Читать книгу Asitor10 - Asitor (Band1) - Simon Savier - Страница 8
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Planet Aroia, Primus Quadrant
Landekoordinaten: 36°27′42 ″ N • 116°51′57 ″ W
13.Februar 2424, terranische Zeitrechnung
Mit ungeplanten vierzehn Tagen Verspätung waren sie an ihrem Ziel angelangt.
Der terranische Pilot drückte den Kommunikationsknopf. »Freunde, packt Eure Siebensachen und bereitet Euch auf die Landung vor«, gab er seinen Passagieren die Anweisung. Er selbst schnallte sich auf seinem Pilotenstuhl fest. Nach Abschluss der Sicherheitskontrollen war Mel bereit, den Flyer zu landen. Er imitierte die Handhabung eines Funkgeräts, wie sie in Flugzeugen des 20. Jahrhunderts eingesetzt wurden, und hielt sich das `Lautsprechermikrofon´ vor den Mund. »Meine sehr geehrten Damen und Herren!«, setzte Boone an. »Ich bitte Sie, nun die Tischchen hochzuklappen und Ihre Sitze in eine aufrechte Position zu bringen. Vergewissern Sie sich, dass Ihre Sicherheitsgurte eingerastet sind. Es wird nun die Landesequenz eingeleitet«, warnte Boone sie neckend.
Die Koordinaten führten sie in eine flache Ausdehnung. Ein weites offenes Tafelland mit grauen Sträuchern, ockerfarbenen Grasflecken, orangegefärbtem Saxaul und in weiterer Ferne bläulichen köcherähnlichen Bäumen sowie am flimmernden Horizont aufgefädelten Bergketten, bot sich ihnen dar.
Die Landung verlief plangemäß. Beim Aufsetzen wurde der Sand ordentlich aufgewühlt. Auf gleicher Höhe, zwei Flyer breit neben der Holmes kam die Watson zum Stehen. Boone und Quinn streckten sich ihre nach oben gereckten Daumen entgegen.
Für ihren bevorstehenden Weg wurden die Buggys startklar gemacht, die speziell für Wüstengelände konzipiert waren.
Die derzeitige Außentemperatur lag bei 69,6 Grad und zwang sie einen klimatisierten Schutzanzug zu tragen, der an einer automatisierten Kleiderkapsel hing und sich automatisch um die davorstehenden Personen schloss. Der pfefferweiße Anzug war genau an die Körperstrukturen der jeweiligen Mitglieder angepasst. Dieser verhinderte durch das integrierte Kühlaggregat einen Hitzschlag.
Sie kamen der Optik von Mondmännern und –frauen auffallend nahe. Im Gegensatz zu den veralteten Raumanzügen, wie sie die Astronauten vor langer Zeit trugen, war die Beweglichkeit der aktuellen Anzüge ungleich effizienter. Ungeachtet der mehrfach erprobten Zuverlässigkeit der überlebensnotwendigen Montur war es das Ehepaar Bras vom Haus der Dritten, Uco‘Nephty und Lih’Ar vom Haus der Ersten, Uco’Chenty, das sich darin am unwohlsten fühlte. Das mochte daran liegen, dass sie von Alesstri, einem Eisplaneten mit dementsprechenden Minusgraden, stammten. Der Gedanke, in einem Sack zu stecken, auch wenn es ein maßgeschneiderter Hightech-Sack mit nicht mehr als vier Millimeter Dicke war, beunruhigte sie erheblich.
Die speziell für Gidaner angefertigte Garderobe sah etwas spezieller aus. Der Kopfbereich war ausgebeult, da sie Platz für ihr hervorstehendes Kinn benötigten und ein eigens für ihre Augen verdunkeltes Visier hatten. Sie ähnelten sehr den klischeehaften Außerirdischen, die man aus Filmen vergangener Zeiten her kannte, vor denen die drittklassigen Schauspieler, die zweitklassig schreien konnten, erstklassig davonliefen.
Ersatzmaterial und Werkzeug für eventuelle Schäden waren ausreichend vorhanden.
Die beiden Creen, Yadoo Throna und Condara Tyy konnten auf den Anzug verzichten. Derartige Temperaturen herrschten ebenso auf ihrem Heimatplanet und konnten ihnen nichts anhaben.
»Ein kleiner Schritt für mich«, sagte Boone mit erhobener Hand und heroischer Stimme, »aber ein großer Schritt für die Menschheit.«
»Mann, du kannst doch nicht einfach den Satz eines anderen klauen«, hörten sie Quinn durch die Helmmikrofone protestieren. Throna und Tyy erhielten verschwindend kleine In-Ear Mikrofone, um mit ihren Begleitern ungehindert kommunizieren zu können.
Boone grinste, kommentierte ihren Einspruch aber nicht. »Sind wir soweit? Auch die zweite Gruppe bereit? Kann es losgehen?«, fragte er in die Runde.
Bevor sie antworteten, sahen sie aus ihren überdachten Gefährten, die die simplen Namen B1 und B2 trugen, und musterten das trostlose weitläufige, fremde Gebiet. Von allen kam ein argwöhnisches Gemurmel, das dem Sinn nach so viel heißen sollte wie: »Wenn es denn sein muss.« Folglich machten sie sich auf den Weg in Richtung Osten. Die zweite Gruppe folgte ihnen.
Die Buggys waren sehr effiziente Fortbewegungsmittel. Die hohe, breite und weiche Bereifung durchfraß das unwegsame sandige Gelände schneller als erwartet.
Yadoo Throna, der lederhäutige Creen, betrachtete das Fahrzeug, in dem er saß, mit akribischem Interesse. »Wie weit muss uns dieses Gefährt befördern?«, fragte er Boone, der vom Piloten zum Chauffeur substituiert hatte.
Mit einer kurzen Handbewegung deutete Mel dem Muskelprotz, sich einen Augenblick zu gedulden. Er war gerade im Begriff, seine Berechnungen, die er auch ohne Thronas Frage angestellt hätte, zu beenden. Seine Ergebnisse stimmten zu seiner Erleichterung mit den Berichten, die sie erhielten, überein. »Knappe sechs Kilometer. Dann kommen wir an eine 250 Meter tiefe Schlucht.«
Der Alesstri horchte beunruhigt auf. »Diese müssen wir überqueren?«, fragte er. Seine blauviolette Gesichtsfarbe schimmerte dank der Sonne grell durch das Helmvisier.
Celáhr Dran sah ihn mit hochgezogenen, kaum erkennbaren Brauen an »Angst?«, spottete er.
Boone schüttelte den Kopf. »Keine Angst, Bras. Wir müssen nicht über die Schlucht, wir müssen in die Schlucht.«
Schockiert starrte der Dritte ihn mit seinen smaragdgrünen Augen an, die, wie Boone sich eingebildet hatte, für eine Sekunde grün aufglühten.
Doch er war nicht der einzige. Der Rest seines rein männlichen Teams blickte ihn ungläubig an, hielt sich mit ihren Kommentaren aber zurück.
Auf einmal näherte sich der zweite Buggy. Ein Lächeln strahlte Boone entgegen, das sein Herz schneller schlagen ließ. Das wundervollste Lächeln, das ich jemals gesehen habe. Es schien so, als wollte Quinn ihm etwas mitteilen. Er drosselte die Geschwindigkeit, um die Lautstärke des Motors zu verringern.
Aus ihrem wundervollen Lächeln wurde ein listiges Grinsen. »Wie wäre es mit einer kleinen Wettfahrt? Traust du dir das zu?«
Selbst wenn er gewollt hätte, war es ihm nicht möglich, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. Ihre glänzenden Augen hatten ihn regelrecht hypnotisiert. Er dankte dem Entwickler der Schutzanzüge, dass er die Visiere glasklar gestaltet hatte. Ohne zu zögern, nahm er die Herausforderung an.
Ihre mitreisenden Kollegen, die sich in ihre Sitze pressten und festkrallten, hatten sie völlig vergessen und starteten das Rennen.
Zu Beginn waren die Buggys gleich auf. Das hätte sich auch so schnell nicht geändert, wäre Boone nicht eine kleine Sandmulde in die Quere gekommen, der er ausweichen musste. Aufgrund dessen fuhr der B1 kurze Zeit auf nur zwei Rädern weiter. Natürlich kostete ihn das Geschwindigkeit und Zeit. So gewann Quinn einen kleinen Vorsprung.
Er beschleunigte, um an die Spitze zu gelangen. Die Motoren heulten. Der Sand wurde aufgewirbelt. Die Fahrgäste konnten nichts erkennen. Einigen reichte das zum Vorteil, da ihnen bereits elend zumute war, auch ohne das Spektakel mitverfolgen zu können. Der durch die Geschwindigkeit entstandene Wind sauste ihnen um die Ohren. Nicht direkt um die Ohren, denn sie wurden von den stahlverstärkten Glaskästen der Buggys und ihren Anzügen geschützt, aber es fühlte und vor allem hörte sich beinahe so an.
Allmählich näherte Boone sich seiner Konkurrentin. Seine dunklen Augen huschten immer wieder zu Abbys Buggy. Als sie gleich auf waren, konzentrierte er sich auf die Strecke voraus.
Plötzlich gab es einen lauten Knall. Anfänglich wusste Boone nicht, woher das laute Geräusch kam, das die Motoren spielend übertönt hatten. Sein Kopf schwenkte in alle Richtungen, um ein eventuelles Problem zu lokalisieren.
Als er zu Quinn sah, erkannte er an ihrer strengen Mimik und hektischen Gestik, dass mit dem B2 etwas nicht stimmte. Hilfesuchend blickte sie zu ihm.
Selbst wenn ihre Mimik streng ist, verlor sie nichts von ihrer Attraktivität, fiel Mel sofort auf. So gerne er sie noch weiter angeschmachtet hätte, er musste sofort handeln. Mit festem Tonfall bestimmte er den Fünften, den Buggy zu lenken, einfach weil der eisfädenhaarige Alesstri am nächsten saß. Der Terraner wies ihn an, den B1 so nahe wie möglich an Abbys Wagen heranzusteuern.
Bras schnallte sich ohne zu zögern, dennoch mit zittrigen Händen, los und übernahm das Volant.
Boone öffnete die Fahrertür und hielt sich am Gestänge der Karosserie fest. Er lehnte sich, so weit es ihm möglich war, aus dem Buggy und versuchte, am anderen Wagen Halt zu finden. Das holprige Gelände hinderte ihn daran, gefahrlos umzusteigen. Mel sah sich gezwungen, auf das Fahrzeuggestänge des Daches zu steigen. Der herumwirbelnde Sand nahm ihm die Sicht und sukzessiv auch die Kraft.
Oben angelangt klappte er das Visier auf, um besser sehen zu können. Ein schlechter Einfall, wie er sogleich zu spüren bekam. Brennender Fahrtwind und glühender Sand schlugen ihm ins Gesicht und wurden in seinen Anzug gepresst. Er drehte sich blind und unbeholfen um, rieb sich den Sand aus den Augen und schloss das Visier sofort wieder. du bist ein Idiot, Mel!, rügte er sich selbst.
Blinzelnd wartete er auf die Gelegenheit, das Fahrzeug durch einen gezielten Sprung zu wechseln, als ihm plötzlich etwas ins Auge stach, das ihrer Situation nicht sehr entgegen kam. Wörtlich gesprochen kam es ihrer Situation sogar sehr schnell entgegen. Es war die Schlucht.
Da Boone nun unter Zeitdruck geriet, konnte er den richtigen Moment nicht abwarten und hechtete auf das andere Gefährt.
Wie es nicht anders sein sollte, verfehlte er den B2 um Haaresbreite. Im Moment des Absprungs rollte der B1 über einen nicht unerheblich großen Gesteinsbrocken. Dadurch verlor er an Sprungkraft. So erreichte Mel - mehr fallend als springend - nur die seitliche Einstiegsleiste. Seine Beine schleiften neben dem Buggy her. Fluchend kämpfte er damit, nicht abzurutschen. In dem Moment, als die Kraft aus seinen Fingern wich und er den Halt verlor, spürte er einen festen Griff um seinen Unterarm. Condara Tyy, die muskulöse Creen, packte ihn fest am Arm und zerrten ihn in den Buggy.
Er unterdrückte den muskelzerreißenden Schmerz, als sein gesamtes Gewicht an seinem Arm ruckartig hochgezogen wurde. Beinahe hätte Tyy ihm den Arm ausgekugelt. Die Creen hatte Boones Actionfigur in den Wagen geholfen. Viel mehr als das waren seine 85 Kilo nicht für sie. »Ich danke dir, Condara«, keuchte er und drehte sich um. »Was ist passiert?«, fragte er hektisch. Er ließ seine schmerzende Schulter kreisen.
Die wahren Helden sind doch noch nicht ausgestorben. Quinn hatte mitangesehen, wie heldenhaft Boone es angestellt hatte, ihr … ihnen zu Hilfe zu eilen. Für eine Sekunde sah sie ihn verträumt an. Seine Frage, sein Keuchen und sein schweißüberströmtes Gesicht ließen sie aber rasch antworten. »Die Bremskabel sind durchgeschmort. Daraufhin hat sich der Tempomat aktiviert. Es ist unmöglich, ihn abzustellen, ich habe es mehrmals versucht«, klärte sie ihn hastig auf. »Wäre das nicht Katastrophe genug, hat auch die Lenkung kurz danach ausgesetzt.«
Nach kurzem Kalkül blähte Boone seine Nasenflügel und sah Quinn mit leicht geneigtem Haupt in die Augen: »Wenn sich Kacke staut, dann zu einem riesigen Haufen.« Der Terraner schüttelte den Kopf. »Frauen am Steuer. Zuerst Watson, jetzt der Buggy. Langsam beschleicht mich der Verdacht, dass da pure Absicht dahintersteckt.« Sein angespannter Blick veränderte sich zu einem neckischen Grinsen. »Oder du versuchst mich zwanghaft in deine Nähe zu bringen.« Sie sah ihn wortlos an und hob eine Braue. »Also gut. Die einzige Möglichkeit, den Wagen zu stoppen, sieht wie folgt aus: Ich muss an die Unterseite des Buggys.« Quinn erschrak. Unter den Buggy? »Dort versuche ich die Karre kurzzuschließen, um so den Motor abzuwürgen. Das heißt, du musst den Wagen so ruhig wie möglich halten. Alles klar?«
»Bist du verrückt?«, schrie sie ihm nach. Boone hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. »Das kannst du nicht machen! Wie soll ich den Wagen ruhig halten, wenn ich keine Kontrolle über die Lenkung habe?«
»Gut, dass wir uns verstehen«, sagte er nur, blieb stehen und zeigte in die Fahrtrichtung.
»Verdammt!« Die Felsspalte kam bedrohlich schnell näher. »Worauf wartest du noch? Runter mit dir«, änderte sie ihre Meinung.
An den Seiten seines Anzugs befestigte die kleine Akilara Siri schlotternd ein Seil. Pure Angst stand ihr in den senkrecht stehenden Augen.
Vier Insassen sicherten ihn ab. Er kletterte auf die ausladende Motorhaube bis nach vorne zu den Streben des Frontgrills, an denen er Halt fand. Er drehte sich um und krabbelte wie eine Spinne an die Unterseite. Am B2 standen links und rechts jeweils zwei Frauen und hielten die Seile unter ständiger Spannung. Würde auch nur einer loslassen wäre es um den Terraner geschehen. Er öffnete die zwanzig mal zwanzig Zentimeter große Vertäfelung, hinter der sämtliche Schaltkreise angeordnet waren. Um nicht falsche Drähte zu koppeln, die bei einer derart hohen Geschwindigkeit eine Explosion verursacht hätten, musterte er die Verbindungen ganz genau. Der wirbelnde Sand verhielt sich wie ein gnadenloser Gegner. Nur schwer konnte er etwas erkennen. Als er sicher war, welche Drähte zusammengehörten, machte er sich ans Werk. Nachdem er drei gelöste Drähte miteinander verbunden hatte, gab es, wie erwartet, eine Kurzschlussreaktion im Motor.
Boone atmete tief durch. »Geschafft!«, schrie er nach oben in der Hoffnung gehört zu werden. Er beugte den Kopf nach hinten. Was er sah, jagte seinen Puls noch höher. Der Abgrund war erschreckend schnell näher gekommen. Die Restgeschwindigkeit ließ ihn vermuten, dass sie trotz aller Maßnahmen nicht rechtzeitig zum Stillstand kämen. »Los, holt mich wieder rauf!«
An der linken Seite ließen sie das Seil nach, an der rechten zog man kräftig, so dass Tyy ihn an derselben Stelle wie zuvor in den Buggy ziehen konnte.
Angespannte Stille breitete sich aus. Der Motor gab keinen Ton von sich. Nur der tosende Wind, der preschende Sand und der immer weiter zurückfallende zweite Buggy, waren zu hören. Sie starrten zum Abgrund, dessen immer geringer werdende Abstand zum Countdown des Todes wurde.
