Читать книгу Festspielschmaus - Simone Guggemos - Страница 8
Kapitel 3
ОглавлениеSchon am nächsten Tag saß das Ensemble erneut im Probenraum. Diesmal war es amtlich: Die neuen Gesellschafter und Investoren würden das Musical kaufen.
Bellini erklärte dem Ensemble die Details. »Liebe Freunde, es ist endgültig aus. Der Eigentümer hat sich zum Verkauf entschlossen. Wir werden diesen Monat noch nach Plan spielen, dann ist Schluss. Die neuen Besitzer Wolf und Vogler übernehmen keinen von euch.«
»Wolf!«, rief Wackerl dazwischen. »Der Name fiel doch schon einmal.«
»Ja«, meinte auch Rosl, »im Zusammenhang mit Fischbach und den Plänen, die Thomas in Fischbachs Büro gesehen hatte.«
»Der neue Eigentümer Wolf und Herr Fischbach werden doch nicht unter einer Decke stecken«, kam Sissi ein Geistesblitz. Ich bellte.
Bellini dachte nach, schien aber zu keinem sinnvollen Ergebnis zu kommen und fuhr damit fort, die Fakten weiter zu klären. »Sie haben sich das Stück mehrmals angesehen. Doch, wartet mal, den Hund, den Ludwig wollen sie als Publikumsmagnet, weil Tiere immer gut ankommen. Sie werden mit dir noch extra reden, Sissi, wegen Vergütung und so. Ich kann euch allen aber nicht versprechen, ob ihr diesen Monat noch euer volles Gehalt bezieht. Der Eigentümer wollte seinen Verlust so gering wie möglich halten, durch den Verkauf ist er fein raus. Was mit uns passiert, war ihm egal.« Bellini schien untröstlich.
Auch Wackerl: »Des goht doch it. Mir hand doch oh eisre Fixkoschte. Aber für unser Musical verzichte ich auch auf einen Teil, wenn es das Stück rettet.«
»Ich fürchte, dafür ist es jetzt zu spät, aber ich weiß, dass auch ihr sehr an unserem Stück hängt. Und dass ihr dafür auf Geld verzichten würdet, ehrt euch.«
»Da läuft doch ein krummes Ding, warum übernehmen die uns nicht? Und wie kann der Wolf schon so schnell ein neues Team zusammenhaben?«, fragte Rosl.
»Dann hatte der Thomas also recht und die wollen das Ganze ganz anders aufziehen«, mutmaßte ein anderer Schauspieler.
»Warum sagt uns der Eigentümer das nicht persönlich?«, fragte eine Schauspielerin.
»Weil er ein feiger Kerl ist«, rief ein anderer dazwischen.
»Er hat mich in meiner Funktion als Regisseur und als euer Vertrauensmann damit beauftragt«, versuchte Bellini, sein Ensemble zu beruhigen. »Ich bin jetzt auch arbeitslos«, ergänzte er resigniert.
»Den Ludwig übernehmen sie? Ja, und den Midnight? Fällt die Schlittenszene weg?«, fragte Sissi vorsichtig, fast schon ängstlich.
»Ja, ich weiß auch nicht, wie sie den Hund einsetzen werden, aber soweit ich es gehört habe, ist das Konzept ziemlich verkitscht. Also mach dich auf etwas gefasst. Der neue Geschäftsführer Wolfgang Wolf erscheint heute ab 15 Uhr in meinem Büro, dann ist er dazu bereit, euch Rede und Antwort zu stehen.« Bellini schluckte hart. »Fischbach hat bewusste Fehlplanung betrieben! Da liefen ganz schmutzige Dinge gegen mich.«
Wie schlimm musste es für ihn sein, sein geliebtes Musical, sein Kunstwerk, sein Büro, das ganze Festspielhaus einem anderen zu überlassen?
Bellini schnäuzte sich. Dann sprach er mit verschnupfter und zitternder Stimme weiter. Er tat mir so leid. Aber ich war entschlossen zu kämpfen, für meine Seelenfreundin Sissi, für Bellinis Musical und die Kunst. Niemals mehr werden Intrigen und böse Machtspiele das Leben meiner Liebsten zerstören.
