Читать книгу Schach dem König - Siri Kohl & Kirstin Körner - Страница 6

Kapitel 2

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Im Herbst des Jahres 1559 war Spanien in Feierstimmung: Prinz Philipp, nun König Philipp II., war aus den Niederlanden zurückgekehrt, um sein Reich von Kastilien aus zu regieren, nachdem sein Vater Karl V. drei Jahre zuvor die spanische Krone an ihn abgetreten hatte. Die Bälle zur Feier seiner Heimkehr häuften sich, doch am prunkvollsten waren solche Feste in Toledo, wo Philipp die meiste Zeit residierte.

An diesem Abend waren im Festsaal des Alcázar von Toledo sämtliche Granden des Reiches versammelt. Philipp saß erhöht auf einem Podium am Ende des Raumes; neben ihm stand sein Freund und engster Vertrauter, Ruy Gómez de Silva, ein Angehöriger des portugiesischen niederen Adels, der gemeinsam mit Philipp aufgewachsen war. Ruy Gómez war ein großer, schlanker, dunkelhaariger Mann mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und einem warmen Lächeln, das jetzt, wo er die diversen Begrüßungszeremonien und die übertriebene Ehrerbietung der Adligen beobachtete, leicht ins Sarkastische abgeglitten war.

Philipp selbst nahm das festliche Treiben um ihn herum kaum wahr; er war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Die Neuordnung der Diözesen in den niederländischen Provinzen und der Widerstand der Niederländer dagegen machten ihm zu schaffen, und er hatte das unangenehme Gefühl, dass seine Abreise zum falschen Zeitpunkt erfolgt war – die Anwesenheit des Landesherrn hätte die angespannte Situation vielleicht mit der Zeit entschärfen können. Der niederländische Adel nahm nämlich an, dass die Reform der Diözesanverwaltung nur erfolgt war, um der Inquisition in den Provinzen ein einfacheres Vorgehen zu ermöglichen, und das machte die Grundherren blind für die enormen Vereinfachungen in der Verwaltung, die die Reform mit sich brachte.

Doch abgesehen von diesen politischen Erwägungen war Philipp froh, die Niederlande verlassen zu haben. Nur ungern erinnerte er sich an die Abdankungszeremonie seines Vaters, die in Brüssel vor den versammelten Vertretern der Provinzen stattgefunden hatte. Karl V., gichtgebeugt und kaum fähig zu sprechen, hatte weinend Abschied von seinen Untertanen genommen – eine Sentimentalität, die sich Philipp nie erlaubt hätte, auch wenn sein eigenes Herz übervoll gewesen war, als sein Vater ihn gesegnet und als neuen Regenten der Niederlande eingesetzt hatte. Nach der Zeremonie war Karl nach Spanien zurückgekehrt, hatte dort per Dekret seine Krone an Philipp abgetreten und sich in die unwirtliche Landschaft Estremadura im Westen des Königreiches zurückgezogen. Im Kloster San Yuste hatte er den Rest seiner Zeit auf Erden im Gebet und im Gespräch mit den Mönchen verbracht; im vergangenen Jahr, 1558, war er gestorben.

Die Erinnerung an seinen Vater erfüllte Philipp noch heute mit Schmerz und Wut. Zum Zeitpunkt seiner Abdankung war von dem erfolgreichen Streiter für den wahren Glauben, von dem Herrn über Deutschland, Spanien und Amerika, der Frankreich bezwungen und sogar dem Papst seine Politik vorgeschrieben hatte, nicht mehr viel übriggeblieben. An der Stärke der protestantischen Fürsten in Deutschland verzweifelnd und vom Scheitern seiner Pläne in Bezug auf England hart getroffen, hatte Karl akzeptieren müssen, dass sein riesiges Reich nach seinem Tode in zwei Teile zerfallen würde. Spanien, Amerika und die Niederlande würden in Philipps Hand verbleiben, doch die Kaiserkrone hatte Karl seinem Sohn nicht aufsetzen können; Karls Bruder Ferdinand und dessen Nachkommen würden sie tragen. Philipp erinnerte sich an die Zusammenkunft Karls und Ferdinands vor einigen Jahren in Augsburg, bei der auch er und Ferdinands Sohn Maximilian anwesend gewesen waren. Wie zwei Fischweiber hatten sich die kaiserlichen Brüder um die Erbfolge im Reich gestritten, doch Karl hatte sich nicht durchsetzen und die Teilung der Habsburgerdynastie in eine spanische und eine österreichische Linie nicht verhindern können. Diese Niederlage seines Vaters hatte Philipp, für den Karl stets Vorbild und Richtschnur gewesen war, tief beschämt.

