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Seit Jahren hatte der Zustand der Sünde, in dem Elmer Gantry und Jim Lefferts staken, verzücktes Entsetzen in den christlichen Herzen des Terwillinger-Colleges hervorgerufen. Keine Wiedererweckungsversammlung, die nicht ihre schwefelgetränkten Pfeile nach ihnen geschleudert hätte – gewöhnlich in ihrer Abwesenheit. Kein Gebet bei den Meetings der Y.M.C.A., das sich nicht Sorgen über ihre haltlose Lasterhaftigkeit gemacht hätte.

Von Elmer wußte man, daß er zusammenzuckte, wenn der Rektor, Rev. Dr. Willoughby Quarles, bei der Morgenandacht einen seiner guten Tage hatte; Jim jedoch hatte ihn fest im Glauben des Unglaubens gehalten.

Nun eilte Eddie Fislinger wie ein Prärie-Seraph zwischen den Zimmern der Auserwählten einher, um die staunenerregende Neuigkeit zu verbreiten, daß Elmer sich öffentlich zum Glauben bekannt und im Zug neununddreißig Minuten persönlicher Beschwörung ertragen hätte. Sofort wurde ein heiliges Komplott gegen das unglückselige Opferlamm geschmiedet, und in ganz Gritzmacherquellen, in den Studierzimmern der geistlichen Professoren, in den Zimmern der Studenten, in dem kleinen Gebetsraum hinter der Kapelle, verschworen sich frohlockende Seelen mit dem Herrn gegen Elmers fröhliches, herzhaftes Sündigen. Überall, durch den Schneesturm, konnte man murmeln hören: »Es ist mehr Freude über einen Sünder, der Buße tut –«

Sogar Studenten, die nicht allzusehr im Ruf der Frömmigkeit standen, die verdächtigt wurden, Karten zu spielen und heimlich zu rauchen, wurden in Ekstase gebracht – oder vielleicht machten sie sich auch lustig. Der Fußballzenter, in den Tagen vor seiner Bekehrung ein Gefährte Elmers und Jims, jetzt aber mit einer großen scheinheiligen schwedischen Kommilitonin aus Chanute verlobt, erhob sich freiwillig in der Y.M.C.A. und gelobte Gott seinen Beistand zur Gewinnung von Elmers Gewogenheit.

Am inbrünstigsten stieg es aus dem Zimmer Eddie Fislingers auf, der jetzt als künftiger Prophet anerkannt war, und von dem man erwartete, daß er eines Tages eine der größeren Baptistenkirchen in Wichita oder vielleicht sogar Kansas City unter sich haben würde.

Er organisierte zu Nutz und Frommen Elmers ein Tag- und Nacht-Gebetsmeeting, dem die Allereifrigsten beiwohnten, sogar auf die Gefahr hin, von den Lehrern Grobheiten und unhöfliche Bemerkungen zu hören zu bekommen. Auf dem nackten Boden von Eddies Zimmer über Knute Halvorsteds Malerwerkstatt knieten immer drei bis sechzehn junge Männer gleichzeitig, keine achtzehnhunderter Wiedererweckungsversammlung hatte ein erfolgreicheres Ringen mit dem erschöpften Satan gesehen. Einer, der im Geruch stand, zu religiöser Epilepsie zu neigen, brachte es sogar zu Verzückungen, und obgleich man das Gefühl hatte, daß dies weiter ginge, als der Herr und der Baptistenverband gern sehen würden, vermehrte es die Begeisterung des Betens um die dritte Morgenstunde, besonders da sie alle gehörig berauscht von Kaffee und vielen Worten waren.

Am Morgen war alles überzeugt, daß man Gott überredet hätte, sich Elmers anzunehmen; Elmer selbst hatte zwar die ganze Nacht ziemlich fest geschlafen, ohne etwas von dem Gebetsmeeting oder von göttlichen Einflüssen zu merken, doch das war lediglich ein Beispiel für die Geduld der himmlischen Mächte. Aber gleich nachher begannen diese Mächte wirksam zu werden.