»Ihr werdet das alles in Kürze schriftlich erhalten und solltet euch dann mit euren Unterlagen beim Arbeitsamt melden.« Ehefrau Jacky legte sanft den Arm auf seine Schulter. »Es tut mir so leid, es tut so weh!« Jetzt brach der Damm, Bellinis Tränen flossen hemmungslos, er stützte sein Gesicht in die Hände und schluchzte laut mit bebenden Schultern. Jacky umarmte ihn. Einige im Ensemble weinten mit, wenngleich leise.
Natürlich konnte auch mein Frauchen sich nicht beherrschen und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie nahm mich auf den Schoß und drückte ihr Gesicht in mein Fell, sodass niemand ihre Tränen sehen konnte. »Hoffentlich können die mich wieder für die Schlossführungen brauchen, sonst wird es finanziell eng, die Wohnungsmiete, die Boxenmiete für Middy …«, erklärte mir Frauchen traurig.
Wie konnte ich ihr nur helfen? Warum musste dies so kommen? Wer hatte da die Fäden im Hintergrund gezogen? Fischbach war mit Sicherheit daran schuld, wenigstens in Teilen, weil er Interesse an der Zusammenarbeit mit dem neuen Besitzer Wolf hatte. Aber wieso hatte Bellini dies nicht durchschaut? Und wo war Thomas Gubath?
»Was ist mit der Stadt, dem Landkreis oder dem Freistaat Bayern?«, fragte die Nymphe Lilly in die Runde.
»Stimmt, die haben doch irre an uns verdient. Denkt nur, wie viel Geld die Touristen, die wegen des Musicals kommen, in die Stadtkasse gespült haben. Und die Hotels und Pensionen«, meinte Wackerl.
»Vielleicht machen wir eine Unterschriftenaktion«, warf Chantal, die schöne Halbafrikanerin, ein.
Unruhe und Hoffnung breiteten sich im Raum aus.
Bellini versuchte, das Wort zu ergreifen. »Ihr habt recht, aber mit dem Bürgermeister habe ich schon gesprochen, der Gottstein, der sture Hund, rückt nichts raus«, erklärte er desillusioniert.
»Gott, der Größte, und Stein, der Härteste«, parodierte Wackerl den oft belächelten, aber gefürchteten Satz des Bürgermeisters, der seine Stadt mit strenger Hand führte. Der meinte, er lebte noch im Mittelalter. Machte einen auf feinen Herrn, eloquent und charmant, hörte sich die Argumente an, entschied dann aber letztlich allein. Gerade bei den Damen und unkritischen Schichten der Bevölkerung kam er allerdings gut an. Sein Aussehen – Gottstein war ein großer, schlanker, dunkelhaariger Mann mit einem attraktiven Gesicht – verstärkte diese Wirkung.
Bellini erklärte weiter: »Das wäre ja unsere Rettung gewesen, wenn wir das Grundstück, auf dem unser Theater steht, hätten kaufen können, dann hätten wir mit einem Kredit die momentane geringere Auslastung ausgleichen können. Der Grund gehört aber dem Freistaat Bayern, und so bieten wir zu wenig Sicherheit.« Bellini wirkte immer deprimierter.
Die anderen redeten nun wild durcheinander, denn niemand wollte sich mit der Situation abfinden.
»Es ist kurz vor drei, ich gehe jetzt zu dem Wolf rüber, ich muss schließlich wissen, wie es mit den Tieren weitergeht«, sagte Sissi, und dann leiser zu mir: »Ludwig, wir finden heraus, wie dieser Wolf mit Fischbach zusammenhängt, das schwöre ich dir!«
Und so schlenderten wir durch das schöne Festspielhaus, den schicken grauen Gang entlang, der sich an die halbrunde Probenbühne anschmiegte und mit Premierenfotos geschmückt war, typische Theaterfotos, die Szenen aus dem Musical mit Schauspielern in Aktion zeigten. Stilvoll in Schwarz-Weiß!
Mir graute es ein wenig vor dem Wolf, der sich so pietätlos das Musical krallte und womöglich mit Fischbach kriminelle Dinge machte. Wäre er auch dazu imstande, einen Mord in Auftrag zu geben, um sein Musical zu bekommen? Sissis Gehirn arbeitete auf Hochtouren, ich konnte sie leicht durchschauen.