Die Stimme des Zeremonienmeisters, der am Eingang des Saales die Namen der eintretenden Gäste verkündete, holte ihn aus seinen trüben Erinnerungen in die Wirklichkeit zurück. „Don Alonso de Sánchez Coello!“ tönte es durch den Raum. Der frisch ernannte Hofmaler durchschritt rasch die Menge und verneigte sich vor Philipp. „Ich grüße Euch, mein König! Der Tag Eurer Rückkehr war ein Freudentag für Spanien.“

„Ihr seid mir willkommen, Don Alonso.“ Philipp nickte ihm freundlich zu und entließ ihn mit einem Wink seiner Hand; als Sánchez Coello sich entfernte, warf der König Ruy Gómez einen Blick zu, der deutlich erkennen ließ, was er von solchen Schmeicheleien hielt. Ruy freute sich, zu sehen, dass Philipp in der strengen Schule Karls V. gelernt hatte, auf solche Äußerlichkeiten nicht hereinzufallen. Er war einige Jahre älter als der König und fühlte sich daher gewissermaßen für ihn verantwortlich, und Philipp, der ohne Bruder aufgewachsen war, war froh, dass Ruy diese Stelle einnahm.

Der König versank wieder in Gedanken. Ihn plagte das Gefühl, am Scheitern der englischen Heirat nicht ganz unschuldig gewesen zu sein... Wie erwartet hatte er für Königin Mary keine tieferen Gefühle aufbringen können (wohingegen sie ihn fast abgöttisch liebte), und ihr ältlicher Körper hatte die Erfüllung seiner Ehepflichten für ihn nicht gerade angenehmer gemacht. Dennoch hatte er seine Pflicht getan; nach einiger Zeit war die Königin endlich schwanger geworden, hatte zumindest Symptome gezeigt, doch als auch nach elf Monaten kein Kind geboren worden war, musste Philipp einsehen, dass es eine Scheinschwangerschaft gewesen war. Mary hatte sich das Kind sehnlichst gewünscht und litt unsäglich unter der Nachricht der Ärzte, aber Philipp fühlte sich nicht in der Lage, seiner Frau Trost zu spenden.

In den Bordellen Londons und in den Armen einiger Hofdamen lenkte er sich ab, und als er wegen der Abdankung seines Vaters in die Niederlande reisen musste, was seiner Frau fast das Herz brach, erneuerte er seine Bekanntschaft mit Christina, der schönen Herzogin von Lothringen. Die Herzogin, mit einem alternden Ehemann gestraft, der aber duldsam die Augen vor den Eskapaden seiner lebenslustigen Frau verschloss, hatte trotz ihrer Jugend schon diverse Liebhaber vorzuweisen. Sie lehrte Philipp die Kunst, eine Frau zu lieben, und er machte darin bald solche Fortschritte, dass Christina ihn kaum gehen lassen wollte und ihn sogar bei seiner Rückkehr nach England begleitete. Denn zurückkehren musste er, so schwer es ihm fiel: Spanien brauchte Englands Unterstützung im Krieg gegen Frankreich. Die erhielt Philipp nach langen Verhandlungen auch, doch brachte sie Spanien keine Vorteile und England lediglich den Verlust von Calais, seiner letzten Bastion auf dem europäischen Festland. Das schürte den Hass der englischen Bevölkerung auf Philipp, und er verließ das Land zum zweiten Mal, um nie wieder zurückzukehren; denn 1558, im gleichen Jahr wie sein Vater, starb auch Mary Tudor. Der Tumor in ihrer Gebärmutter, der die ersehnten Schwangerschaftssymptome ausgelöst hatte, hatte ihr den Tod gebracht.

