Читать книгу Fall eines Engels - Simone Lilly - Страница 5
ОглавлениеAdrals Verrat
Die Stille war unerträglich. Gekränkt war er in sein Zimmer gelaufen, hatte dort alles was er finden konnte umhergeworfen, sich gefasst, war zu Raphal und Merlina gestürmt und hatte sie zur Rede gestellt.
Jetzt sagten sie nichts. Warum auch?
Doch Adral fühlte sich hintergangen, von beiden.
Fast schon wollte er lauthals rufen: „Sagt doch etwas, nur irgendetwas!“, doch er konnte es nicht. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Fassungslos wechselte er von einer Person zur anderen.
Merlina hatte ihren Mund wieder geschlossen, sich in Bewegung gesetzt und sich demonstrativ neben Raphal gestellt. Dort nahm sie seine Hand, so als wolle sie Adral auch noch den letzten Hoffnungsschimmer nehmen.
„W … wann ist es passiert?“
„Du meinst zwischen uns?“
Natürlich du Trottel. Was denn sonst?! Gerade schaffte er es noch seine aufkeimende Wut zu zügeln, ebenso seine aus seinen Augen tretenden Tränen. Sein Kinn begann gefährlich zu zittern, ebenso seine Knie.
Sein Bruder schien mitgenommen zu sein, immer wieder blickte er nach oben, als würden die Wolken ihm Absolution erteilen. Dabei konnte das niemand, das wusste Adral, er selbst nicht und auch kein anderer.
„Wir haben uns öfters getroffen. Öfter, als wir es dir gesagt haben.“, die zwei wechselten Blicke. In Adral begann es kräftiger zu brodeln. „Ihr habt mir rein gar nichts gesagt“, berichtigte er sie.
„Wir wollten es dir nicht sofort sagen, wir dachten es wäre besser so.“
Natürlich, denn so konntest du dich ungehindert an Merlina rannschmeissen!
„Wir haben uns gut verstanden, ein jeder fühlte wie der andere, … so ist es gekommen und wir küssten uns.“
„Ihr habt euch geküsst?“
Raphal blickte ebenso erschrocken zu Merlina, als Adral es tat.
Eine eiserne Hand griff nach seinem Herz, packte es und zerknüllte es mit einem kräftigen Ruck. Sein Blut gefror. Zu gerne hätte er ihnen an den Kopf geworfen, Merlina hätte auch ihn geküsst, möglicherweise würde Raphal nicht daran zweifeln und wütend auf Merlina sein. Der Gedanke war verlockend. Mit einem Wort würde er ihr neues Glück zerstören. Das noch so schöne Glück der Engel, welche einem Teufel, so wie er einer war, nie etwas gönnten, eher würden sie sterben.
Raphal lies von Merlina ab und kam mitleidig auf ihn zu. „Hör zu, es tut mir wirklich leid, Adral. Ich weiß nicht, wie viel sie dir bedeutet hat, ich wusste ja nicht einmal, dass ihr euch kanntet … aber …“
Seine Worte drangen kaum an Adrals Ohr. Gedemütigt ging er in die Knie und stützte sich auf seinen Ellbogen ab. Wie peinlich war es sich einzugestehen, auch in Merlina verliebt gewesen zu sein und den Kampf mit seinem Bruder verloren zu haben. Das auch noch bevor er richtig begonnen hatte.
„… aber gegen Gefühle kann man nichts machen, man muss ihnen folgen und sie … frei herauslassen.“
Sein Blut köchelte. Das konnte Adral in seinen pulsierenden Adern fühlen. Seine Ohren begannen zu brennen, seine Halsschlagader trat bedrohlich nach außen. Durch seine zarte und blasse Haut.
Die Wolken über ihren Köpfen schienen sich zu verdunkeln. Es war nur ein einfaches Gewitter, doch Adral dankte dem Wetter dafür, denn es passte zu seiner Stimmung, unterstrich sie und bestärkte sie.
Aufbrausend kam er dicht an Raphal heran. „So?“, er schubste ihn. Nicht fest, dennoch strauchelte er. „Was redest du denn von Gefühlen?“, wieder stieß er ihn nach hinten. „Weißt du etwa, wie es ist, von niemandem geliebt zu werden?“, warnend blickte er auf Merlina, ballte seine Faust und donnerte sie Raphal ins Gesicht. Passend zu dieser Tat schnellte ein greller Blitz an ihnen vorüber und blendete alle in die Augen. Getroffen fiel Raphals Kopf zur Seite. „Weißt du wie es ist, immer der Verlierer zu sein? Egal was du tust, du bekommst nichts. GAR NICHTS!“
Immer wieder hielt er inne, seine Füße hatten den glatten Boden verlassen und sich um Raphals Körper geschlungen. Wie eine Schlange, die dabei war ihre Beute zu erdrosseln, saß er auf Raphals Becken, schlug auf seinen Bruder ein und presste seine Oberschenkel immer stärker zusammen.
„Adral!“
Er überhörte Merlinas Schreie. Warum auch sollte er auf sie hören, schließlich war sie nicht besser als alle anderen. Sie war auch der Meinung nur Engel würden etwas zählen, die beiden Rassen zu vermischen wäre eine Todsünde und nicht gestattet. Wer wusste was sie unter sich gesagt hatten, wie sie über ihn gesprochen hatten, von Abscheu und Hass geprägte Worte, dessen war Adral sich sicher. Etwas anderes hatte er zeit seines Lebens von keinem Engel zu hören bekommen.
Unerwartet rasch kam Raphal zu sich, bäumte sich auf, warf ihn von sich fort und sprang nun selbst in die Luft. Noch bevor Merlina einen weiteren Schrei von sich geben konnte, geschweige denn daran denken konnte, prallten ihre nackten Oberkörper aufeinander, es gab einen lauten Knall, doch sie hielten sich eng umschlungen. Nicht weil sie sich umarmten, nein, während Adral sich an Raphals Kehle klammerte, hatte dieser kurzerhand seine Haarsträhnen ergriffen, sie mit seinen Fingern umschlungen und zog mit aller Kraft an ihnen.
Seine Kopfhaut schmerzte, es fühlte sich an, als würde Raphal ihm mit purer Gewalt alle Haare herausreißen. Mit Tränen in den Augen versuchte Adral sich zu beherrschen und drückte weiter zu. Doch auch Raphal lies nicht locker. Gekonnt wirbelte er herum, sorgte dafür, dass Adral den Halt verlor und auf dem Boden landete. Kaum war er dort aufgekommen wollte er sich zur Seite rollen, doch Raphal war flink auf ihn gesprungen, hielt ihn fest und schlug mit einer freien Hand auf ihn ein. Die Schläge schmerzten ihn kaum. Sein Kopf kribbelte, seine Pupillen hatten sich gequält verengt, mühevoll hielt er seine Hände vor sein Gesicht, wollte es damit schützen.
„Hast du nun genug?“
„Nie im Leben!“, fauchte er seinem Bruder entgegen, brachte es aber nicht fertig, ihn endgültig von sich zu stoßen.
„Hört auf!“
„Halt dich da raus!“
Überrascht hielten beide inne und sahen sich an. Jedenfalls in diesem Punkt waren sich beide einig gewesen.
Kalte Regentropfen platschten Adral auf die verschwitzte Haut. Er konnte den Blick kaum heben, denn da er auf dem Boden lag würde er so direkt in die dunklen Wolken und in den Regenschauer blicken. Wieso nur musste ihre Welt genau zwischen den Wolken liegen? Wäre es nicht einfacher, würde sie darüber schweben? Immerhin wären sie so vor den verschiedenen Launen des Wetters verschont. Und warum nur waren die Zimmer ihres Hauses von oben hin nicht abgeschirmt. Jeder einzelne Tropfen konnte zu ihnen hinein.