»Pst, sei leise und bleib hier, Ludwig«, meinte sie flüsternd.
Die Bürotür stand offen, und ich vernahm Stimmen. Wie befohlen blieb ich stehen. Eine Männer- und eine Frauenstimme sprachen angeregt miteinander und kicherten.
Wir waren etwa fünf Meter von Wolfgang Wolfs, also eigentlich Bellinis, Büro entfernt und lauschten.
Dieses aufgesetzte Kichern, das hatte nur eine. Ich lauschte weiter.
»Ja, die ziehen ganz schön lange Gesichter, die Schauspieler, da heißt es, sich eine neue Arbeit suchen«, meinte die Frauenstimme nicht ohne einen Hauch Schadenfreude.
»Mei, und des wo’s Schauspieler gibt zum Saufuadern5«, erwiderte der Mann. »Ich hab mein Team jetzt zusammen, und du hast mir ja einige gute Tipps gegeben, Sonja, danke.«
Ich konnte es nicht fassen. Die Schön steckte jetzt schon mit dem neuen Gesellschafter unter einer Decke. Ich lief los, direkt in Bellinis respektive Wolfs neues Büro. Sissi wedelte noch mit den Armen, um mich davon abzuhalten. Aber zu spät.
»Pst, der Köter«, zischte die Schön und hielt sich den Finger vor den Mund, um Wolf zu signalisieren, er solle jetzt still sein. Und so musste auch Sissi eintreten.
»Oh, Herr Wolf, ’tschuldigung, ich wollte nicht stören, da Sie eh schon Besuch haben, kann ich auch wieder gehen«, sagte Sissi diplomatisch.
»Nein, nein, äh Frau …«
»Frau Bierbichler.«
»Nein, nein, Frau Bierbichler, wir waren gerade fertig, die Frau Schön und ich. Warten Sie schon lange da draußen?«, fragte er etwas verunsichert.
»Nein, Herr Wolf, bin grad erst gekommen, nur der Hund ist schon vorgerannt, der mag Herrn Bellinis Büro, also jetzt das Ihrige, so gerne.«
Die Schön lächelte, doch verzog sie dabei nur ihren Mund, ihr Lächeln erreichte ihre Augen nicht. So verließ sie das Büro, wie immer schwarz gekleidet und mit platinblonder Kurzhaar-Punkfrisur.
Herr Wolf war ein rundlicher Mann, eigentlich ganz nett, wenn er nicht so schleimig gewirkt hätte. Umständlich bot er Sissi einen Stuhl an. Er trug einen dunkelgrauen Stresemann-Anzug, der um den Bauch herum spannte, weil sein Träger etwas fülliger war. Ein wenig zu freundlich guckte er mein Frauchen an. Ich hatte kein gutes Gefühl und setzte mich schützend vor sie.
»So, das also ist der Hund, der berühmte.« Wolf lächelte schief und guckte von mir zu Sissi.
»Ja, deswegen wollte ich mal fragen …«
»Ja, Frau Bierbichler, Sie haben es vielleicht schon gehört. Der Hund passt sehr gut in unser Konzept, das Pferd mussten wir leider streichen, auch aus finanziellen Gründen. Ich habe schon einen Vertrag aufgesetzt, meine Sekretärin macht ihn morgen noch fertig, und wenn Sie wollen, können Sie ihn dann persönlich bei mir abholen.« Wieder lächelte er zu breit und sah mein Frauchen von oben bis unten interessiert an. »Wir haben uns das so vorgestellt, dass der Hund mit in das Stück einbezogen wird und auch einige Kunststückchen macht, wie zum Beispiel Pfote geben. Das kann er doch, oder?«
»Ja, klar, der kann sehr viel. Sie müssen mir nur sagen, was Sie von uns wollen.«
Schleim nicht rum, Sissi, und glaub nicht, dass ich mich auf der Bühne zum Deppen mache! Sissi fing meinen strengen Blick auf.