Wieder kündigte der Zeremonienmeister Gäste an. „Don Fernando Álvarez de Toledo, Herzog von Alba, und seine Gemahlin!“ Der hagere, grauhaarige General schritt durch eine Gasse, die sich wie von Geisterhand vor ihm auftat – bei Hofe wusste man, dass es nicht ratsam war, Alba im Weg zu stehen. Seine Frau hatte ihre besten Jahre eindeutig hinter sich und versuchte diese Tatsache durch das Tragen eines zu tief ausgeschnittenen Kleides wettzumachen. Philipp beugte sich grinsend zu Ruy hinüber und flüsterte: „Ich frage mich immer wieder, wie dieser alte Lüstling mit einer solchen... solchen...“

„Vogelscheuche?“ half Ruy ihm.

„Danke; wie er mit ihr – verkehren kann...“

Ruy stieß seinen Freund mit Blicken in die Rippen. „Tut er nicht. Wärst du in den letzten Jahren nicht in den Niederlanden gewesen, dann wüsstest du, dass Albas Dienstmägde in den meisten Fällen nicht nur das Haus sauber halten müssen.“

Hüstelnd täuschte Philipp Empörung vor. „Aber Ruy...“

Alba hatte die Stufen des Thrones erreicht und kniete vor Philipp nieder. „Ich bin hocherfreut, Euch wieder in Spanien zu sehen, mein großer König! Es erfüllt mich mit Stolz, künftig unter Eurer Fahne kämpfen zu dürfen, wie ich unter der Eures Vaters gekämpft habe, und...“

Bevor Alba weiterreden konnte, unterbrach der König ihn mit sanfter Ironie. „Ich schätze den spanischen Stolz, Herzog Alba; ich bin sehr froh, Euch in meinen Diensten zu wissen.“

„Ich danke Euch, mein König.“ Alba und seine Frau erhoben sich und mischten sich unter die Gäste.

Philipp fiel plötzlich etwas ein. „Ruy, ich muss dringend mit dir...“ Als er seinen Freund ansah, bemerkte er, dass der überhaupt nicht zuhörte, und als Philipp zum Eingang des Saales blickte, wusste er auch, warum. Die Stimme des Zeremonienmeisters hallte erneut durch den Raum: „Don Diego de Mendoza und seine Tochter, Doña Ana!“

Bei Anas Anblick verschlug es auch Philipp für einen Moment die Sprache. Nichts an ihr erinnerte mehr an das Mädchen, das er vor Jahren kennengelernt hatte – Ana war zur Frau geworden. Sie war nicht nach der gängigen spanischen Mode gekleidet, sondern trug ein weit ausgeschnittenes nachtblaues Kleid. Ihre Haare, nur durch zwei Spangen gehalten, fielen in dunklen Locken über ihren Rücken. Ihr einziger Schmuck war ein großes goldenes Kreuz, das um ihren Hals hing; in der Hand trug sie eine weiße Rose.

„Ana...“ seufzte Ruy verklärt.

„Bitte?“ Philipp folgte dem Blick seines Freundes, der immer noch Ana anstarrte, die jetzt am Arm ihres Vaters durch den Raum schritt. Mit einem mitleidigen Lächeln bemerkte er: „Schlag sie dir aus dem Kopf, Ruy – diese Frau ist unerreichbar für dich, glaub mir.“

„Kannst du sie mir trotzdem vorstellen?“ bat Ruy.

Inzwischen hatten Vater und Tochter das Podium erreicht. Diego verneigte sich vor dem König, und Ana versank in einem vollendeten Hofknicks. „Es ist eine große Ehre für mich, heute hier zu sein, Señor“, sagte Diego.

„Die Freude ist auf meiner Seite. Der Hof hat Euch lange vermisst, Don Diego“, erwiderte Philipp freundlich.