„Gibst du auf?“
Ein besonders dicker Tropfen lief über Raphals Nasenspitze, verweilte dort für eine Weile, wurde dann aber von seinen hitzigen Bewegungen losgerüttelt und stahl sich über seine Lippen bis zu seinem Kinn hinunter. Würde er von dort aus fallen, würde er mitten in Adrals linkem Auge landen. „Nein“, brummte er, versuchte sich noch einmal kläglich zu wehren, gab dann aber auf. „… doch.“
Augenblicklich wich Raphal von ihm, rappelte sich auf und gesellte sich wieder zu Merlina. Zum Zeichen ihrer Anerkennung drückte sie ihm einen kurzen Kuss auf die Wange. Adral wurde übel, den Anblick konnte er nicht ertragen, noch dazu, da er nun den zweiten Kampf gegen Raphal verloren hatte.
Ich bin wirklich ein Monster. Musste er geknickt feststellen, als er sich niedergeschlagen aufsetzte, aber dennoch kniend vor den anderen überdauerte. Die Teufel sind wirklich Monster. Er schluckte und wischte sich kurz durch die mittlerweile nassen Haare. Die Wolkenwand wurde dichter, der Regen stärker, immer mehr Blitze folgten aufeinander. Egal was er tat, es würde wohl immer zum Scheitern verurteilt werden.
Raphal sagte nichts, auch Merlina tat nichts dergleichen. Das war auch gut so, denn würden sie ihn nun mit Spott bestrafen, er wüsste nicht was er getan hätte. Vermutlich hätte er sich geradewegs vom Himmel gestoßen. Vielleicht war auf der Erde ein Platz für ihn. Die Sage besagte doch, dass einem jeden gefallenen Engel die Flügel vom Leib gerissen wurden, zwar besäße er an deren statt eine große Narbe, doch wäre er von den übrigen Erdbewohnen nicht mehr zu verkennen. Galt dies auch für Teufel? Gewiss wären die anderen nett zu ihm, würden ihn verstehen, oder wenigstens in Ruhe lassen.
„Was hast du jetzt vor?“, fragte Raphal als er sah, dass Adral sich kläglich aufrichtete. Doch er scherte sich nicht um die Frage seines Bruders, was ging ihn das an, er hatte doch was er wollte, er hatte Merlina. Traurig setzte er einen Fuß vor den anderen. Fort, er wollte einfach nur fort.
„Du kannst fliegen.“
Fluchend spie Adral einfach neben sich, zu viel Rotz und Speichel hatten sich in seinem Rachen gebildet, die Tränen wurden stärker, es bestand die Gefahr noch vor Raphal und Merlina einen erbitterten Weinkrampf durchstehen zu müssen. „Ich … weiß, dass ich das kann! Aber das interessiert dich doch nicht!“
„Aber Adral …“
„Aber Adral …“, äffte er ihn kindlich nach, stieß sich vom nassen Boden ab und fuhr in die Höhe. Sollten sie doch bleiben wo sie wollten, er käme schon zurecht, und wenn nicht würde niemand sich um ihn sorgen.
Dass Raphal immer im Vordergrund stand, brachte für Adral nur einen Vorteil: er selbst blieb in seinem Schatten, unerkannt und unbeachtet. Und doch konnte Adral manchmal so viel Interesse an seinem ungeliebten Bruder aufbringen, dass er wusste: er verbarg etwas vor ihnen.
Stundenlang flog er sinnlos durch die Lüfte, blieb stumm in seinem Zimmer und redete mit keinem ein Wort. Anfangs, als er Merlina kennengelernt hatte, war ihm Raphals Verhalten egal gewesen, dachte er seitdem doch nur an ihr freundliches Wesen. Die Tatsache, dass sie ihn liebte – mochte – obwohl er ein Teufel war, war ihm eine Freude. Als er sich mit ihr unterhalten hatte, hatten ihn keine Gefühle wie, Scham oder Furcht geplagt. Leichtigkeit und Wärme an ihrer Statt. Im Moment als er Raphals Sorgen, sein Geheimnis entdeckt und sie mit ihm gesehen hatte, zerstörte dessen Wichtigkeit im Leben aller und im Leben Merlinas seine Hoffnung mit einem eisigen Fausthieb. Jene Hoffnung auf eine tiefere Bindung mit ihr. Zum Kampf herausfordern hatte er nie beabsichtigt. Wie denn auch? Dazu fehlte Adral der Mut. Geschehen war es nur aus einem Impuls heraus. Schon wieder hatte er gegen einen Engel verloren. Es war genug. Mehr konnte er einfach nicht ertragen.
„Was ist mit ihr?“. Es war seine Mutter, die sich ihm näherte. Längst hatte sie das Zerwürfnis zwischen ihren Söhnen bemerkt. „Liebtest du sie denn?“
Traurig kauerte Adral auf seinem Bett, sah perplex aus dem Fenster und verfluchte die Welt, in die er geboren worden war. ernst schüttelte er den Kopf, als seine Mutter sich zu ihm aufs Bett setzte,. „Nein noch nicht. Aber ich wollte es zu gerne.“
Mitfühlend nickte sie und begann seine Schulter zu tätscheln. „Einen Engel zu lieben ist wohl nur deren Privileg.“
„Gewiss.“, pflichtete sie ihm bei und blickte ihm tief in die Augen. „Adral, lass dich nicht so mit Hass erfüllen. Engel sind Engel, wir sind wir. Darauf kommt es an. Sei du selbst. Deines Glückes Willen.“
„Ach, was redest du denn da?“
Immernoch mehr als geduldig reichte sie ihm ein Tuch. Nur zögerlich nahm er es entgegen und wischte sich eine aus seinem Augen kullernde Träne von der Wange. „Ich rede es, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, gegen einen Engel zu verlieren. Und ja, es ist unrecht, das muss mir keiner erst sagen, das habe ich Jahre lang durchmachen müssen. Ebenso wie dein Vater.“, wieder rückte sie an ihn heran und strich routiniert ein zerknautschtes Kissen auf der Matratze glatt. „Überlege mal, wem schadest du damit? Mit deinem Hass und Groll? Raphal? Dem Mädchen? Nein, keinem. Nur dir selbst. Akzeptier das und du wirst besser leben. Versteh doch. Raphal will dir nichts böses, er kennt es nicht anders, es ist unser Volk, das ihm sein Glück zueigen macht, nicht er selbst. Und er möchte bestimmt nicht dein Unglück.“
Belächelnd warf er das Tuch in die gegenüberliegende Ecke. Es begann langsam dunkler zu werden. Große Wolken zogen sich zusammen. „Ach ja? wieso nur tut er es mir dann immer an? Als ich so verwundet war Mutter, stand er bei mir, doch wollte er mir nicht helfen.“, stur verschränkte er die Arme vor der Brust. „Ja es ist richtig. Er möchte mir kein Leid antun. Hilft mir aber auch nicht und was das Schlimmste ist, das weiß ich, würde man es von ihm verlangen, würde er nicht nur daneben stehen, sondern eigenhändig auf mich einschlagen, so wie es die anderen tun.“
Von seinen Worten erschrocken wich seine Mutter von ihm. Es donnerte einmal laut über ihnen auf. „Niemals würde er das zulassen! Ich kenne ihn.“
„Aber ich kenne ihn besser, Mutter!“
Aufgebracht darüber, selbst von einem Teufel nicht verstanden zu werden, kletterte er auf den Fenstersims, bereit, sich einen anderen Ort für seine Trauer zu suchen. „Hör auf dir alles schön zu reden. Wir sind verflucht, wir alle. Verdammt dazu ein Leben als deren Sklaven zu fristen, und wir sind dabei dies unter Raphal zu tun!“
Hin und her.
Idiot.
Wieder schwang er sich herum und stob wieder zurück. So ging es schon seit mehreren Stunden. Er konnte sich einfach nicht beruhigen. Unter ihm waren viele andere Menschen zu sehen, eine Mutter mit ihrem Kind, es weinte, anscheinend hatte es nicht bekommen was es wollte. Schreiend hatte es sich vor einem Spielzeugladen auf den Boden fallen lassen, schlug mit den kleinen Händchen auf die Erde und rührte sich nicht.
