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Während er sich umzog, das heißt, während er sich mit dem braunen Anzug und einer schönen neuen Krawatte schmückte, machte Elmer sich Sorgen. Diese friedliche Vertraulichkeit war zu vollkommen. Irgend etwas würde sie stören. Sharon hatte etwas von Brüdern, von hochnasigen Tanten und Vettern erzählt, von einer Menge von Paten, und das Haus war geräumig genug, um an seinen Korridoren eine Schar Verwandter zu verbergen. Stand es ihm bevor, beim Dinner feindlich gesinnte Familienreliquien vorzufinden, die ihn anstieren, zum Reden verleiten und als Terwillinger-Provinzialen demütigen würden? Er sah schon die schweigenden Andeutungen in ihren leeren, matten Augen; er sah schon Sharon von dieser Verachtung gepackt, der ungewissen Bezauberung entrückt, die seine Frische und Dreistigkeit über sie geworfen hatte.

»Verdammt!« sagte er. »Ich bin genau so gut wie die!«

Langsam ging er die Treppen hinunter in den rührenden Salon mit den Nippes auf der Etagere – ein Porzellanpantoffel, ein aus schwarzem Nußbaum geschnitzter Hirsch, eine Muschel aus Madagaskar – mit dem verdorrten Schilf im Krug, dem alten Schreibpult, dem Spieltisch und einem freundlichen alten Sofa vor dem weißen Kamin. Im Zimmer, überall im ganzen riesigen Haus, war ein Raunen, ein Knacken, tote, argwöhnische Augen … In der Hütte in Paris, Kansas, hatte es kein Raunen und keine Erinnerungen gegeben … Still stand Elmer da, ein geschlagener kleiner Junge, seine Stunde des Durchgehens mit der Tochter des Herrenhauses war vorbei, er war so glühend verliebt, daß er nicht einmal dagegen rebellierte, auf das Einzige, wonach er begehrte, verzichten zu müssen.

Dann stand sie in der Tür, ganz unevangelistisch, erfreulich weltlich in einem Abendkleid aus schwarzem Satin mit Goldtressen. Bisher hatte er keine Leute gekannt, die Abendkleider trugen. Munter streckte sie ihm die Hand entgegen, aber er ging nicht munter zu ihr – eher demütig, entschlossen, ihr vor der argwöhnischen Familie keine Schande zu machen.

Hand in Hand kamen sie ins Speisezimmer, und da sah er, daß der Tisch nur für zwei gedeckt war.

Fast lachte er laut: »Ich dachte, es wären eine Menge Leute da«, aber er fühlte sich gerettet.

Schließlich sprach er das Tischgebet.

Kerzen und Mahagoni, Silber und alte Spitzen, Rosen und Wedgwoodgeschirr, Wildente und der Hausmeister in Flaschengrün. Er versank in friedliche Glückseligkeit, während sie ihm aufregende Geschichten aus ihrer Evangelistentätigkeit erzählte – von ihrem Tenorsolisten, dem dicken Adelbert Shoop, der ein Freund von Crême de Cacao war; von der schwedischen Farmersfrau, die ihren Mann glücklich aus dem Trinken, Fluchen und Schnupfen herausgebetet hatte, dann aber versuchte, ihn aus dem Damespielen herauszubeten, worauf er hinging und sich herrlich mit schlechtem Fusel betrank.

»Ich hab' Sie bis jetzt noch nie so still gesehen«, sagte sie. »Sie können wirklich nett sein. Glücklich?«

»Schrecklich!«

Aus dem Dach der Vorderveranda war eine offene Terrasse gemacht worden, und hier tranken sie, gegen die Abendkühle in Decken gewickelt, ihren Kaffee in Liegestühlen. Sie waren über den Baumwipfeln, und als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er den Fluß im Sternenlicht sehen. Der Ruf einer Eule; dann hüllte die freundliche, die flüsternde Luft sie ein.