Ana erhob sich, trat auf ihn zu und reichte ihm die Rose, die sie in der Hand hielt. „Mein König, nehmt diese Rose als Zeichen meiner Freude, Euch wiederzusehen.“

Philipp lächelte. „Ich danke Euch, Doña Ana.“ Er wies auf den heftig errötenden Ruy. „Darf ich Euch meinen Jugendfreund und Berater Don Ruy Gómez de Silva vorstellen?“

Ana neigte den Kopf und lächelte Ruy an. „Es ist mir eine Freude, Euch kennenzulernen, Don Ruy.“ Sie reichte ihm die Hand zum Kuss, den er über jedes normale Maß hinaus ausdehnte. Seinen ganzen Mut zusammennehmend, fragte er: „Würdet Ihr mir heute Abend einen Tanz schenken?“ Ana schlug die Augen nieder und signalisierte ihr Einverständnis, dann entfernte sie sich mit ihrem Vater.

„Oh Gott, für diese Frau würde ich sterben!“ seufzte Ruy inbrünstig.

„Das hat Alba bestimmt auch gesagt, als er seine Frau zum ersten Mal sah“, meinte Philipp trocken.

„Ich meine es ernst, Philipp!“ sagte Ruy leicht gekränkt. „Eine so wunderbare Frau wie sie habe ich noch nie gesehen. Hilf mir, um sie zu werben!“

„Ich weiß nicht, ob das reichen würde“, sagte Philipp stirnrunzelnd. „Die Mendozas werden nur einen Schwiegersohn aus höchstem Adel akzeptieren.“

„Aber du bist der König – dein Wort ist Gesetz!“

Philipp legte ihm die Hand auf die Schulter. „Mein Freund, wenn es dir so ernst damit ist, werde ich alles tun, um dir zu helfen.“

„Dafür würde ich dir ewig dankbar sein!“

Wenig später begannen die Musikanten aufzuspielen, und die Gäste tanzten. Philipp und Ruy sahen dem eine Weile zu; schließlich fragte der Portugiese: „Willst du nicht auch einmal tanzen?“

„Ich weiß auch genau, mit wem ich das tun soll.“ Philipp grinste wissend, und Ruy wurde rot. Philipp klopfte ihm leicht auf die Schulter. „Keine Sorge, mein Freund, auch ich war schon verliebt... Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Er gab Ruy die weiße Rose, die dieser sofort ans Herz drückte, schritt durch den Saal auf Ana zu und verbeugte sich elegant vor ihr. Wie bei ihrer ersten Begegnung spürte Ana auch jetzt wieder die Faszination, die sein unergründlicher Blick auf sie ausübte – er verriet keine Emotion, und doch besaß er eine fast hypnotische Kraft und weckte in seinem Gegenüber den Eindruck, dass unter der kühlen Oberfläche kaum beherrschte Leidenschaften brodelten.

Erwartungsvoll erwiderte Ana Philipps Blick, und wie sie gehofft hatte, fragte er: „Darf ich Euch um diesen Tanz bitten?“

„Es ist mir eine Ehre…“ Sie zögerte einen Augenblick und lächelte dann: „Philipp.“

An seinem Arm schritt sie in die Mitte des Raumes, und zu den langsamen Klängen einer Pavane begannen sie zu tanzen.

„Mit langen Haaren gefallt Ihr mir noch besser – kleine Ana.“ Philipps Stimme wurde sanft, als er den Kosenamen gebrauchte.

Ana lächelte freudig. „Ihr habt mich wirklich nicht vergessen!“

„Wie könnte ich?“ sagte Philipp und hielt unauffällig Ausschau nach Ruy. Der stand wartend und aufgeregt am Rande des Saales und beobachtete das Paar. Auf einen kaum merklichen Wink Philipps kam er auf sie zu, und der König führte Ana gekonnt in die Arme seines Freundes.

„Du solltest besonders auf ihren – Schmuck achten“, flüsterte Philipp, während er einen letzten Blick auf Anas Dekolleté warf.

Ruy sah ihm verwirrt nach und wandte sich dann Ana zu. „Ihr tragt in der Tat ein außergewöhnliches Schmuckstück.“ Sein Blick hing an dem Goldkreuz, das sie trug.

