Читать книгу Asitor10 - Asitor (Band1) - Simon Savier - Страница 6
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ОглавлениеPlanetensystem Sol
Raumstation Varius-3
im Orbit des Planeten Erde
12.August 2423, terranische Zeitrechnung
Wider Erwarten hatten es alle Zehn pünktlich zurück auf die Station geschafft.
Sie hatten gemeinsam mit Dr. Libby Samura, SC Jason Croz und Prof. Rewa zu Abend gegessen. Die eine oder andere Frage, die den Ausflüglern, wie Boone das Team spaßhaft nannte, noch eingefallen war, wurde von den SCR bereitwillig beantwortet. Auch die Abkürzung SCR - Samura, Croz, Rewa - stammte von Boone. Damit nahm er Croz und seine `Abk-philie´ mit Erfolg aufs Korn.
Mittlerweile war es kurz nach 21:00. Die Bar Zum schwarzen Loch machte ihrem Namen alle Ehre. Der Alkohol floss großzügig in die Kehlen der Gäste, als wären es schwarze Löcher, die das Hochprozentige einfach verschwinden ließen. Andere fühlten sich, als stünden sie am Abgrund jenes dunklen, alles verschlingenden Nichts, das nach ihnen lechzte und den einen entscheidenden Schluck abwartete, der sie dazu brachte, zu stürzen.
Nachdem der Alkohol die Zungen einiger zukünftiger Ausflügler gelockert hatte, erfuhr man von dem einen oder anderen etwas aus deren Privatleben. Ob man wollte oder nicht.
Yadoo Throna, bei dem der Alkohol lediglich in der Medizin zur Anwendung kam, bediente keines der Klischees, die einem klassischen Biologen, Mediziner und Arzt nach wie vor anhafteten – langweilig, überheblich, spartenbezogen, rechthaberisch, kein anderes Thema als die Medizin. Eben typische Professoren und Doktoren wie jene, die Boone dazumal von der Universität verwiesen. Nein, der schwarzhäutige Creen war ein aufgeschlossener, offener und überdurchschnittlich intelligenter Creen, der trotz seiner hünenhaften Statur ansteckende Ruhe ausstrahlte.
Carsi Wops, der kleine grauhäutige Tospari, ging geradewegs auf Boone zu. Er nahm ihn zur Seite und gestand ihm durch den ungewohnten Alkoholkonsum etwas undeutlich, dass er mehr in seiner Partnerin Alilara sah als nur eine Arbeitskollegin. Boone berichtigte Wops, indem er ihn darauf hinwies, dass seine Angebetete Akilara hieße, doch das überhörte der kleine Mann gekonnt. Ungebremst fuhr er mit seinem Geständnis, das ihm später, sofern er sich daran zu erinnern vermochte, bestimmt noch Leid tun würde, fort. Dabei hatte der kleine Mann seinen Kopf in den Nacken geworfen, um Blickkontakt mit dem Terraner zu halten. Boone starrte in ein senkrecht stehendes, schielendes, blass orangerotes Auge.
Der Tospari fühlte sich bislang nicht in der Lage, seine Empfindungen ihr gegenüber zu offenbaren, weil er ein routinierter Feigling war. Er beteuerte, dass dies nicht an ihm läge. Die Spezies der Tospari im Allgemeinen waren traditionell krummbucklige Hasenfüße. Zudem waren sie tollpatschig im Verschleiern von Schmachtversuchen. Das war auch der Grund für seine Augenklappe, die wie er nebenbei erwähnte, Alilara ausgesucht hatte. Wops erzählte ihm von dem Missgeschick, das ihm mit dem Okular seines Mikroskops passiert war.
Boone konnte sich das Lachen nur schwer verkneifen. Alsdann er den kleinen Carsi Wops in die Ecke der Bar verfrachtete, damit dieser sich etwas ausruhen konnte, setzte er sich daneben und beobachtete seine zukünftigen Kollegen eine ganze Weile. Dabei hatte er den Eindruck, dass sich im Laufe des Abends aus fünf unterschiedlichen Spezies und zehn Fremden überraschend schnell ein Team bildete, das zweifellos gut miteinander auskommen würde bis auf die beiden Streithähne Celáhr Dran und Bras vom Haus der Dritten, Uco‘Nephty. Aber das wird sich schon einrenken, war er überzeugt.
Nach etwa einer Stunde, Wops hatte Boones Oberarm in der Zeit als Kopfkissen zweckentfremdet, wachte der Tospari auf, schmatzte laut und versuchte den pelzigen Geschmack mit Hilfe seiner Zunge vom Gaumen zu lösen.
