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Kapitel 2 Der Spieler

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„Gutes Spiel, Robbie. Gratuliere.” Der Captain klatschte Robert McIntyre, der sich gerade seine dunkelblauen Stulpen herunterrollte, auf den Rücken, sodass dieser beinahe einen Hustenanfall erlitt. „Du hast dich gerade für die Weltmeisterschaft ins Gespräch gebracht!”

McIntyre schielte zum Nationaltrainer hinüber, der dabei war, eine riesige Flasche Champagner zu köpfen. Gleich würde es eine klebrige Dusche für alle geben.

„Ich weiss nicht. Der Trainer hat noch nichts Definitives gesagt. Aber ich hoffe, es klappt!”

Obwohl er zufrieden war mit dem Ausgang des Spiels und seiner eigenen Leistung, traute er seinem Glück noch nicht ganz. Es gab durchaus ernsthafte Konkurrenten im Team, und ein einziger guter Auftritt war noch keine Garantie dafür, dass er seine Position, die er zum ersten Mal in einem Länderspiel von Beginn weg gespielt hatte, würde behalten können. Aber er war fest entschlossen, sein Bestes zu geben und auf sein grosses Ziel hinzuarbeiten. Für seine zukünftige Karriere wäre es ein gewaltiger Vorteil, wenn er sich eine Stammposition in der Nationalmannschaft sichern könnte.

Während er sich seine Stollenschuhe aufschnürte, kamen weitere Kameraden vorbei, um ihn zu seinem Spiel zu beglück-wünschen. Es herrschte eine ausgelassene, euphorische Atmosphäre in der Mannschaftskabine. Das angestaute Adrenalin ebbte nach dem Spiel nur langsam ab. Der Sieg gegen Italien war der ideale Auftakt zum diesjährigen Turnier. Nur schade, dass er nicht etwas klarer ausgefallen war. Aber Robert McIntyre war zufrieden mit sich selbst. Er hatte zwei einwandfreie Versuche gelegt. Man hätte jetzt Lust gehabt auf eine ausgedehnte Feier, aber die Mannschaftsverantwortlichen blieben hart. Keine Siegespartys vor dem Ende des Turniers. Die Presse lauerte überall, und das Letzte, was das Team jetzt gebrauchen konnte, waren Schlagzeilen über betrunkene Spieler.

McIntyre zog sein Trikot und die völlig durchnässte Unterkleidung aus und wanderte unter die Dusche, wo sich der Grossteil seiner Kollegen schon eine heftige Wasserschlacht lieferte. Gut gelaunt hiessen ihn die anderen willkommen, bespritzten ihn mit Shampoo und machten sich über sein Tattoo am Oberarm lustig. Zum wievielten Mal wohl? Er hatte sich schon ein paar Mal verwünscht dafür, dass er sich einen gälischen Spruch hatte eintätowieren lassen statt der Disteln, Kreuze, Löwen oder Totenköpfe, die die anderen wie selbstverständlich an ihren Körpern trugen. Er nahm die Fopperei gleichmütig hin. Im Laufe der Zeit hatte er sich eine dicke Haut zugelegt. Und wenigstens erkannten sie ihn endlich als vollwertiges Mitglied der Mannschaft an. Er hatte mehr Talent, mehr Matchinstinkt als manch gestandener Kämpfer, und er konnte das Spiel lesen wie kein anderer. Das hatte ihn an diesem Nachmittag zum ersten vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere geführt, der Auszeichnung als bester Mann des Matchs.

Er trocknete sich ab und zog den Trainingsanzug über, packte seine Sachen zusammen und stand auf. Zeit, nach Hause zu gehen und sich aufs Ohr zu hauen. Schon morgen stand das nächste Training an.

Als er mit der Tasche über der Schulter aus den Katakomben von Murrayfield schlenderte, löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit.

„Mr McIntyre?”

