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Kapitel 3

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McKenzie kam sehr spät in ihre Unterkunft zurück. Es war schon beinahe dunkel, obwohl die Dämmerung zu dieser Jahreszeit erst gegen zehn Uhr hereinbrach. Sie hatte Kopfschmerzen, und ihre Schultern waren ganz verspannt. Sie hatte über drei Stunden in der kleinen Höhle gesessen, bis die Leiche abtransportiert worden und die Spurensicherung mit der Arbeit fertig war. Die Flut war schnell, aber nicht sehr hoch gestiegen. Die Spurensicherung hatte sich beeilen müssen. Der Pathologe hatte sich die Leiche in der Höhle angesehen, die Stirn gerunzelt und ein paar unangenehme Fragen an sie gerichtet. Offenbar war er der Meinung, sie hätte den Toten nicht bewegen sollen. Und dies, obwohl der Strand schon halb überspült war und die Leiche ohne ihre Rettungsaktion vermutlich fortgeschwemmt worden wäre. Sie hatte sich mit dem Arzt, der für seine mürrische Haltung berüchtigt war, nicht streiten wollen. So hatte sie geduldig alle Fragen beantwortet und das Stirnrunzeln ignoriert. Die beiden McDonalds waren keine grosse Hilfe gewesen. Patrick hatte sich in sein Schweigen zurückgezogen, und Seumas ging allen auf die Nerven, weil er immer wieder fragte, wann er endlich nach Armadale zurückkehren dürfe, wo er allem Anschein nach an seinem Arbeitsplatz hätte sein sollen. McKenzie war vorher nicht auf die Idee gekommen, zu fragen, ob der junge Mann überhaupt Zeit hatte, sie mitten am Tag über die Insel zu fahren. Jetzt fühlte sie sich schuldig, weil er vermutlich wegen ihr Schwierigkeiten mit seinem Arbeitgeber bekommen würde.

Die ganze unangenehme Situation hatte sich erst entschärft, als die SpuSi-Leute wieder in ihren Helikopter eingestiegen und samt dem Toten nach Inverness abgeflogen waren. Patrick McDonald war zu seinem Boot zurückgewatet, nachdem er ihr versichert hatte, nach einer Mütze Schlaf für weitere Fragen zur Verfügung zu stehen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als mit dem Sohn wieder zum Auto zurückzuklettern, damit sie beide ebenfalls vom Point of Sleat wegkamen. Da es für den jungen McDonald nun sowieso zu spät war, um an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren, und als Belohnung für seine Mühe und Entschädigung für die Schwierigkeiten, die ihn am nächsten Morgen erwarteten, hatte McKenzie ihn ins örtliche Pub zu einem frühen Abendessen eingeladen. Diese Entscheidung bereute sie allerdings, sobald sie ihren Fuss über die Schwelle setzte. Das Pub in Ardvasar war Treffpunkt für Einheimische und Touristen zugleich und völlig überfüllt. Statt in einer ruhigen Ecke ein diskretes Gespräch zu führen, wie sie geplant hatte, landete McKenzie mit ihrem Schützling direkt an der Theke. Er schien allseits bekannt und beliebt zu sein, jedenfalls nach der Art der Begrüssung, die ihm von allen Seiten zuteilwurde.

McKenzie bestellte zwei kleine Guinness. Ihre Bestellung ging im Trubel vollständig unter, bis Seumas leutselig auf die Theke haute und vernehmlich polterte: „Haltet mal die Klappe und lasst die Inspektorin ihr Bier bestellen!”

Sofort wurde es totenstill in dem Raum, und alle Augenpaare richteten sich auf sie. McKenzie lief rot an. Das konnte jetzt nicht wahr sein! Ihre Augen schossen Blitze, welche Seumas jedoch überhaupt nicht bemerkte. Er sonnte sich in seiner neuen Wichtigkeit.

„Wir haben einen Toten entdeckt, unten am Strand beim Point of Sleat.”

Hätte er gesagt, es sei soeben ein Marsmensch gelandet, hätte die Sensation nicht grösser sein können. Plötzlich stürmten Fragen über Fragen auf sie ein. Jeder wollte genaue Einzelheiten wissen, und Seumas schien durchaus gewillt, dem allgemeinen Wunsch zu entsprechen und ausführlich von seinen Erfahrungen zu berichten. So richtete sich McKenzie zu ihrer vollen Grösse auf, zückte ihren Ausweis aus der Tasche und wedelte damit in der Gegend herum.

„Bitte beruhigen Sie sich alle. Es ist in der Tat so, dass wir einen Toten am Strand gefunden haben.” Das würde morgen sowieso in der Zeitung stehen, damit vergab sie sich nichts, und es sicherte ihr die Aufmerksamkeit aller Anwesenden.

„Die Identität ist noch nicht geklärt. Falls jemand sachdienliche Hinweise machen kann, soll er bitte die Polizeiwache in Portree kontaktieren oder einfach 999. Wir können Ihnen wirklich keine weiteren Auskünfte erteilen, bevor wir nicht alles gründlichst untersucht haben. Entschuldigen Sie uns.”

Sie fasste Seumas am Arm, und da er Anzeichen zeigte, sich zu widersetzen, zischte sie ihm ins Ohr: „Und wir zwei gehen jetzt an einen ruhigen Ort und unterhalten uns!”