»Und für Midnight, mein Pferd, sehen Sie gar keine Chance? Es ist doch so eine tolle Sache, das mit der Schlittenszene, die Zuschauer finden das super.« Sissi wollte weiterreden, doch Wolf unterbrach sie jäh.
»Nein, liebe Frau Bierbichler, ein Pferd passt wirklich nicht in unser Konzept. Aber wenn es ums Geld geht, wir finden da sicher noch etwas, wo Sie sich ein paar Scheinchen dazuverdienen können.« Er stand auf und Sissi verstand die Geste, erhob sich ebenfalls und verabschiedete sich. »Dann bis morgen um drei Uhr, Frau Bierbichler, tschüss, Hundchen.«
Ich bin kein Hundchen, du Wolf!
Schloss Neuschwanstein, 12. Juni 1886
Ich sitze allein in der zweiten Kutsche, die innen keine Handgriffe hat. Ein Oberpfleger mit dümmlichem Gesicht sitzt auf dem Bock, ein Stallbursche reitet neben mir her, um zu verhindern, dass ich fliehe. Ich kann ihn kaum noch erkennen, da die Tränen in meinen Augen nur ein verschwommenes Bild des Reiters in der Dunkelheit abgeben, so verschwommen, wie die Herrn Doktoren meinen Verstand vermuten. Ich, der Souverän, für verrückt erklärt und eingesperrt? Der stolze Adler ist gestürzt, weil sie ihm die Flügel gestutzt haben. Und jetzt demütigen sie ihn, weil er nicht mehr fliegen kann. Es ist so leicht, einen Menschen verrückt zu machen, ihn zu zerstören! Mein Fluch komme über alle, die mich verrieten.
Das Atmen fällt mir schwer. Ich denke an meinen Bruder Otto, an Wagner, meinen Freund, der mich immer verstanden hat, an meine Seelenverwandte Sissi. Könnte ich doch nur mit ihr fliehen. Ist es jetzt zu spät? Ich habe denen, die mich gewarnt haben, nicht geglaubt. Wir fahren im flotten Trab Richtung Füssen, ich höre das regelmäßige Klappern der Hufe im Zweitakt der zwei Pferde, leicht zeitlich versetzt, sehe meine geliebten Berge als wunderschöne Silhouette vor einem helleren Hintergrund, der die Morgendämmerung schon andeutet, und verabschiede mich in Gedanken von ihnen. Geliebter Säuling, adieu! Ils ne savent pas c’est qu’ils font! Sie wissen nicht, was sie tun.
Anderntags saßen wir pünktlich in Wolfs Büro. Seine Sekretärin Sandra Schnell hatte uns ins Zimmer gelassen und bot uns einen Kaffee an. Sie hätte genauso gut als Model arbeiten können bei ihrem Aussehen: groß, blond, die Haare streng zu einem Dutt zusammengebunden in einem grauen Kostüm mit Bleistiftrock. Das mit dem Kaffee machte sie aber nur deswegen, um uns im Auge zu behalten und zu verhindern, dass wir herumschnüffelten. Vielleicht würden wir ja etwas Verdächtiges finden?
Sissi schüttelte sich kurz. Sie hatte ein wenig Angst.
Da kam auch schon Wolf zur Tür herein und begrüßte uns. »So die Dame, ich hoffe, Sie hatten bisher einen angenehmen Tag.« Wolf hielt es nicht für nötig, mich zu begrüßen. Klar, bin ja auch nur der dumme Köter, der Kunststückchen macht. Solche Leute kann ich nicht ausstehen. Warum werde ich nur immer verkannt? All das dachte ich mir, während er Sissi ein paar zusammengeheftete Blätter in die Hand drückte.
»So, Sie müssten nur noch da unten rechts unterschreiben«, drängte er mein Frauchen und zeigte mit dem Zeigefinger auf eine freie Stelle auf dem Papier.
Ich legte meine Vorderpfoten auf Sissis Oberschenkel und sah auf die Blätter. He Sissi, guck dir das Zeug genauer an, bevor du was unterschreibst. Sie schien meine Gedanken zu erraten.