»O mein Gott, es ist so schön – so schön!« seufzte er, während er ihre Hand suchte und sie zutraulich in die seine schlüpfen fühlte. Plötzlich wurde er grausam, zerstörte alles:

»Viel zu schön für mich, glaub' ich. Sharon, ich bin ein miserabler Taugenichts. Als Prediger bin ich nicht so schlecht, oder wär's wenigstens nicht, wenn ich die Möglichkeit hätte, aber ich – ich bin nicht gut. Ich hab' mit dem Trinken und Rauchen Schluß gemacht – für Sie – ich hab's wirklich getan! Aber früher hab' ich immer getrunken wie ein Loch, und bevor ich Sie gesehen hab', hab' ich immer geglaubt, außer meiner Mutter gibt es keine gute Frau. Ich bin nichts weiter als ein zweitklassiger Reisender. Ich bin aus Paris, Kansas, und nicht einmal für dieses Bauerndorf bin ich gut genug, weil die Leute dort hart arbeiten und anständig sind, und ich bin nicht einmal das. Und Sie – Sie sind nicht nur eine Prophetin, das sind Sie ganz sicher, eine richtige große Sache, Sie sind noch dazu eine Falconer. Familie! Alte Diener! Dieses alte Haus – ach, es hat gar keinen Sinn! Sie sind zu hoch für mich. Grad weil ich Sie liebe. Schrecklich. Weil ich Sie nicht anlügen kann!«

Er hatte ihre Hand losgelassen, aber langsam kam sie zu der seinen zurück, ihre Finger durchwanderten die Täler zwischen seinen Knöcheln, während sie murmelte:

»Sie werden groß sein! Ich werd' Sie dazu machen! Und, vielleicht bin ich eine Prophetin, ein klein wenig, aber ich bin auch eine tüchtige Lügnerin. Sie müssen wissen, ich bin keine Falconer. Es gibt gar keine! Ich heiße Katie Jonas. Ich bin in Utica geboren. Mein Vater hat in einer Ziegelei gearbeitet. Den Namen Sharon Falconer hab' ich angenommen, wie ich Stenotypistin war. Bis vor zwei Jahren hab' ich dieses Haus nie gesehen. Bis damals hab' ich diese alten Familiendiener nie gesehen – sie waren bei den Leuten, denen das alles hier gehört hat – und nicht einmal die waren Falconers, sie hatten den fabelhaft aristokratischen Namen Sprugg! Übrigens, für das Grundstück hier hab' ich noch nicht mal den vierten Teil bezahlt. Und doch bin ich keine Lügnerin! Ich bin's nicht! Jetzt bin ich Sharon Falconer! Ich hab' sie geschaffen – durch Beten und durch ein Recht darauf, sie zu sein! Und Sie werden aufhören, der arme Elmer Gantry aus Paris, Kansas, zu sein. Sie werden der Reverend Dr. Gantry sein, der große Seelenkapitän! Oh, ich bin froh, daß Sie nicht weiß Gott woher sind! Cecil Aylston – o ja, ich glaub', er liebt mich wirklich, aber ich hab' immer das Gefühl, daß er über mich lacht. Der Teufel soll ihn holen, er zählt die Sprachfehler, die ich mach', und nicht die Seelen, die ich rette! Aber Sie – Oh, Sie werden mir dienen – nicht wahr?«

»Auf immer!«

Und dann wurde nur wenig gesprochen. Sogar die Zustimmung, daß sie sich von Cecil befreien und Elmer zu ihrem ständigen Assistenten machen sollte, wurde ganz nebenbei erreicht. Er war fest davon überzeugt, daß es mit ihrer Macht aus wäre.

Doch als sie hineingingen, sagte sie ganz vergnügt, sie müßten früh ins Bett und am nächsten Tag früh aufstehen; und sie würde ihn beim Tennisspiel nur zehn Pfund leichter machen.

Als er flüsterte: »Wo ist Ihr Zimmer, Liebe?« lachte sie kalt und unpersönlich: »Das werden Sie nie wissen, Sie armes Schaf!«

Der kühne, der unternehmende Elmer trappte in sein Zimmer und zog sich langsam aus; sehnsüchtig stand er an seinem Fenster, seine Seele fuhr aus auf der Dunkelheit zu unfaßbaren Reisezielen. Er sprang ins Bett und fiel langsam in Schlaf, zu müde vom Kampf gegen ihren Widerstand, um an Möglichkeiten der nächsten Tage zu denken.

Er hörte ein schwaches kratzendes Geräusch. Es schien ihm, daß der Türgriff sich drehte. Zitternd setzte er sich auf. Das Geräusch hörte auf, begann aber wieder, ein schwaches Scharren; der untere Rand der Tür bewegte sich langsam über den Teppich. Der fahle Lichtstreifen aus dem Korridor wurde größer, und, sich streckend, konnte er sie sehen, aber nur wie einen Geist, einen weißen Hauch.

Verzweifelt streckte er seine Arme aus, und bald stolperte sie dagegen.

