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Ein freudestrahlender Elmer Gantry war es, der sich in den Zehn-Uhr-einundzwanzig-Zug nach Monarch, einer Stadt von etwa dreihunderttausend Einwohnern, setzte. Er saß im Personenwagen und dachte über seine Osteransprache nach. Herr Gott noch einmal! Seine erste Predigt in einer richtigen Stadt! Das konnte zu etwas führen. Am besten, ihnen was Tüchtiges, Rührendes zu geben. Mal sehen: Es dürfte nichts sein mit diesem Christ-ist-erstanden-Zeugs; es müßte natürlich erwähnt, gerade noch reingebracht werden, aber das Thema müßte ein anderes sein. Mal sehen: Glaube. Hoffnung. Reue nein, besser langsam mit dem Reuegedanken; der Diakon Eversley, der Rechtsanwalt, könnte ziemlich wohlhabend sein und bös werden, wenn man andeutete, daß er vielleicht etwas zu bereuen hätte. Mal sehen: Mut. Keuschheit. Liebe – das war's – Liebe!

Und er machte hastig Notizen, direkt aus dem eigenen Kopf, auf die Rückseite eines Briefumschlages:

Liebe: ein Regenbogen M.- & A.-Stern von der Wiege bis zum Grab inspiriert Kunst usw. Musik, Stimme der Liebe den Atheisten usw. eins auswischen, die die Liebe nicht würdigen.

»Sie sind wohl Zeitungsmensch«, sagte eine Stimme neben ihm.

Elmer sah sich um und erblickte einen kleinen Mann mit einer Whiskynase und vielen Lachfältchen um die Augen, einen ziemlich auffällig angezogenen Mann mit der roten Krawatte, die man 1906 noch als Attribut der Sozialisten und Trinker ansah.

Mit so einem kleinen Mann würde er sich eigentlich recht gut amüsieren können, überlegte Elmer. Ein Reisender. Was würde mehr Spaß machen: ganz einfach natürlich mit ihm zu sein, oder ihn zu fragen, ob er gerettet wäre, und zuzuschauen, wie er sich krümmte? Teufel auch, er hatte genug frommes Zeug in Monarch zu tun. Er setzte also sein bestes Prachtkerlslächeln auf und antwortete:

»Na, nicht ganz. Ziemlich warm für so früh am Tag, was?«

»Ja, kann man wohl sagen. Längere Zeit in Babylon gewesen?«

»Nein, nicht sehr lang.«

»Schöne Stadt. Menge Geschäfte dort.«

»Und ob. Und auch paar nette kleine Dämchen.«

Der kleine Mann kicherte. »So, so? Na, hören Sie, Sie könnten mir paar Adressen geben. Ich hab' die Stadt jeden Monat einmal auf der Tour, und, weiß der liebe Himmel, noch keinen einzigen Unterrock bis jetzt aufgegabelt. Aber es ist 'ne gute Stadt. 'Ne Menge Geld dort.«

»Jawoll, das ist Tatsache. 'Ne gute, betriebsame Stadt. Schneller Umsatz dort, recht ordentlich. 'Ne Menge Geld in Babylon.«

»Obwohl man mir erzählt hat,« sagte der kleine Mann, »daß dort eine von den Predigerfabriken ist.«

»Was Sie nicht sagen!«

»Ja, ja. Hören Sie, Bruder, jetzt werden Sie lachen, Wissen Sie, wofür ich Sie auf den ersten Blick gehalten hab' – mit Ihrem schwarzen Anzug und dem Notizen machen? Ich hab' gemeint, vielleicht wären Sie selber 'n Prediger!«

»Na –«

Herr Gott, das war nicht auszuhalten! Wo er jeden Sonntag in Schoenheim so anständig sein mußte – Diakon Bains fragte unaufhörlich diese blöden Sachen über die Prädestination oder so vermaledeites Zeug. Sicherlich hätte er sich bißchen Ferien verdient. Und ein Junge wie der Mensch, der würde ja richtig auf einen runterschauen, wenn man sagte, daß man Geistlicher sei.