Boone nutzte die Gelegenheit sofort. Er rutschte von ihm weg und stand auf. Wops’ Glück waren die Armlehnen, die der Stuhl hatte, sonst wäre er der Seite von selbigem in das `schwarze Loch´ gefallen. Das zerknautschte, aber freundlich sorglose Gesicht zeigte Boone zum einen, dass die Wirkung des Alkohols keine Spur nachgelassen hatte, zum anderen, dass sich sein Kollege an keine seiner Geständnisse erinnern konnte. Augenzwinkernd verließ er den kleinen grauen Mann und flanierte an die Bar. Zum Ausgleich bestellte er ein alkoholfreies Getränk.
An der Theke sitzend, ließ er seinen Blick abermals schweifen. Eine ganz bestimmte Terranerin stach ihm ins Auge, mit der er noch ein Hühnchen zu rupfen hatte. Sie saß zusammen mit der Alesstri, Lih’Ar vom Haus der Ersten, Uco’Chenty, deren transparenten Haare sämtliche Farben verschiedenfarbiger Lichtquellen aufzusaugen schienen und dem muskulösen Creen Yadoo Throna. Sie schien nicht sehr redselig zu sein.
»Abby!« Boone hob seine Hand, um auf sich aufmerksam zu machen. »Könnte ich Sie einen Augenblick sprechen?«
Erschöpft erhob sich die körperlich gut trainierte Frau und wankte, beeinflusst vom Alkohol, in Boones Richtung. Genauer gesagt in die Richtung aller drei Boones, die sie sah. Quinn nahm neben den Dreien Platz und säuselte undeutlich: »Kann ich Ihnen einen … Ihnen einen…« Sie überlegte schwankend und versuchte es noch einmal. Boone schmunzelte verhalten und sah sich in der Bar um, ob noch jemand außer ihm das lustige Schauspiel seiner Kollegin beobachtete. Er war im Moment der einzige. »Kann ich einem von Innen in irgendeiner Art und Schneise behilflich schwein?«
Er reimte sich das Gelalle zu einer sinnvollen Frage zusammen und antwortete: »Doch ja, das können Sie in der Tat.« Während Quinn auf seine Frage wartete, befiel Boone das dumpfe Gefühl, dass es ihr in dem Zustand vielleicht gar nicht mehr möglich war, ihm zu folgen oder gar eine Antwort zu formulieren. Er beschloss es trotzdem zu versuchen. »Verraten Sie mir, warum Sie verschwiegen haben, dass auch Sie an dieser Mission beteiligt sind?«
Während Quinn überlegte, ließ sie - ohne es zu wollen - ihren Kopf kreisen, weil der partout nicht still auf ihren Schultern sitzen bleiben wollte. »Sie atten nich … anach gefat.«
Gefat, wiederholte er stumm und griente. Trotzdem musste er sich eingestehen, dass ihr Argument erstaunlich plausibel klang.
Quinn erhob sich und sagte: »Ich möche mich verarschien. Es war ein … sehr … schön…« Sie hob den Zeigefinger und tippte ihm mehrmals auf die Brust. Der Alkohol hatte ihr die meisten Vokabeln aus dem Kopf gespült. »Hamich sehr bereut, Steve.« Oder ihnen neue Bedeutungen verliehen…
»Mel«, korrigierte er.
Sie überhörte das. »Vielleich sehn wir uns irnwann wieda.« Als sie sich in Bewegung setzte, verlor sie das Gleichgewicht und nahm unfreiwillig wieder Platz. Der Barhocker, auf dem sie saß, drehte sich gleichmäßig im Kreis. Suboptimal für ihren Zustand. Boone stoppte die Karussellfahrt.
Der Terraner konnte nicht mehr anders als zu lachen. »Abby, soll ich Sie vielleicht in Ihr Quartier bringen?«
Die Antwort blieb aus. Der Grund für das Stillschweigen waren Müdigkeit und der Verlust der Artikulationsfähigkeit. Sie saß wie eine leblose Bauchrednerpuppe mit herabhängendem Kopf auf dem Hocker.
»Alkohol ist ein schlimmer Dämon«, gackerte er. Was blieb ihm also anderes übrig, als seine neue Partnerin – Gentleman, der er nun mal war – in ihr Quartier zu tragen. »Freunde!« Er hob sie auf seine Arme. »Mein weibliches Pendant und ich werden Euch für den Rest des Abends alleine lassen. Ich wünsche Euch allen noch jede Menge Spaß und bitte«, Er faltete die Hände, »passt auf, dass Euch nicht das Gleiche widerfährt wie Miss Quinn.« Er hob sie einmal kurz an. Ihr Kopf und ihre Gliedmaßen baumelten wie bei einer Leiche schlaff nach unten.
