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Hypostase 1

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Schweissgebadet wachte ich auf, hörte nur noch mein Herz pochen, das schweissnasse Hemd klebte mir am Rücken, die Uhr zeigte kurz nach Mit­ternacht. Mein Hals war ausgetrocknet. Wiederkehrende Alb­träu­me sind eine der kleinen Rechnungen, die man als Mörder erhält. Oft schon wurde ein solcher gefragt, wie er sich während und nach seiner Tat gefühlt hatte. Eine ebenso verständliche wie unsinnige Frage. Die Antwort muss wirr, widersprüchlich und fragwürdig erscheinen – denn so erlebt er das auch.

Alles wegen des Mords, dachte ich. Er war es, er will mich töten, sich an mir rächen. Er lässt mich nicht in Ruhe, nie mehr. Er will, dass ich leide. Das hält ihn am Leben.

Am Leben? So ein Unsinn! Er war ja tot.

Warum hatte ich keinen Krankenwagen geholt? Aber er war doch schon tot. Sicher? Es gibt Menschen die überleben schwerste Verletzungen, wenn man ihnen sofort hilft. Scheisse!

Wasser, ich brauchte Wasser.

Mühsam stand ich auf, die Glieder schmerzten wie bei einer schweren Erkältung. Ich schleppte mich ins Bad und beugte mich vor, um zu trinken. Dass ich kein Glas benutz­te, war eine meiner hässlichen Angewohnheiten, die mir auch meine Exfreundin nicht hatte austreiben kön­nen.

Ich wusch mir mein Gesicht, wagte aber nicht, in den Spiegel zu schauen. Ob das wieder normal würde, ob ich irgendwann wieder in den Spiegel würde sehen können?

Ich sah bestimmt scheusslich aus. Seit Wochen musste ich mich zum Essen zwingen und hatte doch nichts Anständiges zu mir genommen. Das Schlafengehen war ebenfalls zu einer Mutprobe geworden, jedes Mal warteten schon die Verfolger auf der anderen Seite.

Vor allen anderen er. Er liess nicht locker. Sein Bild erschien mir auch schon im Wachzustand. Er stand kerzengerade vor meinem geistigen Auge und schaute mich still und vorwurfsvoll an. Ich fühlte mich festgenagelt, und mein Körper zog sich zusammen, bis mich jeder Atemzug schmerzte. Mit jedem Atemzug sog ich einen Teil von ihm ein, bis ich ihn ganz aufgesogen hatte und die Erscheinung verschwand. Danach ein kurzer Schüttelfrost, übrig blieb ein mulmiges Gefühl, das mich die nächste Zeit begleitete.

Wie gerne hätte ich mit meinem Opfer getauscht. Es gab nichts Schrecklicheres mehr für mich als mein Gewissen, es quälte mich, warf mich von einem Gefühl ins andere. Bald sah ich nur noch einen Ausweg. Bloss: Wie es anstellen? Mich erschiessen? Aus dem Fenster springen? Mich vor einen Zug werfen? Das schien mir alles zu feige. Ich musste sterben wie mein Opfer, ich musste mich erstechen.

Entschlossen wankte ich in die Küche, nahm ein langes Küchenmesser und setzte es mir an den Hals. Ich versuchte zuzudrücken, aber die Kraft wich aus meinem Arm. Ich packte mit der zweiten Hand an und drückte die Klinge in die Haut. Dann fuhr ich mit einem Ruck durch das Fleisch.

Ein lächerlicher Kratzer war das Ergebnis, einer mehr neben den anderen, die ich mir in den letzten Tagen bereits zugefügt hatte. Dann versuchte ich, mir das Messer in den Bauch zu rammen, die ganze Szene war schon fast zu einer Art Ritual geworden, innerlich hatte ich den Selbstmord längst aufgegeben.

Heulend fiel ich auf die Knie und stach mir dabei aus Versehen in den Oberschenkel. Verzweifelt schleuderte ich das Messer in eine Ecke. Ich krümmte mich und schlug mehrmals mit dem Kopf gegen den Boden. Dieselbe Frage quälte mich immer und immer wieder: Wieso? Wieso? Wieso?

Ich krallte die Finger ins Gesicht und schrie laut auf, wenigstens erschien mir mein Schrei lange und unmenschlich, bis ich nur noch stossweise die letzte Luft aus der Lunge keuchte. Ich wollte den ganzen heissen Gestank von mir loswerden. Kurz vor dem erneuten Luftholen sog mich eine Leere von innen her auf, und ich wurde ohnmächtig.

Als ich wieder zu mir kam, blieb ich kraftlos liegen. Langsam drehte ich mich auf die Seite und zog mit Hilfe der Arme meine Knie ans Kinn. So lag ich stundenlang da, meine Gedanken stürmten wirr durcheinander und brach­ten nichts Klares hervor. Es rauschte und flimmerte alles um mich herum. Erst als die Sonne durch das Fenster direkt auf mich schien, kamen meine Kräfte langsam zurück.

Vorsichtig setzte ich mich in Bewegung. Ich stützte meine Hände auf dem Boden auf, dann zog ich mich zitternd am Tisch empor, bis ich meinen Oberkörper vornüber auf die Tischplatte legen und mich dann mit einer leichten Drehung in den Stuhl fallen lassen konnte. So ruhte ich eine Weile aus, bis ich die Kraft fand, um aufzustehen. Schliesslich schaffte ich es zum Wasserhahn. Das kalte Wasser befreite mich aus meinem Loch.