Ein Autogrammjäger? McIntyre schüttelte verwundert den Kopf. Die meisten Fans waren schon lange weg, nach Hause oder ins Pub zum Feiern gegangen. Der Mann vor ihm machte allerdings nicht den Eindruck eines Fans, der auf seinen Lieblingsspieler gewartet hatte. Soviel McIntyre im spärlichen Licht der Aussenbeleuchtung des Stadions erkennen konnte, war er formell in Jackett, Hose und Krawatte gekleidet und trug eine Aktentasche in der Hand. Kurz blitzte im Lichtstrahl an der linken Hand ein Ring mit einem hellen Stein auf – konnte das ein Diamant sein? Definitiv kein Stadionbesucher. Jetzt kam er näher, sodass McIntyre ein hageres Gesicht erkennen konnte, auf dem ein dünnes Lächeln lag. Instinktiv war ihm der Mann unsympathisch.

„Wie kann ich Ihnen helfen?”

Der Mann hüstelte. „Ich habe schon eine Weile auf Sie gewartet. Sie haben sich ziemlich Zeit gelassen.”

„Ich weiss von keiner Verabredung. Sollte ich Sie kennen?” McIntyres Stimme klang jetzt ziemlich unwirsch. Er war müde, und langsam drangen ihm die schmerzenden Muskeln ins Bewusstsein und auch der kleine Schnitt an der Nase, den er sich beim letzten Angriff eingefangen hatte, juckte unangenehm.

„Wir haben ein gemeinsames Hobby.”

„So?” Wie kam der Kerl dazu, ihm hier im Finsteren aufzulauern und ihn mit irgendwelchen Gemeinsamkeiten vollzulabern? Wo waren die ganzen Sicherheitsleute, die sich um solch aufdringliche Zaungäste kümmern sollten?

„Sagt Ihnen ,Inside-Poker-Playʼ etwas?”

Diese Frage alarmierte ihn. Er nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Kaum jemand aus seiner Umgebung wusste von seiner Freizeitbeschäftigung. Und dabei war er ziemlich sicher, dass er den Mann noch nie gesehen hatte. Hatte er vielleicht irrtümlich bei einem seiner Besuche auf der Website seine Identität verraten? ,Inside-Poker-Playʼ versprach zwar in ihrer Werbung Anonymität für die Teilnehmenden, aber die Plattform war auch einer der wenigen Anbieter, die darauf bestanden, dass die Kamera eingeschaltet blieb. Vielleicht hatte ihn einer der Mitspieler erkannt, obwohl er stets eine Sonnenbrille und eine Baseballmütze trug wie ein Gangster? Aber sein Gesicht war in letzter Zeit ziemlich oft in den Medien zu sehen gewesen, und es war nicht auszuschliessen, dass ihn jemand erkannt hatte. Trotzdem war es seltsam, von einem wildfremden Menschen darauf angesprochen zu werden. Er besah sich den Mann näher. Konnte das möglicherweise ein Geldeintreiber sein? Inkassobüros waren für ihre unzimperlichen Methoden bekannt und auch dafür, dass sie solch geschniegelte Typen ausschickten, um Ausstände einzufordern. Wäre er in diesem Fall nicht zuerst gewarnt worden?

Er durfte sich keine Nervosität anmerken lassen. So antworte-

te er gezwungen unbekümmert: „Hören Sie, ich habe keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen. Ich habe einen harten Tag hinter mir und möchte jetzt einfach nach Hause gehen. Entschuldigen Sie mich bitte. Ich habe es eilig.”

Der andere trat ihm, wie unabsichtlich, in den Weg. „Einen Moment noch, Mr McIntyre.”

Der Mann war sicher einen Kopf kleiner als er und eher schmächtig. Trotzdem fühlte es sich unbehaglich an, wie nahe ihm der andere kam und wie er ihm den Weg abschnitt. Als ob er ihn in die Enge treiben wollte. McIntyres Körpergrösse nützte ihm im Moment wenig, schliesslich konnte er den Mann ja nicht einfach mit einem Tackling zu Fall bringen wie auf dem Rugbyfeld. Wo waren denn bloss die Sicherheitsleute, wenn man sie einmal brauchte?