Unaufhaltsam rollte das Fahrzeug weiter. Schlagartig wurde ihnen klar, dass es nicht rechtzeitig zum Stillstand kam, also war die einzige Möglichkeit…
»Springen!«, schrie Boone scharf.
Nachdem sie sich vom Buggy abgestoßen hatten, landeten sie mit weichen Überschlägen im Sand und konnten nur noch dasitzen, liegen oder weiterrollen und zusehen, wie sich ihr Transportmittel in die ewigen Jagdgründe verabschiedete.
Doch entgegen all ihren Erwartungen blieb der B2 genau vor dem Abgrund mit beiden Vorderrädern über der Kante hängen.
Keinem war zu Reden zumute. Realität wich der Vorstellung, was hätte passieren können.
Allmählich richteten sich sämtliche Augenpaare auf Quinn und Boone. Es waren tief durchdringende Blicke.
Boone schluckte und rang sich ein Lächeln ab. »Wenn Blicke töten könnten«, flüsterte er Quinn zu, die neben ihm im Sand lag, »wären wir längst geröstet, gevierteilt, erstochen, erschossen und aufgehängt worden.«
»Was habt Ihr Euch dabei nur gedacht?«, donnerte Yadoo Throna mit seiner mächtigen Stimme. »Nichts, wie ich fürchte. Wie konntet Ihr nur so verantwortungslos sein?«
Boone wusste natürlich, dass der Creen Recht hatte. Jedoch wäre er nicht der, der er nun mal war, hätte er keine passende Ausrede. »Das muss so sein. Stell dir nur vor, die Bremskabel wären durchgebrannt, während wir versucht hätten, in die Schlucht zu gelangen«, gab er zu bedenken. »Wie glaubst du, wäre die Situation dann ausgegangen? Also kannst du froh sein, dass wir dieses Rennen veranstaltet haben und sich das Unglück noch vor der Schlucht zugetragen hat. Somit kein Grund zur Aufregung. Es ist niemandem etwas zugestoßen. Vergesst nicht, Ihr habt die beiden besten Fahrer, die Ihr Euch nur wünschen könnt.« Er deutete zwischen sich und Quinn hin und her.
»Halte hier keine Volksreden!«, brummte Thronas weibliches Gegenstück Condara Tyy. »Seht lieber zu, dass Ihr den Buggy fahrtüchtig bekommt.«
Es vergingen mehrere Stunden, bis der B2 wieder in Stand gesetzt war. Ein paar Schrauben da, einige Drähte dort. Hier und da noch ein durchgeschmortes Lämpchen für die Batterie oder eine andere Anzeige, und alles war wieder in Ordnung. Natürlich steckte viel mehr Technik dahinter. Aber die Terraner verzichteten darauf, detaillierte Erklärungen abzugeben. Es hätte ihre Begleiter weder interessiert noch hätten sie es verstanden.
Es war ein öder senfbrauner Planet, durchzogen von weiten Dünen, tiefen Schluchten, verstreuten Sträuchern und kargen Bäumen, Gestein, weiten Gräben und wieder Dünen. Eine riesige rotglühende Sonne war die Quelle dieser unmenschlichen Hitze. Wiederkehrende starke Stürme fegten über diesen sandigen Himmelskörper. Windböen, die den Sand unwillkürlich gen Himmel stoben, gaukelten einem furchteinflößende Erscheinungen vor, die diese Peristase unheimlich erscheinen ließ. Während man bei Tag umkam vor Hitze, fror man nachts ganz erbärmlich. Genau das war auch die Sorge, die Boone hatte, da er nicht sicher war, ob diese Wetterverhältnisse seinen Begleitern und auch ihm selbst nicht zu sehr zusetzen würden. Schutzanzug hin, Schutzanzug her.
»Meine Herrschaften, ich würde vorschlagen, dass wir unser Lager für heute Nacht hier aufschlagen. Es wird langsam dunkel und bald sehr kalt.« Boone stellte den B1 und B2 parallel zur Schlucht auf, damit sie dahinter ihre Zelte aufbauen konnten und ein wenig Schutz vor Wind und Kälte hatten. »Sollte der Wind entschlossen sein zu wüten, dann ist wenigstens die Gefahr geringer, dass wir über die Klippe geweht werden«, erklärte er sein Tun.
∞ ∞ ∞
Planetensystem Sol
Raumstation Varius-3 , Primus Quadrant
Im Orbit des Planeten Erde
13.Februar 2424, terranische Zeitrechnung
Die Afrikanerin hielt es in der belebten Funkzentrale nicht mehr aus. Zu lange musste sie bereits auf das überfällige Lebenszeichen der Ten4 warten. Zu oft kamen Funksprüche herein, die ihre Hoffnung aufflammen ließen. Zu oft wurde sie vertröstet. Also tat sie sich selbst einen Gefallen und verließ die Funkzentrale. In ihr Büro wollte sie auch nicht. Samura musste unter Leute. Leute, die nichts mit dem Entgegennehmen diverser Transmissionen zu tun hatten.
Sie hinterließ eine Nachricht für den Sicherheitschef Jason Croz. Am sinnvollsten erschien ihr Das Schwarze Loch, die Bar, in der die Ten4 und sie vor fünf Monaten das erste Mal aufeinander getroffen waren, sich aber auch schnell wieder getrennt hatten. Dort war sie nicht völlig allein, hatte Speis und Trank gegen Hunger und Durst in der Nähe und konnte versuchen, eine Weile auf andere Gedanken zu kommen.
Während die Astrophysikerin auf ihre Bestellung wartete, kaute sie anstelle des Entrée nervös an ihren Fingernägeln. Trotz der Versuche sich abzulenken, nagte die Ungewissheit über den Verbleib der Ausflügler, wie Boone das Team gerne nannte, an ihr.
Eine dreiviertel Stunde später, sie war bereits beim zweiten Verdauungsschnäpschen angelangt, trat Croz suchend in die Bar. Samura machte auf sich aufmerksam, indem sie die Hand hob und dezent winkte. Bevor er sich an ihren Tisch setzte, ging er an dem Ausschank vorbei und gab eine Bestellung auf. Die beiden Drinks, die ihm der Barmann zuschob, nahm er gleich mit.
»Ich dachte mir, Sie könnten vielleicht einen Doppelten vertragen.« Vor dem Tisch hielt er inne und inspizierte ihn. Dabei fielen ihm die zwei leeren Schnapsgläser auf. »Wie ich sehe, hatte ich Recht.«
»Anstatt hier Maulaffen feilzuhalten, geben Sie mir lieber den Drink und setzen sich«, verlangte der Doktor und streckte ihm verlangend die Hand entgegen.
Er kam ihrer Aufforderung lächelnd nach. »Ihr Charme blendet mich zum wiederholten Mal.« Ohne Erwiderung leerte sie die vier Zentiliter in einem Zug hinunter. Sie verzog keine Miene. Croz hatte sein Glas eben erst zum Zuprosten erhoben. »Ebenso Ihre Trinkfestigkeit.« Dann nippte er an seinem Glas.
»Haben sie sich schon gemeldet?«, fragte Samura mit unverkennbarer Sorge in der Stimme.
Der Sicherheitschef musste verneinen. »Haben Sie Geduld. Sie werden sich bestimmt bald melden«, sagte er zuversichtlich. »Unseren Sensoren zu Folge ist die Landung gut verlaufen. Sie haben die Schlucht bereits erreicht. Der Zwischenfall mit dem Flyer hat sie zwar vierzehn Tage gekostet, aber ihnen ist nichts geschehen und das ist das Wichtigste. Sie geraten jetzt lediglich ein wenig unter Zeitdruck.« Er wusste, dass `ein wenig´ untertrieben war.
Croz sollte Recht behalten. Wenig später wurden sie in die Funkzentrale gerufen.
Endlich konnte Samura fragen: »Boone, sind Sie das?«
Aufgrund der Entfernung kam die Antwort eine Spur zeitverzögert. »Bis gerade eben war ich es noch.« Boones Stimme klang hell und wie Musik in Samuras Ohren. »Freut mich, Sie zu hören, Doc.«
Strahlend sah sie zu Croz und nickte aufgeregt zum Mikrofon. »Ich bin ebenso erfreut, Boone«, erwiderte sie, »vor allem bin ich erleichtert. Warum melden Sie sich jetzt erst? Wir haben uns mächtig Sorgen gemacht.«
Mit einem verlegenen Seitenblick zu Quinn, die das Gespräch mitanhörte, antwortete er: »Wir hatten einen kleinen … Zwischenfall mit einem unserer Buggys.« Er wusste genau, wenn er ihr gestehen würde, welchen Unsinn sie getrieben hatten, konnte er sich eine Standpauke anhören. Also beließ er es dabei. »Es wurde aber niemand verletzt. Uns geht es gut«, fügte er schnell hinzu.
Samura gab sich mit der Antwort zufrieden, zumal sie heilfroh war, dass niemandem etwas passiert war. Sie zupfte Croz am Ärmel. »Da möchte Ihnen noch jemand Hallo sagen«, sagte sie und zog Croz näher zur Konsole.
»Croz?«, vermutete er richtig.
Mit einem Lächeln entgegnete der Sicherheitschef: »Ganz richtig. Wie geht es Ihnen und Ihren Kollegen?«
»Es könnte nicht besser laufen«, erwiderte Boone. »Wir hinken dem Zeitplan zwar hinterher, aber begeben uns morgen in die Schlucht. Von dort aus werden wir mit unserer Suche beginnen. Ich hoffe, die Mechanik der Buggys ist für dieses Unterfangen stabil genug.«
»Das werden Sie spätestens morgen herausfinden, mein Freund.«
Boone hob abschätzig eine Braue. »Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft zu hören, dass wir uns keine Sorgen machen müssen, da die Mechanik schon Hunderte Male getestet wurde und noch nie etwas Schlimmes passiert ist. Aber gut, ich tue einfach so, als hätten Sie es gesagt.«
Samura schob Croz zur Seite und sprach direkt in das Mikrofon. »Passen Sie gut auf sich und Ihre Kollegen auf, Boone. Machen Sie nichts Unüberlegtes!«, sagte sie in einem harten befehlenden Tonfall.
Boone konnte schwerlich sagen, dass sie die erste unüberlegte Tat bereits hinter sich hatten. »Natürlich nicht.«
Die Verbindung wurde nach einem kurzen Gespräch zwischen Quinn, Samura und Croz unterbrochen.
∞ ∞ ∞
Planetensystem Aroius
Planet Aroia, Primus Quadrant
14.Februar 2424, terranische Zeitrechnung
Am nächsten Morgen, die tiefrote Sonne warf erste flammende Strahlen über die eintönige Landschaft, verstauten die Ten4 Sack und Pack in den dafür vorgesehenen Behältnissen. Die zwielichtigen frühen Schatten, die sich wie gespenstische Monstren über die weiten Dünen gelegt hatten, gaukelten so Manchem fratzenhafte Abstrusitäten vor. Es hatte den Anschein, als wäre die Anspannung um einiges angestiegen. Nicht zuletzt wegen des bevorstehenden Abstiegs in die tiefe Schlucht.
Trotzdem machte einer wie der andere einen verschlafenen Eindruck.
Boone und Quinn setzten ihre Buggys rund 50 Meter zurück. Mit rasch ansteigendem Tempo fuhren sie auf den Abgrund zu, ohne die Absicht, davor zu stoppen.
Die plötzliche Veränderung der beiden Alesstri war schauerlich und faszinierend zugleich. Sie bekamen ihr Ru’Uco. Die smaragdgrünen Augen begannen zu glühen und in ihrem Helm begann es hell zu leuchten. »Zwölf Sekunden…«, sagten sie statisch.
Plötzlich standen sowohl der B1 als auch der B2 bewegungslos in der Luft. Sekunden später schossen sie rasant abwärts.
»Bei Da’nuvia!«, kreischte Anúa »Das Ru’Uco! Wir werden sterben!« Sie wusste nicht, worauf sie zuerst achten sollte, auf den Absturz oder das Ru’Uco.
Das infernale Geschrei der Insassen dröhnte den Terranern in den Ohren. Rasch näherten sie sich dem Boden. Trotzdem fand Boone die Zeit, sich Ohropax aus einem kleinen Etui in seine Ohren zu schieben. Als er und Quinn die Bremsdüsen zündeten, setzten sie sanft und weich auf dem Boden auf.
Das darauffolgende Schweigen unterbrach Boone mit den Worten: »Haben wir Euch die Müdigkeit aus dem Gemüt getrieben?«
Carsi Wops antwortete auf seine eigene Weise. Er öffnete das Visier, lehnte sich aus dem Buggy und übergab sich.
Wütend löste Celáhr Dran den Sicherheitsgurt und stieg aus. Er ging um den Buggy herum und bewegte sich auf Boone zu, der daraufhin fluchtartig das Fahrzeug verließ. Durch Drans vorteilhafte Größe holte er den Terraner zügig ein. Er packte ihn an der Schulter und hinderte ihn daran, weiterzulaufen. Durch einen Ruck drehte er den Flüchtling zu sich herum, dem gleich darauf eine perlmuttschimmernde, geballte Faust entgegenschnellte. Die Wucht des Schlages knallte ihm das Visier ins Gesicht. Sogleich folgte ein stechender Schmerz, und er fiel mit aufgeplatzter Unterlippe zu Boden.
Boone tat so, als würde er sich das Kinn reiben, berührte aber nur den Helm. »Mann! Das war aber nicht nötig.«
Dran musterte ihn abschätzig. »Doch das war es«, sagte er, während er ihm den Rücken kehrte. »Du solltest dir solche Aktionen abgewöhnen«, warf er ihm mit nasaler Stimme über die Schulter zu.
Boone öffnete kurzfristig das Visier. Sofort spürte er die brütende Hitze in den Schutzanzug dringen. Schnell wischte er sich das Blut von der Lippe. »Was meinst du mit `solche Aktionen´? Wie glaubst du, wären wir sonst in diesen Canyon gelangt? Abseilen, mit unseren Buggys auf den Rücken geschnallt?«
»Auf diese Art jedenfalls hätten wir unser Leben verlieren können, wie das Ru’Uco der beiden Alesstri bewiesen hat«, sagte der Gidaner von oben herab. Er drehte sich zu ihm um. »Das nächste Mal«, fügte er hinzu und zeigte mit dem Finger auf ihn, »sagst du uns vorher Bescheid.«
Nach dem kurzen unfreiwilligen Aufenthalt nahm die Erste, durch deren Visier ihre blauviolette Haut funkelte, ein kleines Gerät zur Hand. Lauter kleine Lämpchen begannen wie wild zu blinken. An der Oberseite des filigranen Apparates öffnete sich ein kreisförmiger Teil. Aus dieser Öffnung glitt eine weiche transparente Folie heraus. Auf dieser etwa zwanzig mal zwanzig Zentimeter großen Fläche wurde eine Landkarte sichtbar, die mit dem Standpunkt des Trägers harmonisierte.
Nach kurzen Messungen und Berechnungen sagte sie: »Wir müssen in diese Richtung, noch circa fünf Kilometer«, und deutete nach Nordosten. Zum Glück war eine der beiden Richtungen, die sie in der Schlucht antreten konnten, Nordost.
Nachdem die Plätze in den Buggys wieder besetzt waren, fuhren sie los. Sahen sie die Steilwände hoch, bot sich ein ehrfürchtiges Bildnis dar, welches sie klein und unbedeutend erscheinen ließ. Die Fahrzeuge trugen sie über unwegsames Gelände, viele Hindernisse, Gesteinsbrocken, die es beinahe unmöglich machten, den Canyon zu durchqueren, Winde, die hin und wieder enorme Kräfte entwickelten und die Buggys zum Schwanken brachten. Ein weiterer Grund, der die Fahrt verlangsamte, waren immer wieder auftauchende Gabelungen, die für Unentschlossenheit sorgten. Für jede einzelne Gabelung mussten Berechnungen angestellt werden. Trotz dieser Verzögerungen fuhren sie plangemäß ihrem Ziel entgegen.
Knapp fünf Kilometer später war die Reise abrupt zu Ende. Nicht weil sie ihr Ziel erreicht hatten oder eine weitere Berechnung bezüglich einer Weggabelung anstellen mussten.
»Was in aller Welt soll das?« Wops’ senkrecht stehende Augen wurden kugelrund. Er starrte ungläubig gegen eine Felswand, die das Ende des Canyons bedeutete.
Bras vom Haus der Dritten, Uco’Nephty, kommentierte das Offensichtliche. »Sieht so aus, als wäre hier Endstation.« Nachdenklich sah er sich um.
Die kleinste der Gruppe, Akilara Siri, schrumpfte noch ein bisschen mehr unter der Last ihres Unwohlseins. »Das ist doch nicht wirklich dein Ernst?« Ängstlich sah sie ihre Kollegen an.