Ana hatte Philipps Anspielung besser verstanden, ging aber nicht darauf ein. „Lasst uns tanzen, Don Ruy.“

Die folgenden Stunden genoss Ruy in vollen Zügen, und als er seinen Blick auch einmal von Ana losreißen und zu Philipp hinübersehen konnte, beantwortete er dessen stumme Frage nach dem Stand der Dinge mit einem strahlenden Siegerlächeln.

Als der Ball dem Ende zuging und Ana von ihrem Vater darauf hingewiesen wurde, dass es schon spät sei, blickte sie Ruy kokett an. „Ich würde mich freuen, Euch bald auf unserem Schloss zu sehen, Don Ruy.“ Sie reichte ihm die Hand zum Kuss.

Als er sich wieder aufgerichtet hatte, sah er ihr tief in die Augen. „Ich werde die Stunden zählen, bis ich Euch wiedersehe“, sagte er leise.

Ana schritt am Arm ihres Vaters zur Tür, doch bevor sie den Saal verließ, drehte sie sich noch einmal um und schenkte Ruy ein hinreißendes Lächeln. Mit verklärter Miene drehte der sich zu Philipp um, der an seiner Seite stand. „Ist sie nicht...“

Philipp legte ihm den Arm um die Schultern und schnitt ihm lachend das Wort ab. „Sag nichts, mein Freund, dein Anblick ist mir genug!“

Zwei Tage später traf Ruy auf dem Schloss der Mendozas ein. Anas erneuter Anblick überrumpelte ihn diesmal nicht so sehr wie auf dem Ball, und er war in der Lage, durch Geistesgegenwart und intelligente Konversation wenigstens auf Don Diego einen sehr positiven Eindruck zu machen, während seine niedere Herkunft ihn in Doña Doroteas Augen offensichtlich von vornherein zu disqualifizieren schien.

Bereits in der ersten Nacht ließen ihn die Gedanken an Ana nicht schlafen, und er beschloss, noch ein wenig an dem in der Nähe gelegenen Fluss spazieren zu gehen. Als er das Ufer erreichte, überquerte er eine kleine Brücke und schlenderte, auf der anderen Seite angekommen, nachdenklich am Ufer entlang. Plötzlich fuhr er erschreckt zurück: Ana näherte sich dem Fluss, und soweit er sehen konnte, war sie nur mit einem weißen Morgenmantel bekleidet! Rasch versteckte sich Ruy hinter einem Baum, von wo er gleichzeitig schockiert und hingerissen beobachtete, wie Ana ihren Mantel zu Boden fallen ließ und ins Wasser glitt. Ruy wurde in seinem Versteck abwechselnd heiß und kalt...

Einige Zeit schwamm sie im Fluss, bewegte sich anmutig im Wasser, ohne auch nur im Geringsten zu befürchten, beobachtet zu werden. Als sie wieder aus dem Wasser stieg, konnte Ruy noch einmal ihren nackten Körper bewundern, den das weiße Mondlicht beschien, dann schlüpfte sie wieder in ihren Mantel. Ruy folgte ihr in einigem Abstand zurück zum Schloss, wobei er des Öfteren beinahe über Baumwurzeln gestolpert wäre, da er nicht den Weg, sondern Ana im Auge behielt; doch er schaffte es, unbemerkt zu bleiben. Als er schließlich wieder im Bett lag, war an Schlaf natürlich nicht mehr zu denken...

Er sah Ana erst am späten Vormittag wieder, da sie am Morgen wie immer ausgeritten war. Als er ihr in der Eingangshalle begegnete, trat sie mit fliegenden Locken und geröteten Wangen auf ihn zu.

„Guten Morgen, Doña Ana!“ Er küsste schwungvoll ihre Hand.

„Ist dieser Tag nicht wunderschön, Don Ruy?“ rief sie unternehmungslustig. „Lasst uns ein Picknick machen! Während ich mich umziehe, könnt Ihr uns etwas zu essen holen.“ Bevor er etwas erwidern konnte, war sie auch schon die Treppe zu ihren Gemächern empor gelaufen.