Im selben Augenblick fiel Carsi Wops vornüber vom Stuhl.
∞ ∞ ∞
13.August 2423, terranische Zeitrechnung
Um 06:00 am nächsten Morgen fanden sich die Ausflügler in der großen Vorhalle des Raumhafens ein. Ihr Gepäck wurde soeben verladen.
Eine tief ins Gesicht gezogene, orangefarbene Baseballkappe, auf der das Logo der Philadelphia Flyers prangte, schützte Abby Quinn vor dem grellen schmerzenden Licht. »Ich fühle mich, als wäre ein Raumkreuzer durch meinen Schädel gedonnert«, murmelte sie leise und hielt sich mit beiden Händen den Kopf. »Ich kann mich noch nicht einmal mehr erinnern, wie ich in mein Quartier gelangt bin.«
»Human, wie ich nun mal bin, habe ich Sie nach Hause getragen«, klärte Boone, der direkt neben ihr stand, sie auf.
Schockiert drehte sie ihren Kopf zur Seite. Eindeutig zu schnell für ihre Verfassung. Stechende Kopfschmerzen ließen sie aufstöhnen. Mit belegter Stimme fragte sie: »Sie haben mich …?« Langsam kombinierte sie die Fakten. »Und haben Sie mir auch mein Nachtgewand angezogen?«
Nun war er derjenige, der verschmitzt grinste. »Ich konnte Sie doch nicht in Ihrer schmuddeligen Kleidung zurücklassen.«
»Das ist doch die Höhe, Sie …!« Sie wurde sowohl von einem weiteren Bolzenhieb - direkt in ihren Frontallappen - als auch der Begrüßung Dr. Libby Samuras unterbrochen.
»Ich heiße Sie herzlich willkommen und wünsche Ihnen einen guten Morgen.« Im Gegensatz zu den meisten Ten4 war sie frisch und munter und klatschte einmal kräftig in die Hände, um ihrem Enthusiasmus gebührenden Ausdruck zu verleihen. Quinn war so, als erläge sie jeden Moment ihrer alkoholischen Eskalation. Unmerklich sprach sie eine Verwünschung gegen Samura aus. Sie war der Überzeugung, ihr diese ohrenbetäubende Ovation niemals mehr vergeben zu können. »Ich hoffe, Sie sind alle ausgeschlafen, denn heute beginnt der erste Tag Ihrer spannenden Reise. Sie sollten mittlerweile alle erforderlichen Unterlagen erhalten haben. Sämtliche Gerätschaften wurden bereits in den Flyern verstaut.« Sie deutete, ohne sich umzudrehen, nach hinten. »Sie werden in zwei Gruppen aufgeteilt und reisen folglich auch mit zwei Schiffen. Die Aufteilung aus Gründen der Sicherheit sieht vor, dass jeweils nur eine Person eines Spezialgebietes in einen der Flyer steigt, um…« Samuras Erklärung wurde jäh unterbrochen.
»…um eventuelle Gefahren der Mission nicht noch weiter zu forcieren. Das wissen wir«, fiel ihr Quinn, ohne dabei den Kopf zu heben, leidenschaftslos und schläfrig ins Wort, um sich für das Klatschen zu revanchieren. »Langsam habe ich das Gefühl, Sie sind mehr an der Sicherheit der Mission als an der Sicherheit der Leute, die sie ausführen sollen, interessiert«, schmollte sie.
Samura presste ihre vollen Lippen aufeinander, bis sie fast zur Gänze verschwunden waren und stellte sich vor Quinn. Eine Augenbraue schnellte hoch. Quinns Kopf blieb nach unten gerichtet. An Samuras Stiefeln erkannte sie, dass sie direkt vor ihr stand. Die Astrophysikerin konterte gefährlich ruhig: »Ich bewundere Ihre Ehrlichkeit, das tue ich wirklich.« Quinn hoffte, dass es eine kurze Ansprache und vor allem in der minimalen Lautstärke blieb. »Aber wenn Sie noch ein einziges Mal behaupten, dass mir nichts an der Sicherheit der Personen liegt, die aufgrund ihrer Fähigkeiten als einzige in der Lage sind, diese Mission erfolgreich durchführen zu können, werden Sie mich von einer anderen Seite kennenlernen. Ich werde für diese Crew alles in meiner Macht stehende tun, um für ihre Sicherheit zu sorgen, nur dass das klar ist.«
Umgemünzt auf ihren Schmerzpegel, kam ihr Samuras Stimme vor, als würde jemand versuchen, ihr Gehirn an der Innenseite ihres Schädels festzutackern. Mit einer derartigen Entladung hatte Quinn nicht gerechnet. Erst recht nicht mit der dröhnenden Stimme direkt vor ihrem Gesicht. Mit tiefen Falten auf der Stirn hob sie langsam ihren Kopf. Die Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Sie versuchte, es sich mit dem Doktor nicht zu verscherzen. Einen weiteren Wutausbruch, war Quinn überzeugt, würde sie höchstwahrscheinlich nicht überleben. Sie konzentrierte sich sehr, um ganze Sätze zustande zu bringen, die auch Sinn ergaben. »Ich habe Sie vielleicht falsch eingeschätzt. Es tut mir Leid. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass auch wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um unsere Aufgabe zu erfüllen.« Aus irgendeinem Grund, vielleicht war es Samuras Befehlston, vielleicht auch der beachtliche Restalkohol, fühlte sie sich verpflichtet, zu salutieren. Ihre neuen Kollegen beobachteten sie amüsiert.
