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Während der Arbeit an seinem Anbau hatte Miles offen mit Carola gesprochen. Er gestand jetzt ein, daß er ein Paria bleiben würde, solange er in Gopher Prairie lebte. Beas lutheranische Freunde nahmen an seinen agnostischen Spötteleien ebenso Anstoß wie die Kaufleute an seinem Radikalismus. »Und mir scheint, ich kann die Klappe nicht halten. Ich denk', ich bin ein Bählamm und lass' mich auf keine wilderen Theorien ein, als: ›man schreibt Katze K–a–t–z–e‹, aber wenn die Leute gegangen sind, merk' ich, daß ich ihnen auf ihre geliebten religiösen Hühneraugen getreten bin. Ach, der Vorarbeiter von der Mühle kommt noch immer her und der dänische Schuster und einer aus Elders Fabrik und 'n paar Schweden, aber sie kennen Bea ja: 'n großes, gutmütiges Kind wie sie braucht immer 'ne Menge Menschen um sich – muß sich um sie zu schaffen machen – ist nie zufrieden, wenn sie nicht für jemand Kaffee kochen kann.

Einmal hat sie mich erpreßt und in die Methodistenkirche geschleift. Ich geh' rein, fromm wie die Witwe Bogart, und sitz' still und grins' nicht ein einziges Mal, während der Prediger uns mit seinem Unwissen über die Evolution beehrt. Aber nachher, wie die alten Glaubensfesten bei der Tür allen die Arme ausreißen und sie ›Bruder‹ und ›Schwester‹ nennen, da lassen sie mich vorbeisegeln, ohne meine Pfote zu sehen. Sie denken sich, ich bin der schwarze Mann von der Stadt. Und das werd' ich wohl immer bleiben. Olaf wird dann weiterkommen müssen. Und manchmal – ich will verdammt sein, wenn ich nicht Lust hab', hinzugehen und zu sagen: ›Bis jetzt bin ich konservativ gewesen. Da ist nichts dran. Jetzt will ich was in den miserablen Holzfällerlagern im Westen von der Stadt anfangen.‹ Aber Bea hat mich hypnotisiert. Herrgott, Frau Kennicott, wissen Sie denn wirklich, was für 'ne nette, brave, treue Frau das ist? Und den Olaf hab' ich so gern – ach, ich werd' Ihnen jetzt nicht sentimental vorwinseln.

Natürlich hab' ich auch schon dran gedacht, die Zelte abzubrechen und nach dem Westen zu gehen. Aber – ja, ich hab' schwer gearbeitet und die Molkerei da aufgebaut, und es wär' mir fürchterlich, wieder von vorn anzufangen und Bea und das Kind in 'ne andere Einzimmerbude zu bringen. Ja, so kriegen sie uns! Reden uns zu, wir sollen sparsam sein und unsere eigenen Häuser haben, und dann, bei Gott, dann haben sie uns. – Na – solang ich dasitzen und mit Bea Karten spielen und Olaf Aufschneidereien über meine Abenteuer in den Wäldern erzählen kann … 's kommt mir ja nur auf die zwei an. Hören Sie! Hören Sie! Verraten Sie Bea kein Wort davon, aber wenn ich mit dem Anbau fertig bin, will ich ihr 'n Grammophon kaufen!«

Er tat es auch.

Und während Bea die Arbeit verrichtete, die ihre arbeitshungrigen Muskeln fanden – waschen, bügeln, stopfen, kochen, Staub wischen, einlegen, ein Huhn rupfen, den Ausguß anstreichen; lauter Aufgaben, die begeisternd und schöpferisch waren, weil sie Miles' Gefährtin war – während dieser Arbeiten lauschte Bea den Grammophonplatten mit einer Wonne wie das Vieh im warmen Stall. Durch den Anbau bekam sie eine Küche und darüber ein Schlafzimmer. Die alte Hütte war jetzt zum Wohnzimmer geworden, mit dem Grammophon, einem echten ledergepolsterten Eichenschaukelstuhl und einem Bild des Gouverneurs John Johnson.