Anúa Sora, die gidanische Ozeanographin, sah die Steilwand hoch. Ihre diamantenen Augen verschwanden hinter schmalen Schlitzen, da ihre transparenten Lider keinerlei Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung boten. Zusätzlich beschirmte sie ihre Augen. »Sind wir etwa schon an unserem Ziel angelangt?« Sie hoffte einer optischen Täuschung zu unterliegen.
»Um Eure Fragen zu beantworten«, setzte der Fünfte zu einer Erklärung an, während er wie auch seine Frau abermals die elektronische Landkarte musterte. »Es war ihr Ernst. Dies hier ist die Endstation. Und nein, wir sind noch nicht am Ziel angelangt. Wir sind etwa einen Kilometer vom berechneten Standpunkt entfernt. Um genau zu sein: neunhundertachtundvierzig Meter.«
Boone runzelte die Stirn. »Die Energievorkommen sind doch an der Planetenoberfläche, und wir hätten uns die Schlucht sparen können. Bedeutet es das?«
Lih’Ar schüttelte den Kopf. »Aber nicht doch. Wir sind hier schon richtig … fast.«
Quinns Brauen schnellten hoch. »Das Energievorkommen ist im Gestein eingeschlossen?«, glaubte sie verstanden zu haben.
»Nicht ganz. Die präzisere Position lautet: Unter dem Gestein«, stellte der alesstrische Ehemann fest, nachdem er die Ergebnisse mit denen seiner Gefährtin verglichen hatte.
Boone hielt seine Hand ans Ohr. »Ich glaube, ich habe mich verhört. Dabei hat mir Celáhr meine Ohropax bereits aus dem Kopf geprügelt.« Celáhr Dran verschränkte seine Arme und drehte sich abrupt zur Seite. Boone warf ihm einen amüsierten Blick zu, widmete seine Aufmerksamkeit aber gleich wieder dem Dritten. »Sagtest du gerade unter dem Gestein?«
Der Alesstri nickte zustimmend.
»Und wie stellt Ihr Euch vor, dass wir nach un…«
Plötzlich, ohne Vorwarnung, bebte der Boden unter ihren Füssen und sackte im selben Moment kreisförmig ab. Ein nach unten hin fünfundzwanzig Grad steiler, flach strukturierter Weg tat sich auf. Noch bevor sie etwas erkennen konnten, purzelten sie rasant abwärts. Die Scheinwerfer der beiden Buggys, die dem Team folgsam hinterher rollten, gaben durch den aufgewirbelten Sand und den Schutt nur wenig Licht.
Gefühlte zwanzig Meter und dutzend gekonnte Rollen weiter, kamen sie durch ebenes Gelände und unangenehm kantiges Felsgestein zum Stillstand.
Für mehrere Sekunden blieben sie reglos liegen. Als die Gefährte immer näher kamen, hechteten sie zur Seite, um nicht als Parkplatz zu enden.
»Wow! Was war das denn?«, krächzte Boone. Er versuchte, durch den aufgewühlten Sand etwas zu erkennen. Es waren nur Schemen, die er sah.
Bras vom Haus der Dritten schnappte nach Luft. »Das war die Antwort auf deine Frage.«
Der kleine graue Tospari Carsi Wops näherte sich - entgegen seiner sonst zurückhaltenden und schüchternen Art - aufgebracht. »Was sollte das?«, fragte er scharf.
Der Dritte sah ihn perplex an. »Wie war das?«
Der Vulkanologe schnauzte den Alesstri wie ein beißwütiger Zwergpinscher an. »Warum habt Ihr uns nicht vorgewarnt, durch Euer … Ru’Uco? Ihr habt einfach nichts getan.«
Beruhigend legte Lih’Ar ihm eine Hand auf die Schulter. »Aber es ist doch nichts passiert.«
Er wischte ihre Hand weg. »Ja, zu deinem Glück!«
»Ich glaube, du verstehst nicht.« Bras ließ nicht locker. Er wollte sich nichts unterstellen lassen und versuchte, ihn aufzuklären. »Der Grund für das Ausbleiben des Ru’Ucos ist einfach die Tatsache, dass keiner Gefahr lief, zu sterben. Wir können es nicht kontrollieren. Nur wenn tatsächlich Leben in Gefahr ist, schlägt es Alarm. Die einzige Ausnahme bilden Individuen, die uns negativ gesinnt sind. Dann bleibt das Ru’Uco aus«, erklärte er. »Meistens«, fügte er an.
Quinn hob die Hand. »Pssst! Seid leise!«, flüsterte sie und beugte den Kopf in die Richtung, aus der sie das Geräusch wahrnahm. »Hört Ihr das auch?«
Bis auf nachrollendes Geröll konnten sie nichts hören. Einzelne Kieselsteinchen rollten in der Nähe der Buggys am Boden umher. Etwas musste sich bei einem der Fahrzeuge befinden, denn der Boden war eben. Ohne Fremdeinwirkung konnte sich dort nichts bewegen.
Achtsam machte Quinn zwei Schritte auf den B1 zu. Ein gewaltiger Schrecken verdrängte ihre defensive Haltung. »Um Gottes willen!«, entfuhr es ihr.
Akilara Siri, ohnehin ein zierliches Wesen, klemmte zwischen Felswand und dem B1 fest. Das schwere Gefährt presste der Armen die Luft aus den Lungen, so dass ihre großen blass orangeroten Augen aus den Höhlen quollen.
Boone, ohne dass es seine Absicht war, hatte plötzlich das Bild einer Zeichentrickfigur vor Augen, die von einem Amboss aus fünfzig Meter Höhe platt gemacht wurde und deren Augen - wie bei Akilara - herausquollen. Trotz der bedrohlichen Situation schmunzelte Boone verstohlen in sich hinein.
Seinem weiblichen Gegenstück war ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Sie lief zu Siri, stieg in den Buggy und versuchte, ihn zu starten. Erfolglos. »So ein Mist!«, fluchte sie. Panik ergriff Besitz von ihr, sie schlug auf das Lenkrad ein.
Unvermittelt hob sich das Heck des B1. Langsam bewegte er sich vom Felsen weg, an dem Siri kleben blieb. Unter großen Schmerzen konnte sie wieder Luft in ihre Lungen pumpen.
Boone wartete darauf, dass sie ihren flachgedrückten Bauch mit dem Daumen im Mund aufblies.
Der gewaltige Creen Yadoo Throna hatte den Wagen dank seiner enormen Kräfte hochgehoben und zurückgezogen.
Das schwarzhäutige Pendant Condara Tyy kümmerte sich augenblicklich um die Tospari und untersuchte sie. »Zwei gebrochene Rippen«, stellte sie lakonisch fest. Nachdem sie sie von ihrem Schutzanzug befreit hatte, die Temperatur in der Höhle war erträglicher, legte Tyy ihr einen straffen Verband an, den sie aus dem Erste-Hilfe-Kasten des Buggys entnommen hatte. »Keine inneren Verletzungen. Für ihre schmächtige Statur hatte sie viel Glück.« Dann nahm sie den Wundheilbeschleuniger und glitt damit über die Stellen der verletzten Rippen.
Trotz des Wundheilbeschleunigers war Siri zu schwach, um auf ihren eigenen Beinen zu stehen. So hatte sich Throna bereit erklärt, sie zu tragen, was keine Mehrbelastung für ihn bedeutete, hatte er doch zuvor einen zweieinhalb Tonnen schweren Buggy bewegt.
Boone und Quinn untersuchten abermals den Buggy, und es dauerte nur einige Minuten, bis sie den Fehler entdeckt und repariert hatten.
Quinn betätigte eine Taste, die den Motor zum Laufen bringen sollte. Es tat sich nichts.
Du willst mich wohl verarschen!? Boones Nasenflügel blähten sich. »Verdammtes Ding! Spring endlich an!«, sagte er im Befehlston und versetzte dem Buggy einen Tritt, woraufhin der Funke anscheinend übersprang und zündete. »Geht doch«, sagte er überrascht.
Um die dunkle Höhle zu erhellen, positionierten sie beide Fahrzeuge so, dass die Scheinwerfer den Weg ausleuchteten. Der Alesstri der Dritten hockte sich vor einen der wegweisenden Lichter. Die Auswahl der Gänge, die sich darboten, war beachtlich. Er scannte die Umgebung, und eine neue Karte zeichnete sich auf die Folie. Daraufhin gab er die bekannten Koordinaten des Zielortes ein. Das Gerät zeigte sofort den zu beschreitenden Weg an. »Tor Nummer Drei ist der Jackpot.« Der Alesstri zeigte nach Norden.
Boone sah kritisch in den dunklen Tunnel direkt vor ihm. »Ich hoffe, Du hast Recht. Mit dem Trostpreis gebe ich mich nicht zufrieden.«
»Ich irre mich nie«, sagte Bras und grinste.
Die Temperatur in dem Höhlenlabyrinth, geschützt von massivem Fels, war erträglich für alle. Somit konnten sie sich wie Siri ihrer Schutzanzüge entledigen. Die Buggys mussten sie deaktivieren, da der Gang zu schmal für die Gefährte war.
Der Lichteinfall wurde immer geringer, bis der Tunnel vollständig verdunkelt war. Als sie die mitgebrachten Energiestäbe einsetzen wollten, bemerkten sie, dass es aus unerfindlichen Gründen heller wurde, je weiter sie sich in das Innere wagten. Zunächst konnten sie sich den Grund für die Helligkeit nicht erklären. Dann aber hatten sie es vor Augen. Steine waren die Lichtquelle.
Bras vom Haus der Dritten wollte sofort Gesteinsproben nehmen, doch Sora, deren perlmuttfarbene Haut durch die leuchtenden Steine den Effekt eines Glühwürmchens angenommen hatte, sagte: »Tut mir Leid, Bras, aber dafür haben wir keine Zeit. Wir müssen weiter.«
Enttäuscht ließ er von den ungewöhnlichen Steinen ab. »Du hast Recht.«
Throna hatte seine langen blauen Haare über das rechte Schlüsselbein drapiert. Mit der kleinen Tospari auf der Schulter tastete er sich als erster voran. Nur wenige Meter war er marschiert, als er abrupt stehen blieb und die Hand hob. Auf der Stelle hielten seine Kameraden an. Keiner rührte sich.
Ein leises Scharren war zu hören.
»Wartet hier!«, flüsterte Throna. Er schlich einige Schritte voraus, bis er an die nächste harte Biegung kam. Dort beugte er sich sachte nach vorne und lugte in den Gang. Was er dort sah, veranlasste ihn schnell wieder zu seinen Kollegen zurückzukehren. »Das solltet Ihr Euch ansehen! Kommt mit.«
Das Team wusste nicht, was es erwartete, aber mit einer Meute fünfzig Zentimeter kleiner, pelziger Tierchen, die sich zum Teil auf zwei Beinen fortbewegten, hatten sie nicht gerechnet. Dieses Getier verhielt sich wie ein wildes Rudel, das um einen Kadaver rang.
»Seht Ihr das?«, wisperte Wops verschreckt. Er versteckte sich hinter Boone. »Wie ist das möglich? Samura hatte uns doch erzählt, dass es hier kein Leben gibt.« Er klammerte sich unruhig an Mels Hosenbein. »Wovon ernähren sich diese Viecher?«
»Was immer es auch sein mag«, Boones Gesicht beschrieb Ekel, »ich möchte nicht damit tauschen.«
Als Tyy die kleinen Wesen genauer inspizierte, kam sie zu einer erstaunlichen Erkenntnis. »Yadoo!«, entfuhr es ihr beinahe zu laut. »Sieh sie dir genau an. Fällt dir an diesen Kreaturen nichts auf?«, fragte sie, wartete aber keine Antwort ab. »Es sind Shantari.«
»Das ist richtig«, erkannte Throna sofort. Ihm fiel aber auch ein deutlicher Unterschied auf. »Die einzige Unstimmigkeit ist die Größe. Diese Exemplare sind ungleich kleiner.« Er beugte sich nach vorne und beäugte sie intensiv.
»Was soll das heißen?«, fragte Boone. »Stammen diese gefräßigen … Dinger von Eurem Planeten?«
»Ich habe dafür keine Erklärung, Mel«, gestand Tyy. »Diese Wesen leben für gewöhnlich auf Creen in unterirdischen Bauten, oft bis zu fünfzig Meter unter der Erde, genau wie diese Exemplare.« Sie strich sich nachdenklich ihre blauen Haare zurück.
»Wir sollten uns lieber Sorgen machen«, trieb Dran sie missmutig an, »wie wir an diesen gefräßigen Kreaturen vorbeikommen.«
Feixend sagte Quinn: »Ich würde vorschlagen, dass wir Yadoo vorschicken. Er verscheucht die Viecher mit ein bisschen Stampfen. Wenn das nichts hilft, dann tritt er die lästigen Ungetümen beiseite. Die anderen verschwinden dann von ganz allein.«
Yadoo Throna sah sie von der Seite an. Er fand die Vorstellung weniger amüsant. »Das glaube ich nicht, Abby.«
»Ich glaube, das Problem hat sich soeben von selbst gelöst.« Boone zeigte händefuchtelnd auf die sich nähernden Tierchen. Ganz offensichtlich wurde die Gruppe entdeckt. Ob sie zu laut waren oder gewittert wurden, vermochten sie nicht zu sagen. Der Terraner trat den Rückzug an.
Throna reagierte schnell, indem er seine Kameraden mit einem Arm zur Seite schob und sich in den Weg stellte. Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Versteckt Euch. Ich werde sie aufhalten.«
Die wilden Tiere näherten sich angriffslustig, dennoch mit Vorsicht. Der Creen rührte sich nicht vom Fleck. Er nahm eine abwehrhaltende Position ein. Als ihn die ersten Shantari anfielen, stieß er sie einfach mit seinen Armen zur Seite. Sie versuchten, sich an seinen Beinen festzukrallen. Vergeblich. Er stampfte fest auf den Boden und schüttelte sie ab. Er trat nach ihnen, und sie segelten in hohem Bogen, zum Teil quiekend, durch die Gegend.
Er war so beschäftigt, die kampflustigen Gesellen loszuwerden, dass er völlig Siri vergaß, die immer noch auf seiner Schulter saß. Sie versuchte, sich krampfhaft an ihm festzukrallen. Die ruckartigen Bewegungen und das ständige Sich-nach-vorne-Beugen machten es ihr unmöglich, sich noch länger festzuhalten. Die Tospari verlor den Halt und sauste in hohem Bogen über Thronas Kopf hinweg. Wissend, dass sie direkt in die Klauen der Angreifer stürzte, tarnte sie sich noch im Flug innerhalb des Bruchteils einer Sekunde. Es sah so aus, als würde eine Sandwolke auf den Boden rieseln. Sie war nicht mehr vom sandigen Untergrund zu unterscheiden. So wurde sie von den Wilden verschont, die sich weiter auf Throna konzentrierten.
Als die pelzigen Wesen merkten, dass sie gegen den schwarzen Riesen nicht ankamen, änderten sie ihre Taktik. Sie traten ruckartig den Rückzug an.
Sofort suchte Throna nach der kleinen Tospari »Wo bist du? Akilara, antworte mir.« Seine Stimme war zum Boden gerichtet. Er machte vorsichtige große Schritte.
Vor ihm bewegte sich der Sand, der langsam die Gestalt eines kleinen Wesens annahm und sich in ein bekanntes Grau verwandelte. »Alles in Ordnung, mir ist nichts passiert.« Sie rieb sich die Seite. »Na ja, vielleicht eine dritte Rippe gebrochen.« Sie blinzelte durch den aufgewühlten Staub hindurch und rang sich ein Lächeln ab.
Quinn sah Throna amüsiert an.
»Nein, Abby«, wiedersprach der Creen, noch bevor sie etwas gesagt hatte. »Nein, ich habe nicht gestampft.«
»Seht nur!«, presste Sora hervor. Sie zeigte mit ihrem langen Arm schräg hinter Throna. »Diese gemeinen Shantari hatten es auf ihresgleichen abgesehen.«
Ein kleines Shantari war verletzt im Sand liegen geblieben. Ein verängstigtes, hilfloses, kleines Tierchen, das nach Luft rang und sich ängstlich zusammengerollt hatte. Vorsichtig sah es sich um, ob die Gefahr, von Onkel und Tante gefressen zu werden, vorbei war.
»Nun wissen wir, wovon sie sich ernähren«, stieß Wops hervor und half seiner Kollegin, behutsam den Staub von ihrer Kleidung abzuklopfen.
»Wie könnt Ihr nur so herzlos sein? Es ist verletzt und braucht unsere Hilfe«, sagte Quinn mitleidig.
Boone traute seinen Ohren nicht und vermutete, dass es nur an der stickigen Luft liegen konnte, dass sie so reagierte. »Wie war das? Wo warst du gerade? Hast du nicht gesehen, wie aggressiv diese Viecher sind! Die machen nicht mal voreinander halt. Das ist das letzte, das wir jetzt brauchen können - eine aggressive, angeschlagene, stinkende, riesige, behaarte Ratte.«
Die Männer stimmten ihm mit einem deutlich vehementen Nicken zu. Die weiblichen Begleiter sahen ihre jeweiligen Kollegen mit einem durchdringenden Blick an, der zu sagen schien: `Wenn Ihr das arme Tier hier lasst, könnt Ihr gleich bei ihm bleiben´. Den drohenden Blick nur schwer abwendend, näherten sie sich dem verletzten Tier.