Im Zug war es lärmend. Wenn irgendein Hahn in der Nachbarschaft dreimal krähte, hörte Elmer es nicht, während er polterte:

»Na, weiß der liebe Himmel! Obwohl –« So düster er nur konnte: »Dieser schwarze Anzug bedeutet zufällig Trauer für jemand, der mir sehr lieb war.«

»Ach, hören Sie, Bruder, jetzt müssen Sie mich aber entschuldigen, mir geht immer das Maulwerk durch!«

»Oh, das hat nichts zu bedeuten.«

»Na, drücken wir uns die Hand, und ich werd wissen, daß Sie mir nicht bös sind.«

»Aber gewiß nicht.«

Von dem kleinen Mann kam ein Whiskyduft, der Elmer gewaltig aufregte. Es war schon so lange her, seitdem er das letztemal etwas getrunken hatte! Seit zwei Monaten nichts außer ein paar Schlückchen Apfelmost im »Stadium«, die Lulu pflichteifrig aus dem Faß ihres Vaters für ihn gestohlen hatte.

»Also, in was machen Sie, Bruder?« fragte der kleine Mann.

»Ich bin in der Schuhbranche.«

»Na, das ist ja eine recht hübsche Branche. Jawohl Verehrtester, Schuhe muß man tragen, ob man bei Pinke ist oder nicht. Ich heiße Ad Locust – Jesus, wenn ich dran denk', daß man mich Adney getauft hat – können Sie das begreifen – ist das nicht ein höllischer Name für einen, der sich gern mit den Jungs hinsetzt und amüsiert! Aber Sie können mich ganz einfach Ad nennen. Ich reise für die Pequot Farmgerät Company. Großartige Organisation! Großartige Blase! Jawohl, Verehrtester, Prachtburschen arbeiten für die, sie leisten aber auch was, herrje! der Verkaufsdirektor kann mehr guten Schnaps trinken als einer von uns, und wir sind auch nicht grade faul! Jawohl, Verehrtester, diese blödsinnige Idee, von der jetzt so viel von diesen Schwindelfirmen herumschreien, daß man auf die Dauer beim Saufen mit den Kaufleuten nicht mehr erreicht – alles verdammter Blödsinn. Es heißt, daß dieser Ford, der die Automobile macht, so redet. Merken Sie sich, was ich Ihnen sage: 1910 wird der pleite sein, aus mit seinem Geschäft, das wird ihm passieren; merken Sie sich, was ich Ihnen sage! Jawohl, Verehrtester, das ist ein großartiger Konzern, die Pequot-Blase. Tatsache, wir haben in der nächsten Woche in Monarch 'ne Verkäuferversammlung.«

»Was Sie nicht sagen!«

»Jawohl, Verehrtester, bei Gott, so was machen wir. Sie wissen ja – Vorträge darüber, wie man aus 'nem Maschinenhändler Geld rausholen kann, wenn er gar keins hat. Ha! Verdammt gut werden die meisten von uns auf den Dreck aufpassen! Wir werden uns amüsieren und 'ne kleine, schöne, tüchtige Trinkerei anfangen, und Sie können sich drauf verlassen, daß der Verkaufsdirektor bei uns sein wird! Hören Sie, Bruder – ich hab' den Namen nicht ganz verstanden –«

»Elmer Gantry ist mein Name – freut mich außerordentlich, Sie kennenzulernen.«

»Freut mich außerordentlich, Sie kennenzulernen, Elmer. Hören Sie, Elmer, ich hab' bißchen von dem besten Bourbon-Whisky, den Sie oder sonst wer in seinem Leben gesehen hat, hier bei mir in meiner Hüftentasche. Sie sind ja in einem so piekfeinen Geschäft wie's Schuhgeschäft, und da werden Sie ja wohl ganz einfach ohnmächtig werden, wenn ich Ihnen 'ne Kleinigkeit gegen Ihren Husten anbieten würde.«

