Читать книгу Die vergessene Welt - Simone Lilly - Страница 5

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 5.

Es dauerte lange, bis sich der allgemeine Nebel, der dicht über der Wasseroberfläche haftete, lichtete. Ungeduldig schritt Slake über den teils morschen Holzlatten auf und ab.

Sein Blick war stur nach vorne gerichtet. Eigentlich wie immer, diesmal jedoch nicht, um ein Schiff ausfindig zu machen, das sie überfallen konnten. Nein, diesmal wartete er auf etwas weitaus größeres. Eine Insel. Seine Insel. Auch wenn es ihm selbst manchmal unwirklich erschien, er besaß eine Insel, und Menschen, die darauf lebten.

Vor 15 Jahren, war er auf einer seiner ersten Fahrten unglücklich gestrandet und hatte dabei die Insel-so wie er sie benannt hatte-„Freeland“, entdeckt. Dass darauf Menschen wohnten, die ihn sogleich als Herrscher und Freund akzeptiert hatten, war ein angenehmer Nebeneffekt.

Inzwischen waren sie alle wie eine große Familie, jeder seiner Männer war mit einer Frau verheiratet, hatte Kinder und seine Existenz dort gegründet. Jeden Monat kehrten sie zurück, brachten die erbeutete Nahrung oder die Schätze zu ihnen, verweilten dort für ein-zwei oder gar drei Wochen, ehe sie wieder aufbrachen.

Insgesamt konnte man sagen, dass ihr Leben perfekt war. Zu perfekt. Das alles, hatten sie natürlich ihm zu verdanken. Slake lächelte stolz in sich hinein. Mit Sicherheit wäre sein Vater stolz auf ihn, er hätte es niemals so weit gebracht. Niemals.

Nach und nach wurden matte Umrisse erkennbar, seine Augen weiteten sich erwartungsvoll. Da war sie!

Die Umrisse wurden klarer, Farben waren erkennbar, und als sie immer näher kamen, konnte man sogar kleinere Menschengruppen ausmachen, die winkend und jubelnd an die Küste gestürmt kamen. Selbst kleine Boote hatten sich auf den Weg gemacht, ihnen entgegen zu kommen.

Sofort sprang er von seinem Posten, hechtete in seine Kajüte und machte sich darin für seine Ankunft bereit. Schließlich wollte er einen guten Eindruck hinterlassen. Wie immer.

Hierzu schlüpfte er aus der-teuren- aber trotzdem heruntergekommenen Piratenkluft und legte seine blinkende Uniform an. Genau genommen war es nicht seine, er hatte sie einmal erbeutet, so wie alles was er, oder sie besaßen, doch sie war eines seiner Lieblingsstücke.

Er hörte, wie die Schiffe angelegt hatten, und einige Männer lachend zu ihnen gestoßen waren. Schnell trat er zu ihnen, hinaus in die kühle Nachmittagsluft.

„Slay, Khan.“, begrüßte er einen von ihnen und gab ihm freundschaftlich die Hand. „Slay“ war ihre Art sich zu begrüßen, dieser Ausdruck entstand kurz nach ihrer Ankunft in der neuen Heimat. Die Einwohner hatten ihre Probleme damit, seinen Namen „Slake“ auszusprechen und sagten deshalb immer „Slay“. Mit der Zeit war dies zu einer Begrüßung herangereift, bei der sie es bis jetzt belassen hatten. Warum auch nicht? Ihm gefiel es. Es war sein Reich, sein Reich und er war der König.

Mit vereinten Kräften verluden sie die Schätze auf die Boote, verankerten das Schiff so, dass es von vorbeifahrenden Schiffen nicht gesehen werden konnte, und fuhren zusammen mit den anderen hinüber, auf ihre Insel. Die Frauen und Kinder rückten immer näher, wobei einige Männer es nicht mehr erwarten konnten, sie in die Arme zu schließen, übereilt aufsprangen, ins seichte Wasser stiegen und zu ihnen hinüber wateten.