Zu Elmers Unglück und Jims stiller Wut wurde ihr geheiligtes Zimmer von ganzen Scharen heimgesucht, von Menschen, denen ungekämmte Locken über die Stirn fielen, die Begeisterung in den Augen und Bibeln unterm Arm trugen. Elmer war nirgends sicher. Kaum hatte er sich mit schlagfertigen gotteslästerlichen Argumenten, die ihm von Jim beigebracht worden waren, eines Jüngers entledigt, da sprang auch schon ein anderer hinter einem Baum hervor und stürzte sich auf ihn.

In seiner Pension – Mutter Metzger, am oberen Ende der Beech Street – krähte ein Y.M.C.A.-Derwisch, während er das Brot weiterreichte, Elmer zu: »Schon mal'n Weizenkorn studiert? Wunnerbar! Denkbar, daß so'n wunnerbar kompliziertes Ding wie das sich selbst geschaffen hat? Nein, muß jemand geschaffen haben. Wer? Gott! Wer Gott in der Natur nicht sieht – und sich bußfertig zu ihm bekennt – ist dumm. Das ist er!«

Lehrer, die Elmer immer nur voll nervösen Zorns den Kollegsaal hatten betreten sehen, lächelten ihm jetzt zu und hörten mit Freundlichkeit seine Erklärung an, daß er nicht genügend zum Vortrag vorbereitet sei. Der Rektor selbst hielt Elmer auf der Straße an, sagte ihm Mein Junge und schüttelte ihm die Hand mit einem Wohlwollen, das Elmer, wie er sich bedrückt eingestand, ganz gewiß nicht verdient hatte.

Er versicherte Jim weiterhin, daß er nicht in Gefahr sei, aber Jim war alarmiert, und Elmer selbst wurde mit jeder Stunde mehr alarmiert, bei jedem neuen Zuruf: »Wir brauchen dich bei uns, Alter – die Welt braucht dich!«

Jim hatte alle Ursache, sich zu ängstigen: Elmer schwebte seit jeher in der Gefahr, seine Lieblings Vergnügungen aufzugeben – vielleicht nicht eigentlich sie aufzugeben, aber nach dem Genuß in Angstschweiß zu geraten. Doch trotz Jim und seinen Kommentaren über Kommilitoninnen, die öffentlich beteten und sich das Haar mit vorwurfsvoller Gebärde aus den eierförmigen Stirnen strichen, hätte eine von diesen Sirenen der Moral den leichtfertigen pangynistischen Elmer fast eingefangen, lediglich dadurch, daß sie immer in seiner Nähe war.

Eine fürchterliche junge Person aus Mexiko, Missouri, pflegte Jim zuzureden, er solle »von seinen komischen Ideen über Religion erzählen«, und dann in ein wahres Gewieher frommen Lachens auszubrechen und herauszuwürgen: »Ach, Sie sind ja zu blendend! Sie glauben ja nicht ein Wort von dem, was Sie sagen. Sie wollen doch bloß Eindruck schinden!« Sie hatte einen falschen, schiefen Blick, der deutlich verriet, daß bei ihr nur über den Weg des Altars etwas zu erreichen wäre, und lediglich Jims Anstrengungen konnten verhindern, daß sie Elmer zu einer Verlobung verleitete.

Die Kirche und die Sonntagsschule in Elmers Dorf, Paris, Kansas, einer Siedlung von neunhundert evangelischen Deutschen und Vermontern, hatte in ihm eine Furcht vor dem Religionsmechanismus genährt, die er nie ganz los werden konnte, die ihn von manchen vernünftigen Handlungen zurückhielt, wie zum Beispiel Eddie Fislinger zu verprügeln. Jene kleine weiße Baptistenkirche war das Zentrum aller seiner Gefühle außer Lausbübereien, Hunger, Schläfrigkeit und Liebe gewesen. Und sogar diese Gefühle waren im Hause des Herrn vertreten, in Form von Reißnägeln in den Kirchenstuhlkissen, Missionarssoupers mit Hühnerpasteten und Kuchen zum Naschen, einschläfernden Predigten und der Nähe schmiegsamer kleiner Mädchen in dünnem Musselin.