Als Carola einmal gegen Ende Juli zu Bjornstams hinauskam, fand sie Olaf im Bett, ein leichtes Fieber ließ ihn nicht schlafen; Bea hatte ein heißes Gesicht und war nicht ganz auf dem Posten, gab sich aber Mühe, weiterzuarbeiten. Carola nahm Miles beiseite und fragte besorgt:

»Die beiden sehen schlecht aus. Was ist denn?«

»Sie haben irgendwas mit dem Magen. Ich wollt' schon den Doktor Kennicott rufen, aber Bea meint, der Doktor kann uns nicht leiden – sie meint, vielleicht ist er bös, weil Sie zu uns rauskommen. Aber jetzt fang' ich an, mir Sorgen zu machen.«

»Ich werd' den Doktor sofort holen.«

Sie beugte sich über Olaf. Seine leuchtenden Augen waren stumpf, er stöhnte und rieb sich die Stirne.

»Haben sie irgendwas Unrechtes gegessen?« fragte sie ängstlich Miles.

»Vielleicht schlechtes Wasser. Ich will Ihnen die Sache erklären: wir haben unser Wasser immer bei Oscar Eklund geholt, über der Straße drüben, aber Oscar hat mir immer was vorgeredet und so Bemerkungen gemacht, daß ich ein Geizkragen bin, weil ich mir keinen eigenen Brunnen grab'. Einmal hat er gesagt: ›Freilich, darauf versteht ihr euch, ihr Sozialisten, das Geld anderer Leute zu teilen – und ihr Wasser!‹ Ich hab' gewußt, wenn er das weitermacht, gibt's 'nen Krach, und mit mir ist es nicht ganz ungefährlich, wenn's mal zu 'nem Krach kommt; ich vergess' mich leicht und setz' einem dann 'n Ding in die Schnauze. Ich hab' Oscar gesagt, ich will ihm dafür bezahlen, aber er hat nichts davon wissen wollen – er will lieber die Möglichkeit haben, mich aufzuziehen. Deshalb hab' ich angefangen, mir das Wasser bei Frau Fageros zu holen, in dem Loch dort unten, und ich glaub', das ist nicht ganz gut. Im Herbst werd' ich mir wohl selber meinen Brunnen graben.«

Während Carola ihm zuhörte, schwebte ihr eine fürchterliche Vorstellung vor Augen. Sie lief zu Kennicott ins Büro. Er hörte sie ernsthaft an, nickte und sagte: »Ich geh' gleich hin.«

Er untersuchte Bea und Olaf. Er schüttelte den Kopf. »Ja. Sieht mir aus wie Typhus.«

»Herrgott, im Holzfällerlager hab' ich Typhus gesehen«, stöhnte Miles, und seine ganze Kraft verließ ihn. »Haben sie's sehr schlimm?«

»Oh, wir werden schon gut auf sie achtgeben«, sagte Kennicott, und zum erstenmal, seitdem er Miles kannte, lächelte er ihm zu und klopfte ihm auf die Schulter.

»Werden Sie nicht eine Krankenschwester brauchen?«

»Na –« Kennicott fragte Miles: »Kann nicht Beas Kusine herkommen, die Tina?«

»Die ist draußen bei ihren Eltern, auf dem Land.«

»Dann will ich's machen!« sagte Carola. »Sie brauchen jemand, der für sie kocht, und gibt man bei Typhus nicht Halbbäder?«

»Ja. Also gut.« Kennicott war mechanisch; er war der Beamte, der Arzt. »Jetzt dürft's wahrscheinlich schwer sein, in der Stadt eine Pflegerin zu bekommen. Frau Stiver hat mit einer Entbindung zu tun, und die Stadtschwester ist auf Urlaub, nicht? Schön, Bjornstam kann dich ja am Abend ablösen.«

Die ganze Woche, täglich von acht Uhr morgens bis Mitternacht, fütterte und badete Carola sie, strich Leintücher glatt, maß Temperaturen. Miles weigerte sich, sie kochen zu lassen. Entsetzt, bleich, leise in Socken, arbeitete und fegte er in der Küche, seine großen roten Hände bewegten sich vorsichtig. Kennicott kam täglich dreimal, immer gleich zart und hoffnungsvoll im Krankenzimmer, gleichmäßig höflich zu Miles.

Carola erkannte, wie groß ihre Liebe zu ihren Freunden war. Ihr verdankte sie es, daß sie durchhalten konnte; ihr verdankte sie es, daß ihre Arme nicht müde wurden, sie zu baden. Was sie erschöpfte, war, daß Bea und Olaf elend und matt, nach jeder Nahrungsaufnahme doppelt fiebrig wurden und nachts verzweifelt nach Schlaf suchten.

In der zweiten Woche wurden Olafs kräftige Beine schwach. Hellrosa Flecken zeigten sich auf Brust und Rücken. Seine Wangen fielen ein. Er sah erschreckend aus. Seine Zunge war braun und furchtbar. Seine zutrauliche Stimme wurde zu einem entsetzten Murmeln, unaufhörlich und quälend.