„Wird sie eigentlich jemals müde?“ sagte Ruy zu sich selbst, begab sich aber selbstverständlich trotzdem in die Küche und kehrte kurze Zeit später mit einem Picknickkorb zurück. Ana hatte sich bereits umgezogen und trug jetzt ein dunkelgrünes, eng anliegendes Kleid. Ihre Haare fielen ungebändigt über ihre Schultern. Ruy bot ihr mit größtem Vergnügen seinen Arm, und sie verließen das Schloss.

Auf einer nahen Waldlichtung breitete Ana die mitgebrachte Decke aus, und Ruy begann den Korb auszupacken. Er füllte zwei Becher mit Wein. „Setzt Euch!“ sagte Ana und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

„Auf diesen schönen Tag.“ Er hob seinen Becher.

„Auf dass die Nacht genauso schön wird...“

Er glaubte nicht richtig gehört zu haben. „Wie meint Ihr...“ Hier wurde er von einem heftigen Niesanfall unterbrochen; als er sich erholt hatte, trank er einen Schluck Wein, um dem schelmischen Blick ihrer schwarzen Augen auszuweichen.

Ana fragte belustigt: „Ihr habt Euch wohl gestern Nacht am Fluss erkältet?“

Ruy verschluckte sich am Wein und hustete, wurde erst bleich und dann rot. „Ihr wisst, dass ich dort war?“

„Glaubt Ihr, ich würde sonst um diese Zeit baden gehen?“ Sie sah ihn mit schief gelegtem Kopf an.

Er verstand noch immer nicht. „Aber...“

„Ich sah Euch von meinem Fenster aus. Also bin ich hinausgeklettert und Euch gefolgt.“

„Ihr seid – aus dem Fenster geklettert.“ Ruys Tonfall klang, als könne ihn nichts mehr schockieren.

„Ihr wisst doch, wie weit meine Gemächer von der Eingangstür entfernt sind, und ich hatte ja keine Ahnung, wohin Ihr wolltet. Also war das der schnellste Weg“, sagte sie fröhlich.

„Aber Euch hätte so viel passieren können!“ Nun war er ernstlich besorgt.

„Ich mache das seit meinem zwölften Lebensjahr, und außerdem“ - ihr Ton wurde kokett - „hat es sich doch für euch gelohnt, oder?“

„Ihr seid… Ihr seid...“ Die Worte verließen ihn.

Sie ergänzte für ihn: „... die schönste Frau, der Ihr je begegnet seid?“

Ruy fand die Sprache wieder. „Nein, Ihr seid un-mög-lich!“ Sein Gesicht hatte einen liebevollen Ausdruck angenommen, der es Ana schwer machte, sich nicht gleich in seine Arme zu werfen.

„Aber Don Ruy“, sagte sie leise, „Männer Eures Alters sollten wissen, dass Frauen gerne kleine Spielchen treiben.“

„Keine Frau, die ich vor Euch kannte, tat so etwas!“

„Ich kann noch etwas ganz anderes tun...“

„Was sollte das noch sein? Ihr könnt mich langsam nicht mehr überraschen.“

Ana versuchte ernst zu bleiben. „Ich kann Euch die Stimme rauben!“

Ruy sah sie verständnislos an. „Ich wüsste nicht...“

In diesem Moment lehnte Ana sich vor und küsste ihn. Der Rest seines Satzes ging in einem Geräusch unter, das etwa wie „Hmpf“ klang; dann begriff er endlich, was sie mit ihm machte. Sanft erwiderte er ihren Kuss, noch immer fassungslos darüber, so schnell ans Ziel seiner Träume gelangt zu sein.

„Seht Ihr, Ihr konntet nicht mehr sprechen!“ rief Ana, als sie sich von ihm löste und ihn anlachte.

„Ihr bringt mich um den Verstand“, stellte er verwirrt fest. Spielte sie etwa nur mit ihm?