Tränen vernebelten seine Sicht, mehr noch als die hauchzarten Wolkenschleier, welche ihm ab und an daran hinderten einen freien Blick auf die Stadt unter ihm zu werfen. Er flog viel zu weit oben, das wusste er, am liebsten wäre er noch weiter hinaufgestiegen. Doch es war schwer, schon jetzt merkte er, wie eine eiserne Hand sich um seine Lungen legte. Schwache Blitze tanzten vor seinen Augen. Das Gewitter schien sich zu legen.
Von der abendlichen Luft umhüllt versuchte Adral ruhig zu atmen, seine Wut unter Kontrolle zu bekommen. Schaffen konnte er es aber nicht, ganz gleich wie oft er es noch versuchte. Sein Herz schmerzte, sein Brustkorb hatte sich zu einer engen Gasse verengt, er konnte nur schwer Luft holen, wann immer er es versuchte, drohten seine Rippen zu zerspringen. Die schwache Abendsonne brannte ihm in den Augen, schützend spreizte er seine Finger, die er sich vor die Augenhöhlen hielt. Von anderen ungesehen ging er in den Sturzflug über, fühlte wie seine Federn monoton und beruhigend im Wind rauschten. Der Boden kam näher. Schwer kam er auf ihm auf und ging sogleich weiter. Wohin wusste er nicht, nur soviel: er war weit außerhalb der Stadt. Hier war nichts mehr, nichts außer Wolken.
Langsam sah er sich um, diesen Ort kannte er nicht. Warum nicht? Er war friedlich, hier hätte er vermutlich immer schon Ruhe vor Raphal und den anderen „Engeln“ gehabt.
Getroffen sank er auf die Knie und verschränkte seine Beine in einen bequemen Schneidersitz. Es war unfassbar, wie hatte Raphal ihm das nur antun können? Er war sein Bruder, und hatte nicht Adral selbst ihm noch freudenstrahlend von seiner Begegnung mit Merlina erzählt? Voller Freude und feurigem Funkeln in den Augen?
Sein Kopf fiel schwer auf seine Arme, immer wieder schüttelte er ihn fassungslos. Zugegeben, den Namen Merlina hatte er nicht erwähnt.
Raphal hatte doch trotzdem gewusst wie viel ihm die Begegnung und auch seine Liebe zu ihr bedeutet hatte, allein schon die Tatsache, dass sie ein Engel war und ihn – ihn Adral zu mögen schien, sich ganz normal mit ihm unterhalten hatte, als wäre nichts zwischen ihnen, hatte ihn begeistert und in ihm schon im ersten Moment als er sie gesehen hatte, tiefe Gefühle für sie geweckt.
Wütend schlug er auf den Boden. Aber wie immer bekam Raphal das Glück. Wie hatte er auch denken können, dass sich jemand wirklich für ihn interessierte? Ja, vielleicht würde es ein Teufel eines Tages, doch er wollte es nicht. Aus Trotz wollte er Merlina, der Welt und vor allem Raphal damit zeigen, dass Engel und Teufel sehrwohl miteinander leben konnten, einträchtig und verliebt.
Aber Raphal hatte diese Schlacht gewonnen, wie genau wollte er gar nicht wissen. Es würde ihn nur noch mehr schmerzen, mehr noch als das Wissen, Merlina für immer an ihn verloren zu haben.
„Weinst du?“
Er ignorierte die Stimme, dachte wie immer, dass es Engel wären. Sie waren von weither gekommen, zu ihm um sich über seine missliche Lage lustig zu machen.
„Sag doch was.“ Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Zuerst fühlte er sie gar nicht, doch als sie an seiner rauen Haut entlang rieb, hob er zaghaft den Kopf.
„Was soll ich sagen?“
Der Mann lächelte. „Du weinst ja doch.“
„Na und?“, erbost schüttelte Adral den Mann von sich und versteifte seinen Sitz, obgleich er auch ein Teufel war, wollte er nicht mit ihm sprechen. „Das geht dich nichts an.“
Der Mann streckte ihm seine große Hand entgegen, doch Adral schlug aus. „Ich bin Rachmiel. Und du?“
„A …“, kurz überlegte er. „Adral.“
Wortlos nahm Rachmiel dieselbe Haltung an. Nebeneinandersitzend glich einer dem anderen wie dessen eigenes Spiegelbild. Beide hatten schwarze Haare, Flügel und Augen. Keiner sagte etwas.
In Adral regte sich etwas. Das war die Gelegenheit endlich mit einem von seinesgleichen zu sprechen. Ihn etwas zu fragen, alles, seine Herkunft und Meinung gegenüber Engeln.
Vorsichtig spähte er zur Seite, wurde aber sofort vom aufmerksamen Rachmiel gesehen. „Die anderen kommen gleich“, sagte er nur, wobei er wusste, dass Adral keine Ahnung hatte, wovon er überhaupt sprach.
„Welche anderen?“
Rachmiel hob einen Finger und wies hoch über ihre Köpfe. Erst dort konnte Adral viele schwarze Punkte erkennen, langsam und gleichmäßig bahnten sie sich ihren Weg durch die orangene Wolkendecke.
Leichtfüßig fassten sie Fuß und taten nichts anderes, als Adral die Hand zu reichen, so als wären sie die engsten und ältesten Freunde. „Ich bin Damina“, stellte sich eine dünne Frau vor und drückte seine Finger kräftig zusammen.
Sie trat zur Seite und ließ gleich zwei gleichaussehende Männer an ihn herantreten. „Wir sind Luniar und Amiral.“
„Adral“, gab er knapp zurück und nahm seine Hand wieder an sich. Fast als wäre er angeekelt. Dabei konnte er sein Glück kaum fassen.
Alle drei setzten sich.
„Ich habe Adral hier gefunden“, erklärte Rachmiel kurz und bündig. „Was heißt gefunden, ich habe ihn gesucht … und letzten Endes entdeckt.“
Erschrocken blickte er auf. „Ihr … ihr habt mich gesucht? MICH? Warum?“
„Du brauchst uns nicht so angsterfüllt ansehen, Adral“, Daminas Hand ruhte sanft auf seinem Knie. Wäre er nicht in Gedanken bei Merlina, bei ihrer unvergleichbaren Schönheit, ihm hätte diese Berührung gefallen. Nicht so aber. „Wir haben dich gesucht – ja. Aber wir wollen dir nichts Böses.“
„Pah! Wenn man so ist wie ich und „gesucht“ wird, verheißt es nie etwas Gutes.“, in Rage blickte er um sich. „A … ber das wisst ihr sicherlich auch. Es bedeutet nur Hohn, Spott und Schmerzen, wenn sie dich erwischen.“
Alle nickten.
Luniar strich sich durch die lockigen Haare, legte sie hinter sein Ohr und rümpfte die Nase. „Den Grund wollen wir dir gerne erklären.“
Hin und hergerissen überlegte er. Sollte er einfach davonfliegen? Es wäre leicht sich schnell vom Boden abzustoßen und dann verschwunden zu sein. Seine Neugier siegte. „Na schön. Wo sollen wir hin?“
Alle waren verwundert. Rachmiel winkte lachend ab. „Du denkst doch nicht wir hätten ein Geheimversteck, wir sind keine Verbrecher oder so etwas, falls du das denkst.“
„Wozu braucht ihr mich dann?“
Rachmiels breites Grinsen erstarb, seine Mundwinkel zuckten zusammen. „Wir brauchen dich, ist etwas zu leicht gesagt. Du sollst – nein MUSST uns helfen.“
„Wobei?“
„Nicht so voreilig, wir erzählen dir doch alles.“
Wartend verschränkte er die Arme und lehnte sich auf seine aufgestellten Füße, sie kribbelten unangenehm.
