gesicht hin und her, bis er die Hand langsam sinken ließ. »Und genau das ist auch der Grund, warum ich auf dieser Mission auf keinen Fall … fehlen werde.«

Plötzlich tauchten auch die restlichen Anwesenden wieder auf, lautstark applaudierend, selbst Celáhr Dran, der gehässige perlmuttfarbene lange Gidaner. Samura und Boone wussten nicht Recht, ob der Applaus ihr, ihm oder dem Übereinkommen galt. Der Missionsleiterin war es gelungen, alle zehn davon zu überzeugen, die Reise anzutreten. Mit Sicherheit hatte auch Boone großen Anteil daran, war Samura überzeugt.

»Wäre nur noch die Frage zu klären, warum gerade wir für diese Mission ausgesucht wurden? Mir ist schon klar, dass unsere Fähigkeiten … die Besten der Besten und so weiter … aber warum gerade diese fünf unterschiedlichen Rassen?« Boone sah sie nacheinander an. Er blickte durchgehend in freundliche Gesichter, wobei sich Drans langsam wieder verdunkelte. »Sie hätten genauso gut zehn Verschiedene wählen können.«

»Wenn Sie die Beschaffenheit der vier Planeten und die Herkunft der Mitglieder vergleichen, werden Sie die Parallelen erkennen und verstehen«, erklärte Samura. »Einen letzten Punkt möchte ich noch erwähnen, bevor ich Sie entlasse, damit Sie Ihre persönlichen Angelegenheiten regeln können: Unsere Weitstreckenscans ergaben, dass die vier Planeten nicht bewohnt, geschweige denn besiedelt sind. Selbst Fauna sollte dort nicht existieren. Somit brauchen Sie diesbezüglich nicht mit Widerstand rechnen. Aus Sicherheitsgründen erhalten Sie dennoch Grundausrüstung zur Verteidigung.« Sie sah zu Boone. »Für etwaige unvorhersehbare Elemente«, verharmloste sie witzelnd.

Boones Augen wurden schmaler. Wie sehr konnten sie sich darauf verlassen? Auch wenn der adrette Doktor die unvorhersehbaren Elemente herunterspielte, war er der Meinung, sie nicht leichtfertig zu unterschätzen.

Er sollte Recht behalten.

Nachdem endgültig alles geklärt schien, waren die erkorenen Zehn gerade im Begriff, sich zu trennen, da ertönte eine verhaltene Frage. Ein kindlich wirkendes, grauhäutiges Echsenwesen vom Planeten Tos’Pa namens Carsi Wops, der eine rotschwarze Augenklappe über dem rechten Auge trug, stellte sie: »Dürfen wir mit einer Belohnung rechnen?«

Die Gesichter wanderten hellhörig zu Samura. Offensichtlich eine Frage, an der alle interessiert waren.

»Ich kann Ihnen versichern, dass die Belohnung einer erfolgreich durchgeführten Mission ausreichend sein wird.«

Da fiel dem Gidaner Celáhr Dran eine weitere Frage ein, die er auf seine ihm unnachahmlich arrogante Art stellte. »Was haben wir nach unserer Rückkehr zu erwarten?«

Doch bevor Samura darauf antworten konnte, fuhr Bras vom Haus der Dritten, Uco’Nephty, ein Alesstri mit langen silberglänzenden Haaren dazwischen. »Was hat das jetzt für eine Bedeutung? Wir sind noch nicht einmal gestartet.«

Ruppig entgegnete Dran. »Ich habe das gleiche Recht zu fragen, wie alle anderen!«

Unversehens waren die beiden in ein lautstarkes Streitgespräch verwickelt.

Mel Boone, der die Bar bereits zum zweiten Mal verlassen wollte und erneut daran gehindert wurde, was seinen ohnehin dünnen Geduldsfaden zum Zerreißen brachte, drehte sich abrupt zu den Querulanten um. »Wenn Ihr beiden nicht augenblicklich die Klappe haltet, werde ich sie Euch unsanft stopfen.«

Sie verstummten überrascht, und der Streit war genauso schnell zu Ende, wie er begonnen hatte.

»Ich würde vorschlagen, dass Sie sich besser kennenlernen sollten, wenn Sie auf die Station zurückgekehrt sind. Da Sie ohnehin um 18:00 hier sein müssen, ergibt sich bestimmt eine Gelegenheit. Auf die eine oder andere Art. Besser auf die andere«, schlug Samura vor und sah Dran und den Alesstri vom Haus der Dritten, Uco‘Nephty von der Seite an, »denn schon morgen früh beginnt Ihre Reise. Bis dorthin sollten Sie Ihre Diskrepanzen beseitigt haben.« Der dunkelhäutige Doktor blieb im Ausgang stehen. »Ihnen ist bestimmt aufgefallen, dass jeweils zwei Personen eines Spezialgebietes gewählt wurden«, fuhr sie fort. »Dies dient erstens der effizienteren Arbeit und zweitens der Sicherheit. Falls einem der Mitglieder etwas zustößt, kann der Zweite seine Arbeit fortsetzen.«

Sicherheit, ja?, sagte sich Boone lautlos. Das wird bestimmt noch sehr interessant.

∞ ∞ ∞

»Glauben Sie wirklich, dass diese Zehn in der Lage sind, die Aufgabe zu bewältigen?«, fragte Jason Croz mehr als skeptisch, nachdem die Ten4 die Bar verlassen hatten.

»Es sind die besten Leute für diesen Job«, versicherte sie ihm. »Wir haben drei Monate lang nach ihnen gesucht. Wenn sie es nicht schaffen, wer sonst? Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen ihnen Vertrauen entgegenbringen und hoffen, dass sie damit fertig werden. Ich weiß, dass die Bedingungen auf den Planeten teilweise unmenschlich sind. Aber vergessen Sie nicht«, sie machte eine bedeutende Pause, »es sind nicht nur Menschen an der Mission beteiligt.«

Croz starrte nachdenklich auf den Boden. »Extremsportler wären wohl besser für diesen Job geeignet. Die Bedingungen sind, wie Sie schon sagten, hart. Die Hälfte des Teams sind Leute, die in Laboratorien arbeiten und kaum Tageslicht zu sehen bekommen, geschweige denn Erfahrung mit Außenmissionen haben.«

»Die Hälfte der Mannschaft. Die andere Hälfte ist zumindest teilweise vertraut mit ähnlichen Situationen«, entgegnete Samura zuversichtlich. Es schien so, als würde sie auf denselben Fleck am Boden starren wie Croz. »Abgesehen davon, zeigen Sie mir Extremsportler, die ein derartiges Wissen aufweisen wie unsere Kandidaten.«

Der Sicherheitschef sah auf und suchte direkten Blickkontakt zu Samura. Er musste nicht lange warten. »Wem geben Sie die größte Überlebenschance?«, fragte er kaum hörbar und hatte die Daten der vier zu bereisenden Trabanten vor seinem geistigen Auge.

»Hören Sie auf, so zu reden!«, blökte sie ihn an. »Solche Fragen sollten Sie sich gar nicht erst stellen. Natürlich werden sie alle heil wiederkommen«, sagte Samura in einem Tonfall, der keinen Zweifel zuließ.

Asitor10 - Asitor (Band1)

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