»Herr Wolf, ich würde das schon vorher gern durchlesen, bevor ich etwas unterschreibe!«
»Selbstverständlich, Frau Bierbichler, lassen Sie sich alle Zeit der Welt und trinken Sie Ihren Kaffee in Ruhe. Ich habe derweil auch zu tun.«
An Sissis Reaktion, während sie las, merkte ich, dass da etwas faul war.
»Ludwig soll in der vierten Szene mit dem König-Ludwig-Darsteller spielen, dabei Pfote geben und andere Kunststücke machen«, las Sissi aus dem Text vor.
»Ja, das ist die Szene, als König Ludwig völlig bekifft ist und mit den Reitersleuten im Maurischen Kiosk6 feiert. Und der Hund ist mit von der Partie und hat Spaß dabei«, erklärte Wolf belustigt. Sissi verlor die Kontrolle über ihre Gesichtszüge, ihr Unterkiefer klappte nach unten und sie guckte hilflos zu mir, der ich ebenso traurig und geschockt darüber war. So ein niveauloser Schwachsinn.
»Aha, das ist aber eine etwas gewagte Dramaturgie, oder?«, fragte sie diplomatisch.
»Ja, wir wollen das Ganze etwas moderner, etwas pfiffiger.«
»Die Frage ist nur, ob Sie König Ludwig von Bayern damit gerecht werden. Ich würde gerne den Rest der Inszenierung sehen. Und wer hat die Musik gemacht?«
Sissi wurde Wolf anscheinend zu unangenehm. Er schien nur auf dumme, folgsame Schäfchen zu stehen, die immer brav der Herde folgten. Ungeduldig rutschte er auf seinem Stuhl herum. »Frau Bierbichler, Sie sind aber ein kritischer Geist, so hätte ich Sie gar nicht eingeschätzt. Für Sie reicht es aber völlig aus, dass Sie die Szene kennen, wo der Hund, der süße Leopold, vorkommt.«
»Ludwig heißt er!«
»Ah, Entschuldigung, Ludwig, witziger Name, passt gut.«
Der Typ wird immer unhaltbarer.
»Und dafür, dass der Hund viermal in der Woche auftritt, im Zwei-Wochen-Turnus, kriege ich 400 Euro netto? Da rentiert sich ja die Fahrt mit dem Auto gar nicht.« Sissi wurde immer verzweifelter, traute sich aber nicht wirklich, Widerstand zu leisten. Warum war ich nur ein Hund? Wäre ich ein Mensch, würde ich jetzt diesen schmierigen Wolf verprügeln und Tag und Nacht arbeiten, um meine geliebte Sissi gut zu versorgen.
»Frau Bierbichler, Sie wechseln sich mit einer anderen Hundetrainerin ab, damit Sie auch mal frei haben. Die hat auch einen Jack-Russel-Terrier. Aber ich muss auch sagen, dass Sie diesen Job nicht machen müssen. Da stehen schon einige Schlange. Ich persönlich«, dabei grinste er anzüglich, »hätte Sie allerdings wirklich gerne im Team. So eine tolle Frau. Und vielleicht finde ich ja noch einen rentableren Job für Sie, geben Sie mir einfach etwas Zeit. Jetzt allerdings habe ich ein Gespräch mit dem Bürgermeister, aber es würde mich sehr freuen, wenn Sie am Freitagabend zu mir zum Essen kommen würden, dann können wir alles näher besprechen. Bringen’s einfach den unterschriebenen Vertrag mit. Hier ist mein Kärtchen mit meiner Adresse. Um 19 Uhr? Ich freue mich auf Sie!«
So verließen wir Wolfs Büro. Sissi versuchte, sich vor mir zu rechtfertigen: »Ludwig, wir müssen das machen, schließlich habe ich meine Ausgaben: Auto, Wohnung, Stallmiete, Versicherungen. Wenigstens bis ich etwas Neues habe. Und außerdem müssen wir diesen Wolf im Schafspelz im Auge behalten, vielleicht können wir ihm dann etwas nachweisen. Vielleicht hält er Thomas in seiner Wohnung als Geisel.« Sissi verfügte über eine lebhafte Fantasie.