Schnell versuchte Damina ihn bei Laune zu halten. „Du kennst doch die alte Sage, oder?“
Das war leicht gesagt, ihr ganzes Volk bestand nur aus Sagen und Mythen.
„Ich meine diejenige über unsere lange Fehde, über die, die uns erst zu dem machte, was wir heute sind?“
„Du meinst die große Schlacht?“
Sie nickte, wobei sie aus Übermut eine lange Strähne ihrer kohlrabenschwarzen Haare verschluckte und genervt hustete. „Genau, die, über das ungleiche Geschwisterpaar, Bruder und Schwester, welche sich bis aufs Blut hassten, sich eines Tages als erbitterte Feinde gegenübertraten und übereinander herfielen.“
„Ja natürlich, wer kennt sie nicht.“
Alle Augen ruhten auf ihm, zuerst verstand Adral nicht wirklich was sie von ihm wollten, als ihre Blicke aber immer durchdringender wurden, wurde ihm seltsam zumute.
„Du hast einen Bruder, Adral, oder etwa nicht?“, fragte Rachmiel vorsichtig, wobei seine Stimme erregt zitterte. „… einen ungleichen Bruder.“
„Stop!“, ungehalten knallte er gegen Amiral, der ebenso wie er es getan hatte, schnell auf die Beine gesprungen war, fast so als wolle er ihn festhalten. Barsch zwang er Adral dazu mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu bleiben. „… ihr verlangt doch nicht von mir, dass ich meinen Bruder verrate?“
„Aber du weißt, dass ihr die lang herbeigesehnten Brüder seid? Die Geschwister, die Wiedergeburt der …“
„Ich will es gar nicht wissen!“, besänftigend hob er die Arme. Allein gegen vier Teufel würde er niemals standhalten können. „Ich habe oft von Himmelsmenschen wie euch gehört, von solchen die meinten, es gäbe eine Wiedergeburt und die Rache der Besiegten. Aber das ist doch nicht wahr. Es ist eine Sage, ein Mythos, ein Märchen.“
„Es ist wirklich geschehen.“
Hilfesuchend sah Adral sich um, wie schön wäre es jetzt einfach davonlaufen zu können, sein Puls wurde schneller, ihm wurde heiß um die Ohren. Würden sie auf ihn losgehen, wenn er sie als verrückt bezeichnete?
„Adral du verstehst uns falsch, wir WOLLEN keinen Kampf, aber eure Geburt ist ein Zeichen dafür, dass es zu einer Schlacht kommen MUSS.“, wieder näherte sich Damina, so nah, dass Adral weiter nach hinten stolperte. „Wir wollen Gerechtigkeit, die Engel nehmen uns alles. Manchmal unser Hab und Gut, unsere Rechte, unsere Würde und …“
„… unsere Frauen“, vollendete Adral den Satz und ballte wütend die Fäuste.
Rachmiel hielt überrascht inne und kam nicht mehr auf ihn zu. „…. Ja die auch …“
„Ihr wollt also einen Kampf?“
„Er ist nötig.“
Adral wurde nachsichtiger und setzte sich sogar wieder. „Ihr wollt, dass ich meinen Bruder verrate, ihn hintergehe und für unser Recht einstehe?“
Sie nickten einträchtig. „Ja, als unser Anführer.“
Anführer, das Wort gefiel ihm, noch nie hatte er jemanden angeführt. Nirgends, nicht in der Schule, nicht in seiner Familie und auch sonst nicht.
Ich könnte es Raphal heimzahlen. Ein schelmisches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Seine Augen begannen fanatisch zu leuchten. Er wäre ein Freiheitskämpfer, würde den Teufeln zu einem besseren Leben verhelfen, würde sie befreien, würde für sie zum Helden werden.
„Aber ihr tötet sie nicht oder?“, seine Frage klang ängstlich, erst recht, da er an Merlina dachte, auch sie gehörte zu den Engeln, und er könnte es nicht ertragen ihr Leid zuzufügen.
„Du bist unser Anführer, Adral, du bestimmst.“
„Gibt es noch mehr von euch, ich meine welche, die genauso denken?“
Sie nickten. „Nahezu alle. Wir warteten nur auf ein Zeichen, wir warteten auf dich.“
Die Gruppe hatte nicht lange auf Adral einzureden, er wusste auch so, dass sie recht hatten mit allem was sie gesagt hatten. Sie mussten sich wehren es konnte nicht sein, dass die Teufel ein Leben lang unterdrückt wurden, ohne Grund! Was waren die Engel schon? Sie waren schwächer, sie waren sogar langsamer. Das schwarze Gefieder um einiges robuster als das Weiße.
Also, waren sie ihnen in allem überlegen. Manchmal sogar im Geistigen.
"Wie genau kann ich euch helfen?"
"Das haben wir bereits gesagt."
"Das bedeutet ich soll mich nur präsentieren als der Bruder eines solchen Geschwisterpaares?"
"Natürlich nicht nur das, das wäre zu wenig! Mitkämpfen natürlich auch!", entrüstet erhob sich das Mädchen, "wenn du nicht mitkämpfst ist die ganze Repräsentation umsonst. Stell dir vor auf dem Schlachtfeld sind alle entmutigt oder unterlegen was ich nicht glaube, dass das passieren würde." Alle lachten kurz: "Dann sehen sie dich wie du vor ihnen auf und ab fliegst mit erhobenem Haupt bereit den eigenen Bruder zu töten, mit dem Wissen, dass sie auch wieder siegen können!"
Nachdenklich rückte er von ihnen fort. Oft hatte er Raphal mit den Worten oder dem schweren Satz: "Ich will dich töten.", verlassen. Gewünscht hatte er es ihm aber nie. "Natürlich bin ich wütend auf ihn. Öfter sogar als dass ihr es glauben würdet, aber trotzdem von wirklich töten habe ich nie gesprochen!"
Dunkel setzte er zur Antwort an: "Mensch, bist du naiv, selbstverständlich war von Töten die Rede, denkst du etwa wir bringen all die Energie und Kraft für diesen Aufstand auf, nur um ihnen einen einfachen Denkzettel zu verpassen? Hast du wirklich angenommen wir lassen die danach einfach so nachhause fliegen und sich in all ihren Vorurteilen bestätigt fühlen? Dass sie all die Jahre recht damit hatten uns, die "Bösen" zu unterdrücken, da wie sowieso nichts außer Unheil vollführen?"
"Selbstverständlich nahm ich es an! Nein, ich hoffte es, denk doch nur an all die Toten, die es geben wird! Auf beiden Seiten!"
Zornig war Rachmiel aufgestanden, streckte seinen Arm und drückte seine glatte Handfläche nach außen gegen Adrals Gesicht. "Ja es wird Tote geben, doch unser Ziel ist es, die auf unserer Seite so gering wie nur möglich zu halten!"
Ebenfalls mehr als aufgebracht erhob auch das Mädchen sich, winkte ihm und wies ihn an ihr zu folgen: "Komm, folge uns zu unserem Versteck, dort werden wir dir alles sagen."
"Ich sagte doch dass es ein Versteck gibt!"
Noch bevor sie sich alle vom Boden abgestoßen hatten, wandte Rachmiel sich zu ihm um. " Naivität ist eine deiner Stärken sehe ich!"
Obwohl die Worte eine Beleidigung waren und Adral recht wenig Lust hatte der Gruppe zu folgen, tat er es.
Das Gewitter war noch nicht ganz verflogen. Wie immer war es schwer sich in der Luft zu halten und gegen den peitschenden Wind anzukommen. Schweißtreibend hatten alle wild mit den Flügeln zu schlagen um nicht davongeweht zu werden. Dennoch setzte Adral später mit den anderen auf dem Boden auf. Sie waren in einem Haus, in einer großen Halle, sie mochte schon länger unbewohnt sein denn sie wirkte heruntergekommen. Wenige Stühle standen darin, zwei Reihen vor einem kleinen Pult: dort wurde vermutlich gesprochen und die allgemeine Wut und Enttäuschung des Volkes gegen die Engel aufgestachelt.
