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Sie begegnete Erik Valborg oft auf der Straße; die braune Wolljacke war kein ungewöhnlicher Anblick mehr. Als sie einmal am frühen Abend mit Kennicott Automobil fuhr, sah sie ihn am Seeufer; er las in einem dünnen Buch, das ein Bändchen Lyrik zu sein schien. Es fiel ihr auf, daß er der einzige Mensch in dieser automobilisierten Stadt war, der noch lange Spaziergänge machte.

Sie sagte sich, sie sei die Tochter eines Richters, die Frau eines Arztes, und es liege ihr nichts daran, einen exzentrischen Schneider kennenzulernen. Sie sagte sich, sie reagiere nicht auf Männer … nicht einmal auf Percy Bresnahan. Sie sagte sich, daß eine Frau von dreißig Jahren, die sich mit einem fünfundzwanzig jährigen Jungen beschäftige, lächerlich sei. Und am Freitag, als sie sich eingeredet hatte, der Gang sei notwendig, begab sie sich in Nat Hicks' Werkstatt, höchst unromantisch ein Paar Hosen ihres Mannes über dem Arm. Hicks war im Hinterraum. Sie erblickte den griechischen Gott, der in einem Zimmer mit verschmierten weißgetünchten Wänden ein wenig ungöttlich an der Nähmaschine saß und an einem Rock arbeitete.

Sie sah, daß seine Hände nicht gerade zu einem hellenischen Antlitz paßten. Sie waren dick, schwielig von Nadel, Bügeleisen und Pflugsterz. Aber sogar in der Werkstatt ließ er nicht von seinem Putz. Er hatte ein Seidenhemd an, eine topasbraune Krawatte, leichte braune Schuhe.

Das alles bemerkte sie, während sie kurz fragte: »Kann ich die Hosen gebügelt bekommen, bitte?«

Ohne von der Nähmaschine aufzusehen, streckte er die Hand aus und murmelte: »Wann brauchen Sie sie?«

»Ach, Montag.«

Das Abenteuer war vorüber. Sie ging hinaus.

»Auf welchen Namen?« rief er ihr nach.

Er war aufgesprungen, und obgleich die zerdruckten Hosen Dr. Will Kennicotts ein wenig komisch aussahen, hatte er eine gewisse Anmut.

»Kennicott.«

»Kennicott. Oh! Oh, sagen Sie, Sie sind also Frau Doktor Kennicott, nicht wahr?«

»Ja.« Sie stand an der Tür. Jetzt, da sie ihrem absonderlichen Impuls nachgegeben und sich davon überzeugt hatte, wie er aussah, war sie kühl, war sie ebenso bereit wie das tugendhafte Fräulein Ella Stowbody, Vertraulichkeiten abzulehnen.

»Ich hab' von Ihnen gehört. Myrtle Cass hat mir erzählt, daß Sie einen Theaterverein eingerichtet und eine blendende Aufführung gemacht haben. Ich hab' mir immer schon eine Gelegenheit gewünscht, zu einer kleinen Bühne zu gehören und gute Stücke zu spielen.«

Carola nickte, so wie eine große Dame, die nett zu kleinen Leuten sein will, und etwas in ihr höhnte: »Ja, unser Erik ist wirklich ein verirrter John Keats.«

Er flehte: »Glauben Sie, es könnte möglich sein, im nächsten Herbst wieder einen Theaterverein zusammenzubekommen?«

»Na, das könnte man sich überlegen.« Sie verzichtete auf ihre verschiedenen einander bekämpfenden Posen und sagte einfach: »Wir haben eine neue Lehrerin da, Fräulein Mullins, die hat vielleicht ein bißchen Talent. Damit wären wir schon drei für den Anfang. Wenn wir ein halbes Dutzend aufbringen können, sind wir vielleicht imstande, eine anständige Aufführung mit kleiner Besetzung zustande zu bringen. Haben Sie schon etwas Erfahrung?«

»Ach, nur von einem dummen Klub, den wir in Minneapolis gegründet haben, wie ich dort auf Arbeit war. Aber einen guten Mann hatten wir, einen Innenarchitekten – vielleicht war er 'n bißchen weibisch und verweichlicht, aber er war wirklich ein Künstler, und wir haben 'ne blendende Vorstellung gegeben. Aber ich – Ich hab' eben immer hart arbeiten und immer ganz allein lernen müssen, und wahrscheinlich bin ich schlampig, und ich würd' mich so freuen, wenn ich beim Probieren was lernen könnte – ich meine, je besessener der Regisseur wäre, desto lieber wär' mir's. Wenn Sie mich nicht als Schauspieler brauchen können, würde ich gern die Kostüme entwerfen. Ich bin ganz verrückt mit Stoffen – mit Material und Farben und Mustern.«

Sie wußte, daß er sie aufhalten wollte, zeigen wollte, daß er etwas mehr sei als ein Mensch, dem man Hosen zum Bügeln bringt. Er redete weiter:

»Hoffentlich komm' ich einmal los von dieser dummen Flickarbeit, wenn ich genug Geld gespart hab'. Ich möcht' in den Osten gehen, für einen großen Damenschneider arbeiten und zeichnen lernen und Muster entwerfen. Oder glauben Sie, daß das ein zu verstiegener Ehrgeiz ist? Ich bin auf 'ner Farm aufgewachsen. Und dann mit Seide rumspielen! Ich weiß nicht. Was meinen Sie? Myrtle Cass sagt, Sie sind schrecklich gebildet.«

»Ja. Schrecklich. Sagen Sie: hat man sich über Ihren Ehrgeiz lustig gemacht?«

Sie war siebzig Jahre alt, geschlechtslos und noch mehr »Beraterin« als Vida Sherwin.

»Na ja, das hat man schon. Die Leute haben mich schon ziemlich aufgezogen, hier und in Minneapolis auch. Sie sagen, Damenschneiderei ist Weiberarbeit. (Aber ich wollte ja in den Krieg! Ich hab's ja probiert. Aber man hat mich abgewiesen. Aber probiert hab' ich's!) … Komm' ich Ihnen auch komisch vor?«

»Was liegt Ihnen denn an der Ansicht von Stadtflegeln oder Bauernlümmeln! Aber andererseits dürfen Sie auch nicht gleichgültige Fremde wie mich nach ihrem Urteil über Sie fragen.«

»Also – Sie sind keine Fremde, sozusagen. Myrtle Cass – Fräulein Cass müßt' ich sagen – hat so oft von Ihnen geredet. Ich wollte Sie – und den Doktor – besuchen, aber ich hab' mich nicht recht getraut. Einmal bin ich am Abend an Ihrem Haus vorbeigegangen, aber Sie haben mit Ihrem Mann auf der Veranda gesprochen und haben so behaglich und glücklich ausgesehen, daß ich mich nicht getraut hab', hineinzuplatzen.«

Mütterlich: »Ich finde es sehr nett, daß Sie lernen wollen. Vielleicht könnte ich Ihnen helfen. Ich bin eine ganz solide und nüchterne Schulmadame, von Natur aus; ganz hoffnungslos erwachsen.«

»Das sind Sie nicht!«

Es gelang ihr nicht allzu gut, seine Glut mit der Geste einer belustigten Weltdame aufzunehmen, aber es klang einigermaßen sachlich, als sie sagte: »Danke schön. Wollen wir sehen, ob wir wirklich einen neuen Theaterverein auf die Beine kriegen können? Wissen Sie was: Kommen Sie heute abend, so gegen acht, zu uns. Ich werde Fräulein Mullins bitten, herüberzukommen, und dann können wir alles besprechen.«

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