Ich ging stolz neben ihr zum Auto. Wir fuhren nachdenklich und schweigend nach Hohenschwangau, wo Sissi noch arbeiten musste. Am Stall angekommen begrüßte sie die Kollegen und machte sich daran, ihre Kaltblüter Marco und Michl zu putzen. Ich machte es mir in der Zwischenzeit im Heu gemütlich. Konzentriert schirrte Sissi die beiden dicken Braunen ein. Wie immer waren sie sehr lieb und kooperativ, ich mochte die beiden lieber als Midnight. Der Lipizzaner war echt eingebildet. Außerdem akzeptierten die Kaltblüter mich als Chef. Ich begrüßte sie mit einem freundlichen Nasenstups. Als Antwort stießen sie ein leises, brummelndes Wiehern aus und näherten sich mit ihren großen Köpfen, um mich mit ihren langen Barthaaren zu fühlen. Dann bliesen sie mich mit ihren großen Nüstern an und saugten meinen Geruch ein. Lustig war das!
»Komm, Ludwig, sitz auf, wir sind so weit, es kann losgehen.« Sissi hob mich zu sich auf den Kutschbock, nahm die Leinen fest an, löste die Handbremse und los ging’s. Gemütlich fuhren wir durch Hohenschwangau bis zur Touristeninformation, wo wir immer auf die Gäste warteten. Gott sei Dank war heute ein sonniger, warmer Tag. Auf dem Weg kam Lukas mit seiner Kutsche auf uns zu, er war Sissis Lieblingskollege, und ich mochte ihn auch sehr gern. Sissi stand ein wenig auf Lukas, weil er so groß und stark war, aber natürlich würde sie das nicht zugeben.
»Hi Lukas, wie geht es dir heute?«, schrie sie ihm fröhlich entgegen und wedelte dabei mit der Bogenpeitsche, was die braven Kaltblüter aber kaltließ. Andere Pferde wären jetzt wahrscheinlich erschrocken zur Seite gesprungen. Vielleicht hießen die deswegen Kaltblüter, weil sie alles kaltließ, grübelte ich.
»Gut, und dir? Pass aber auf, heute sind voll die aggressiven Russen unterwegs, bei mir haben sich zwei in der Kutsche geprügelt«, warnte er Sissi.
»Okay, wir sind vorsichtig, ich habe ja den Ludwig dabei, meinen Kampfhund!«, rief sie ihm laut hinterher, weil Lukas schon fast vorbeigefahren war. »Kampfschmuser.« Sissi lachte, nun schon wieder gut drauf.
Wir parkten die Kutsche vor der Touristeninformation, und Sissi trank einen Schluck Wasser, als schon das erste Paar auf die Kutsche zukam.
»Good morning! How beautiful!«, dröhnte eine zu blonde und zu üppige Amerikanerin zu freundlich und tönte dabei in einem Singsang, der mindestens eine ganze Oktave beschrieb. »Good morning«, gab Frauchen freundlich zurück. Ohne zu fragen, ging die Lady auf Marco zu und streichelte ihn übermütig am Kopf. Das geduldige Tier ließ es sich gefallen, wie gesagt, diese Rösser waren echt brav. Ich hätte die Frau schon längst gebissen. Nun kam der Ehemann auf Sissi zu. Er trug eine blaue Baseballcap, ein blau-weiß gestreiftes Marineshirt über dem Wohlstandsbauch und Jeansshorts mit Socken in den Turnschuhen. Trendig war wohl etwas anderes. Das laute Kaugummienglisch des Amerikaners riss mich aus meinen Träumen.
»How much is it, Miss?«
»Six Euro per person, please.«
»That’s too expensive!« Der Ami wollte nicht bezahlen.
»Sorry, Sir, it’s really not expensive, we have to feed the horses, we need horseshoes from a blacksmith, the vet, the coach, that costs a lot of money.«
Nun verhandelten die beiden. Gut, dass Frauchen fließend Englisch spricht, schließlich hatte sie vor meiner Zeit auf einem Reiterhof in Irland gearbeitet. Da sich die Amerikanerin in Marco verliebt hatte und man eh in Urlaubsstimmung war, war der Mann bereit, die zwölf Euro in eine Kutschfahrt hoch zum Schloss zu investieren. Obwohl es seiner Figur bestimmt nicht geschadet hätte, die 15 Minuten hoch zu laufen. Zumal danach bestimmt ein opulentes Mahl in einem der schicken Hotels hier auf ihn wartete. Dumplings and roast pork oder doch lieber sausages and Sauerkraut from the German Krauts?
