Читать книгу Im Knast - Simon Volkart - Страница 7
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ОглавлениеAm nächsten Tag wollte ich raus, irgendwohin. Auf dem letzten Treppenabsatz fiel mir ein, dass ich erneut die Wohnungstür zu schliessen vergessen hatte, aber es war mir egal. Ich setzte mich zuhinterst in einen Bus und überliess mich meinen sprunghaften Gedanken.
Dann spürte ich zwei Augen auf mir. Schräg gegenüber sass eine junge Frau, ungefähr in meinem Alter. Ich blickte sie direkt an. Sie schaute zunächst erfreut zurück. Ich verstand nicht wieso, aber dies löste in mir einen unbändigen Zorn aus, den ich sie spüren lassen wollte.
Ich starrte sie mit aller Kraft an und genoss die aufsteigende Beklommenheit in ihren Augen. Verlegen wich sie meinem Blick aus, ich aber liess nicht locker und starrte nur umso intensiver auf sie. Sie bemerkte es, wich weiterem Blickkontakt aus, lachte vor lauter Unsicherheit einmal stumm auf. Ich starrte und starrte, unbarmherzig drückte ich sie mit meinen Augen in den Sessel, liess sie nicht mehr los, selbst das Atmen fiel ihr schwer, die Angst schien ihr die Kehle zuzuschnüren, und sie schien nicht aufstehen zu können. Ihre Augen suchten verzweifelt nach einem Ausweg, während ich sie immer eindringlicher durchbohrte, ich hatte bemerkt, dass sie schon hätte aussteigen müssen, aber sie fürchtete wohl, ich würde ihr folgen. Immer wieder streifte sie mich mit einem flüchtigen Blick, um zu sehen, ob ich noch schaute.
Ich wollte sie meine Macht spüren lassen. Ich bin ein Mörder. Ich habe Macht und brauche mich vor niemandem zu fürchten. Ich kann machen, was ich will.
Da drängten sich mehrere Personen zwischen mich und mein Opfer, sie sah ihre Chance gekommen, stand schnell auf und zwängte sich aus dem Bus.
An der Endstation stieg ich aus. Ich blickte mich um, wusste nicht, was ich hier wollte und stieg in den nächsten Bus zurück. Ich dachte an die verängstigte junge Frau. Plötzlich überkam mich Scham, die Röte stieg mir ins Gesicht, mir wurde bang und heiss. Wie hatte ich nur so brutal sein können! Wie hatte mich die Gewalt derart übermannt? Zum ersten Mal in meinem Leben ängstigte mich die Vorstellung, gefährlich zu sein, wirklich gefährlich.
Dann tat ich das Ganze wieder ab. Der jungen Frau war ja nichts passiert, sie war am Leben und konnte sich von ihrer Begegnung erholen.
Aber genau das war der Punkt, sie musste sich von der Begegnung mit mir erholen. Ich hatte nicht einmal etwas Konkretes getan, es war nur eine oberflächliche Begegnung – und trotzdem. Was würde ich erst im engeren Kontakt anrichten?
In meinem Kopf begann es zu rauschen, ich hörte unverständliches Flüstern, dann wieder fernes Rauschen wie unter Wasser, immer neue, unbrauchbare Gedankenfetzen schwirrten mir durch den Kopf, ich sah durch die Menschen hindurch, meine Gedanken verhedderten sich: Bänke, Mauern, Steine, Fenster, die ganze Wirklichkeit wurde zu einem Wirrsinn aus Nichts …
Während ich so abgeschnitten von der Umwelt dasass, stieg eine Frau mit einem Kleinkind im Arm ein. Ich sass erneut auf der hintersten Bank. Die Frau setzte sich mit dem Rücken zu mir, der Säugling blickte über ihre Schulter in meine Richtung. Obwohl ein Säuglingsblick meist von verschwommener Abgehobenheit zu sein scheint, fingen mich die Augen des Babys ein. Sie waren gleichsam mein rettender Notausgang zurück in die Realität. Ohne jeglichen Argwohn oder Vorwurf zogen sie mich zu sich. Die Gedanken in meinem Kopf wurden klar, alles Überflüssige fiel ab, und es kristallisierte sich ein trauriger Gedanke heraus: Was wird wohl aus dir werden? Ich war auch einmal ein unschuldiges Kind wie du, sieh mich jetzt an … So reine Augen hatte ich früher auch, und jetzt wage ich nicht einmal, mich im Spiegel anzuschauen. Was wird mit der Welt sein, wenn du so alt bist wie ich, wird sie überhaupt noch existieren, wo wirst du dann stehen?