»Wollt Ihr ab sofort jedes Ungeziefer mitnehmen, das uns auf unserer Reise begegnet?«
»Es kommt gar nicht in Frage, dass wir es hier lassen. Basta!«, Lih’Ars Tonfall war ungewohnt gereizt.
»Das werden wir noch sehen«, meinte ihr Ehemann spitz.
»War eine gute Idee, das Shantari mitzunehmen.« Condara Tyy war mit ihrer Verarztung zufrieden.
Die restlichen Damen streichelten es unentwegt und klassifizierten es als Männchen. Sichtlich gefielen ihm die Streicheleinheiten.
»So ein putziges Tierchen habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Diese liebenswürdigen Knopfaugen und diese flachgedrückte Nase und das süße Stummelchen«, schwärmte Quinn.
Boone sah angewidert drein. »Ich könnte kotzen«, spuckte er.
Die Herren der Schöpfung sahen sich genervt an, konnten aber nichts gegen diese Verhätschelung und Vertätschelung tun, sonst bekamen sie gleich wieder den `Blick des Bösen´ zugeworfen. Also ließen sie Milde walten.
»Wir müssen dem niedlichen Fratz einen Namen geben«, unterbreitete die kleine Tospari Siri ihre Idee.
Dann wurde es auf einmal still, und sie begannen zu grübeln.
»Krümel?«, schlug Abby Quinn vor.
»Pff« machte Mel Boone.
»Sura?«, schlug Anúa Sora vor.
»Tss«, machte Celáhr Dran.
»Abuu?«, schlug Akilara Siri vor.
»Päh«, machte Carsi Wops.
»Shan?», schlug Condara Tyy vor.
»Hmm«, sagte Yadoo Throna.
Plötzlich kam von allen weiblichen Teammitgliedern wie aus einem Mund »Tari!«. Damit stand fest, welchen Namen das Shantari bekleiden sollte, und alle … nun ja, fast alle, waren zufrieden waren.
Die Männer sahen einander nur an.
Nach dem mehr oder weniger unfreiwilligen Aufenthalt setzten sie ihren Marsch fort. Der aufgewühlte Sand hatte sich inzwischen gelegt, und die hungrigen Shantari hatten sich auch zurückgezogen.
Kaum dreißig Meter weiter kamen sie in ein gewaltiges kuppelförmiges Gewölbe. Sie blieben vor dem Eingangsbogen stehen und schielten hinein.
»Sieht nicht so aus, als wäre es von Mutter Natur geformt worden«, erkannte die Uco’Chenty richtig.
»Wie wäre es, wenn wir unsere knackigen Hintern hineinbewegen würden?«, trieb Boone sie ungeduldig an.
Das Bemerkenswerte an dieser Kuppel waren die ringsum eingemeißelten hieroglyphenartigen Zeichen und die Tatsache, dass es rechts an der rückwärtigen Wand einen Wasserfall aus Sand gab, der am oberen Ende der Steinwand austrat und in einem Spalt wieder verschwand. Sozusagen ein Sandfall.
Bis auf das leise gleichmäßige Rieseln des Sandfalles herrschte Stille. Die Hieroglyphen wurden begutachtet. Anfangs wusste niemand etwas mit den fremdartigen Antiqua anzufangen.
Boone konnte beobachten, wie zwei Teammitglieder so taten, als würden sie einige Fragmente entziffern können. Er vernahm ein unverständliches Gemurmel. »…Canu ec voorio … Tanshái … Sial’kidu fi ama…«, klang Tyys Stimme konzentriert auf. Sie berührte die Zeichen, als wären sie aus Seide.
Offenbar taten die Creen nicht nur so, als könnten sie die Schrift entziffern.
»Du kannst es lesen?«, fragte Quinn erstaunt.
Selbst überrascht antwortete Tyy: »So sieht es wohl aus.«
»Ich glaube, ich kann das erklären«, sagte Throna. »Dies sind alte Schriftzeichen unserer Heimat.«
Wops’ hochgestellte Augen weiteten sich in die Breite. »Eurer Heimat?«
»Was bedeuten diese Zeichen?«
Die Augen des Creen blieben an der Wand haften. »Im Großen und Ganzen wird hier die Geschichte des Planeten beschrieben: …Armeen ziehen über das Land … Kaiserreich … Aufbruch in die Ferne…«, übersetzte er die Worte Tyys. »Außerdem steht hier etwas, das nicht direkt mit der Geschichte zu tun hat: …Hüter der Quelle … Vermächtnis … Auserwählte… Ich weiß nicht genau, was das alles bedeuten soll, denn die Fragmente sind aus dem Zusammenhang gerissen und viel mehr bin ich nicht in der Lage zu entziffern«, erklärte Throna nachdenklich.
»Ich bin kein Experte für Creens Geschichte, Schriften und was weiß der Kuckuck«, mischte Boone sich ein, »aber bin ich der einzige, der es merkwürdig findet, dass wir hier bereits das zweite Anzeichen vorgefunden haben, dass hier schon einmal Creen gewesen sein mussten?«, fragte er in die Runde und schaute dabei die beiden schwarzhäutigen Biologen an.
»Habt Ihr uns etwas zu sagen?», fragte der hochgewachsene Gidaner Dran.
Throna warf seiner Partnerin einen fragenden Blick zu. »Nicht dass ich wüsste. Darf ich das als Unterstellung verstehen?«
Boone stellte sich zwischen den langen Gidaner und den muskulösen Creen. »Niemand will hier jemandem irgendetwas unterstellen, nicht wahr, Celáhr?« Dabei sah er den Gidaner mit durchdringendem Blick an.
Hochnäsig meinte der perlmuttschimmernde Mann: »Nein, natürlich nicht.«
»Bleibt immer noch die Frage, wie es möglich ist, Tiere hier anzutreffen, die von Rechts wegen nach Creen gehören?« Unbewusst suchte sie ihren neuen kleinen Begleiter. »Nicht zu vergessen die Wandgravuren, die ihr zum Teil enträtseln konntet. Versteht mich nicht falsch, ich mache Euch keinen Vorwurf, ich versuche es nur zu verstehen.« Sie näherte sich den Wänden und strich – wie zuvor Tyy - über die Zeichen.
Throna blieb ernst. »Glaub mir, Abby, das versuchen wir auch. Wir haben ebenso wenig eine Erklärung für diese eigenartigen Entdeckungen wie Ihr.«
»Ich würde vorschlagen, wir verschieben diese Diskussion auf ein andermal und fragen uns lieber, welche dieser sechs Gänge der richtige ist. Was mich noch interessieren würde, ist«, Dran hielt seine Hand unter die rieselnden goldfarbenen Körner. »was es mit dem wasserfallgleichen Sandspiel auf sich hat?«
Keiner hatte eine Idee, welchen Zweck dieser Sandfall erfüllte. Abermals befragte die Erste, Uco’Chenty, ihre elektronische Landkarte, um den rechten Weg zu erfahren.
Die Falten, die sich zwischen ihren smaragdgrünen Augen bildeten, verhießen nichts Gutes. »Das verstehe ich nicht«, sagte sie, und tippte auf ihrem Gerät einige Tasten. »Laut Karte sollten wir genau an der Stelle des Energievorkommens sein.« Sie drehte sich im Kreis. »Aber hier ist weit und breit nichts.«
»Wie erfahren wir nun, welches das Tor zum Jackpot ist?«, fragte Boone.
Quinn sah auf den sandigen Boden und meinte: »Diesen Gang meiden wir lieber.« Sie zeigte auf die Pfotenabdrücke der Shantari, die in einem der Gänge verschwunden waren. »Wenn Ihr genau hinseht, erkennt Ihr keinen Durchgang, sondern die Behausung der Shantari.«
Throna war überrascht, dass ihm diese Spuren nicht selbst aufgefallen waren. Er war offenbar zu sehr von den Hieroglyphen abgelenkt. Und genau das war es, was ihm immer noch keine Ruhe ließ. Wie kamen diese Schriftzeichen in diese Höhle, auf diesen Planeten? Seine Blicke wanderten durch das Gewölbe. »Bleiben noch fünf weitere Möglichkeiten.«
»Ich schlage vor, dass wir uns in Zweiergruppen aufteilen, um schneller herauszufinden, welcher Tunnel der richtige ist«, überlegte Anúa Sora laut.
Sie waren einverstanden. Mittlerweile verstand es sich von selbst, wie die Aufteilung der Mannschaft aussah. Kein Alesstri mit einem Alesstri, kein Creen mit einem Creen…
Throna wagte sich mit der verletzten Siri in den Gang direkt vor ihnen. Der kleine Tari blieb freiwillig in der Mitte des Raumes sitzen.
»Können wir Tari alleine zurücklassen, während in unmittelbarer Nähe seine hungrigen Artgenossen lauern?«, fragte Siri Throna besorgt.
Yadoo blickte zu ihr nach unten. »Zum einen werden wir bald wieder hier sein. Zum anderen hat Tari unseren Geruch angenommen. Er wirkt abschreckend auf die Tiere«, war er sicher.
Wie aneinandergereihte Perlen lagen leuchtende kleine Steine an den Seiten der Stollen. Die Sicht war erheblich besser. Und doch war es unheimlich. Dieses Licht warf Schatten, unheimliche Schatten, die ihre Sinne hin und wieder zu täuschen vermochten.
Der Dritte, Uco’Nephty, und Sora gingen Schritt für Schritt immer tiefer in den Tunnel. Als sie ein Geräusch hörten, zuckten sie zusammen und hielten inne. Konzentriert setzten sie einen Fuß vor den nächsten und starrten an die Decke. In dem Moment brach bei Bras das Ru’Uco aus. Seine Augen leuchteten intensiv smaragdgrün, und seine Haare begannen wie wild zu tanzen.
Unkontrolliert sagte er: »Drei Sekunden…«
Vor ihnen tauchte eine Schlucht auf. Der Alesstri blieb noch rechtzeitig stehen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen. Anúa Sora, die durch Bras’ leuchtenden Haare wie ein perlmuttfarbenes Glühwürmchen schillerte, hatte nicht das Glück und rutschte mit einem Bein über den Rand.
Das Unvermeidliche trat ein. Sie stürzte. Der Uco’Chenty packte ihre Hand und wurde zu Boden gerissen. Durch die Bewegung wurde Sora herumgeschleudert und klatschte mit der Bauchseite an die Felswand. Weil ihn das Gewicht so weit nach vorne zerrte, rutschte er immer weiter über die Klippe. Er war fest entschlossen, sie auf keinen Fall loszulassen, was auch passieren mochte. Auf Soras Stirn stand der Angstschweiß. Bras schwitzte vor Anstrengung. Er merkte, dass er langsam immer weiter über die Kante gezogen wurde.
»Hör zu! Ich zähle bis drei, dann spannst du deine Muskeln an und versuchst, deinen ausgestreckten Arm an Deine Schulter zu ziehen. Verstanden?«, keuchte er.
»Ja«, antwortete sie knapp und angestrengt.
Irgendwelche Anzeichen, dass wir hier richtig sind?«, fragte Boone gelangweilt.
»Wenn du damit meinst, dass noch kein Ende in Sicht ist, muss ich deine Frage bejahen«, sagte Tyy, die einen halben Kopf größer und etwas breiter war als ihr Begleiter. Kaum hatte sie dies ausgesprochen, tauchte vor ihnen eine solide Wand auf.
»Wie es aussieht, muss ich meine Antwort revidieren.«
Daraufhin machten sie kehrt.
Bei Dran und Quinn lief es nicht anders.
Lih’Ar und der kleine Carsi hatten ebenfalls kein Glück mit ihrer Wahl. Wie bei den anderen versperrte eine massive Wand den Weg. Sie drehten um und gingen wieder zurück. Doch die Alesstri blieb plötzlich stehen. Ihre Augen leuchteten, wie bei ihrem Mann, grün auf. Ihre transparenten Haare strahlten hell, folgten nicht mehr der Schwerkraft und wirbelten umher. »Drei Sekunden…«, gab sie von sich.
Wops war schockiert, weil er nicht wusste, wie ihm geschah. »Drei Sekunden wofür?« Doch als er keine Antwort bekam,, schmiss er sich zu Boden, rollte sich zu einer Kugel zusammen und war vom Sandboden nicht mehr zu unterscheiden.
Als der dunkle Creen und die graue Tospari bereits weit im Tunnel waren, waren sie fest der Meinung, dass sie den Jackpot gewinnen würden. Jedoch machte eine unüberwindbare Schlucht ihre Hoffnungen zunichte.
Gerade wollte der Creen wieder kehrtmachen, als Siri meinte: »Warte einen Augenblick.« Sie nahm einen kleinen Sandstein in die Hand und ließ ihn in die Tiefe fallen. Gespannt lauschten sie. Es war nichts zu hören, also gingen sie zurück. Nach einigen Schritten hörten sie einen leisen Aufschlag. Es war der Stein. Sie verharrten und sahen einander an.
1…2…3!«, krächzte Bras. Im gleichen Moment zog er mit letzter Kraft an Sora, die ihren Arm versuchte, zur Schulter zu bringen, um den Schwung zu erhöhen, der sie nach oben treiben sollte. Seine Augen glühten immer noch.
Als sie mit halbem Körper über der Kante war, zerrte er weiter, um sie komplett auf den sichern Boden zu bringen. Sie landete genau auf ihm. Seine Haare beruhigten sich, und seine Augen nahmen die übliche dezent grüne Farbe an, die alle Angehörigen der fünf Häuser hatten.
Überglücklich küsste sie ihn auf die Wange. Dass er ihren langen und gar nicht so leichten Körper halten konnte, grenzte an ein Wunder.
»Ich danke dir vielmals! Ich werde ewig in Deiner Schuld stehen. Ich danke auch Deiner Fähigkeit!«
Nach Atem ringend sagte der Alesstri: »Nicht der Rede wert.« Er versuchte, durch sein verschwitztes und sandverschmiertes Gesicht hindurch zu lächeln. »Lass uns wieder zurückgehen. Hier geht es definitiv nur bergab. Zu sehr bergab für meinen Geschmack.« Sein Kopf knallte zurück auf den Boden.
Im selben Moment war Lih’Ars Ru’Uco vorbei, und sie lief schockiert aus dem Tunnel. Ganz außer Atem wollte sie auf die Gefahr hinweisen, brachte jedoch keinen Ton heraus.
Bis auf ihren Ehemann und seine gidanische Begleitung waren alle wieder in dem Gewölbe versammelt. Sie blieben vor ihrem Tunnel, den sie erkundet hatten, stehen.
»Wo sind Bras und Anúa?«, fragte Boone verwundert.
Wie vom Blitz getroffen zuckte Lih’Ar zusammen und stieß einen Schrei aus.
»Sie waren es! Sie sind verunglückt. Etwas Schreckliches muss passiert sein. Sie sind tot. Ich weiß es.«
»Was soll das heißen? Wie kommst du darauf?« Dran war völlig erschrocken. Darüber war er erbost.
»Ich bekam ein Ru’Uco! Sie hatten gerade mal drei Sekunden Zeit.« Mit Tränen in den Augen umfasste sie den Schlüssel um ihren Hals so fest, dass ihre blauvioletten Fingerknöchel heller wurden. »So sollte das nicht laufen.«
Erschüttert über die Tatsache, dass sie gerade zwei ihrer Kollegen, darunter einen Ehemann, verloren hatten, herrschte Entsetzen und unangenehme Stille. Sie setzten sich dort nieder, wo sie gerade waren.
Mit zittriger Stimme sagte Quinn: »Wir sollten vielleicht nachsehen, was mit ihnen passiert ist.«
»Die Mühe könnt Ihr Euch sparen, Freunde«, hörten sie eine leise und erschöpfte Stimme.
Alle sahen mehr als überrascht auf und konnten ihren Augen und Ohren nicht trauen. Da standen sie. Die beiden Todgeglaubten. Unversehrt, mit leichten Schürfwunden an Armen, Beinen und im Gesicht. Viel mehr fehlte ihnen nicht.
»Aber wie … wie ist das möglich?«, stotterte Lih’Ar.
»Du bist nicht die einzige, die ihre Augen zum richtigen Moment zum Glühen bringen kann, meine Liebe«, sagte ihr Mann und lächelte beruhigend.
»Wie sieht es bei Euch aus? Welcher ist nun der richtige Weg? Dass es unserer nicht ist, wissen wir bereits.«
Keiner der Gänge bot einen Ausweg.
»Ein Gang muss aber der richtige sein«, war Boone überzeugt.