Auch Sissi konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Mit noch zwei weiteren »Kunden« fuhren wir gemütlich den Weg durch den Wald zum Schloss hoch. Ich liebte es! Das Hufgetrappel war Musik in meinen Ohren, und bald würde sich das schöne Schloss zwischen den Bäumen zeigen, seine ersten edlen weißen Steine sich meinem Blick offenbaren.
Schloss Neuschwanstein, Dezember 1885
Es ist zwei Uhr nachts. Der Mond zeigt nur seine schöne schlanke Sichel, deswegen ist es recht dunkel. Umso intensiver leuchten die abertausend Sterne vor dieser schwarzen Kulisse. Klirrend kalt produziert mein Atem eine helle Wolke in der Finsternis. In meinem königsblauen Mantel schreite ich die steinerne Treppe in den unteren Hof hinab. Ich, der Souverän von Bayern. Mein geliebtes Schloss schimmert marmorweiß, fast engelsgleich, gespenstisch im Dunkel. Unten im Hof erledigt meine Equipage die letzten Handgriffe, sie bereiten die Felle vor, schließen die letzten Schnallen der Prunkgeschirre, polieren den goldenen Prunkwagen. Mein weicher Nerzmantel hält mich wohlig warm. Ich bin ergriffen und glücklich. Dieses Mal haben sie meine vier Schwarzen eingespannt, die schon ungeduldig auf der Stelle tänzeln. Wie schön das prachtvolle Geschirr und die roten Samtschabracken dazu aussehen. Ich strahle! Hornig hilft mir in die Kutsche, dann geht es endlich los. Die Pferde sind kaum noch zu halten. Der Vorreiter prescht mit der Laterne davon. Ich werde in die Kutsche gedrückt mit einem Ruck. Diese preußischen Warmblutpferde sind wirklich wunderbar, obwohl ich Preußen eigentlich gar nicht mag. Aber Pferde züchten können sie. Im Trab geht es bergab den Weg entlang, die Fahrbahn ist gut und von einer weichen Schneeschicht bedeckt. Wir fahren Richtung Fernstein. Auf der Geraden lässt der Stallmeister die Rösser galoppieren, beugt sich nach hinten und nimmt die Pferde stark zurück, um ein Durchgehen zu verhindern. Ich halte mich fest. Der Wind bläst mir eisig ins Gesicht, und ich schütze es mit meinem roten bestickten Samtschal, den ich mir vor die Nase halte. Es kitzelt im Bauch. Welche Wonne!
Die Kutsche kam ruckartig zum Stehen. Eine Frauenstimme rief: »Und halt!« Unsanft wurde ich aus einem Tagtraum gerissen. Statt des Stallmeisters saß Sissi auf dem Bock. Statt vier edlen schwarzen Rössern standen zwei dicke, schläfrige Braune vor mir.
Auch gut so, dachte ich mir noch immer verschlafen und … ups … Mist, jetzt war ich beim Aussteigen aus der Kutsche gefallen. Hoffentlich hat es keiner gesehen. Wie ein nasser Sack! Verstohlen blickte ich mich um. Aber zu spät.
»Look, honey. The dog fell out of the carriage. I hope he’s fine.« Besorgt schauend kam sie auf mich zu. Oh, nein, nur kein Mitleid. Schnell düste ich außer Reichweite der Amerikanerin um die Kutsche herum.
Drei weitere Touren später fuhr Frauchen langsam heimwärts, und ich lief neben der Kutsche her, um mich noch ein wenig auszutoben. Nach getaner Arbeit brachte Sissi die verschwitzten Tiere in den Stall, fütterte sie und deckte sie ein. So ging auch dieser Arbeitstag zu Ende, und ich freute mich schon auf einen gemütlichen Abend in unserer kleinen Wohnung mit meiner Sissi. Diese wohlige Geborgenheit war einfach mit nichts zu überbieten.