Außer Zirkuskapellen, den Paraden am vierten Juli und dem Singen von »Columbia, Perle des Meeres« und »Klingelglocken« in der Schule wurde alle Musik, die der Knabe Elmer je zu hören bekam, in der Kirche gemacht.

Die Kirche lieferte ihm alle Rhetorik, außer Wahlreden von Politikern, die sich über Jefferson und die Bindfadenpreise ereiferten; sie lieferte alle Malerei und Bildhauerei, außer den Porträts von Lincoln, Longfellow und Emerson im Schulhaus und den zwei Porzellanstatuetten der rosa Damen mit goldenen Blumenkörbchen, die auf der Kommode seiner Mutter standen. Aus der Kirche stammte alle seine tiefere Philosophie, außer den pädagogischen Versicherungen des Lehrers, daß kleine Buben, die in der Schule Nattern ausließen, sicher sein könnten, jetzt geprügelt und später gehängt zu werden, und den Ergüssen seiner Mutter über das Aufhängen des Mantels, das Abstreifen der Schuhe, das Essen von Bratkartoffeln mit den Fingern und das Eitelnennen des Namens Gottes.

Literarische Quellen hatte er außerhalb der Kirche kaum – in McGuffeys Lesebuch lernte er den Knaben kennen, der bei Abukir auf dem brennenden Verdeck stand; er hatte sehr geringe Kenntnisse von den Nick-Carter den Heldentaten Coles des Jüngeren und der James-Buben – doch auch hier hatte die Kirche ihn geleitet. In biblischen Geschichten, in den Worten der Karwochenhymnen, in den Anekdoten, welche die einzelnen Prediger zitierten, hatte er seine einzigen literarischen Kenntnisse gefunden.

Die Geschichte von Klein Hinke-Tom, der den bösen Reichen, den mit dem hübschen Grauschimmelgespann und dem Zylinderhut, beschämte und Jesus zuführte. Vom Schiffskapitän, der sich im Sturm bei dem verwaisten, aber frommen Missionarskind aus Zomballa Rats erholte. Vom treuen Hund, der seinen Herrn aus einer fürchterlichen Feuersbrunst rettete (manchmal war es auch ein Schneesturm oder ein Indianerangriff) und ihn dazu brachte, Pferderennen, den Rum und das Ziehharmonikaspielen aufzugeben.

Wie bekannt sie alle waren, wie ergreifend, wie sie Elmer die Lebensziele erklärten, wie sie ihn auf den Nutzen und die Reize des künftigen Lebens vorbereiteten.

Die Kirche, die Sonntagsschule, die Evangelistenorgien, der Chordienst, das Eintreiben der Kirchensteuern, die Wonnen der Begräbnisse, das heimliche Kichern in den hinteren Kirchenstühlen oder im anderen Zimmer bei Hochzeiten – das alles war für Elmer ebenso natürlich, von demselben zwingenden Einfluß auf die Gestaltung seiner Anschauungen und Gewohnheiten wie katholische Prozessionen für einen Straßenjungen in Neapel.

Die Baptistenkirche in Paris, Kansas! Tausend nachgedunkelte, fleckige, doch unzerstörbare Bilder.

Hymnen! Elmers Stimme war für Hymnen geschaffen. Er ließ sie herausrollen wie ein Neger. Der Orgeldonner von »Nikäa«:

Heilig, heilig, heilig! Alle Heiligen beten Dich an,

Sie werfen ihre goldenen Kronen nieder vor Dir an der schimmernden See.

Das prächtige Dröhnen der Lobpreisungen Gottes.

»Wirf aus die Rettungsleine«, mit dem dazu gehörigen Bild: ein Wrack, von der Brandung, die das Präriekind sich hundert Fuß hoch vorstellte, in der Dunkelheit zertrümmert. »Vorwärts, christliche Soldaten«, zu dem man mit den Füßen stampfen konnte, ohne dafür getadelt zu werden.

