Читать книгу Die vergessene Welt - Simone Lilly - Страница 6
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Wie versteinert blieb sie stehen. Um sie herum wurde es still. Es war ihr recht, denn sie brauchte Ruhe. Christjan hatte recht gehabt, sie brauchte einen Moment für sich. Nachdem sie mehrere Minuten auf einen einsamen Holzbalken gestarrt hatte, dachte sie, sie wäre dazu bereit, hinauf zu den anderen zu gehen.
Bang, setzte sie einen Fuß vor den anderen, dann, stockte sie. Leona wusste nicht, sollte sie es wirklich wagen? Symbolisch spähte sie nach oben und blinzelte in das zu ihr hinab fallende Sonnenlicht. Wenn die einmal einen Fuß auf das Oberdeck gesetzt hätte, könnte sie nicht mehr zurück, dann müsste sie ihre Rolle spielen, so gut, dass sie sie vor dem sicheren Tod bewahrte. Doch, konnte sie das? Sie schauderte. Nein. Sie war kein Mann, noch nie gewesen. Sie wusste nichts. Noch dazu ein Seemann! Ginge es um ihren Bruder, ihn konnte sie nachahmen, er war höflich, gewissenhaft und bewegte sich beinahe so anmutig wie sie. Aber diese Männer? Ihr Verhalten kannte sie nicht. Erst recht nicht.
Ängstlich blickte sie zurück. Noch hätten sie Leona nicht entdeckt, so dass sie noch schnell irgendwo untertauchen könnte. Aber dann? Dann müsste sie sich versteckt halten, für mehrere Monate-oder für wie lange auch immer. Wieder schauderte sie. Rasch blickte sie an sich hinunter und holte tief Luft, bis sie nicht mehr konnte. So verweilte sie einige Sekunden. Sie musste es tun, schließlich hatte sie sowieso nichts mehr zu verlieren. Mit diesem Vorsatz schlich sie die Stufen nach oben.
Vielleicht war der Moment, in dem sie zum Ersten Mal hinaus lugte, der Unglücklichste gewesen, den Leona sich hätte aussuchen können. Mochte sein, aber er war mit Sicherheit der Schlimmste. Schuld daran war nicht das Wetter, denn es war ein herrlicher Tag. Hell und warm schien die Sonne über ihren Köpfen und der Himmel war so blau, dass selbst der blaue Ozean nicht mit ihm mithalten konnte. Es war ruhig. Leona hatte erwartet, dass Seemänner grölten, schimpften und einfach raue, und unflätige Menschen waren, genau das Gegenteil war hier der Fall. Still und schweigsam ging hier jeder seiner Arbeit nach. Einige kletterten hoch über ihr hin und her und vertäuten verschiedene Seile, die sie nicht kannte, andere schruppten das Deck und wieder andere lehnten gelassen an der Reling und blickten hinaus aufs offene Meer. Leona fasste neuen Mut. Wenn es wirklich so war, wie sie es jetzt sah, konnte es gar nicht so schlimm werden, wenn sie Glück hatte, könnte sie ebenfalls Tag ein Tag aus irgendwo lehnen, hier und da ein bisschen auf den Knien umher rutschen und den Boden schruppen ohne sich großartig mit der Mannschaft befassen zu müssen.
Euphorisch kam sie aus ihrem Schatten heraus und tauchte, gut sichtbar, in das Geschehen, dass sich abspielte ein.
Unsicher stand sie da und wippte von einem Fuß auf den anderen. Niemand beachtete sie. Skeptisch wusste sie im ersten Moment nicht, ob das gut oder schlecht war. In ihrer Not versuchte sie, Christjan ausfindig zu machen, aber hier, sahen alle beinahe gleich aus.
Angestrengt sah sie sich um. Das Schiff war eigentlich nicht besonders groß. Es hatte ein kleines Deck, auf dem man schnell zur anderen Seite gelangen konnte. Er musste doch leicht zu finden sein.
Wie gerufen, tauchte er vor ihr auf und nahm er die Sonne aus dem Gesicht. „Komm hier entlang.“, drängte er und zog sie sanft mit sich. Wenn Leona ehrlich war, war dies doch viel zu auffällig, oder war es Brauch, wenn ein Mann einen anderen Mann so berührte und mit sich zog?
„Hier.“ Er blieb stehen und reichte ihr sogleich einen mitgenommenen Wischmopp. „Wisch‘ einfach so lange es geht und nicht komisch aussieht das Deck. Wenn du fertig bist…“, er überlegte, entschied sich dann aber anders. „Nein, wisch‘ einfach so lange du magst, und mach nichts anderes, wenn dich jemand anspricht, rede nicht, nick‘ nur oder schüttle den Kopf, in Ordnung?“
Verunsichert nahm sie den Mopp an sich und tauchte ihn in einen Wassereimer, rührte ihn kurz um und zog ihn prüfend heraus. „Verstanden.“
Noch ehe sie anfangen konnte, etwas anderes zu sagen, oder zu tun, war Christjan auch schon wieder an seinen Posten zurückgekehrt.
Erleichtert begann Leona, das was sie tun sollte. Wischen. Es fiel ihr leicht und bald fühlte sie sich sicher-für den Moment.