Throna drehte sich um und sah gedankenverloren in den Gang, aus dem sie kamen. »Wenn das so ist, sehe ich keine andere Alternative als denselben Weg, den wir hierher marschierten, zurückzugehen.«
Lih’Ar stürmte zu ihrem Mann quer durch das Gewölbe, angetrieben von Erleichterung und Freude. In der Mitte der Kuppel stolperte sie. Mit den Knien schlug sie heftig am Boden auf, der nachzugeben schien. Im gleichen Augenblick stürzte der Tunnel, der sie hierher geführt hatte und als ihr letzter Ausweg gedacht war, komplett ein.
Condara Tyy stand mit zusammengepressten Lippen vor dem eingestürzten Tunnel und wartete, bis sich der Staub gelegt hatte. »Unsere Alternativen neigen sich dem Ende. Ich glaube kaum, dass es noch große Überraschungen geben wird. Wir sitzen hier fest und werden langsam verhungern«, sagte sie nüchtern.
»Der Sonnenschein in Eurer Familie warst du bestimmt nie, habe ich Recht?« Boone schüttelte den Kopf, von dem der Sand rieselte. »Verhungern.« Er rollte mit den Augen. »Bevor ich verhungere, genehmige ich mir einen Happen ranzigen Yadoo mit Celáhr Dip.«
»Würdet Ihr Euch das bitte mal ansehen?«, kam es von Lih’Ar, die immer noch am Boden kniete. »Seht her.« Sie wischte den Sand unter ihren Knien beiseite. Ein glatter Steinboden kam zum Vorschein. Darauf war eine dunkle Scheibe mit einem Emblem zu erkennen. »Als ich mit dem Knie aufschlug, gab diese Scheibe nach. Bevor ich sie im Boden versenkt hatte, ragte sie etwa zwei Zentimeter heraus. Daraufhin stürzte der Tunnel ein. Vermutlich hat es etwas damit zu tun. Ich denke nicht, dass der Gang nur aufgrund der Erschütterung meines Falles eingestürzt ist.«
»Die Frage ist nun: Wie kommen wir hier raus?« Dran strich über sein monströses Kinn. »Keiner der Gänge bietet sich als Ausgang an. Wir sind hier gefangen.«
»Faszinierend, wie du Offensichtliches erkennst«, meinte Bras verächtlich.
»Vorsicht, Alesstri!«, warnte Dran.
Lih’Ar vom Haus der Ersten, Uco’Chenty, ignorierte den aufwallenden Streit und wischte hastig am Boden herum, als würde sie etwas suchen. Und tatsächlich – sieben weitere herausragende, kreisförmige Ornamente erschienen unter dem Sand. »Was sagt Ihr nun?«
»Ich würde Wow sagen«, entfuhr es Boone. »Aber was soll das sein?«
»Da wir gesehen haben, welche Auswirkung das Vertiefen des einen Ornamentes hatte und diese sieben noch aus dem Boden ragen, liegt es auf der Hand, was passiert, wenn man die Schalter betätigt«, erklärte Lih’Ars Mann.
»Zwei Fragen stellen sich mir«, sagte Sora besorgt. »Welches Ornament lässt welchen Tunnel zum Einsturz bringen, und warum gibt es sieben Schalter zu nur sechs Tunneleingängen?«
Boone ging entschlossen und voller Tatendrang auf die Mitte des Kreises zu und trat forsch auf eines der Ornamente. Ein weiterer Tunnel stürzte ein, und eine Staubwolke wurde in die Kammer gedrückt. »Womit es nur noch fünf Gänge wären. Dann womöglich noch die Decke über uns, was möglicherweise Numero sieben erklären würde. Wer will als nächstes?«
Sie starrten an die Decke. Was, wenn Mel Recht hatte? Es wäre ausgesprochen widersprüchlich, wenn es etwas zu entdecken gäbe, die Vorrichtung jedoch so unglücklich angelegt war, dass man starb, bevor man das Geheimnis lüften konnte. Andererseits wäre das Problem mit dem Verzehr eines ranzigen Yadoos mit Celáhr Dip gegessen.
Die Terranerin hatte Bedenken und sprach diese offen aus. »Findest du es klug, alles einstürzen zu lassen?«
Er ging auf Quinn zu und packte sie an den Schultern, um sie willkürlich drehen zu können und sagte: »Sieh in diesen Tunnel.« Er drehte sie zu dem Gang, in dem Dran und Quinn waren. »Mauer am Ende des Ganges. Nun sieh in diesen Tunnel – Mauer am Ende des Ganges. Und in diesem Tunnel – eine kilometertiefe Schlucht, wie auch in diesem. Es sieht überall so aus, verstehst du? Was also macht es noch für einen Unterschied, ob wir nun einige Meter in diese Gänge marschieren oder sie zum Einsturz bringen? Gar keinen. Also gönne uns die Freude. Außerdem ist auch die Gefahr eines erneuten Angriffes durch die Shantari gebannt, wenn der Gang, in dem sie sich versteckt halten, verschüttet wird.«
Nachgiebig trat sie mit einem Jetzt-Erst-Recht-Tritt ebenfalls auf eines der Ornamente. Mit hochgezogener Schulter, eingezogenem Hals und verzogener Miene blinzelten sie an die Decke. Abermals brach ein Tunnel in sich zusammen. Es war nicht der, in dem die Tiere ihren Unterschlupf hatten.
»Verdammt!« stieß Quinn enttäuscht aus.
Die vorletzte Scheibe, die sie im Boden versenkten, ließ den letzten, den Shantaritunnel, einstürzen.
Ein einziges Ornament, genau das in der Mitte, blieb übrig. Kein Durchgang war mehr geblieben. Alle waren verschüttet. Keiner brachte den Mut auf, sich auf dieses letzte, vielleicht Unheil bringende Stück Stein zu stellen. Sie starrten es an und suchten nach etwas, das sich in Bewegung setzen konnte. Nichts Bedrohliches war zu erkennen.
Der stämmige Creen Throna übernahm die Initiative und stellte sich auf das letzte Ornament. »Es geschieht nichts.« Seine Stimme ließ nicht erkennen, ob er erleichtert darüber war oder nach wie vor darauf wartete, dass etwas passierte.
Im selben Moment hörte der Sandfall auf zu rieseln.
»Ha!«, stieß Boone aus und grinste den Creen an.
»Der Sand.« Throna machte eine Geste, um das Irrelevante an der Sache deutlich zu machen.
»Man sagte mir, du irrst dich nie?«, sagte Boone, während seine linke Braue keck nach oben schnellte.
Throna bekam kleine Denkfalten und meinte treffend: »Wollten wir nun Haarspalterei betreiben, so müsste ich sagen, dass ich mich tatsächlich nicht geirrt habe, da meine Aussage in dem Moment erfolgte, als nichts geschah. Denn als der Sand zu fallen stoppte, hatte ich meine Aussage bereits vollendet, was wiederum beweist, dass ich zu diesem Zeitpunkt Recht hatte. Abgesehen davon hatte Bras erwähnt, dass er sich nie irre, nicht ich. Wobei es auf mich natürlich ebenso zutrifft.« Obwohl der letzte Satz völlig zentrovertiert war, hörte man keine Spur von Arroganz in seiner Stimme.
Boone konnte sich über diese Antwort nur wundern. Aber er war es langsam von dem Biologen gewohnt, richtige, genaue und völlig uninteressante Kommentare zu hören. Er musste innerlich lachen. »Du hast natürlich Recht … wie immer.«
»Spürt Ihr das auch?«, fragte Wops angespannt und sah ringsum auf den Boden, der zu vibrieren schien. Staub, Sand und Steinchen begannen zu tanzen.
Die Erschütterungen schwollen laufend an. Der Sand tanzte unaufhörlich im Rhythmus des bebenden Bodens. Etliche Steinchen hüpften umher wie heißes Popcorn.
»Was geht hier nur vor?«, versuchte die verängstigte Akilara Siri den Lärm zu übertönen. »Stürzt das Gewölbe ein?«
»Es wäre die logische Schlussfolgerung.« Bras sah mit zusammengekniffenen Augen durch den herabrieselnden Staub an die Decke.
»Schließen wir Wetten ab!«, sagte Boone. »Zwanzig Mäuse, dass uns die Decke auf den Kopf fällt.«
Die Eingeschlossenen drückten sich mit dem Gesicht an die Wand. Die beiden kleinen Tospari sahen sich hilflos an. Um Carsi Wops und Akilara Siri das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, beugten sich die beiden stattlichen Creen mit ausgebreiteten Armen über die beiden. Sie hielten sich an den Händen und bildeten somit Schutz vor eventuellen größeren Trümmern, die drohten herabzustürzen. Durch ihre Stärke, ihre widerstandsfähige Haut und ihren kräftigen Körperbau waren die beiden Creen vor Verletzungen eher gefeit als ihre Begleiter.
Anúa Sora hatte, wie auch ihr Gegenstück Celáhr Dran, ihre transparenten Lider geschlossen, um ihre Augen vor dem umherwirbelnden Sand zu schützen. Sie sah mehrmals zwischen der Decke und den beiden schwarzhäutigen Creen hin und her, die schützend über den Tospari gebeugt standen, und fragte sich, welchen Sinn es hatte, sie zu retten, wenn sie sowieso vom Gestein erschlagen würden. Throna und Tyy machten zwar einen überaus kräftigen Eindruck, aber sollte das Gewölbe tatsächlich einstürzen, konnten auch sie nichts dagegen ausrichten.
Die Anspannung stieg ins Unermessliche.
»Wann bricht dieses vermaledeite Ding endlich zusammen?«, sagte Boone mit zaudernder Schroffheit. »Ich will meine zwanzig Crix.«
Doch dann sagte Lih’Ar vom Haus der Ersten, Uco’Chenty etwas, das die Anspannung abschwellen ließ. »Ich glaube nicht, dass wir in Gefahr schweben. Mein Ru’Uco bleibt aus. Und Bras` ebenso. Außerdem lassen die Erschütterungen allmählich nach. Merkt Ihr es nicht?«
So war es. Kurze Zeit später war alles wieder ruhig. Sie verharrten einige Augenblicke, wie an der Wand festgeklebt. Ein leichtes Nachrieseln von Sand und Kiesel war zu hören.
Als sie wagten ihre Köpfe zu heben und sich langsam umdrehten, konnten sie durch den noch immer umherwirbelnden Staub und Sand nichts erkennen und glaubten, in ihren Körpern immer noch ein leichtes Vibrieren zu spüren.
Throna schüttelte sich, um seine Kleidung vom Schutt zu befreien. Einige zuckten zusammen, weil sie dachten, dass die Erschütterungen von neuem begännen.
Ihre Gesichter waren ein Foto wert, als ihnen klar wurde, welche Auswirkungen die Erschütterungen gehabt hatten. Sie starrten zu der Stelle, an der zuvor der Sandfall rieselte. Nur dass sich die Wand dahinter in einen weit einsehbaren Tunnel gewandelt hatte. Es gab noch einen Unterschied, der jedem ins Auge stach: Im Gegensatz zu den anderen Durchgängen war dieser völlig mit dem leuchtenden Gestein ausgekleidet. Das Licht glich einer gigantisch langen Neonröhre. Langsam näherten sie sich der Öffnung und beobachteten das wunderschöne Lichtspiel.
»Bemerkenswert!«, staunte Carsi Wops lautstark, der in seinem Element als Geologe aufging.
»Magisch.« Quinn war verzaubert. »Einfach magisch, dieses Licht.«
»Dann sollten wir nicht länger warten und mit der Erkundung beginnen.« Lih’Ar konnte ihre Neugier nicht verbergen. »Ich glaube, so ist es am besten: Ich bilde die Vorhut, um rechtzeitig auf eventuelle tödliche Gefahren aufmerksam zu machen. Bras, du bildest das Schlusslicht, falls hinter uns Gefahr drohen sollte.«
»Einverstanden!«, stimmte ihr Gatte zu. »Gehen wir.«
Sie wanderten durch den extrem hell strahlenden Gang. So hell, dass ihre Augen zu Schlitzen wurden und sie ihre Hände vors Gesicht hielten. Die Gidaner Celáhr Dran und Anúa Sora hatten mit dem grellen Licht besonders zu kämpfen, da ihre Augenlider transparent waren. Sie versuchten, eine Weile ohne Schutzbrille auszukommen. Lange konnten sie der außerordentlichen Helligkeit nicht standhalten. Sie mussten mit einer schwarzen Schutzbrille weiterlaufen.
Nach einigen hundert Metern war die Gruppe am Ende des Tunnels angelangt. Es war ein weiterer großer Raum, durch das einfallende Licht des Ganges gut erkennbar.
Boone überholte die Alesstri und betrat die rechteckige leere Kammer, ging auf die Mitte zu und wischte - wie zuvor Lih’Ar - den Sand am Boden zur Seite. Es machte den Eindruck, als suche er nach denselben Ornamenten, wie sie sie im Gewölbe entdeckt hatten.
Zu Boones Zufriedenheit war der Boden frei von Objekten, die Wände zum Ein- oder Herabstürzen brachten. »Ihr könnt den Raum betreten. Alles in Ordnung. Keine Höhlen-Einsturz-Knöpfe auszumachen.« Er winkte die Gruppe mit einer einladenden Geste zu sich.
Zögernd schlossen sie - gefolgt mit etwas Abstand zu Tari - zu Boone auf. Die Kammer war ihnen unheimlich. Kein ersichtlicher Ausgang, keine Fenster, keine Türen, keine einzige Öffnung, die darauf schließen ließe dass dieser Marsch seinen Zweck erfüllt und sie mit diesem Raum ihren ersehnten Ausgang gefunden oder ihr Ziel erreicht hatten.
»Wir haben zwar nicht zu befürchten, dass ein falscher Fußtritt alles zum Einsturz bringt, stattdessen landen wir an einem Ort, der noch weniger Hoffnung birgt, hier herauszukommen«, dröhnte Dran vorwurfsvoll. »In dem Gewölbe hätten wir vielleicht den Weg freibekommen, um zu den Buggys zu gelangen.«
»Halt doch die Klappe, Spitzkinn!«, reagierte Bras unwirsch.
»Der immerwährende Pessimist, nicht wahr, mein Freund?«, meinte Throna mit einer beruhigenden Stimme. »Lass uns doch den Raum genauer untersuchen. Vielleicht hat Mel etwas übersehen, das uns doch noch weiterhelfen kann, einen Ausweg zu finden.«
Lih’Ar kam hinzu. »Er hat Recht, Bras. Sehen wir uns um«, stimmte sie zu, nahm ihren Mann am Arm und ging mit ihm suchend umher. Als würden sie an einem sonnigen Tag in irgendeinem Park auf Alesstri spazieren gehen, so wirkte die Zweisamkeit, beobachtete man das Paar bei ihrer Suche.
Bis in die hintersten Ecken kamen ihre suchenden Blicke. Die Wände wurden abgetastet, ob es nicht versteckte Hebel oder Schalter gab. Der Fußboden wurde ein zweites Mal gründlich untersucht. Jede Mühe war vergebens.
»Nun bin ich mit meinem Latein wirklich am Ende. Ich befürchte, dass wir in diesem Loch tatsächlich gefangen sind und es nicht so aussieht, dass sich an dieser Tatsache in nächster Zeit etwas ändern könnte.« Boone wischte sich wehmütig den Schweiß von der Stirn. Es wurde stickig, die Temperatur stieg an.
Abgesehen davon, dass Boone seine zwanzig Crix verloren hatte, irrten sie ziellos in einem Raum umher wie ein paar Irre in einer Gummizelle. Was ist das bloß für eine lahme Mission?
Im Gegensatz zu Boone war Condara Tyys Latein noch nicht am Ende. »Dass wir etwas vergessen haben zu überprüfen ist Euch bewusst, nicht wahr? Werft einen Blick nach oben. An der Decke haben wir noch nicht nachgesehen. Dort oben könnte alles Mögliche sein.«
Wops blickte hoch. »Es ist nichts zu erkennen. Das Licht reicht nicht aus, um etwas auszumachen. Außerdem müsst Ihr mir erklären, wie Ihr dort hinaufgelangen wollt? Die Decke ist viel zu hoch.« Für den kleinen Tospari mehr als für die anderen.
Dran ging zum Tunnel und brach ein beachtliches Stück leuchtenden Gesteins heraus. Er drückte dem Tospari den Brocken wortlos in die Hand. Wops hatte die Befürchtung, dass der Stein heiß war. Unbegründet. Er wusste nicht, was Dran vorhatte und warum er ihm diesen Stein gab. Plötzlich spürte er einen festen Griff an den Hüften und verlor den Boden unter den Füssen. Schlagartig war ihm klar, was er vorhatte.