Der Wind wurde eisiger und Slake fröstelte für einen kurzen Moment. Immer wieder aufs Neue liebte er es, wie eine Gottheit zu ihnen hinüber gebracht zu werden, von ihnen ehrfürchtig empfangen zu werden und wieder bei ihnen zu sein. Dann, in diesen Wochen, war er kein Pirat mehr, nein, er war nur er selbst. Seine Raubzüge, seine Morde, seine anderen Vergehen, der raue Umgangston an Bord, dass alles existierte in diesen Tagen nicht. Nur das unbeschwerte Leben.

Die Welt schien stillzustehen, als er zwischen all dem Trubel eine blasse Frau ausmachen konnte. Sie war zierlich gebaut und hatte knielanges, schwarzes Haar, sie wirkte matt, doch als sich ihre Blicke trafen, kehrte augenblicklich Leben in ihre Gesichtszüge zurück. Von einer unbekannten Kraft angetrieben, sprang auch er nach draußen in das kalte Wasser, kämpfte sich durch den Schlamm und rutschigen Steine hindurch, bis er sie erreicht hatte. Angekommen schloss er sie in die Arme und wirbelte mit ihr lachend um seine eigene Achse.

„He…Leona?“

Das Flüstern war leise, doch Leona, die die ganze Zeit darauf gewartet hatte, hob dankbar den Kopf. Es war Christjan, der endlich aufgewacht war, und ihr jetzt hoffentlich sagen konnte, was sie als nächstes tun sollte. Die meisten Männer waren schon an Deck und verrichteten dort ihre Arbeiten.

Da sie wirklich die einzigen waren, standen sie auf.

„Danke“, nuschelte sie verlegen und betastete ihr kurzes Haar. „Das du das für mich tust.“

Christjan beugte sich kurz über eine Schüssel dreckiges Wasser, in dem sich wahrscheinlich schon ein Duzend andere gewaschen hatten, und fuhr sich damit durchs Gesicht, dann betrachtete er sie müde. „Du musst dich noch besser verstecken.“, sagte er und musterte sie eingehender. „Deine Kleidung passt, man kann dich schon für einen Mann halten, einen schmächtigen Jungen. Aber…“

„Aber?“

Er zögerte. „Eine Kleinigkeit müssen wir noch ändern.“ Kurz angebunden griff er neben sich und hielt ihr demonstrierend einen breiten Lederriemen entgegen.

„Was soll ich damit?“, fragte Leona angsterfüllt und suchte unwillkürlich Abstand zwischen ihnen.

„Darf ich?“ Christjan nickte in ihre Richtung.

Sie überlegte kurz, während sie sich, da das Schiff schwindelerregend schaukelte, an ihrem Schlafplatz festhalten musste. Hatte sie überhaupt eine Wahl? Sie nickte.

Sofort kam der Junge auf sie zu, nuschelte eine Beschämte Entschuldigung und griff ihr unter ihr Hemd.

Nahe dran einen lauten Schrei auszustoßen, musste Leona mit ansehen, wie er, eigentlich höflich und zurückhaltend, den Riemen um ihre Brüste wickelte, straff zog und schließlich an ihrem Rücken zusammenband.

„Fertig.“, sagte er und wich sogleich einige Schritte nach hinten, um sein Werk zu betrachten. „Jetzt merkt keiner etwas.“

Der Riemen war so straff um sie gewickelt, dass sie sich unter Tränen zusammenreißen musste, um ihn nicht von sich zu reißen. Aber sie wusste, dass es nötig war.

Dankbar nickte sie ihm zu.

„Jetzt, muss ich gehen. Am besten du suchst dir irgendeine Arbeit, dann fällt es nicht auf, und…rede so wenig wie möglich, wenn du verstehst.“

Sie nickte erneut.

„Gut, ich gehe jetzt. Komm einfach nach wenn du …ja… dich an deine Rolle gewöhnt hast.“

Schon wieder nickte sie. Es war vielmehr eine automatische Bewegung.

Die vergessene Welt

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