»Nein! Bitte!« Sie hatte die Stimme einer Schlafwandlerin. »Ich bin nur hereingekommen, gute Nacht sagen und Sie ins Bett bringen. So ein gequältes, unglückliches Kind! Ins Bett. Ich geb' Ihnen einen Gutenachtkuß und geh' wieder.«

Sein Kopf bohrte sich ins Kissen. Ihre Hand berührte leicht seine Wange, doch aus ihren Fingern, glaubte er zu fühlen, kam ein Strom, der ihn in Schlaf lullte, in einen augenblicklichen, aber tiefen, befriedigenden Schlaf.

Mit Anstrengung sagte er: »Sie auch – Sie brauchen Trost, vielleicht brauchen Sie auch einen Herrn über sich – wenn ich mal meine Scheu vor Ihnen überwunden hab'.«

»Nein. Ich muß meine Einsamkeit allein tragen. Ich bin anders, ob's nun ein Fluch oder ein Segen ist. Aber – einsam – ja – einsam.«

Mit einem Ruck wurde er munter, als ihre Finger seine Wange hinaufkrochen, über die Schläfe, in sein schwarzes Haar.

»Ihr Haar ist so dick«, sagte sie mit schwerer Stimme.

»Ihr Herz schlägt so. Liebe Sharon –«

Plötzlich, seinen Arm packend, rief sie: »Komm! Es ist der Ruf!«

Voll Verwirrung folgte er ihr, sie schritt voraus, in ihrem am Hals mit weißem Pelz eingefaßten Nachtgewand, aus dem Zimmer hinaus, den Korridor entlang, eine steile, kleine Treppe zu ihren Zimmern hinauf; seine Verwirrung wuchs, als es aus diesem freundlichen Korridor mit den Vergißmeinnichttapeten und den steifen Porträts von virginischen Würdenträgern weiterging, in einen Glutofen aus Scharlach.

Ihr Schlafzimmer war genau so wahnsinnig wie eine orientalische Koseecke von 1895 – ein hohes Sofa auf geschnitzten Elfenbeinfüßen, bedeckt mit einem Mandarinenmantel; dunkle Messinglampen in der Form von Moscheen und Pagoden; an den Wänden vergoldetes Papiermaché; ein großer Toilettetisch mit einer Unzahl Schönheitsmittel in absonderlich geformten Pariser Flaschen; hohe Leuchter, in denen gedrehte Zierkerzen brannten; und über allem eine Ahnung von Weihrauch.

Sie öffnete einen Wandschrank, warf ihm ein Gewand zu, rief: »Für den Dienst am Altar!« und verschwand in ein Ankleidezimmer. Schüchtern, sich einigermaßen wie ein Narr vorkommend, zog er das Gewand an. Es war aus purpurrotem Sammet, mit schwarzen Symbolen bestickt, die er nicht kannte, mit einem Kragen aus schweren Goldfäden. Er war nicht ganz sicher, was er tun sollte, und wartete gehorsam. Sie stand theatralisch in der Tür, er staunte. Sie war ganz schlank und hoch, ihre Hände – den Rücken nach oben, die Finger gekrümmt – bewegten sich neben ihr wie Lilien auf einem Strom. Sie sah phantastisch aus, in einem purpurroten Gewand, das mit goldenen Sternen, Halbmonden, Gnostiker- und Antoniuskreuzen geschmückt war; ihre Füße staken in Silbersandalen; und auf dem Haar hatte sie eine Tiara aus Silbermonden, mit Stahlflittern besetzt, die im Kerzenlicht funkelten. Ein Nebel von Weihrauch umflutete sie, schien von ihr aufzusteigen, und als sie langsam die Arme hob, fühlte er in kindlichem Entsetzen, daß sie wirklich eine Priesterin war.

Wieder war ihre Stimme unter dem Bann des Schlafwandels, als sie seufzte: »Komm! In die Kapelle.«

Sie ging auf eine Tür zu, die zum Teil vom Sofa verdeckt war, und führte ihn in einen Raum –

Jetzt war er nicht mehr zum Teil verliebt, zum Teil neugierig, er verspürte nichts als Unruhe.