Er hob Wops wie ein Kind auf seine Schultern, nahe an die Decke. Jetzt konnte er alles genau untersuchen. In den Ecken fand er eine Art Lichtschranken mit einem darunter liegenden Vorbau, der aussah wie eine Ablage. Als Carsi Wops den Stein an diese Schranken hielt, begann der darin eingebaute Chip zu arbeiten. Seltsame, ächzende Geräusche wurden laut, es blinkte gelegentlich. Was auch immer sich dort oben tat, es tat sich hörbar schwer. Nahm er den Stein wieder weg, schwieg das elektronische Ding. Diese Apparaturen befanden sich in allen vier Ecken.
»Gefunden hätten wir etwas. Gilt es nur noch herauszufinden, wie uns die Dinger aus diesem Raum helfen können, falls sie das können«, überlegte Quinn mit dem Kopf im Nacken.
Sie bat den langen Gidaner, sie anstelle des Tospari zur Decke zu hieven, um sich die Teile genauer ansehen zu können.
Quinn konnte recht schnell erahnen, wie die Apparaturen funktionierten, was sie bewirkten jedoch nicht. »Ich brauche noch drei Steine in etwa derselben Größe.«
Anúa Sora, das Pendant zu ihrem hitzigen Kollegen Celáhr Dran, kümmerte sich um die Steine und gab sie Quinn. Dran bewegte sich auf die nächste Ecke zu. Dort setzte die Terranerin wieder einen Stein in die Ablage. Und auch bei den letzten beiden Fächern fanden die Steine ihren Platz.
»Nun warten wir.«
Angestrengt beobachtete sie die vier Ecken. Es leuchtete, grummelte und die Anstrengungen waren nun aus allen vier Richtungen zu hören. Ein dünner blauer Energiefaden bildete sich entlang der oberen Wand von Ecke zu Ecke.
Sie warteten und warteten … Drei Minuten später warteten sie immer noch.
»Ich bin beeindruckt«, sagte Dran sarkastisch. »Hätte mir nicht gedacht, dass es so spektakulär werden würde.«
Quinn strafte ihn mit einem durchdringenden Blick.
»Immer einen dummen Spruch auf den Lippen, nicht wahr?«, entgegnete Bras, dessen transparente schweißnassen Haare ihm zum Teil im Gesicht hingen, was ihm einen verwegenen Ausdruck verlieh. Er verbarg es nicht, wie genervt er von Drans ewiger Nörgelei war.
Verdammt, warum tut sich nichts? Die Terranerin war fest davon überzeugt, dass die Steine irgendeine Wirkung erzielen mussten. Schließlich war es eine Vorrichtung. Eine Vorrichtung musste einen Zweck erfüllen. Zumal sie zu aktivieren waren. Das Rattern konnte nicht alles gewesen sein.
Nun waren auch ihr die Optionen ausgegangen.
»Vielleicht müssen wir einen Spruch aufsagen«, feixte Boone.
Quinn rollte mit ihren schönen dunklen Augen, schlug die Hände vors Gesicht und ließ den Kopf hängen.
»Wer weiß«, murmelte Boone und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen sinnierend zusammen. »Wie wäre es mit: Sesam öffne dich!«
Im selben Augenblick begann der Boden zu vibrieren. Kurz darauf der ganze Raum.
Die drei Personen, die es geschafft hatten, das Gleichgewicht zu halten, versuchten ihre Kollegen zu packen und zum Ausgang zu schleifen. Plötzlich versperrte eine rasant heruntergleitende massive Steinplatte kratzend den einzigen Ausweg. der ihnen zur Verfügung stand.
»Was passiert hier?«, schrie Sora, um das Donnern zu übertönen.
»Woher wusstest du, dass man diese Worte aussprechen muss?«, fragte Throna erstaunt und half Boone auf die Beine.
Bevor der Terraner, dessen Mund weit offen stand, wieder etwas Überflüssiges von sich gab, antwortete Quinn.
»Das hatte nichts mit seinem Spruch zu tun. Es waren die Leuchtsteine. Sie haben doch etwas bewirkt.« Ich wusste es.
»Dass immer irgendwas einstürzen oder beben muss.« Boone legte sich flach auf den Boden. Seine Kollegen gesellten sich unfreiwillig dazu. »Wird allmählich zur Gewohnheit.«
Sie beobachteten die Alesstri Lih’Ar und Bras, ob sie das unverkennbare Anzeichen des Todes in ihren Augen lesen konnten.
Kein Ru’Uco.
Es rüttelte, es schüttelte, es ächzte, es stöhnte und es kratzte an der Wand, dem Boden und den Nerven der Ten4. Man hatte den Eindruck, ein weidwundes Tier lag im Sterben, solche Geräusche quälten ihre Ohren.
So schnell es begonnen hatte, so schnell war es zu Ende. Kein noch so geringer Ton war zu hören.
Am Boden liegend und durch ihre über dem Kopf verschränkten Arme fragte die kleine Akilara Siri eingeschüchtert: »Und was jetzt?«
Boone hob seinen Kopf vom Boden. »Sesams Tür ist wohl doch nicht aufgesprungen.«
»Eigenartig«, bemerkte Throna. »Üblicherweise gibt es Konsequenzen, die sich in eingestürzten Gängen oder dergleichen manifestieren.«
Lih’Ar machte suchende Bewegungen. Dabei wehten ihre gläsernen lange Haare wallend hin und her. »Wo ist eigentlich Tari abgeblieben?«
Da erst wurde ihnen bewusst, dass keiner wusste, wo das liebenswerte kleine Tierchen war. Sie machten sich auf die Suche. Der Raum war schnell durchforscht. Keiner fand es.
»Ich fürchte, dass…«
Condara Tyy wurde von ihrem artverwandten Kollegen unterbrochen. »Ich habe das gewiefte Kerlchen gefunden.« Throna sah an sich herab und öffnete seine Kutte. Ein kleiner wuscheliger Kopf kam zum Vorschein und blickte ängstlich hervor. »Es hatte sich offensichtlich während der Erschütterung in meiner geräumigen Innentasche verkrochen.« Behutsam holte er Tari hervor und gab ihn in Siris Obhut. Doch das Shantari blieb nicht bei der kleinen Tospari, sondern lief ausgerechnet zu Boone und hopste mit einem Sprung auf seine Schulter. Es schien sich an seiner Seite wohler zu fühlen und grinste ihn an.
Mit einer Prise Abneigung sagte Boone: »Hey! Was fällt dir ein?« Er packte den Kleinen wie ein Kaninchen im Genick, hob ihn von seiner Schulter und übergab ihn Abby Quinn.
»Du bist herzlos«, sagte sie und wandte sich mit dem Tierchen von ihm ab.
Abermals blieb Tari nicht dort, wo er war und lief zurück zu Boone.
»Ich glaube, hier mag dich jemand sehr«, sagte Quinn und zwinkerte ihm zu.
»Das mag schon sein, aber ich halte Tiere nicht gerne auf meiner Schulter. Es sei denn, es handelt sich um einen Raben. Und jetzt verzieh dich, Kleiner und komm Nimmermehr zurück.« Diesmal gab er das Shantari der alesstrischen Glaziologin Lih’Ar. Wieder kam er zurück. Er versuchte es noch bei Tyy und Sora. Der Erfolg blieb aus. Wie ein Bumerang fand sich das Tierchen immer wieder auf Boones Schulter wieder. Schließlich resignierte er.
Boone hatte einen neuen Weggefährten. Ob er wollte oder nicht. Er sah das Tier von der Seite an. »Wenn mein Kreuz krumm wird, mache ich dich dafür verantwortlich.« Was für eine lästige Klette. Warum ausgerechnet ich? Kannst du nicht jemandem anderen auf die Nerven fallen? Sie sahen einander mit großen Augen an. »Was soll’s? Hat ja kaum Gewicht.«
Plötzlich öffnete sich vor ihnen ein verborgenes Tor. Keiner konnte es sich erklären, denn als sie zuvor nach einem Ausweg suchten, waren an den Wänden keinerlei Hinweise dafür zu erkennen.
Zwei Steinplatten verschoben sich nach links und rechts. Sonnenstrahlen fluteten den dunklen Raum. Automatisch machten alle einen Schritt zurück.
»Nun Celáhr, war das spektakulär genug für dich?« Nicht nur Quinns Stimme klang zynisch, auch ihr Gesichtsausdruck passte sich ihrem Organ an.
Der Gidaner rümpfte lediglich die Nase und sah an ihr vorbei.
Throna ging auf das Tor zu. Aber er blieb im Bereich des Ausgangs stehen. »Kommt her, das müsst Ihr Euch ansehen. Ich würde es nicht glauben, wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde.«
Die gemischte Truppe folgte, geblendet durch die ungewohnte Helligkeit, seiner Aufforderung. Als sie sahen, was Throna sah, waren sie nicht minder erstaunt.
Eine gewaltige Stadt, die den Maya-Bauten der Erde ähnelte, jedoch völlig in Platin getaucht, erschien aus dem Nichts. Viele Gebäude, Statuen und alles was dazugehörte, erblickten sie aus etwa hundertfünfzig Meter Höhe.
»Nichts mehr mit Felsen, Tunnel und leuchtenden Steinen«, staunte Bras und atmete erleichtert auf.
Sah man talwärts, boten sich ihnen Terrassen dar, die gleichzeitig den Abstieg garantierten. Denn diese Terrassen waren dicht aneinandergereiht und durch Stufen verbunden.
Sie stiegen problemlos hinab und waren binnen kurzer Zeit am sandigen Boden angelangt. Dennoch waren sie schnell durchgeschwitzt. Die Schutzanzüge hatten sie in der Höhle zu Beginn ihrer Höhlenwanderung zurückgelassen, da sie nicht damit gerechnet hatten, denselben Weg nicht zurückgehen zu können. Sehr lange konnten sie der Hitze ohne Anzug nicht standhalten.
Am Fuß des Objekts erkannte man, dass sich der Ausgang an der Seite der obersten Plattform befand.
»Eine eigenartige Konstruktion, findet Ihr nicht auch?« Boones Geschmack traf die Pyramide nicht.
Condara Tyy betrachtete das Gebilde mit steigendem Interesse. »Was findest du daran eigenartig? Die LoShandi unserer Heimat sind das beinahe Abbild dieser Architektonik.«
Fragende Blicke trafen Tyy.
»Wie meinst du das?«, fragte Quinn mit einer Vorahnung. »Kennst du dieses Ding etwa?«
Throna übernahm die Antwort. »Ihr ist dieses Konstrukt bekannt, das ihr Pyramiden nennt, da sie auf unserem Planeten ebenfalls existieren. Auf Creen jedoch heißen sie LoShandi, sind etwas flacher und haben die Form eines Tetraeders. Genau wie diese hier.«
»Fantastisch!« Bras vom Haus der Dritten, Uco’Nephty, staunte nicht schlecht. »Das wäre die dritte Übereinstimmung. Allmählich komme ich ins Grübeln. Seid Ihr sicher, dass Ihr noch nie hier gewesen seid?«, fragte er an den Creen gewandt, dessen blauen Haare in der Sonne glitzerten wie tausende Saphire.
Bestimmt sagte Throna: »Zweifelsfrei, Bras. Dass uns diese Gebilde bekannt vorkommen und denen unserer Welt ähneln, bedeutet nicht, dass wir schon hier gewesen sein müssen.«
»Aber wie ist das möglich? Hat schon jemals ein Creen einen Fuß auf diesen Planeten gesetzt?«
»Unwahrscheinlich, Mel«, antwortete Tyy. »Wenn Ihr Euch erinnern könnt, wurde uns mitgeteilt, dass die vier in der Schriftrolle der Sonim erwähnten Planeten - und das schließt Aroia mit ein - gänzlich unbekannt sind.«
Die zehn Ausflügler verteilten sich und erkundeten das Gelände. Bei einigen Statuen hatte man das Gefühl, sie beobachteten die ungebetenen Gäste. Sie schienen zu sagen: `Ihr gehört hier nicht her!´
Die beiden Creen gingen geradewegs auf das zweithöchste Gebäude zu. Vor ihnen zeigte sich eine hohe Fassade, spitz zulaufend. In das obere Ende der Spitze, gehalten von vier metallenen Klammern, war ein weithin weißleuchtender Kristall eingebunden. Er schien aus unbekannter Energiequelle gespeist zu werden, so strahlte er. Der Eingang war von vier stierähnlichen Statuen flankiert. Hinter der beeindruckenden Fassade versteckte sich ein Kuppelbau von enormem Ausmaß.
Als sie den Tempel betraten, spürten sie sofort den gewaltigen Temperaturunterscheid. Sie staunten nicht schlecht über die metallicschwarzen und -blauen Verzierungen an den Platinwänden. Die Farben schienen regelrecht an den glatten Wänden zu tanzen. Wunderschöne unerklärbare Formen und Zeichen erstreckten sich über die gesamte Kuppel. In der Mitte der faszinierenden Halle befand sich ein kreisrundes Zeichen aus denselben zwei Farben.
Die sonst so beherrschten Creen Yadoo Throna und Condara Tyy sahen einander fassungslos an. Sie richteten ihre Blicke auf die rückwärtige ebenso reich verzierte Wand. Vor ihnen wuchs eine konische Öffnung empor, aus der ein Oberkörper mit nach vorne gereckten Armen herausragte. Zwischen den Augen der Statue blitzte ein lichtreflektierendes ovales Objekt. Feuer, das von allen Seiten der steinerne Figur hervorloderte, umgab ihn.
»Aber das …«, stotterte Throna. »Sag mir, dass es nicht das ist, was ich sehe.«
»Du meinst Shakar, unsere Pilgerstätte? Oder, dass dieser Mann an der Wand, der uns seine Arme entgegenreckt, ein Creen ist? Oder die Tatsache, dass das eigentlich alles unmöglich ist, da wir uns auf einem völlig fremden, unbekannten und unbewohnten Planeten befinden?«
Fassungslos schüttelte Throna den Kopf. Er brachte keinen Ton heraus.
Carsi Wops und Akilara Siri standen stumm vor Ehrfurcht inmitten der sie umgebenden Pracht.
Währenddessen betasteten die beiden Ozeanographen Dran und Sora und das Glaziologen-Ehepaar Lih’Ar und Bras die fugen- und strukturlosen Wände.
Boone und Quinn hatten ein paar Meter vom Tempel entfernt eine technische Anlage entdeckt, die ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Von der prachtvollen Stadt hatten sie nur wenig mitbekommen. Diese Apparatur war zwischen zwei großen Säulen platziert, hing etwa anderthalb Meter über dem Boden und passte so gar nicht ins Gesamtbild. Sie versuchten herauszufinden, wofür die Anlage zu gebrauchen war und welche Funktionen all die Tasten und Knöpfe hatten.
Bevor sie auch nur eine Taste betätigen konnten, hörten sie die beiden Creen rufen: »Kommt alle her!«
Sie ließen nicht auf sich warten und kamen gleich herbeigeeilt. Am Eingang zum Tempel wartete Throna auf sie. Es folgten die Erklärungen der Zeichen, die zu sehen waren.
»Seht Ihr die Statue an der Wand vor Euch? Das ist, wie Ihr seht, ein Creen. Das beweisbringende Anzeichen, das hier früher tatsächlich Wesen unserer Art gelebt haben mussten. Betrachtet die blauschwarzen Verzierungen an den Wänden. Typische Creen-Malereien. Das deutlichste Anzeichen für die damalige Existenz der Creen ist die Pilgerstätte an sich. Exakt dasselbe Bauwerk, wie sie auf Creen vorzufinden sind. Für uns ist dies ein Ort der Meditation, eine Quelle der inneren Kraft. Hierher kommen wir, um neue Energien zu sammeln, um uns seelisch zu stärken und um unseren Geist zu befreien«, erklärte Tyy überwältigt.
»Eine Kirche«, sagte Boone.
»So in etwa«, antwortete die Creen. »Seht Ihr den Kreis am Boden vor Euch, in dem Mel und Abby stehen? Er ist für uns ein Tabu. Ein Betreten des Kreises ist uns von den Obersten streng untersagt. Dadurch würde das Heiligste entweiht werden. Zudem trifft einem - unserem Glauben nach - die strafende Hand Gottes. Infolgedessen ist das Leben des betreffenden Creen verwirkt. Noch nie hat ein Creen es gewagt, sich in den Kreis zu stellen.«
»Fremder Planet, selbe Kultur. Wie stehen die Chancen für so einen Zufall?« Boone drehte sich einmal im Kreis, um die runde Begrenzung, in der sie standen, zu mustern. »Ich bin ehrlich verwirrt.«
»Das bin ich offen gesagt auch«, meinte Siri. »Wieso gab es hier Creen? Warum ist der Planet dann unbekannt, und weshalb weiß keiner von alldem?«, kam eine Frage nach der anderen.
»Halt. Nicht so schnell, meine kleine Freundin«, bremste Throna. »Nach wie vor haben wir keine Erklärung dafür. Aber vielleicht erhalten wir sie noch.«
Quinn fiel das Gerät ein, das sie entdeckt hatten. »Vielleicht hilft uns der Apparat, den Mel und ich entdeckt haben.«
Boone wischte sich reichlich Schweiß aus dem Gesicht. »Wir müssen zurück zu den Buggys. Ich habe nicht vor, den ganzen Weg, wohin auch immer er uns führen mag, zu Fuß zu gehen«, fiel ihm daraufhin ein.