„Wer sind Sie? Was wollen Sie?”, stiess er hervor. Seine Stimme klang leicht heiser. Hoffentlich bemerkte der andere nicht, wie nervös er war.

„Mein Name tut im Moment nichts zur Sache. Aber wenn Sie gestatten, sollten wir uns, denke ich, zu unserem gegenseitigen Vorteil dringend unterhalten. Ich bin die ganze nächste Woche in Edinburgh. Wir könnten uns zu einem kleinen Drink treffen, am besten im ,Covenanterʼ. Kennen Sie das Lokal? Würde Ihnen der nächste Dienstag passen, sagen wir um 17 Uhr? Dann müsste Ihr Nachmittagstraining vorbei sein.”

Das wurde ja immer schöner. Hatte der Kerl auch gleich noch den Trainingsplan studiert?

„Ich denke nicht daran. Lassen Sie mich endlich vorbei.”

McIntyre versuchte, einen Schritt zur Seite zu machen, sich an seinem Gegenüber vorbeizudrängen und zur Bahnstation zu gelangen, die sich gleich neben dem Stadion befand. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich in Ruhe liessen.”

Wider Erwarten machte der andere keine Anstalten, ihn aufzuhalten, sondern trat tatsächlich zur Seite und gab bloss ein kurzes Lachen von sich.

„Selbstverständlich, Mr McIntyre. Ich bin überzeugt, Sie werden sich noch anders besinnen, wenn Sie über meine Worte eingehend nachgedacht haben. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Und meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrem gelungenen Spiel heute.”

McIntyre konnte nicht recht glauben, dass er so leicht davonkam. Er drehte sich um und versuchte, noch einmal einen Blick auf den Mann zu erhaschen, doch der andere hatte sich schon abgewandt und schlenderte mit einem eigentümlich wiegenden Schritt davon.

McIntyre merkte, dass er zitterte, obwohl der Abend gar nicht so kalt war. Eine merkwürdige Begegnung. Nachdenklich wies er an der Schranke sein Ticket vor und betrat den Bahnsteig. Es dauerte nicht lange, bis eine Strassenbahn kam, die ins Zentrum der Stadt fuhr, und er einsteigen konnte. So spät nach dem Spiel war hier kaum noch jemand unterwegs. Er fand leicht einen Sitzplatz, konnte aber kaum stillsitzen. Das kurze Gespräch mit dem mysteriösen Mann ging ihm nicht aus dem Kopf. Dieser Schleicher schien recht gut über ihn und sein Leben Bescheid zu wissen. Woher? Wenn er ihm beim Pokerspiel begegnet wäre, hätte er nichts vom Trainingsablauf gewusst. Auf der anderen Seite, wenn er ihn bei einem sportlichen Anlass getroffen hätte, hätte es keinen Anlass gegeben, über ,Inside-Poker-Playʼ zu sprechen. McIntyre hatte sehr gut darauf geachtet, diese beiden Bereiche seines Lebens strikt auseinanderzuhalten. War der Mann etwa ein Journalist? In diesem Fall hätte er einen ziemlichen Recherche-Aufwand betrieben. Und der Kerl hatte ja auch von einem beidseitigen Vorteil gesprochen. Es ergab alles keinen Sinn. Aber das Gefühl der Bedrohung, das ihn beschlich, war durchaus real.