" Warte hier ich hole die anderen."
Wen genau Rachmiel mit "den anderen" meinte, konnte Adral nicht sicher sagen, wollte es auch gar nicht können, wenn er ehrlich war.
Zeit sich umzusehen hat er nicht, denn schon bald begannen richtige Schwärme von Teufeln durch die Türen herein zu fliegen. Zu landen, sich zu setzen und Münder und Augen weit aufzureißen, konnten nicht glauben was sie in ihm sahen. Eigentlich sah Adral genauso aus wie jeder andere Mann von ihnen, trotzdem starrten sie so als wäre ein Wesen welche sie noch nie zuvor gesehen hätten unter ihnen gelandet und suchte nun nach Hilfe. Instinktiv mussten sie wissen um wen es sich bei Adrals Anwesenheit handelte. "Gut ... Zeit zu Gehen.", murmelte er schüchtern in sich hinein, wollte augenblicklich gehen, wurde dann aber von dem zurückgekehrten Rachmiel ernst mit einem kräftigen Schlag auf den Rücken festgehalten.
" Wo willst du hin?", fragte er schon fast beleidigt, nickte dem ein oder anderen Bekannten zu und schob sich dann mit ihm zusammen auf das Podest. Nun war es zu Spät!
Alles wurde leise, einer wollte sprechen, ihm lauschten sie gerne, das konnte man in jedem einzelnen Blick erkennen. " Liebe Freunde!, begann Rachmiel seine Rede, mit hoch erhobenen Armen und rauer Stimme. Der Klang war vertraut, ebenso die Anrede. Öfter als Adral es vermutet hatte mussten sie sich hier versammeln und über die Willkür der Engel sprechen. Heimlich, so dass sie niemand sonst hörte.
Rachmiels Stimme wurde lauter, vertraulich wenn man ihm fünf Minuten zuhörte konnte man annehmen, dass er ein geübter Redner war. Charismatisch, nicht so wie er es beschrieben hatte: naiv wie Adral. Als Bruder eines ungleichen Geschwisterpaares wäre er eindeutig die bessere Wahl gewesen.
" Jetzt kann er endlich wahr werden, unser Traum von Gerechtigkeit! Wir können unseren Hass, unsere Demut und alles andere dass sich Jahrelang in unseren Körpern aufgestaut hat endlich abschütteln und unseren Durst auf Rache stillen!"
Die Brutalität welche schon jetzt zu hören war lies Adral beim bloßen Gedanken daran das Blut in den Adern gefrieren. Das obgleich alles von Natur aus in ihnen kalt war. Vom alleinigen Zuhören, wie wäre dann nur die Wirklichkeit?
Das konnte doch nicht wahr sein, wo war er denn hingeraten?
Wäre er doch lieber zuhause geblieben, in seinem Zimmer. Wäre noch etwas gekränkt gewesen, über Raphals Verrat, hatte dann aber wie immer vergeben und hätte damit leben müssen.
Es war eine stille Nacht. Ab und an waren leise Stimme zu hören, an sich nichts Ungewohntes. Dennoch saß Raphal seit Stunden am Fenster seines Zimmers und blickte auf die Straße hinunter, auf die Vorgänge, welche seit dem frühen Mittag vor sich gingen.
Immer wieder verließen mehrere Teufel ihre Häuser, selbst ihre Nachbarn von gegenüber. Längst hatten sie ihre Koffer gepackt und waren einträchtig gegangen. Längst hatte sich herumgesprochen, dass diese Bewegung nicht die Einzige war. In der ganzen Stadt wurde eifrig gepackt.
In seiner Sorge blickte er nach hinten auf die schlafende Merlina. Weit entfernt von ihrer anscheinend zynischen Mutter hatte sie beschlossen ganz bei Raphal zu bleiben. Es war spät und sie hatte sich auf seinem Bett zusammengerollt, ihre Flügel, damit sie ihr nicht im Weg umgingen, umständlich um ihren Körper geschlungen und atmete tief ein und aus. Nichts konnte ihre Träume stören. Sie sorgte sich nicht um die seltsamen Vorgänge. Unterhalb seines Fensters konnte er Schemenhaft Wächter erkennen, ihnen war die allgemeine Stimmung auch nicht geheuer, auch sie waren neugierig. Jedes dritte Paar hielten sie zurück und fragten was ihre Flucht auf sich hatte. Von keinem erhielten sie eine klare Antwort, sodass sie von ihnen abließen und sich neue Opfer suchten. Ganz verständlich war es ihm anfangs nicht warum sie die Züge nicht aufhielten, doch wahrscheinlich kam es ihnen gerade recht, wenn ihre Stadt von Teufeln verlassen wurde. Überall im Land war lautes Grollen zu hören, die Nachtluft roch bedrohlich.
Er schreckte auf als von unten aus der Küche lautes Poltern zu hören war. Mit einem kräftigen Schlag seiner Flügel stieß er sich vom Boden ab, flog an Merlina vorbei und landete im Erdgeschoss. Weshalb sie überhaupt eine Treppe eingebaut hatten war ihm schleierhaft. Soweit er sich erinnern konnte hatte noch keiner von ihnen sie jemals benutzt .
"Was geht hier vor?", warf er die Frage in den Raum.
Seine Mutter, gerade im Begriff zu packen, hielt inne, musterte ihn kurz und begann dann von Neuem. Wütend stellte er sich ihr in den Weg.
"Verstehst du nicht? Wir müssen gehen, wir können nicht die einzigen sein, die bleiben.", zärtlich legte sie ihm ihre Hand auf die Wange. "du bist alt genug du wirst ohne uns zurecht kommen außerdem hast du jetzt Merlina."
Bevor Raphal etwas sagen konnte, wurde er von hinten von seinem Vater zur Seite gestoßen. Hart donnerte er gegen die Wand. "Versteh doch, wir müssen gehen. Ich und deine Mutter können nicht die einzigen sein, die bleiben. Worum es geht dürfen wir dir nicht sagen."
"Aber ...?"
"Natürlich sind wir deine Eltern, aber wir sind in erster Linie welche von Denen.", ernst blickte er ihm in die Augen, tätschelte dann kurz seine Schulter und drückte sich an ihm vorbei.
"Aber das könnt ihr doch nicht! Dass das geht nicht!"
" Hör' dich doch mal selber reden!", aufgebracht damit es Raphal zum Schweigen brachte, schlug er mit der Faust gegen den Türrahmen. Sah man genauer hin, konnte man noch kleine Splitter von ihm abbersten sehen. "Hör' dich einmal selbst reden! Natürlich bist du mein Sohn, natürlich liebe ich dich ebenso wie ich Adral Liebe und doch hast du die unwürdige Angewohnheit der Engel übernommen! Sie sehen immer sich selbst, kein Anderer ist Ihnen wichtig, keinen anderen wollen sie verstehen. Nur ihresgleichen, und am liebsten doch nur noch sie selbst. Nun sei nicht beleidigt wie ein kleines Kind! Brauchst du uns?- Wohl kaum. Du bist beliebt, du hast eine Partnerin. Selbstverständlich haben auch wir deine Mutter und ich unsere Position in dieser Gesellschaft aber uns macht es nichts aus sie aufzugeben. Wir geben Sie gerne auf für etwas Großes. Denn das können wir erreichen. "
" Wo ist Adral überhaupt?"
"Er ist schon fort!"
"Ohne sich von mir zu verabschieden?"