Was für einen Hokuspokusbau man da ausgeführt hatte, begriff er nicht; vielleicht war nur der Fußboden über diesem kleinen Zimmer entfernt worden, so daß es sich über zwei Stockwerke erstreckte; aber auf jeden Fall war es da – ein Heiligtum, das unten hell strahlte, sich aber durch Dunkelheit bis in den Himmel zu erheben schien. Die Wände waren mit schwarzem Sammet verhängt, es gab keine Stühle; der Brennpunkt des ganzen Raums war ein großer Altar. Es war ein grotesk wahnsinniger Altar, drapiert mit chinesischen Tüchern, purpurrot, aprikosenfarben, smaragdgrün, gold. Zwei Stufen aus blaßrotem Marmor. Über dem Altar hing ein riesiges Kruzifix, auf dem der Christus aus den Nagelmälern und der Seitenwunde blutete; und auf der oberen Stufe standen Gipsbüsten der Jungfrau Maria, der Heiligen Theresa, der Heiligen Katharina, ein kitschiges Heiliges Herz, ein sterbender St. Stephanus. Aber auf der unteren Stufe stand ein wahnsinniger Haufen von Dingen, die Elmer »heidnische Götzen« nannte: Götter mit Affenköpfen, Götter mit Krokodilsköpfen, ein Gott mit drei Köpfen und ein Gott mit sechs Armen, ein Buddah aus Jade und Elfenbein, eine nackte Venus aus Alabaster, und im Zentrum aller dieser die schöne, entsetzliche, furchtbare, lockende Statuette einer Silbergöttin mit dreifacher Krone und einem Gesicht, das ebenso schmal und lang und leidenschaftlich war wie das Sharon Falconers. Vor dem Altar lag ein langes Sammetkissen, sehr dick und weich. Hier kniete Sharon plötzlich nieder, zog ihn auf die Knie und rief:

»Es ist die Stunde! Heilige Jungfrau, Mutter Hera, Mutter Frigga, Mutter Ishtar, Mutter Isis, hehre Mutter Astarte mit den bewegten Armen, deine Priesterin ist es, sie ist es, die nach Jahrhunderten der Blindheit und Jahren des Umhertappens der Welt kund tun wird, daß ihr eins, daß ihr alle in mir geoffenbart seid, und daß in dieser Offenbarung allgemeiner Friede und Weisheit kommen wird, das Geheimnis der Sphären und der Brunnen des Erkennens. Ihr, die ihr euch über mich gebeugt und eure unsterblichen Finger auf meine Lippen gedrückt habt, nehmt diesen meinen Bruder an eure Brust, öffnet seine Augen, befreit seinen gefesselten Geist, macht ihn den Göttern gleich, auf daß er mit mir die Offenbarung weitertrage, nach der die Welt tausend mal tausend kummervolle Jahre geseufzt hat.

»O Rosenkreuz und mystischer Turm von Elfenbein –

»Erhöre mein Gebet.

»O erhabener Aprilmond –

»Erhöre mein Gebet.

»O höchst treffliches Schwert aus untadeligem Stahl –

»Erhöre du mein Gebet.

»O Schlange mit den unergründlichen Augen –

»Erhöre mein Gebet.

»Ihr Verschleierten und ihr Strahlenden – in Höhlen vergessen, die Gipfel der Zukunft, das klirrende Heute – vereinigt euch in mir, erhebet ihn, empfanget ihn, hehre Namenlose; ja, erhebet uns, Mysterium auf Mysterium, Sphäre über Sphäre, Reich auf Reich, bis zum Thron!«

Sie nahm eine Bibel auf, die neben ihr zu Füßen des Altars auf dem langen Sammetkissen lag, drückte sie ihm in die Hand und rief: »Lies – lies – rasch!«

Das Hohelied Salomos war aufgeschlagen, und verwirrt psalmodierte er: »Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! Deine Lenden stehen gleich an einander wie zwo Spangen, die des Meisters Hand gemacht hat. Deine zwo Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge. Dein Hals ist wie ein elfenbeinener Turm. Das Haar auf deinem Haupt ist wie der Purpur des Königs, in Falten gebunden. Wie schön und wie lieblich bist du, du Liebe voller Wonne!«

Sie unterbrach ihn, mit hoher, etwas schriller Stimme: »O mystische Rose, o höchst ausgezeichnete Lilie, o bewunderungswürdige Einheit; o Heilige Anna, Unbefleckte Mutter, Demeter, Wohltätige Mutter, Lakshmi, Allerleuchtendste Mutter; siehe, ich bin sein, und er ist Dein, und Du bist mein!«

Als er weiterlas, erhob sich seine Stimme zur Gewalt eines triumphierenden Priesters:

»Ich sprach: Ich muß auf den Palmbaum steigen, und seine Zweige ergreifen –«

Diesen Vers brachte er nicht zu Ende, denn sie fiel, vor dem Altar kniend, zur Seite und sank in seine Arme, mit geöffneten Lippen.

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