»Ich glaub' schon, klar; jawohl, Verehrtester, ich würde ganz einfach ohnmächtig werden.«

»Na, Sie sind 'n ziemlich großer Kerl und sollten versuchen, sich zusammenzunehmen.«

»Ich werd' tun, was ich kann, Ad, wenn Sie mich bei der Hand halten wollen.«

»Und ob ich will!« Ad zog aus seiner ständig herunterhängenden Tasche eine Literflasche Green River, und andachtsvoll tranken sie beide.

»Sagen Sie, haben Sie schon mal den Matrosentrinkspruch gehört?« fragte Elmer. Er fühlte sich sehr glücklich, wieder daheim bei den Seinen nach langen und trostlosen Irrfahrten.

»Weiß nicht, ob ich ihn schon mal gehört hab'. Schießen Sie los!«

»Auf den Schatz in einem jeden Port,

Und auf den Portwein in einem jeden Schatz,

Doch, Denken und Reden ist für die Katz,

Füll mir das Glas, wir trinken noch fort!«

Der kleine Mann wand sich. »Nein, mein Bester, das hab' ich noch nicht gehört! Das ist mal 'n Schlager! Herr Gott, ist das 'n Schlager! Sagen Sie, Elm, was machen Sie in Monarch? Ich möcht', daß Sie paar von den Jungs kennenlernen. Die Pequotkonferenz fängt ja eigentlich erst am Montag an, aber paar von uns dachten, wir könnten schon heute zusammenkommen und 'ne kleine Gebetsandacht abhalten und miteinander fasten, bevor sich die anderen Burschen versammeln. Es wär' mir lieb, wenn Sie sie kennenlernen würden. Die lustigste Blase von feschen Jungs, die Sie in Ihrem ganzen Leben gesehen haben, das können Sie mir glauben! Ich möcht' Ihretwegen, daß Sie sie kennenlernen. Und ich möcht auch, daß sie den Toast hören. ›Auf den Portwein in einem jeden Schatz.‹ Großartig, das, jawohl! Was machen Sie in Monarch? Können Sie nicht mit rüber zum Ishawonga-Hotel und die Jungs kennenlernen, gleich wenn wir ankommen?«

Mr. Ad Locust war nicht betrunken; nicht gerade betrunken; aber er hatte sich ernsthaft mit dem Bourbon beschäftigt und war in einem Zustand köstlichster Menschenfreundlichkeit. Elmer hatte genug getrunken, um es zu spüren. Es hungerte ihn außerdem nicht nur nach Alkohol, sondern auch nach nicht frömmelnder Gesellschaft.

»Ich will Ihnen was sagen, Ad«, meinte er. »Ich würde nichts lieber machen, aber ich muß mich mit jemand treffen – 'nem sehr wichtigen Kunden – heute nachmittag, und der kann das Trinken auf den Tod nicht leiden. Tatsache – ich weiß bestimmt Ihr Tröpfchen zu schätzen, aber ich glaub', ich hätt' nicht einen Schluck trinken sollen.«

»Ach, Teufel noch einmal, Elm, ich hab' Pastillen bei mir, die absolut garantiert den Geruch wegnehmen – absolut. Schnaps ist gut für Cholera! Ich möcht wirklich, daß die Jungs den Trinkspruch von Ihnen hören!«

»Na schön, ich werd' auf 'ne Sekunde reinschauen, und vielleicht kann ich auch gleich mit Ihnen was für spät am Sonntag abend oder für Montag vormittag ausmachen, aber –«

»Ach, Sie werden mich doch nicht sitzenlassen, Elm?«

»Schön, ich werd' mal mit dem Menschen telephonieren und mich so verabreden, daß ich nicht vor drei Uhr mit ihm zusammenkommen muß.«

»Das ist fein!«

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