Und so waren sie im Schlosscafé von Armadale gelandet, dem

einzigen anderen Ort, wo sie sich im Umkreis von mehreren Meilen ein rasches Abendessen erhoffen konnten. Im Gegensatz zum Pub war es hier ruhig. Es waren in dem pavillonartigen, getäferten Raum lediglich zwei Tische besetzt, und McKenzie hatte keine Schwierigkeiten, eine stille Ecke zu finden. Sie sehnte sich nach dem Lammbraten, den es im ,Old Innʼ in Gairloch gab, aber ein Blick auf die Speisekarte zeigte ihr, dass sie hier nicht mit dieser kulinarischen Köstlichkeit rechnen durfte. So entschied sie sich für einen Salat und ein Käseomelett. Seumas bestellte einheimische Krabben und warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Weinkarte. McKenzie blieb eisern. Alkohol und Autofahren ging nun gar nicht. Und Seumas hatte schon ein Guinness intus. Sie bestellte stattdessen für beide eine Flasche Mineralwasser. Für das, was sie sagen wollte, brauchte sie einen klaren Kopf.

„Seumas, Sie sind heute unmittelbar Zeuge der Ermittlungen in einem verdächtigen Todesfall geworden. Das heisst aber nicht, dass Sie nun die ganze Dorfgemeinschaft mit Neuigkeiten versorgen dürfen. Bis die Polizei nähere Einzelheiten kommunizieren kann, behandeln Sie die ganze Angelegenheit gefälligst vertraulich. Das gilt im Übrigen auch für Ihren Vater. Und nun lassen Sie mal hören. Was wissen Sie über den Toten?”

Seumas schien den Rüffel nicht persönlich zu nehmen. Er beugte sich eifrig vor. „Robert McIntyre? Er ist ein Held! Hat es ganz nach oben geschafft. Er hat jetzt schon sieben Caps…”

„Langsam! Ich verstehe kein Wort. Was sind Caps?”

„Na ja, Länderspiele halt. Das kommt noch aus der Urzeit, als die Spieler beider Mannschaften sich zur Unterscheidung verschiedenfarbige Kappen aufgesetzt haben. Robert McIntyre hat bereits siebenmal für Schottland gespielt. Und im letzten Calcutta-Cup -”, er unterbrach sich und lächelte entschuldigend, „der Calcutta-Cup ist das Länderspiel zwischen Schottland und England im Six-Nations-Turnier, das ist so was wie die Europameisterschaft, und der Calcutta-Cup ist die Krone aller Spiele -, also im letzten Calcutta-Cup im Februar hat er zwei saubere Versuche - Torerfolge - erzielt und unsere Seite damit vor einer wirklich grausigen Niederlage gegen den Erzrivalen bewahrt. Ich sage Ihnen, die ganze Insel hier hat getanzt vor Freude.”

McKenzie war kein Sportfan. Und von Rugby hatte sie nun wirklich keine Ahnung. Dieser ganze Haufen an Informationen war schwierig zu absorbieren. Trotzdem musste sie lächeln, als sie den Eifer des Jungen sah. Offenbar war er mit ganzem Herzen bei der Sache.

„Und McIntyre kommt also von Skye? Kennen Sie ihn persönlich?”

„Nein, leider nicht.” Seumas blickte bekümmert. „Ich meine, ich weiss, wer er ist und würde ihn wahrscheinlich auf der Strasse erkennen, wenn ich ihn mal treffen würde. Ich glaube, er wohnt gar nicht mehr hier, ist nach Glasgow gezogen. Er spielt jetzt bei den Warriors.”

„Hm. Sie haben gesagt, er hätte hier noch Familie bei Portree? Wo genau?”

Das wusste Seumas leider nicht. Alles, was ihm über den Toten bekannt war, sollte dieser denn wirklich Robert McIntyre sein, hatte er aus den Medien. McKenzie nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit eine Internet-Suche einzugeben, damit sie die vagen Angaben von Seumas einem Realitätscheck unterziehen konnte.

Sie seufzte. Ihre Fragen führten nirgends hin. Aber da es, strenggenommen, eigentlich gar nicht ihr Fall war, konnte sie sich guten Gewissens ihrem Abendessen widmen. Das Omelett war überraschend schmackhaft, und der Salat, der mit Kräutern, Nüssen und Beeren angereichert war, stammte aus dem Schlossgarten. Seumas langweilte sie eine halbe Stunde mit der detaillierten Schilderung, wie er die Pflänzchen eigenhändig grossgezogen, gehegt und gepflegt hatte, bis sie in ihrer jetzigen Form auf ihrem Teller lagen. Sie hörte ihm nur mit halbem Ohr zu, nickte ab und zu und folgte im Übrigen ihren eigenen Gedanken. Morgen würde sie nach Portree fahren, dem Hauptort der Insel. Dorthin hatte sie sowieso gewollt, um Einkäufe zu machen, und bei dieser Gelegenheit konnte sie Inspektor Craig, die dann hoffentlich von ihrer Krankschreibung zurück war, Bericht erstatten und die ganze Angelegenheit in deren fähige Hände legen. Sie selbst war schliesslich im Urlaub.

Tödliches Spiel

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