Das Kind schaute mich weiterhin an. Seine Augen antworteten mir: Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut.
Ich fing zu weinen an, still und in mich hinein, in einer Welt, in der es nur mich und diese tröstenden Kinderaugen gab und meine Tat, die mein Herz erdrückte. Ich fühlte eine warme, tragende Reue aufsteigen, die meinen Körper leicht machte. Einige Augenblicke setzte meine Atmung aus, mein Herz stand still, ich existierte nur noch im Innern des Kindes, so sehr wünschte ich, mit diesem Kind zu tauschen, mein Leben noch einmal zu beginnen, es diesmal richtig zu machen.
Ich fühlte mich zutiefst einsam. Wie froh wäre ich gewesen, ein Arschloch zu sein, alles, nur kein Mörder. Ein Arschloch findet vielleicht jemanden, der ihn mag oder gar liebt, aber ich … ich fühlte mich von der Gesellschaft abgeschnitten.
So plötzlich, wie die Vision über mich gekommen war, verschwand sie wieder. Die Frau war aufgestanden und ausgestiegen.
Es hat ja gar nicht mit mir gesprochen, es hat mich womöglich gar nicht richtig sehen können, da das Sehvermögen von Kleinkindern noch nicht richtig ausgereift ist, wie die Früchte und Früchtchen, auch die müssen reifen, oder waren es Frettchen im Bettchen, alles, was sich reimt, ist gut, müde Leute sollen ins Bett, schlafen gehen, aber es ist erst Mittag, jedenfalls hell, ein Mittagsschlaf senkt das Krebsrisiko, und man lebt länger, im Schlaf wächst man, und das braucht man zum Reifen, Reifen oder Pneu, sagen sie heute, morgen eventualisieren sie es bestimmt wieder und dann noch einmal, wer weiss … Vielleicht war ja doch alles nur ein Traum …?
Schon wieder! Du Idiot, bekloppter, es ist kein Traum, es ist … kein Traum!, entfuhr es mir unwillkürlich laut, und während ich mich duckte, schnellten meine Augen nervös von einer Person zur anderen, dann stieg ich aus, machte mich auf den Weg nach Hause.
Dann überkam mich die Lust, mein Lieblingsplätzchen, eine Bank im Park, aufzusuchen, die ganz in der Nähe war … oder war die Bank aus meinem Albtraum und gar nicht wirklich?
Es war schon dunkel geworden, plötzlich sah ich mich von vier Gestalten umringt. Ich konnte sie nicht richtig erkennen, sie waren dunkel angezogen, Teenager, noch nicht zwanzig, in meinem Alter ungefähr.
Einer von ihnen trat einen halben Schritt vor, ich sah ein Messer in seiner Hand. Eine gewollt feste Stimme forderte Geld von mir.
Dem Messer zum Trotz blieb ich die Ruhe selbst und sagte lapidar, für sie hätte ich keines, sie sollten jemand anderen fragen.
Nun schrie die Stimme, was heisse hier fragen, ob ich das Messer nicht sähe, ob ich einen Kaiserschnitt wolle und dergleichen mehr. Ich staunte selber über meine eiskalte Ruhe, aber ich war an einem Punkt angelangt, an dem mir alles egal war. Ich trat einen Schritt vor, sodass ich die Messerspitze deutlich an meinem Bauch spürte, sah dem Angreifer fest in die Augen und warnte mit ruhiger Stimme, sie seien nur zu viert. Ich warf auf die anderen drei einen kurzen Blick, sie waren alle auf Armlänge herangerückt. Dann sah ich wieder den Messerträger an, trat noch einen Schritt vor und stiess dabei mit meinem Bauch das Messer zurück. Als der Messerträger merkte, wie sein Arm dem Druck nachgab, war es auch um den letzten Rest Mut geschehen, und er wandte sich mit einem Ruck um und stürmte, von seinen Mitstreitern gefolgt, davon.
Ich blickte in die dunkle Gasse. Plötzlich wurde mir mulmig, und ich lief los, seltsam berauscht eilte ich nach Hause. Es war das Gefühl von Angst, das mir abhanden gekommen war. Und schockartig realisierte ich die Dummheit meiner Handlung.