Gerade als die beiden Terraner den heiligen Kreis der Creen verlassen wollten, fiel ein Strahlenkegel vom Kristall der Fassade auf das Oval zwischen den Augen der Statue und reflektierte dieses auf die Mitte des Kreises. Er hüllte die beiden Terraner für wenige Sekunden in alle Spektralfarben des Lichtes.
Alle starrten gebannt auf das eindrucksvolle Spektakel, das nicht länger als zehn Sekunden andauerte.
Benommen torkelten Boone und Quinn aus dem Ring.
»Egal was es war, es war prickelnd, und gut für die Haut war es auch«, lallte Boone, wackelte und kippte um.
Quinn sackte ebenfalls zu Boden.
Boone drehte seinen Kopf zur Seite und sah Taris reglosen Körper unscharf neben sich liegen. Er setzte sich auf und fühlte bei dem Tier nach einem Puls. Er hielt beide Hände auf den ganzen Körper, um zu fühlen, ob das Herz noch schlug und ob er noch atmete.
»Die kleine Ratte lebt«, beruhigte er die Frauen.
»Jetzt wissen wir, warum es Euch untersagt ist, den Kreis zu betreten«, sagte Dran altklug und streckte sein gewaltiges Kinn noch weiter vor, als es ohnehin schon war.
»Wie fühlt Ihr Euch? Habt Ihr Schmerzen?« Tyy klang besorgt.
Boone tastete sich ab und sah an sich herunter. »Bis auf das Gefühl, jeden Moment niesen zu müssen, geht es mir ausgezeichnet. Wie sieht es bei dir aus, Abby?«
Bevor sie antworten konnte, nieste sie kräftig. »Beantwortet das deine Frage?«
Die Gesichter der Ten4 entspannten sich.
Nun taten die Zehn einen übertrieben großen Umweg um das runde Bodenzeichen und traten ins Freie. Tari weigerte sich, sich in die glühende Hitze zu begeben und blieb in der vergleichsweise kühlen Pilgerstätte. Die Terraner sahen die Stadt zum ersten Mal bewusst in ihrer vollen Pracht. Sie glänzte und glitzerte, dass es in den Augen schmerzte.
Erinnert mich irgendwie an Croz’ Glatze, stellte Boone insgeheim den Vergleich an und schmunzelte.
Für einen Moment vergaßen sie die enorme Hitze, der sie im Freien ausgesetzt waren.
»Meins, meins, alles meins!« Boones Augen leuchteten fasziniert. Er war der Meinung, dass es Zeit für Schabernack war. Er biss in den Zeigefinger von einer der Statuen - so wie es im wilden Westen der Erde üblich war, in eine Goldmünze zu beißen, um zu testen, ob das Material auch echt war.
Quinn seufzte nur. »Mel, der Apparat«, erinnerte sie ihn. »Es warten einige Knöpfe auf dich, die von dir gedrückt werden wollen. Ich würde mich an Deiner Stelle sputen, denn es gibt nicht sehr viel, das sich freiwillig von dir drücken lässt.«
»Tari schon«, sagte er, gab ihm einen Stups auf die Nase und zeigte Abby die Zunge.
Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der Apparatur. Boone betätigte einige Tasten, aber nichts geschah. Quinn versuchte es ebenfalls. Aber auch sie blieb erfolglos.
Schließlich versuchte sich jeder ein Mal an dem Gerät. Vergeblich.
Condara Tyy stand etwas abseits und grinste. »Weicht beiseite. Lasst mich das Werk verrichten«, sagte sie mit erhobener Nase. Sie betätigte eine nur ihr bekannte Tastenkombination und siehe da, drei Verschlüsse schnalzten nacheinander auf, eine metallene Abdeckung schoss empor und eine Landkarte, ähnlich Lih’Ars handlicher Karte, kam zum Vorschein. Diese Karte war in ein Rastergitter unterteilt. In einem der Quadrate blinkte es.
»Wie hat sie …?« Doch Boone unterbrach sich. »Wir sind doch die Experten. Diese Ausgefuchste.«
Tyy studierte die Karte einige Minuten. »Wenn ich das richtig deute, müssen wir noch etwa vierhundertsechzig Fars weiter nach Osten.«
Boone winkte mit der Hand ab. »Ich hatte es mir Schlimmer vorgestellt.«
»Wie gesagt, es sind vierhundertsechzig Fars. Umgerechnet in Kilometer, sind es circa zweitausenddreihundert«, klärte Throna Boone auf.
»Ach«, sagte Boone überrascht. Dann sah er zu Quinn und fasste einen Entschluss. Er nahm sie an der Hand und meinte: »Wir beiden Hübschen werden die Buggys organisieren. Ich weiß nicht, wie es mit euch steht, aber ich habe gewaltigen Kohldampf und brauche unbedingt etwas zu beißen. Da alle Essensvorräte sowie auch alle anderen Dinge in unseren fahrbaren, nicht immer zuverlässigen, oftmals beinahe todbringenden Untersätzen verweilen, will ich keine Zeit verlieren. Außerdem halte ich diese Hitze nicht aus. Und wo sind unsere Schutzanzüge? Richtig!« Er deutete mit seinem ausgestreckten Zeigefinger auf seine Kollegen. »Bei den Buggys.«
So machten sich die beiden Terraner auf zu ihren fahrbaren Untersätzen.
Das einzige, das ihnen Schutz vor der brütenden Hitze bot, waren ihre Kleidung und Teile von Yadoos und Condaras Umhängen, die sie abgetrennt hatten, um ihre Köpfe vor der direkten Sonneneinstrahlung zu schützen.
»Schaffst du die paar hundert Meter noch, Abby?«, fragte Boone besorgt, als er den erschöpften Ausdruck in ihrem roten, schweißüberströmten Gesicht sah.
Nach kurzem Zögern schenkte sie ihm ein liebevolles, wenn auch angestrengtes Lächeln und antwortete zaghaft: »Die kurze Strecke werde ich schaffen. Danke, dass du gefragt hast.«
Er ging näher an sie heran, denn es hatte den Anschein, als bräche sie jeden Moment zusammen. Er legte ihren Arm auf seine Schulter und seine Hand um ihre Hüfte, um sie zu stützen. Der dankbare, herzliche Blick verlieh ihm ungeahnte Kraftreserven und genügte ihm, um zu wissen, dass sie seine Bemühungen unter diesen Umständen sehr zu schätzen wusste, da es ihm nicht viel besser ging.
∞ ∞ ∞
»Ich hoffe, sie beeilen sich. Die Hitze ist unerträglich«, keuchte Celáhr Dran. Er fächerte sich mit der einen Hand Luft zu und mit der anderen schützte er seine Augen trotz Schutzbrille vor der Sonne.
Der schwarzhäutige Creen Yadoo Throna, dem die Hitze nichts ausmachte, drehte sich zu ihm um und entgegnete schroff: »Wenn es dir zu lange dauert, frage ich mich, warum du nicht an ihrer Stelle gegangen bist. Außerdem kannst du - wie die anderen - es Tari gleich machen und dich in die Shakar begeben. Dort ist es wesentlich kühler.«
»Das könnte ich, aber mir ist dieser Ort unheimlich. Ich möchte nicht aus Versehen einen falschen Schritt tun und auch von diesem Strahl getroffen werden.«
Erhitzt - nicht von der Sonne - sondern über die Äußerung des Gidaners, kam Throna drohend nahe und übte sich in Beherrschung: »Dies ist eine heilige Pilgerstätte, die auf unserer Welt hoch angesehen ist. Es ist für uns eine Ehre, diesen Ort mit Ehrfurcht betreten zu dürfen. Zudem haben Mel und Abigail keinerlei Schäden davongetragen.«
»Schon gut, schon gut.« Er hob seine Hände und begab sich widerwillig in den Tempel.
Einstweilen untersuchten die beiden Creen immer noch diesen wegweisenden Apparat. Condara Tyy verschwand unter dem Gerät und versuchte herauszufinden, welche Energiequelle es speiste. Da fiel plötzlich ein Teil der Verschalung direkt auf Tyys Nase.
Erschrocken, aber unverletzt nahm sie den Gegenstand und stand auf. Sie zeigte es ihrem Kollegen. Er musterte den Gegenstand und glaubte zu wissen, was es war.
Er ging zu seinen wartenden Freunden. »Dürfte ich Euch bitten, die Shakar für einen Moment zu verlassen«, bat er. Thronas Stimme hallte in das Gebäude.
»In die Shakar hinein, aus der Shakar heraus, in die Shakar hinein, aus der Shakar heraus. Hoffentlich habt Ihr Euch bald entschieden?«, grummelte Dran in sich hinein, der die Shakar auf Thronas Anraten, gerade erst betreten hatte.
Ohne Fragen zu stellen, kamen sie der Bitte nach.
Er forderte sie auch auf, das Plateau der Stadt zu verlassen. Auch das taten sie, ohne zu zögern. Als sie am Rande der Stadt standen, betätigte Throna einige Tasten des Geräts, das zuvor Bekanntschaft mit Tyys Nase gemacht hatte.
Der Boden begann - wie schon so oft - zu vibrieren. Sand wirbelte auf. Inmitten des Getöses versank die Stadt langsam im Boden. Ihre Blicke verharrten dort, wo soeben noch die Stadt emporragte. Allmählich drehten sich die Köpfe zu dem Creen. Sie waren derart perplex, dass keiner etwas zu sagen vermochte. Sie wussten nicht, ob ihnen gefiel, was sie gerade miterlebten, oder ob sie entsetzt sein sollten über den Verlust des Schatten spendenden Ortes. Vor ihnen war nichts mehr zu sehen außer weites, braches und sandiges Gebiet.
»Keine Angst, Freunde, sie ist nicht für immer verschwunden. Ich wollte nur eine Theorie überprüfen. Condara hat eine Fernbedienung für diese Stadt gefunden. Eine Bedienung, die sicherstellen soll, dass dieser Ort zu jeder Zeit versteckt werden kann. Eine tragbare Schutzvorrichtung, wenn man so sagen möchte.«
»Ich bin beeindruckt, Yadoo«, meldete Dran ganz und gar nicht beeindruckt. »Würdest du dein Zaubergerät nun dazu benutzen, die Stadt wieder erscheinen zu lassen?«
»Natürlich, entschuldigt.« Throna tippte wieder auf einige Knöpfe und… »Wartet. In der Ruhe liegt die Kraft«, sagte er nervös. »Hier noch die Taste und diese hier … so«, murmelte er fortwährend. Doch immer noch rührte sich nichts. Jetzt begann sogar der Creen zu schwitzen, den die Sonne kaum beeindrucken konnte.
»Nun? Wir warten«, sagte Bras vom Haus der Dritten, Uco’Nephty, ungeduldig und wischte sich die Nässe von seiner blauvioletten, schweißfunkelnden Stirn. Selbst durch seine geschlitzten Augen konnte man das Smaragdgrün, erhellt durch die Sonne, deutlich erkennen.
»Einen Augenblick Geduld.« Er klopfte einmal kräftig gegen die Bedienung. Schon tauchte die Stadt wieder auf. »Wer behauptet, dass man mit Gewalt nichts bewegen könnte?« Erleichtert verfolgte er, wie die Stadt sich empor drückte. Der Sand rieselte von den unterschiedlichen Konstrukten herab, wie es Wasser getan hätte, wäre es aus dem Meer aufgetaucht.
∞ ∞ ∞
Mittlerweile war Boone gezwungen, seine Kollegin zu tragen, da ihre Kräfte sie verlassen hatten. Mit großer Anstrengung stöhnte er: »Abby … wir sind da. Wir haben es … geschafft.« Sie reagierte nicht.
Da sie zu Fuß unterwegs waren und die Buggys in der Schlucht am Eingang der Höhle standen, musste der Terraner seine ausgelaugte Begleiterin und sich mit einer Seilvorrichtung rasch in die Tiefe hinablassen.
Unten angekommen, legte er sie in den Buggy und setzte sich daneben. Er ruhte sich einige Augenblicke aus, um wieder zu Atem zu kommen. In der wesentlich kühleren Höhle kam er einigermaßen zu Kräften. Das Erste, das er tat, war, seiner reglosen Kollegin Wasser einzuflößen. Schluck für Schluck. Dann benetzte er seine eigenen Lippen. Er tauchte ein Stück Stoff in das kühle Nass und betupfte damit Quinns Gesicht, bis sie wieder zu sich kam.
Sie öffnete ihre verklebten Augen. »Wo sind wir?«, fragte sie heiser. Ihre Sicht war verschleiert.
»Wir sind in der Höhle bei den Buggys. Einer der beiden wäre mir beinahe um den Hals gefallen, so sehr hat er sich gefreut, uns wieder zu sehen«, scherzte er, um sie schneller in die Realität zurückzuholen.
Eine halbe Stunde später war sie wieder bei vollem Bewusstsein. Während sie in ihre Schutzanzüge schlüpften, aßen sie einen kleinen Happen zur Stärkung und machten sich daran, die Buggys von Teilen des eingestürzten Tunnels freizubekommen. Befreit vom Geröll, brachten sie die zerbeulten Buggys über die Steinrampe aus der Höhle. Mit integrierten Seilwinden brachten sie die Fahrzeuge aus der Schlucht. Boone sah, an der Wand hängend, nach unten. Bin ich froh, dass ich alleine in dem Buggy sitze.
Als sie oben angekommen waren, brach die Winde von Quinns Buggy einfach ab. Fünf Sekunden früher und sie wäre ungebremst zurück in die Tiefe gestürzt und zerschellt. Sie kommentierten den ungeahnten Verlust mit zueinander gerichteten großen Augen und hochgezogenen Brauen. Zeitgleich schluckten sie ihre Gedanken hinunter, die in ihren Köpfen zeigten, was hätte Schreckliches passieren können.
Ohne weiteren Aufenthalt machten sie sich auf den Weg zurück in die Stadt – diesmal ohne Wettfahrt.
∞ ∞ ∞
In der besagten Platin-Stadt keuchten und schwitzten die Wartenden im Tempel. Nur die beiden Creen ließ die Hitze kalt. Sie besichtigten immer noch die faszinierenden Gebäude.
Das lärmende Motorengeräusch aus weiter Ferne klang in den Ohren der Wartenden wie erlösender Engelsgesang. Das Leiden hatte in Kürze ein Ende.
Nachdem sie ihre Schutzanzüge angelegt hatten, zeigte Throna den beiden Terranern ihre Entdeckung.
»Mit dieser Fernbedienung ist es möglich, die Stadt im Sandboden verschwinden zu lassen«, erklärte er. »Eine Vorsichtsmaßnahme, wie ich vermute.«
»Interessant.« Boone sah sich die Fernbedienung an. »Da waren wohl einige clevere Bürschchen am Werk.«
Das Einzige, das Throna darauf antwortete, war: »Es waren Creen.«
Tyy nahm das Gerät an sich. »Die Bedienung ist auch für andere Zwecke bestimmt«, war sie überzeugt. »Nur ist mir noch unklar, für welche.«
Die Ausflügler machten sich etwas zu essen und suchten trotz der Schutzanzüge aus reiner Bequemlichkeit die kühlere Pilgerstätte auf.
»Gestatten es die Oberen, Nahrung in der Pilgerstätte zu sich zu nehmen«, fragte Celáhr Dran ironisch, »oder entweihen wir durch diese Freveltat den Tempel?«
Bras schnaubte durch die Nase und knurrte: »Respektloser Trogg!«, ohne sich die Mühe zu machen, sich zu ihm zu drehen.
Dran fuhr herum und funkelte den Alesstri wütend an. Sein spitzes Kinn bebte. »Mich mit einem stinkenden kleinen Sechsbeiner zu vergleichen, ist wohl der Gipfel an Impertinenz!«
»Der Schmerz der Wahrheit kann tief reichen, nicht wahr?«, antwortete der Alesstri, zuckte gleichgültig mit der Schulter und aß unbeeindruckt den ersten Happen.