Sonntagsschul-Picknicke! Limonade, Wettlaufen auf allen vieren, Fahrten auf dem Leiterwagen, das Singen von »Mit Nelly auf dem Heimweg«.

Die Sonntagsschulkarten mit den Bibelstellen! Wohl, sie wurden hauptsächlich zum Spielen verwendet, aber da Elmer das Spiel meistens gewann (er war der erste Junge in Paris, der zwei echte falsche Würfel besaß), hatte er eine ganze Menge davon in seiner Sammlung; sie erweckten in ihm eine Vorliebe für geschmacklose Kleider, für Marmorsäulen und purpurverzierte Königspaläste, was ihm noch sehr zustatten kommen sollte: es fiel ihm später nicht schwer, in den prächtigeren Lasterheimen schnell heimisch zu werden. Die drei Könige, die Körbchen aus Rubin und Sardonyx trugen. König Zedekia in Gold und Scharlach, der auf einem saphirblauen Teppich kniete, während seine Gewappneten blutbefleckt herangesprengt kamen, rotes Blut auf schimmerndem Stahl, mit Nachrichten von dem Heer unter Nebukadnezars, des babylonischen großen Königs, Bannern. Und in seinem ganzen Leben mußte Elmer in Augenblicken der Inbrunst, während Gebetsübungen in riesigen Kirchen, beim Sonnenuntergang am Meer, an einen schwarzbärtigen David denken, der vor wilden roten Klippen stand – eine heroische Gestalt, die zu Ehrgeiz, Macht und Herrschaft aufforderte.

Weihnachtsabend in der Sonntagsschule! Die Freuden, offiziell bis halbzehn aufzubleiben. Der Baum, unglaublich groß, ebenso unglaublich leicht in Brand geratend, der von Silberschnüren, Silbersternen und Schnee aus Watte funkelte. Die beiden runden Öfen, rotglühend. Lichter und Lichter und Lichter. Ganze Eimer voll Backwerk, und für jedes Schulkind ein Geschenk – gewöhnlich ein Buch, sehr hübsch, mit kolorierten Bildern von Lämmern und feuerspeienden Bergen. Der Weihnachtsmann – es konnte unmöglich Lorenzo Nickerson, der Anstreicher, sein, so bärtig war er, so rotbackig und so geistreich in seinen Bemerkungen über jedes einzelne Kind, das nach vorn marschierte, um sich sein Geschenk zu holen. Das einfach zauberhafte Entzücken, wenn das Damenquartett von den Schäfern sang, die nachts ihre Herden hüteten … auf braunen, einsamen Bergspitzen unter einem ungeheuren Stern.

Und der entsetzliche Morgen, an dem der Prediger selbst, Rev. Wilson Hinckley Skaggs, Elmer auf den Stufen beim Spielen um Sonntagsschul-Pfennige erwischte, ihn, einen scharfen und nicht sehr sauberen geistlichen Daumennagel in sein Ohrläppchen bohrend, durch das Schiff hinaufführte und dem Gelächter aller preisgab.

Und die anderen, nicht ständigen Prediger: Bruder Organdy, der einen holte, um sich das Holz umsonst sägen zu lassen; Bruder Blunt, der sich hinter Schuppen schlich, um einen am Abend vor Allerheiligen zu erwischen; Bruder Ingle, der frommen Eifer zeigte, aber jung und wirklich menschlich war und einem Pfeifen aus Weidenzweigen machte.

Und der Morgen, als Elmer hinter der Orgel einen Wecker versteckt hatte, der herrlich losging, gerade als der Aufsichtshabende (Dr. Prouty, der Dentist) säuselte: »Jetzt wollen wir alle ganz besonders still sein, während Schwester Holbrick vorbetet.«

Und immer die drei Stühle, die hinter der Kanzel standen, die einschüchternden, steifen Stühle mit gelbem Plüsch und geschnitzten Eichenverzierungen, die, wie er voll unbehaglicher Scheu überzeugt war, auf den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist warteten.

Er hatte tatsächlich alles von der Kirche und der Sonntagsschule bekommen, nur eines vielleicht nicht, den Wunsch nach Reinheit, Güte und Einsicht.

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