Jetzt durfte ich bereits daran denken, was als Nächstes zu tun war. Ich musste wieder mal was Richtiges essen. Ein Blick in den Kühlschrank war überflüssig, ich beschloss, mich anzuziehen und im Imbiss gegenüber etwas zu verdrücken.

Die frische Luft erfüllte mich mit neuem Leben. Fast fröhlich überquerte ich die Strasse und trat an die Theke, dann setzte ich mich mit einem Hotdog in einen der Plastikstühle. Einige schauten mich merkwürdig an, aber das war im Augenblick unwichtig, ich biss frohgemut zu. Erst als es ans Schlucken ging, war mein Appetit mit einem Schlag vorbei. Der Bissen fühlte sich im Magen wie ein klebriger Fremdkörper an. Mir wurde übel, mein Magen verkrampfte sich, und ich erbrach mich über den Tisch und vor die Füsse eines wenig anmutig wirkenden Bauarbeiters. Mit einer hastigen Bewegung als eine Art Entschuldigung erhob ich mich und räumte das Feld, den Hotdog hatte ich zu Boden fallen lassen.

Wieder hatte ich nichts gegessen. Mit weichen Knien wankte ich durch die Strassen, in denen sich die Sommerhitze staute. Wieder verlor ich mich in wilden Gedanken, mein Gesicht zuckte nervös.

Dann sah ich die Schlagzeile: Todesmetzger gefasst! Darunter war das schlecht unkenntlich gemachte Porträt eines Mannes zu sehen, das fast die ganze Titelseite füllte. Mit vorgeschobenem Kopf ging ich ungläubig hin. Der Bericht zum Bild befand sich erst auf den nachfolgenden ­Seiten, also verlangte ich von der Verkäuferin die Zeitung, schlug sie auf und hastete durch die Sätze, die Verkäuferin musste mit Nachdruck das Geld verlangen, ich warf ihr etwas hin, nicht genug, noch etwas, so sehr war ich in den Text vertieft.

Sie hatten ihn geschnappt! Aber wen denn eigentlich? Ich war ja der Gesuchte! Wen konnten sie da eingesperrt haben? Dringender Tatverdacht … noch nicht geständig … kein Alibi … ist das Motiv Geld? … Fast war ich selber von der Schuld des Verhafteten überzeugt. Wie konnten sie einen Unschuldigen unter dringendem Tatverdacht in­haftieren? Egal, endlich konnte ich mich entspannen.

Durfte ich das?

Die Suche würde jetzt sicherlich nicht mehr so intensiv weitergeführt werden. Ich hatte es geschafft. Mit einem tiefen Aufatmen lehnte ich mich an den Kiosk und liess die Arme mit der Zeitung sinken. Eine Polizeisirene schreckte mich auf, aber im nächsten Moment fasste ich mich. Ich konnte ja beruhigt sein.

Seit der Tat hatte mich jede Sirene in Alarmbereitschaft versetzt, obwohl ich wusste, dass ich keinerlei Spuren oder Anhaltspunkte hinterlassen hatte, durch die sie auf mich hätten kommen können. Jetzt war dies alles auf einen Schlag vorbei. Ich konnte mir zwar noch immer nicht erklären, wie ein Unschuldiger unter dringendem Tatverdacht stehen konnte, aber das kümmerte mich nun herzlich wenig. Hauptsache, ich hatte meine Ruhe und konnte einen Neuanfang planen.

Ich stiess mich vom Kiosk ab und schlenderte durch die Stadt. Mehrmals hatte ich mir durch einen Blick in die Zeitung Genugtuung verschafft. Schliesslich warf ich sie in hohem Bogen über eine Mauer. Ich hatte mich von der Echtheit überzeugt. Zum ersten Mal wagte ich wieder über die nächsten fünf Minuten hinauszudenken.

Zuerst, überlegte ich, musste ich einen Job finden. Egal was, nur nicht wieder irgendein Experiment als Selbständiger. Aber vor allem musste ich dringend etwas essen. Ich setzte mich ins nächste Restaurant und bestellte ein sattes Mahl. Der hohe Preis störte mich nicht im Geringsten, er spornte mich eher zu einem doppelten Appetit an.

Mit dem letzten Bissen lehnte ich mich zurück und bestellte mir einen guten Wein. Jetzt interessierte ich mich auch wieder für die Menschen um mich herum. Meine Gedanken beruhigten, mein Gesicht entspannte sich.

Sie hatten also den Falschen geschnappt, und ich, der Mörder, sass gemütlich in einem Wirtshaus und schlug sich den Wanst voll. Da soll einer die Welt verstehen.

Als ich nach dem dritten Glas Wein eine wohlige Wär­me meinen Körper durchströmen fühlte, beschloss ich, nach Hause zu gehen. Voller Elan machte ich mich auf den Weg, aber plötzlich wurde ich müde, die Müdigkeit wurde immer grösser, und die letzten Treppenstufen schienen mir einen halben Meter hoch zu sein. Eine Weile versuchte ich, die Tür aufzuschliessen, bis ich merkte, dass ich sie mittags gar nicht abgeschlossen hatte. In der Wohnung erbrach ich mein üppiges Mahl, liess mich ins Bett fallen und versank mit einem angenehmen Kribbeln in den Gliedern in einen tiefen Schlaf.

Im Knast

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