Bevor Dran aufstehen und kontern konnte, nahm die dunkelhäutige Tyy ihre Essensration und sagte: »Im Shakar ist es gestattet, Nahrung zu sich zu nehmen. Jegliche Art der Stärkung, sei es durch Meditation oder durch Auftanken seiner Energien oder auch durch Nahrungsaufnahme. Nicht gestattet sind Auseinandersetzungen jeglicher Art!«
Anúa Sora beobachtete das Shantari-Männchen. Die Hitze bekam ihm nicht. Tari lag - alle viere von sich gestreckt und flach wie eine Flunder - auf dem halbwegs kühlen Steinboden. Er atmete flach und schwer. Das Tier war das Klima auf Aroias Oberfläche einfach nicht gewohnt. »Mel«, rief sie nach dem Terraner, der gerade im Begriff war, sich den ersten Bissen seiner Ration in den Mund zu schieben, »ich hätte einen Vorschlag, der einen unserer Begleiter betrifft.« Obwohl er beim Essen, einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, gestört wurde, horchte er interessiert auf. »Wie du siehst, kommen wir durch unsere Schutzanzüge gut mit den Klimaverhältnissen zurecht. Aber einer von uns hat Probleme, da er keinen Anzug trägt.«
Boone verstand sie falsch. »Yadoo benötigt keinen Anzug. Außerdem kann er einen anlegen, wenn ihm danach ist.«
»Ich glaube du missverstehst mich. Ich meinte nicht Yadoo. Ich spreche von Tari.« Soras diamantene Augen sahen ihn mitleidig an. »Er bekommt kaum Luft. Wenn wir uns auf den Weg machen, befürchte ich, wird er es nicht überstehen. Er ist das Leben in den Höhlen gewohnt.«
Boone legte das Essen aus der Hand. »Was schlägst du vor? Soll ich vielleicht das kleine Ding in einen unserer Anzüge stecken? Ich denke nicht, dass es ihm darin gefallen wird.«
»Ich dachte mir, da du ein so begabter Techniker bist und alles fabrizieren kannst, dass du auch einen Schutzanzug für Tari entwerfen könntest.« Sie blinzelte ihn bittend an.
»Sehe ich aus wie ein Schneider?« Insgeheim dachte er bereits über eine Idee nach. Das musste Anúa aber nicht unbedingt wissen, sonst könnte sie noch glauben, es läge ihm etwas an der pelzigen Ratte. »Wie stellst du dir das vor?«
»Ich bin sicher, dass dir etwas einfällt, das dem kleinen liebenswürdigen Tierchen helfen wird, Mel«, beschwichtigte sie ihn mit Nachdruck.
Überredet vom Gemisch des mitleiderregenden Blickes und den passenden Worten, verließ Boone den Tempel, nachdem er sich den Mund mit Essen vollgestopft hatte, um wenigstens irgendetwas von seinem Essen zu haben.
Zwei Stunden später kam er zurück. Tari sah ihn und sprang gleich wieder auf seine Schulter.
»Genau dich habe ich gesucht, mein lästiger kleiner Freund. Schau her, was ich für dich habe.« Er kleidete ihn mit einem Mini-Schutzanzug ein, der beinahe genau so aussah, wie die der Mannschaft, nur an Taris Größe angepasst. »Seht her«, sagte Boone und drehte sich zu den anderen. »Darf ich vorstellen: Besatzungsmitglied número once – elf, seines Zeichens Fähnrich Tari. Er trägt die neueste Mode aus der Frühjahrs-/ Sommerkollektion Boonidiseños.«
Gleich kamen die Damen herbeigeeilt und bewunderten den Kleinen gebührend.
Doch lange konnten sie ihn nicht seiner neuen Kleidung würdigen, da er wie ein magnetischer Gummiball zurück auf Boones Schulter sprang. Er umfasste den Hals mit seinen kleinen geschickten, nun im Anzug verpackte, Pfoten.
Nach einigen Stunde der Ruhe und neu gestärkt, begaben sie sich zu den Buggys.
Zum ersten Mal konnten Boone und Quinn miterleben, wie Throna die Platin-Stadt verschwinden ließ.
»Die Fernbedienung begleitet uns. Man kann nie wissen, wofür wir sie noch brauchen.«
Sie nahmen ihre Plätze ein, und die Reise wurde fortgesetzt.
Viele Kilometer weiter stießen sie auf ein Hindernis, das nicht so leicht zu überwinden war.
»Wie viel Zeit bleibt uns noch, bis uns der Sandsturm erreicht hat?«, fragte der graue Farbwandler Carsi Wops nervös.
»Bei gleichbleibender Geschwindigkeit, noch etwa fünf Minuten«, antwortete Bras, der seine schlaue Landkarte befragte, auf der die Bewegung des Sturmes deutlich zu erkennen war.
»Sollten wir nicht versuchen, dem Sturm zu entkommen oder auszuweichen?«, fragte Wops immer unruhiger. Er konnte den Blick von Bras’ Karte nicht abwenden und sah, wie schnell sich die Gefahr näherte.
Boone deutete ihm mit der Hand einen Moment zu warten und kontrollierte seine Fahrzeugkonsole, die ein kleines Radargerät integriert hatte. Er versuchte, einen Kurs zu errechnen, der um den Sandsturm herumführte. Bras tat dasselbe auf seiner Karte. Beide kamen zu dem Ergebnis, dass die Zeit nicht reichte, um dem Sturm zu entkommen. Der Umfang war einfach zu gewaltig. Umkehren war auch keine Option, da sich der Orkan schneller näherte, als die maximale Geschwindigkeit der Buggys war.
»Ich muss dich leider enttäuschen, Carsi. Wir werden gezwungen, einen kleinen Tanz mit unserem ungebetenen Freund zu veranstalten. Er ist zu groß und zu schnell. Wie ein Sprichwort auf der Erde besagt: No Risk, No Fun.«
»Berücksichtigt dein Risiko auch, dass man bei solchen Aktionen umkommen kann?«, murrte der kleine Mann.
Ein freundlicher Blick und eine Geste der Beruhigung kamen als Antwort, dann drehte Boone sich wieder um und manövrierte das Vehikel direkt in das Auge des Geschehens. Quinn folgte ihm, als wüsste sie, was er vorhatte, ohne auch nur einmal das Radar überprüft zu haben.
»In ungefähr einer Minute wird es hier ziemlich ungemütlich, meine Herrschaften«, warnte Boone. »Schnallt Euch lieber an.«
»Schnallt Euch an! Gleich wird es uns durchrütteln«, rief Quinn ihren Passagieren zu.
Wir haben absolut keinen Schutz, keine Deckung, gar nichts. Das schaffen wir nie! Halt! Abby fielen die Magnetwellen der Buggys ein. Das muss man doch irgendwie einsetzen können. Wenn wir das Magnetfeld rund um den Buggy aktivieren und mit der Zusatzenergie koppeln, könnten wir ein Schutzschild bilden, das uns von allen Seiten schützen würde. Wir müssen es einfach versuchen.
»Genau! Das Magnetfeld. Genial, Abby!«, rief er ihr zu, sah aber, dass sie schon mit dem Aufbau des Magnetfeldes beschäftigt war.
Dann nahm sie sich einen Augenblick Zeit. »Mel! Aktiviere das…«
Sie wurde von Boone unterbrochen. »Ja, ich weiß – das Magnetfeld und dann mit der Zusatzenergie koppeln. Schon dabei. Geniale Idee, Abby.«
Während sie versuchten, das Schild aufzubauen, machte ihnen der angekündigte Sturm bereits gehörig zu schaffen.
»Wir schaffen es nicht!«, schrie Boone. »Die Zeit reicht nicht aus. Der Sturm ist da.«
Und in dem Moment bauten sich beide Schutzschilde auf. Der Sturm fegte eindrucksvoll über die Buggys hinweg. Sie wurden nach links und nach rechts meterweit über den Boden geweht. Das Schutzschild wehrte die Einflüsse zufriedenstellend ab.
»Wann ist das endlich vorbei?«, dröhnte Lih’Ar. Niemand konnte sie hören.
Einige Sekunden später fand das harte Getöse ein Ende. Die Buggys rührten sich nicht mehr.
»Anscheinend ist es vorbei«, sagte Wops erleichtert, krallte sich aber weiter an seinem Sitz fest. »Ich dachte schon, wir sind erledigt. Das war ein Ritt. War das aufregend. Ich zittere immer noch. Mir geht es gut. Wie steht es um Euch?«
»Stopp! Luft holen, mein Freund«, bat ihn Bras freundlich.
»Ähm … Leute«, unterbrach Boone seine Kollegen, »seht bitte nicht aus dem Buggy.«
Natürlich taten sie genau das Gegenteil. Sie blickten aus allen Seiten des Buggys und…
Ausdrücke des Entsetzens kamen nacheinander aus allen herausgeschossen.
Dass die Leute immer das Gegenteil von dem tun, was man ihnen sagt. »Habe ich Euch nicht gesagt, dass Ihr nicht aus dem Buggy sehen sollt?«
Zeitgleich begannen die Augen der beiden Alesstri grün zu glühen.
Bras vom Haus der Dritten, Uco’Nephty, sagte: »Sieben Sekunden…«
»Okay. Keine Panik«, sagte Boone zu sich selbst. »Wir sind zu schnell und werden am Boden zerschellen.« Im selben Moment schaltete er das Schutzschild ab und aktivierte die Bremsdüsen.
Sie landeten. Es war keine sanfte Landung, doch sie überlebten und der Buggy blieb größtenteils unversehrt.
Wops schnallte sich los und tastete seinen kleinen Körper nach Verletzungen ab. Er hatte Glück. »Geschafft! Ich danke dir, Mel. Schon wieder hast du mein Leben und das der anderen gerettet.« Abschließend fiel er in Ohnmacht. Hätte er nicht seinen Schutzanzug getragen, wäre sein Gesicht im Sand gelandet.
Auch wenn ihm der Schrecken in den Gliedern saß, musste Boone schmunzeln. »Sind alle in Ordnung?« Sie nickten benommen. Er öffnete eine geräumige Lade direkt unter der Steuerkonsole. Unter neugierigen Blicken drehte er sich um. Tari saß ganz verschreckt in seinen Händen. »Unserem pelzigen Freund ist auch nichts zugestoßen. Die Damen werden sehr erleichtert sein.«
Augenblicke später durchfuhr ihn ein unerwarteter stechender Schmerz in der Bauchgegend. So stark, dass er zusammensackte und das Shantari beinahe fallen ließ. Er übergab es mit schmerzverzerrtem Gesicht an Throna. Er öffnete den Schutzanzug und schnürte sein schwarzes Lederhemd auf, um nachzusehen, welche Art der Verletzung er hatte. Erstaunlicherweise war nichts zu erkennen. Keine offene Wunde, nicht einmal ein Kratzer. Aber der Schmerz existierte. Er konnte ihn ganz deutlich fühlen.
»Deinem Gesichtsausdruck zufolge schließe ich, dass dein Wohlbefinden nicht das Beste zu sein scheint. Kann ich dir irgendwie behilflich sein?«, fragte der Creen besorgt.
Deine Beobachtungsgabe ist einmalig, dachte Boone zynisch. »Ich weiß es nicht. Ich spüre ein sehr unangenehmes Stechen … hier«, erklärte er und zeigte auf die schmerzende Stelle seitlich am Bauch.
Ohne sich zu wundern, dass er keine Verletzung sah, kam Throna näher und meinte: »Hier ist nichts, Mel.« Er legte seine mächtige Hand an die schmerzende Stelle. »Du hast Recht, ich kann deinen Schmerz fühlen, doch es ist nicht dein Schmerz.«
»Nicht mein Schmerz?«, reagierte Boone verwundert. »Das verstehe ich nicht. Wie ist das möglich?« Sollte Yadoo Recht haben … Du liebe Güte! Keiner seiner vier Begleiter war verletzt. »Die Frauen!«, entfuhr es ihm.
Vier der fünf Männer, Wops war immer noch ohnmächtig, stürmten zu ihren Kolleginnen, die circa zwanzig Meter entfernt gelandet waren. Boone tat sich schwer beim Laufen, kam nur leicht gekrümmt voran, hielt sich den Bauch, war aber trotzdem flink. Als sie bei den Frauen eintrafen, sahen sie bereits Tyy und Sora über Quinn gebeugt. Boone lief sogar an dem langen Gidaner vorbei, kam als Erster an und sah Anúa Soras blutverschmierten Hände.
»Was ist passiert?«, rief Boone aufgelöst.
»Bleib zurück, Mel«, wies Tyy ihn hektisch an. »Es geschah beim Absturz. Ein Teil der Verkleidung hatte sich gelöst und durchbohrte Quinns Unterleib. »Es wurden zum Glück keine wichtigen Organe verletzt. Es ist eine tiefe Fleischwunde, die, wenn sie ordentlich gesäubert, verarztet und mit dem Wundheilbeschleuniger behandelt wird, bald verheilt ist«, klärte sie ihre - um Quinn bangenden - Begleiter auf.
»Im Unterleib?«, fragte Boone überrascht und warf Throna einen wissenden Blick zu.
»Ja. Aber wie gesagt, es sieht schlimmer aus, als es in Wahrheit ist. Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ihn die Creen.
Während die beiden Frauen sich um Quinn kümmerten, erkundigten sich die Männer auch bei den anderen Frauen über ihren Zustand.
»Wo ist Carsi?« Natürlich hatte Akilara Siri bemerkt, dass ihr Pendant Carsi Wops, ein Farbwandler wie sie, nicht bei ihnen war. »Ist ihm etwas zugestoßen? Sagt es mir!« Sie war um ihn besorgt, wie Boone es um Quinn war, und versuchte an ihren männlichen Kollegen vorbeizulinsen. »Ihr könnt es mir ruhig sagen. Ich verkrafte es.«
Boone deutete Bras, für ihn zu antworten und ging zurück zu Abby.
»Keine Sorge, Akilara. Carsi geht es gut. Es ist nur …«, er legte einen Arm auf Siris Schulter, »er ist müde und ruht sich aus.« Er wollte dem Wops die Peinlichkeit ersparen und verschwieg somit, dass der Tospari in Ohnmacht gefallen war.
»So müde, dass er die paar Meter nicht mitgekommen ist? Das glaube ich dir nicht. Es ist ihm etwas zugestoßen.«
Celáhr Dran antwortete emotionslos: »Was der Glaskopf damit sagen wollte ist, dass dein Partner nicht müde, sondern ohnmächtig ist. Der Absturz hat ihm psychisch zu sehr zugesetzt, so dass er sich entschieden hat das Bewusstsein zu verlieren. Aber wenn du auch mir nicht glaubst, dann überzeuge dich selbst.«
Siri war bereits auf dem Weg.
»Gut gemacht, Celáhr«, hielt ihm Bras vor. »Warum glaubst du, habe ich ihr nicht erzählt, was mit Carsi los ist? Damit du es ihr erzählen kannst? Bestimmt nicht.« Er wand sich von ihm kopfschüttelnd ab.
Da Quinn noch zu schwach war, um die Reise fortzusetzen, schlugen sie ihr Lager für die bevorstehende Nacht genau dort auf, wo die Buggys gelandet waren.
»Bereitet alles für die Nacht vor. Vergesst nicht, es wird ziemlich kalt werden«, wies Boone seine Kameraden an.
Sie bauten die Zelte auf und aktivierten die integrierten Undolatoren, die das Zelt zum Leuchten brachten und gleichzeitig erwärmten.
Währenddessen nahm Boone abermals Verbindung mit der Erde auf.
»Hier spricht Mel Boone. Kann mich jemand hören?« Er wartete auf Antwort. »Kommt schon Leute, meldet Euch.«
Nach einem unangenehm lauten Rauschen ertönte eine bekannte Stimme. »Ja, ich kann Sie hören, Boone. Hier spricht Samura.«
In dem Moment, als Samuras Stimme erklang, hatte er sofort Bilder ihrer strahlendweißen Zähne im Kontrast zu ihrer dunklen kirschholzfarbenen Haut vor Augen. »Ich grüße Sie, Samura. Und auch unsere Glitzerglatze, Croz, der sicher wieder neben Ihnen steht und lauscht.«
»Glitzerglatze? Also …« Croz’ Augen glitten hoch, und er versuchte, seine eigene Glatze zu betrachten, was ihm natürlich nicht gelang. Stattdessen strich er sich darüber. Wo sind die Zeiten hin, als sie mich alle noch Commander nannten? »Sie haben Recht. Auch Professor Rewa ist hier. Erstatten Sie Bericht. Wir sind neugierig. Haben Sie gefunden, wonach Sie suchten?«
»Ich grüße auch Sie, Professor. Nicht so ganz«, zögerte er seine Antwort hinaus. »Die angegebenen Koordinaten des Standortes waren inkorrekt. Genauer gesagt, um gut 2300 Kilometer daneben.« Er schilderte die Vorkommnisse detailreich. »… und da Abbys Verletzung sie sehr geschwächt hat, schlagen wir gerade unser Lager auf und setzen unsere Reise morgen früh fort.«
»Ich verstehe«, gab Samura zurück. »Wir sind froh, dass die Folgen des Sturms nicht mehr Schaden verursacht haben.« Man hörte die ehrliche Erleichterung in ihren Worten. »Sehen Sie zu, dass Quinns Wunde gut verheilt. Versuchen Sie, sie so gut es geht, zu schonen.«
»Wir tun unser Bestes, Doktor.«
»Davon bin ich überzeugt. Passen Sie auf sich auf.«
»Verstanden. Halten Sie uns die Daumen und sagen Sie dem Professor, dass wir unsere Mission erfüllen werden, und sein Sasa soll auch weiterhin die Augen offen halten«, waren Boones letzte Worte.