Bea war anfangs zu lange auf den Beinen geblieben. In dem Augenblick, da Kennicott sie ins Bett geschickt hatte, war sie dicht am Zusammenbrechen gewesen. Am frühen Abend erschreckte sie die beiden einmal durch Schreie wegen fürchterlicher Unterleibsschmerzen, nach einer halben Stunde war sie im Delirium. Bis zur Dämmerung blieb Carola bei ihr, und alles, was Bea in ihrem Delirium und in ihren Schmerzen tat, war nicht so jammervoll für Carola wie die Ängstlichkeit, mit der Miles schweigend von der obersten Stufe in das Zimmer starrte. Am nächsten Morgen schlief Carola drei Stunden und lief wieder zurück. Bea war ganz im Delirium, aber sie murmelte nichts anderes als: »Olaf – wir haben's so schön –«

Um zehn Uhr, als Carola in der Küche einen Eisbeutel herrichtete, klopfte es. Miles machte auf. An der Tür sah sie Vida Sherwin, Maud Dyer und Frau Zitterel, die Frau des Baptistengeistlichen. Sie brachten Trauben und Frauenzeitschriften, Zeitschriften mit bunten Bildern und optimistischen Romanen.

»Wir haben gerade gehört, daß Ihre Frau krank ist. Wir kommen, um zu sehen, ob wir nicht was tun können«, zirpte Vida.

Miles sah die drei Weiber ruhig an. »Ihr kommt zu spät Jetzt könnt ihr nichts tun. Bea hat immer 'n bißchen gehofft, daß jemand von euch sie besuchen kommt. Sie wollte so gern Freundinnen bekommen. Immer hat sie dagesessen und hat darauf gewartet, daß jemand klopft. Hier hab' ich sie sitzen und warten sehen. Jetzt – Ach, ihr seid ja nicht einmal ein Gott verdamm' euch Wert.« Er schlug die Tür zu.

Den ganzen Tag beobachtete Carola, wie Olafs Kraft schwand. Er war abgezehrt. Seine Rippen waren deutlich zu sehen. Seine Haut war feucht, sein Puls schwach, aber erschreckend schnell. Er schlug – schlug – schlug im Trommelwirbel des Todes. Am späten Nachmittag schluchzte er auf und starb.

Bea wußte es nicht. Sie war im Delirium. Als sie am nächsten Morgen starb, wußte sie nicht, daß Olaf nie mehr auf der Türschwelle sein Holzschwert schwingen, daß er nie mehr seine Untertanen im Viehhof regieren würde; daß Miles' Sohn nicht im Osten ins College gehen würde.

Miles, Carola, Kennicott schwiegen. Gemeinsam wuschen sie mit schwimmenden Augen die Leichen.

»Gehen Sie jetzt nach Haus und schlafen Sie. Sie sind recht müd. Ich werd' Ihnen nie vergelten können, was Sie getan haben«, flüsterte Miles Carola zu.

»Ja. Aber morgen früh bin ich wieder da. Ich geh' mit Ihnen zum Begräbnis«, sagte sie mühsam.

Als die Zeit des Begräbnisses da war, lag Carola zusammengebrochen im Bett. Sie dachte, die Nachbarn würden gehen. Man hatte ihr nicht erzählt, daß die Nachricht von Vidas Zurückweisung durch Miles sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet hatte.

Es war nur ein Zufall, daß sie, sich im Bett aufstützend, durch das Fenster hinausblickte und den Leichenzug Beas und Olafs sah. Keine Musik, keine Wagen. Nur Miles Bjornstam, in seinem schwarzen Hochzeitsanzug, ging ganz allein mit gesenktem Kopf hinter dem schäbigen Leichenwagen einher, der die Körper seiner Frau und seines Kindes trug.

Eine Stunde später kam Hugh weinend ins Zimmer, und als sie, so freundlich sie konnte, fragte: »Was hast du, Liebling?« flehte er: »Mammi, ich will mit Olaf spielen gehen.«

An diesem Nachmittag kam Juanita Haydock, um Carola aufzuheitern. Sie sagte: »Zu ärgerlich, daß diese Bea Ihr Dienstmädchen war. Aber ich würde kein Mitleid an den Mann verschwenden. Alle sagen, er hat zu viel getrunken und seine Familie schrecklich behandelt, und deshalb sind sie krank geworden.«

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