" Mit einem Abschied ist es nicht getan", sagte seine Mutter weniger aufgebracht: lediglich mit glitzernden Tränen in den Augen ging sie zu ihm hinüber, blickte ihm noch einmal tief ins Gesicht als wolle sie sein Aussehen tief in sich einsaugen, damit sie es an einem Ort tief in ihrem Körper verschließen konnte und niemals vergessen würde. Dann verließen sie das Haus. Verständnislos was gerade geschehen war, wollte Raphal ihnen folgen, hielt es dann aber für besser, genau dies nicht zu tun.
Lange Zeit saß er einfach nur da. Es war schon früher Morgen, doch es kümmerte ihn nicht. Raphal konnte sich einfach nicht rühren. Ihm fehlte jegliche Kraft.
Fakt war, dass seine Eltern ihn verlassen hatten, Tatsache war auch, dass Adral gegangen war, ohne auch nur ein Wort des Abschieds an ihn zu richten. Das traf ihn am Meisten.
Sanft berührte eine Hand seine Schulter: "Was ist passiert?" .Es war Merlina. Sie war aufgewacht, ohne Raphal, schnell hatte sie die bedrückte Stimmung ihm Haus erkannt, war nach unten gegangen, hatte weder im Zimmer seiner Eltern, noch im Wohnzimmer oder bei Adral jemanden finden können, nur in der Küche, da war er.
"Setz sich.", müde rückte er den Stuhl wenige Zentimeter vom Tisch fort.
Sofort folgte sie seinem Befehl. " Es ist etwas passiert? Sei in deiner Antwort ehrlich."
"Natürlich ist es das! ", kehlig lachte er auf und trommelte mit seinen Fingerspitzen auf der Tischplatte herum. "Sie sind fort, alle. Du bist schnell eingeschlafen, ich konnte es nicht. Als ich mich zu dir legen wollte, habe ich gesehen, wie sich unterhalb des Fensters alles bewegt hat. Durch die finstere Nacht. Unsere Nachbarn selbst aus den Häusern hinter uns. Wie Schatten haben sie sich über den Grund bewegt. Wächter, mehr als sonst haben versucht sie aufzuhalten und das Warum ihres Handelns zu erfahren. Man hat alles versucht. Fast schon auf Knien sind sie vor ihnen herumgerutscht um etwas aus ihm heraus zu bekommen."
"Denkst du sie planen etwas?", erschrocken zog sie ihre Hand von ihm, er griff danach, doch erzeugte das genau die falsche Wirkung sie wurde nur noch nervöser.
"Selbstverständlich planen sie etwas. Warum sonst sollten sie heimlich fliehen? Jahrelange Unterdrückung lassen Böse Gedanken in ihren Köpfen reifen. Sie müssen sich sammeln, um dann zuschlagen zu können!"
Dicke Tränen stachen ihr aus den Augen, als sie ihn in Rage immer wieder musterte. "Ausgerechnet jetzt? Wieso denkst du, sie wollen es ausgerechnet jetzt?"
"Es ist nicht ausgerechnet jetzt! Schon immer. Immer habe ich es in Adrals Augen gesehen, diesen tiefgründigen Hass! Praktisch schon nach seiner Geburt. Er steckt in ihnen."
Sachte streichelte sie ihm über die Haare. "Ach, das bildest du dir bestimmt nur ein, du sagst es dir, weil du einen Grund dafür haben möchtest, weshalb sie dich verlassen haben."
"Bitte.", fordernd zog er seine Hände von ihr zurück und verschränkte sei vor der Brust. "Geh und überprüfe es selbst. Geh raus auf die Straße und suche einen Teufel. Wenn du ihn gefunden hast, sag mir Bescheid. Ich für meinen Teil werde jetzt gehen."
"Wohin?", ihr Blick haftete an ihm, selbst dann noch als er längst aufgestanden und fast verschwunden war. "Nach oben, ich versuche zu schlafen, wenn ich müde bin kann ich nicht klar denken. Und was du tun kannst habe ich dir gerade gesagt. Geh und suche nach ihnen."
So wie er es erwartet hatte war Merlina ihm nicht nachgegangen, hatte ihn einfach ziehen lassen. Ratlos musste sie noch stundenlang in der Küche gesessen sein und der tickenden Uhr zugehört haben.
Raphal selbst wusste was er brauchte. Übermüdet hatte er sich in sein Bett fallen lassen und versucht die Augen zu schließen. Ruhe finden konnte er dennoch nicht.
Leise begann er zu murmeln. "Immer habe ich das Klagen meines Bruders gehört.", ernst und mit dem Drang sich selbst zu ohrfeigen, vergrub er sein Gesicht in den hohen Kissen. Sie rochen herrlich nach Merlina. Jahrelang hatte er Adrals Probleme und Sorgen gesehen, gehört und hingenommen. Niemals hatte er sie allerdings beachtet. Warum nicht? War er so selbstsüchtig?
Ob Adral der Anführer der ganzen Bewegung war, wusste Raphal nicht sicher, konnte es sich aber nur schwer vorstellen. Dazu fehlte ihm doch jeder Mut, mit der Menge mitlaufen konnte er dagegen gut und so war es vermutlich auch. So groß wie der Berg an aufgestautem Hass in seinem Herzen sein musste, so leicht war es anderen gefallen ihn zum Mitlaufen zu bewegen.
Laut hallte seine Stimme durch den verlassenen Raum. Raphal wurde unruhig. Irgendetwas musste er doch tun, er war unglücklich und fühlte sich irgendwie verantwortlich für die Dinge, die geschehen waren oder im Begriff waren zu geschehen. Wo aber sollte er Hilfe finden? Bei Seinesgleichen, an einem geheimen Ort?
Damals waren sie alle glücklich gewesen, dieses Glück wollte er wieder haben. Erschrocken hielt er in seiner Bewegung wieder aufzustehen, inne. Jetzt tat er es schon wieder. Selbst jetzt dachte er nur an sich, was er brauchte, was er wollte. Nicht an Adral, er wollte ihn wachrütteln. Nur deshalb war er ohne einen Gruß gegangen. Verwirrt fasste er sich an den Kopf. Oder ging es letzten Endes gar nicht um ihn? Am Ende war er nur so eingebildet, dass er nur annahm, die ganzen Wolken würden nur um seine Gestalt kreisen.
Anstatt die Möglichkeit zu haben noch länger über sein Verhalten nachzudenken, klopfte es. "Kannst du öffnen?"; brüllte er zu Merlina hinunter und machte sich selbst auf den Weg hinunter. Lustlos landete er hinter seiner Freundin, "Es ist für dich.", sagte sie erstaunt und trat beiseite.
"Ja bitte?", ohne die Person vor ihm richtig wahrnehmen zu können, wurde er unterbrochen.
"Raphal?", eine dunkle Stimme drang zu ihm. Es waren zwei Engel. Halt, waren es überhaupt Engel? Sie hatten weder weiße noch schwarze Federn, ihr Haar funkelte silbern in der aufgehenden Sonne, ebenso silbern wie ihr Gefieder. Ihre Oberkörper waren nicht nackt wie die ihren, sorgfältig waren sie in eine bronzene Rüstung gehüllt. Instinktiv wusste er um wen es sich bei den Kreaturen handelte: es waren Gefolgsleute des Obersten.
"Folge uns.", brach es aus ihnen heraus, noch bevor Raphal auch nur eine Frage stellen konnte. Ohne lange zu zögern schloss er die Tür- von Merlina verabschiedete er sich nicht, wusste selbst nicht wo sie war- und stieß wenig später zu ihnen in den Himmel.
Genau gesehen oder erfahren wo der Oberste lebte, hatte noch nie auch nur ein Engel oder Teufel, jedenfalls hatte noch nie jemand drüber gesprochen. Es wurden immer die verschiedensten Sagen erzählt.
Laut dieser Legende waren sie alle nur Spielfiguren des Obersten. Hoch über ihnen lebte er in seinem Palast und überwachte sie, steuerte ihr Wohlergehen, gesegnet mit Reichtum und Macht. Drei Oberste sollte es nach den Erzählungen geben. Jeder führte einen eigenen Stamm. Kontakt zu einem der übrigen zwei Völker hatte noch nie einer gehabt. Sogar die drei Obersten nicht, munkelte man.