„Das ist doch genau das, was ich wollte...“ sagte sie und sah ihn liebevoll an. Seine Augen waren voller Zweifel, er wusste immer noch nicht, ob sie ihre Avancen ernst meinte; doch ihr auffordernder Blick gab den Ausschlag. Zärtlich zog er sie an sich und küsste sie, und als sie zurück auf die Decke sanken und er durch den dünnen Stoff ihres Kleides ihren Körper spürte, vergaß er Zweifel und Bedenken und gehörte nur noch ihr.

Einige Tage waren seit jenem Picknick im Wald vergangen, und in Ruys Glück mischte sich immer drängender eine bohrende Frage: Was nun? Wie Ana ihm gestanden hatte, hatte er ihr die Jungfernschaft genommen, und das bedeutete, dass an einer Heirat kaum ein Weg vorbeiführte. Zwar war dieser Gedanke ihm keineswegs zuwider, doch wenn er an Doña Doroteas Vorbehalte gegen ihn dachte, beschlich ihn Unbehagen, und auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass Ana ihn abweisen würde, war er sich ihrer Zustimmung doch auch nicht vollkommen sicher. Schließlich war er ganze vierundzwanzig Jahre älter als sie, und ihre Leidenschaft für ihn konnte ein rasch vorübergehendes Strohfeuer sein.

So war sein Entschluss zwar gefasst, aber keineswegs unangefochten, als er eines Morgens an die Tür des Arbeitszimmers von Diego de Mendoza klopfte. Auf dessen „Herein!“ trat er ein.

Diego legte eine kostbar gebundene Ausgabe der Aeneis beiseite. „Guten Morgen, Don Ruy. Was ist Euer Begehr?“

„Habt Ihr kurz Zeit für mich, Señor?“

Diego deutete auf einen Stuhl. „Nehmt Platz.“

Ruy räusperte sich. „Es ist… Ich würde Euch gern fragen...“

Diego lächelte aufmunternd, als ahne er bereits, was kommen würde. „Nun, heraus mit der Sprache!“

Ruy holte tief Luft und sagte rasch: „Ich bitte Euch um die Hand Eurer Tochter!“

Diego legte den Kopf schief und wartete einige Sekunden. „Und Ihr meint, ich könnte sie Euch geben?“

„Wie meint Ihr...“

„Nun, meine Tochter hat ihren eigenen Kopf. Wenn sie Euch auch will, habe ich nichts dagegen einzuwenden. Doch Ihr müsst sie schon selbst fragen. Die Entscheidung liegt bei ihr.“

Ruy atmete auf. „Ich danke Euch für Eure Offenheit. Ich werde sie fragen, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet.“

Diego stand mit ihm auf und schüttelte ihm die Hand. „Tut das. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Ihr Erfolg hättet.“

„Ich weiß Eure Worte sehr zu schätzen, Señor.“ Mit einer Verbeugung verließ Ruy das Zimmer.

„Vielleicht kann dieser Mann dafür sorgen, dass sie lernt, ihr Temperament zu zügeln...“ murmelte Diego, als er wieder allein war.

Einige Tage später saß Ruy in Philipps Arbeitszimmer in Toledo und studierte eine Depesche aus London, deren gekünstelte lateinische Formulierungen seinem nicht besonders sprachgewandten königlichen Freund Probleme bereiteten. Nachdem er jedoch über zehn Minuten auf den Text gestarrt hatte, ohne etwas zu sagen, stellte Philipp freundschaftlich tadelnd fest: „Du bist heute überhaupt nicht bei der Sache.“ Er lächelte. „Eigentlich konzentrierst du dich seit geraumer Zeit nicht mehr besonders auf die Politik. Ich frage mich, ob das an einer gewissen jungen Dame liegt...“

Ruy seufzte, als läge die Last der Welt auf seinen Schultern. „Ohne sie möchte ich nicht mehr leben!“

„Warum hältst du dann nicht bei Mendoza um ihre Hand an?“ schlug Philipp trocken vor.

„Das habe ich bereits getan.“

„Und?“ fragte Philipp eifrig.