Selbstverständlich war der Missionsleiterin ihr desaströser Zustand nicht entgangen. Sie winkte medizinisches Personal herbei, das die Ten4 bis zu ihrem Abflug ständig unter Kontrolle hatte. Ein junger engagierter Blondschopf kam herbeigelaufen. »Geben Sie ihr etwas, das den Alkohol in ihrem Körper so schnell wie möglich neutralisiert«, befahl sie ruhig aber bestimmt. »So kann sie unmöglich einen Flugapparat bedienen.« Carsi Wops, der kleine Tospari, gehalten von seiner rassengleichen Kollegin und heimlichen Liebe, räusperte sich verhalten und hob seine zentnerschwere Hand. Samura verdrehte die Augen und seufzte. »Ihm geben Sie das gleiche. Wann kommt die Augenklappe ab?«, fragte sie ihn in der Hoffnung, dass er sie verstehen konnte.
»In knapp drei Monaten«, gab er flüsternd zur Antwort.
Das stellte Samura zufrieden. Der erste Flug dauerte fünf Monate. Wops musste nicht mit Augenklappe auf Expedition gehen.
Bras vom Haus der Dritten, Uco’Nephty, der wie seine Gattin Lih’Ar vom Haus der Ersten, Uco’Chenty, transparentes, gläsern wirkendes, langes Haar hatte, stupste dem neben ihm stehenden Terraner den Ellbogen in die Seite. »Irre ich mich, oder hat unser tosparischer Freund gestern bloß zwei Biere getrunken?«
»Kein Irrtum. Zwei Biere.« Er stupste zurück und zwinkerte. »Deswegen sieht er auch doppelt.«
Die Behandlung schlug innerhalb weniger Minuten an. Da die körperlichen Gebrechen aller angeschlagenen Parteien zur Zufriedenheit behandelt und alle Missverständnisse zwischen Auftraggeber und ausführender Partei bereinigt waren, begann man mit sämtlichen Vorbereitungen zur Abreise. Das restliche Equipment wurde verstaut, und die Elite-Passagiere klärten untereinander die Aufteilung der Sitzordnung.
Kurz vor 07:50 kamen Sicherheitschef Jason Croz, seine Gefolgsleute Professor Rewa und Doktor Samura natürlich, um sich von der Bande zu verabschieden.
»Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute und geben Sie ja auf sich acht«, gab Croz ihnen mit auf den Weg.
»Ich bitte Sie Ihr Möglichstes zu tun, um die Geheimnisse der vier Planeten zu enträtseln.« Rewa murmelte ein Stoßgebet und fuchtelte mit den Händen herum. »Sasa möge über Ihnen allen wachen und Sie auf Ihrer Reise begleiten«, verabschiedete er sich von den Ten4, wie die Zehn betitelt wurden, weil sie zu zehnt waren und ihre Mission darin bestand, vier unbekannte Planeten zu erkunden.
Samura verabschiedete sich von jedem einzeln und gab ihnen Ratschläge.
Eine Mission dieser Art hatte es noch nie zuvor gegeben. Den Ten4 war vermutlich nicht bewusst, welche Bürde auf ihnen lastete, auch wenn vorerst nur wenige Auserwählte darüber Bescheid wussten. Vielleicht war das aber auch gut so. Vielleicht konnten sie sich dadurch besser und intensiver auf ihre Aufgabe konzentrieren. Vielleicht veränderte sich die Geschichte durch das Ergebnis der Mission tatsächlich – zum Guten oder zum Schlechten. Vielleicht…
Und so begann die Reise ins Ungewisse.