Eines glaubte man aus allererster Hand zu wissen. Ihre Namen. Der Erste hieß Gabriel, dann gab es noch einen Michael und ihr Oberster wurde Rafael genannt. Raphal war ihm im Namen somit beinahe gleich, was ihn schon als Kind immer imponiert hatte.
" Du bist ein Narr!" hatte sein Großvater zu ihm gesagt, als er es ihm erzählt hatte. " dass du das glaubst. Du bist nichts Besonderes Raphal, denn der Oberste behandelt alle gleich."
Ein schelmisches Grinsen huschte über sein Gesicht als sie immer mehr an Höhe gewannen.
Die Wächter waren viel schneller, Silberne Flügel waren kräftiger und flinker in all ihren Bewegungen.
Heute hatte er den Beweis erlangt, dass dem nicht so war. Der Oberste behandelte keinen gleich, immerhin war Raphal gerade zu ihm zitiert worden, und zwar allein er.
Kurz vor einer riesigen Wolkenwand warteten sie auf ihn, packten ihn und schoben ihn durch sie hindurch. Hart landete Raphal auf dem Boden, in einem großen Raum. Ewig weit und strahlend hell und freundlich. Es waren keine einfachen Wolken. Sie wirkten undurchdringlich. Er überlegte. Wenn sie schon nichts von den einfachen Menschen unter ihnen mitbekamen, wie musste es dann dem Obersten ergehen?
Ein Rütteln glitt über seinen Körper. Die Wächter hinter ihm gingen selbst in die Knie, packten ihre Schwerter, rammten sie in den Boden, umklammerten sie feste und drückten ihre Stirn gegen die Griffe. Bewegungslos warteten sie. Ängstlich ging auch Raphal tiefer nach unten, fast schon konnte er den Boden mit seinem Gesicht berühren. Zitternd hörte er die schweren Atemzüge der Wächter. Sie übertönten das laute Pochen seines Herzens. Wann sagte endlich jemand etwas? Zu warten war das Schlimmste auf der Welt, besonders wenn man auf etwas wartete, das man nicht kannte. Erst recht wenn das auf das man zu warten hatte, der Oberste war.
Stunden nach ihrer Ankunft so schien es ihm, regte sich endlich etwas. Alle hielten den Atem an. Schwere Schritte drangen zu ihm, blieben schließlich vor ihm stehen, als eine tiefe Stimme ihm befahl sich zu bewegen. "Du darfst dich aufrichten.".
Ohne auch nur einen Blick aufrichten zu müssen, wusste Raphal wem diese harte Stimme gehören musste. Wie aus einer anderen Welt klang sie in seinen Ohren wider. Gar nicht nervend, sondern wohltuend. Streng und angsteinflößend, dennoch schön.
Der Oberste wurde ungeduldig. "Erhebe dich"
Sofort gehorchte Raphal und schaffte es das erste mal und vermutlich auch als Einziger dem Obersten Auge in Auge ins Gesicht zu sehen. Seine Gestallt war groß, schimmernd, greller noch als die Sonne. Jede einzelne seiner Federn funkelte so golden, als bestünde sie aus einzelnen Goldstücken, von Engeln Stück für Stück auf das Gefieder geklebt. Der Oberste hielt sein verdattertes Starren wohl als Begrüßung genug und ging einfach von ihm fort, kehrte seinen immer noch knienden Wächtern den Rücken. Raphal blieb zurück. Sollte er ihm folgen? Durfte er das einfach? In einiger Entfernung blieb er stehen. Anscheinend schon. Erst als Raphal ihn eingeholt hatte, setzte er seinen Spaziergang fort und musterte Raphal aus den Augenwinkeln von Oben bis Unten.
"Was starren Sie so?"
Nur über Raphals Frage lächelnd winkte er ab. Erst bei dieser Bewegung fiel ihm auf, dass auch sein Haar in tiefem Gold schimmerte. "Raphal ich schätze dich wirklich. Ich kenne dich nur zu gut, kenne deine vorlaute Art und deine Angewohnheit zu sprechen wann immer du es möchtest.", wieder lachte er auf. "Ganz gleich ob es angebracht ist oder nicht. Deshalb werde ich darüber hinwegsehen."
"Worüber?"
Er überhörte seine Frage. "Doch sollst du eine Antwort erhalten. Ich starre so, da ich ... mehr erwartet hatte.", bei diesen Worte deutete er mit beiden Armen an ihm hinunter. "Mehr in Statur und mehr in Können für jemanden, der die Engel in den Krieg führen soll."
Augenblicklich blieb er stehen. Der Oberste tat es ihm nach. Schmeichelnd, bedachte man, dass jemand wie der Oberste seinen Bewegungen folgte. "Mehr? Anführen?"
"Raphal.", ernst kam er an ihn heran. "Glaub nicht ich wüsste nicht um deine Schwächen. Immer möchtest du dem Ärger aus dem Weg gehen. So sehr, dass du dafür sogar deinen Bruder verraten würdest."
Betreten blickte er zu Boden.
"Ebenso wie ich deine Schwächen kenne, kenne ich auch deine Stärken. Früher als du sie kennst und ich sage dir: Kämpfe. Nicht um sonst bist du der Bruder eines Teufels. "
"Spielen Sie auf die Prophezeiung an?"
Stumm nickte er und setzte einen Fuß vor den Anderen. Vor ihnen war nichts, nichts außer weiße Wolken, als liefen sie gegen eine dicke Wand. "Versteh mich nicht falsch. Das Volk ist mir Untertan, die Engel wie auch die Teufel. Sie sind vor mir alle gleich. Trotzdem habe ich mich zu einem Krieg entschieden."
"Wieso? Ein Krieg bedeutet viele Opfer?"
"Das mag schon sein, aber jedes Opfer kann das Leben zum Besseren wenden."
"Das verstehe ich nicht."
So als wäre Raphal mehr als dumm in seinen Augen, hielt auch der Oberste inne und drehte sich vollständig zu ihm um, schüttelte den Kopf und wies direkt nach unten. "Ein Beispiel: Unerlaubt wie es ist seid ihr auf die Erde, ward dort gefangen. Aber in eurer Not seid ihr euch nähergekommen. Verstehst du jetzt?"
"Nein."
"Jedes Schlechte .... also das Opfer eines Engels ... bewirkt etwas Gutes!"
Er war ungeduldig, jeder konnte das erkennen, selbst die Wächter weit hinter ihnen. Raphal aber konnte nichts gegen seine Begierde mehr zu erfahren tun. "Und dieser Krieg birgt das Gute? Wozu soll er gut sein?"
Sachte klopfte er ihm auf die Schulter. "Sagen wir es so: ich möchte verirrte Engel auf den richtigen Weg bringen."
"Engel? Nicht die Teufel?"
"Nein Raphal. Teufel sind besser als du denkst."
Ergeben senkte er den Kopf.
"Jetzt geh. Übe. Trainiere zu kämpfen. Führe sie in die Schlacht. Du wirst siegen!"
Keinem hatte Raphal von seiner Unterhaltung mit dem Obersten erzählt. Wer hätte es ihm denn auch geglaubt? Für verrückt hätte man ihn erklärt, gleich nachdem er den Mund geöffnet und seine Stimme erhoben hätte.
Wie hatte er es gesagt? "Du musst kämpfen? Sie sollten es üben?"
Genau das wollte er tun. Gleich am nächsten Tag, nachdem er nur dürftige Worte mit Merlina gewechselt hatte, machte Raphal sich auf den Weg.