Gedankenverloren stieg McIntyre am Waverley-Bahnhof aus und ging zur Brücke hoch. Vor ihm ragte gegen Westen dunkel das Scott-Monument auf, und als er über die Brücke Richtung Altstadt ging, sah er trotz des aufkommenden Nebels die erleuchtete Burg auf dem Hügel. Der Tag war ziemlich sonnig gewesen, ideales Spielwetter. Jetzt aber hatte es leicht zu nieseln begonnen, was besser zu seiner gegenwärtigen Stimmung passte. McIntyre achtete nicht gross auf seine Umgebung, sondern ging zielstrebig über die Strasse und weiter die langen Treppenfluchten hoch bis zu seiner vorübergehenden Unterkunft in der Warriston's Close. Er schloss die schwere Holztür auf und trat in einen Korridor, der mit groben Holzplanken ausgelegt war. Die Wohnung, die er jeweils für die Zeit der Six-Nations-Spiele mietete, hatte den Vorteil eines abgeschlossenen Schlafzimmers und einer geräumigen offenen Küche. Auch die dicken Wände gefielen ihm. So wurde er nicht durch Nachbarschaftslärm gestört, solange er in Edinburgh weilte.

Im Haus herrschte immer ein reges Kommen und Gehen, wahrscheinlich mehrheitlich von Touristen, die die berühmte Altstadt - ein Weltkulturerbe - besichtigten und immer nur drei bis vier Nächte blieben. Jedenfalls hatte er seine Ruhe hier, und es hatte ihn bis heute Abend auch keiner blöd angequatscht.

Er lümmelte sich auf sein Sofa und versuchte abzuschalten. Noch vor einer halben Stunde war er müde und schläfrig gewesen und einzig vom Wunsch beseelt, endlich ins Bett zu kommen. Jetzt aber war an Schlaf nicht mehr zu denken. Die innere Unruhe, die ihn vor dem Stadion ergriffen hatte, liess ihn nicht los und hatte sich inzwischen zu einem diffusen Angstgefühl in seiner Magengegend gesteigert. Er stand noch einmal auf und schaltete den Fernseher ein, welcher auf einer niedrigen Kommode stand. Vielleicht würde es ihn von seinen Sorgen ablenken, wenn er sich in Retrospektive das Spiel vom Nachmittag noch einmal ansah. Nach einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, merkte er, dass er nur auf den Bildschirm starrte, ohne etwas von den Vorgängen auf dem Feld wahrzunehmen. Er hatte keine Ahnung, wie hoch der Spielstand gerade war. Verärgert schaltete er das Gerät wieder aus. Es hatte keinen Sinn, die Begegnung von vorhin ging ihm nicht aus dem Kopf. Also stand er erneut auf und nahm eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank. Er besah sich das Etikett. ,Highland Springʼ, ein erfrischendes Quellwasser aus seiner Heimat. Er nahm einen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Das ungute Gefühl blieb. Er seufzte. Vielleicht wäre es doch besser, nächsten Dienstag kurz im ,Covenanterʼ vorbeizuschauen und zu sehen, ob der unangenehme Typ tatsächlich dort auftauchte? Er musste unbedingt herauskriegen, wer der Mann war, was er wusste und, was am Wichtigsten war, was er von ihm wollte. Wie hinterhältig der Typ gewesen war, ein richtiges Ekel. Eine Schnecke, die im Dunkel der Nacht in ihren Schleimspuren angekrochen kam und klammheimlich alles in sich hereinfrass, was andere im Schweiss ihres Angesichts angepflanzt hatten. Das Bild gefiel ihm gut und hob seine Laune etwas. Er nahm sich vor, sich nicht unterkriegen zu lassen, der andere sollte sich bloss vorsehen! Schliesslich war er kein kleiner Junge mehr, den man einschüchtern konnte, sondern ein kräftiger, durchtrainierter Sportler mit Einfluss.

Da er seinen Gegner solchermassen klar eingeordnet hatte und sich einen Schlachtplan zurechtgelegt hatte, gelang es ihm, seine Befürchtungen zur Seite zu fegen. Er runzelte die Stirn. Der Schlaf würde trotzdem nicht sofort kommen. Was konnte es schaden, die Zeit zu nutzen? Er klappte seinen Laptop auf und loggte sich auf ,Inside-Poker-Playʼ ein. Nur ein halbes Stündchen Spiel würde genügen, ihn soweit zur Ruhe kommen zu lassen, dass er endlich zu Bett gehen konnte.

Tödliches Spiel

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