Es war noch dunkel, die Wolken begannen sich nur zögerlich zu verfärben. Instinktiv kannte er nur einen, den er aufsuchen konnte. Nur einer, der ihm Glauben schenken würde. Und einer, der sich damit auskannte, richtig vorzugehen. Rumos. Der Engel war ein regelrechter Held. Damals hatte er Raphal in der Schule unterrichtet. Nicht im Kampf, sondern im Fliegen. Schnell und wendig. Alleiniger Meister war nur Rumos selbst darin.
Sachte klopfte er an seine Tür. Sofort wurde ihm geöffnet.
Rumos tat alles so ruckartig, als wäre er noch immer in einer Armee. Wünschte er sich vermutlich auch.
Die Augen seines ehemaligen Lehrers huschten erstaunt über Raphal Miene. "Was willst du hier? Um diese Zeit?"
"Mit dir sprechen."
"Kann das nicht warten?"
"Nein."
Eine Augenbraue schoss fragend nach oben. Sicherlich musste Rumos sich fragen was denn geschehen war und ob Raphal den Verstand verloren hätte. Andererseits kannte er die Prophezeiung, wusste, das Raphal Teil davon war. Aufgrund der seltsamen Vorgänge, die von statten gingen, lies er ihn ein. Nur aus diesem Grund, denn während Raphal sich den engen Gang hindurch quälte und Rumos die Tür ins Schloss schob, folgten ihm seine Augen mehr als misstrauisch.
"Setz sich.", befahl er ihm kurz und rückte einen Stuhl an ihn heran.
"Danke."
Nachdem beide sich gesetzt hatten, saßen sie sich wenige Sekunden sinnlos gegenüber.
"Möchtest du etwas trinken?", fragte Rumos wenig interessiert und gab Raphal erst gar nicht die Gelegenheit zu antworten. "Also sprich was möchtest du?", hart verschränkte er die Arme vor der Brust.
Am überlegen ob er nicht doch etwas trinken wollte und wie er beginnen sollte, entschied Raphal sich einfach dazu zu reden. "Wir müssen etwas tun."
"Gegen?"
"Gegen die Teufel."
Schwer lag das Wort in der Luft. "Sprich weiter."
Das tat er. "Ich weiß es mag seltsam klingen, nicht zuletzt weil Adral mein Bruder ist, doch ...", auf seine nächsten Worte bedacht, brach Raphal an dieser Stelle ab. ".... sagen wir einmal: es dient einem Höheren Ziel."
"Wer sagt das?"
"Würdest du es mir glauben, wenn ich sagen würde, ich hatte in dieser Nacht eine Eingebung?"
"Nein."
Rumos sture Art trieb Raphal blanke Hilflosigkeit ins Gesicht. Er musste seine Miene so verändert haben, dass Rumos Mitleid zu bekommen schien. "Deine "Eingebung" und die Tatsache, dass es einem "höheren " Ziel dient, nehme ich dir nicht ab. "
Starker Wind kam auf, donnerte gegen die Wände und jagte Raphal für einen kurzen Moment den Gedanken ein, das Haus könne zusammenbrechen. In der Zeit war Rumos aufgestanden und zu einem sehr kleinen Tisch gegangen. einem hässlichen Tisch aus grünem Holz. "Ob ich dir glaube oder nicht spielt keine Rolle. Ich kenne deine Geschichte, ich kenne die unseres Volkes und ich kenne deine Bestimmung."
"So?"
"Ja, die ist es, in den Krieg zu ziehen. Nur deshalb meine ich die Art der Eingebung zu kennen, die dich heimgesucht hat. "
"Und das bedeutet"
"Dass ich dir helfen werde."
Erleichtert erhob auch Raphal sich, fast schon bereit Rumos für seine Unterstützung zu umarmen. Schon immer hatte er den Engel wegen seiner klaren Denkweise bewundert. Für seine Schnelligkeit mit der er Fakten analysieren, für gut oder falsch befinden konnte und zusammenfügen konnte. Dieses Geschick war eben das was Raphal jetzt gebraucht hatte. Jemanden, der an ihn glaubte."
"Aber wie willst du mir helfen?"
"Lass das mal meine Sorge sein."
Und es war seine Sorge. Bereits am selben Tag war Rumos von Haus zu Haus geflogen, hatte alle männlichen Engel zusammengetrommelt und sie an einen gemeinsamen Treffpunkt gebracht. In einer knappen Rede, die nicht mehr Worte wie: "Das hier ist Raphal, er erfüllt die Prophezeiung, wir müssen Krieg führen." umfasste, hatte er sich den Jubel und die Ergebenheit aller zuteil gemacht. Innerhalb weniger Stunden, bis zum Abendgrauen, hatten sie auf einem weiten Gebiet, Zäune errichtet, hier würden sie üben. Rumos, sowie alle Wächter waren dazu ausgebildet worden, zu kämpfen. Ein Vorteil, bedachte man das es als alleiniges Privileg für Engel galt, Wächter zu werden. Die Teufel hätten sich alles selbst beizubringen
Die Kälte, welche seinen Körper heimsuchte, war verflogen, schwer atmend stemmte Raphal die Hände in die Hüften und begutachtete sein Werk. Rumos schlug ihm aufmunternd auf die Schulter. "Morgen fangen wir an."
Aus "Morgen" wurde ein Tag, aus einem Tag eine Woche und aus einer Woche, mehrere Wochen. Jede einzelne Stunde verbrachten sie damit, zu lernen wie man ein Schwert führte, wie man es richtig hielt. Wie man es während dem Flug gebrauchen konnte, am Boden auf den Wolken im Nahkampf. Raphals liebste Übung war die, wenn man die Waffe verloren hatte. Nur dann musste man mit allem kämpfen was man hatte. Oben auf der Liste: die Flügel. Zu zweit übten sie sich während dem Flug mit ihren Schwingen zu umschlingen, ihn festzuhalten bis man bedrohlich auf den Boden zuraste nur um dann kurzzeitig loszulassen, den Körper nach oben zu schwingen und sein Opfer ungehalten aufschlagen lassen.
Jeden Abend, kurz vor Ende ihrer Ausbildung, standen sie alle mit blauen Flecken überseht in einer Reihe und lauschten Rumos Worte: "Ihr alle seid gut, wendig und nun bereit für die Schlacht. Vergesst aber eines nicht: An Stärke und Geschick wird es auch nicht fehlen. Die Teufel werden euch jedoch zu jeder Zeit an Geschwindigkeit übertreffen!"
Es galt als Warnung ihren angeborenen Vorteil niemals außer Acht zu lassen.
"Ganz einfach, predige etwas immer wieder, Tag ein Tag aus und selbst dumme Köpfe werden es nicht vergessen können.", war Rumos Antwort auf Raphals Frage, weswegen er ihnen immer zu dass gleiche sagte und niemals etwas anderes.
An den Zäunen hatten sich immer staunende Frauen angesammelt. Sie kicherten und winkten ihm verlegen zu. Zu seinem Stolz konnte Raphal behaupten, dass sie das nicht nur taten, weil er der Auserwählte war, nein, er besaß auch einiges an Talent zu Kämpfen. Nicht an Schnelligkeit, aber in allem anderen. Den Sturzflug hatte er perfektioniert, im Zweikampf galt er als unschlagbar. Seine Miene eiskalt und seine Seele so eisern wie nur etwas sein konnte. Ob es Neider gab? Gewiss den ein oder anderen. Alle aber waren froh einen Anführer zu haben, der sein Können mit dem Schwert beweisen konnte.
"Das ist grandios! Besser kann es nicht kommen wenn eine ganze Armee einen Führer vor sich hat, von dem sie weiß, dass er bis aufs Blut kämpfen kann und es auch wird!"
Prophezeiung hin oder her. Raphal kam nicht umhin nun nicht mehr an ihrer Richtigkeit zu zweifeln. Früher mochte er vieles falsch gemacht haben. Dazu aber war er anscheinend geboren worden. Und in manch einer nachdenklichen Sekunde schauderte ihm bei dem Gedanken, dass es bei Adral genauso sein mochte.