„Er hat gesagt, dass die Entscheidung bei Ana liegt.“

„Aber dann frag sie doch!“

Das hatte Ruy befürchtet – Philipp begriff ihn nicht. „Und wenn sie nein sagt?“

Der König legte ihm die Hand auf die Schulter. „Mein Lieber, du bist doch sonst nicht so schüchtern. Was hast du denn schon zu verlieren?“

„Die Frau, die ich liebe!“ sagte Ruy, als halte er seinen Freund für begriffsstutzig.

„Ich könnte sie in deinem Namen fragen“, schlug Philipp nach kurzem Überlegen vor.

„Würdest du das für mich tun?“ Der Portugiese klang sehr erleichtert.

„Nun, ich werde sie nicht direkt fragen, ob sie dich heiraten will, aber ich könnte herausfinden, ob sie von dir gefragt werden möchte.“ Philipp grinste.

Aufatmend sagte Ruy: „Ich danke dir, damit wäre mir schon sehr geholfen! Ich könnte es nicht ertragen, von ihr abgewiesen zu werden.“

„Wenn ich dir nun eine negative Antwort bringe“, sagte Philipp zögernd, „heißt das dann, dass du sie vergessen wirst?“

„Was sollte ich sonst anderes tun?“

Yo soy el rey!“ kam die gedehnte Antwort.

Ruy wehrte ab. „Nein, ich will sie nur, wenn sie mich auch liebt und nicht, weil sie dazu gezwungen wird.“

„Du bist ein sehr nobler, aber auch törichter Mann, Ruy.“

„Geh sie fragen, dann wird sich ja entscheiden, ob ich wirklich ein Narr bin.“ Ruy wandte sich wieder der Depesche zu.

Philipp hielt sein Versprechen und begab sich am nächsten Tag zu den Ländereien der Mendozas. Ana hatte gerade ausreiten wollen, als der König gemeldet wurde. Überrascht sah sie auf. „Der König? Was mag er wollen?“ Sie stieg wieder vom Pferd und erwartete Philipps Ankunft. Ehrerbietig knickste sie vor ihm. „Willkommen, mein König. Ihr wollt sicherlich zu meinem Vater. Ich werde Eure Ankunft melden.“

Als sie sich umwandte, sagte er: „Wartet! Ihr seid der Grund meines Kommens. Wie ich sehe, wolltet Ihr gerade ausreiten. Erfüllt mir den Wunsch und lasst mich Euch begleiten.“

„Es ist mir eine Ehre, mein König.“

Beide saßen wieder auf und ritten aus dem Tor. Philipps Gefolge blieb auf seinen Befehl zurück. Während sie schweigend nebeneinander ritten und sie darauf wartete, dass er das Gespräch begann, schien es ihr, dass seine Blicke manchmal verstohlen über ihren Körper glitten, und sie merkte, dass ihr das keinesfalls missfiel.

Philipp konnte nicht umhin, ihre langen Beine und die schmale Taille zu bewundern, die durch die eng anliegende Reithose noch hervorgehoben wurden. „Wie ich sehe, tragt Ihr beim Reiten immer noch Hosen.“

„Wenn Ihr einmal in einem Kleid geritten seid, werdet Ihr verstehen, warum ich Hosen vorziehe“, sagte sie lächelnd.

„Ich glaube nicht, dass ich das einmal ausprobieren werde.“

„Oh, ich erinnere mich daran, dass Ihr sogar einmal versuchen wolltet, im Damensattel zu reiten! Aber Ihr seid doch nicht gekommen, um mit mir über Reitmode zu reden. Was ist der wahre Grund Eures Kommens?“

Philipp war ihre Direktheit etwas unangenehm. „Nun… Wie ich höre, besucht Euch mein Berater, Ruy Gómez, sehr oft. Ihr scheint ihn also zu mögen?“ Im selben Moment hätte er sich für seine Indiskretion ohrfeigen können.

Ana durchschaute ihn auch sofort. „Ich kann mir schon denken, was Ihr jetzt von mir hören wollt! Aber, mein König, Ihr könnt Eurem Berater“ – sie betonte das Wort ironisch – „ausrichten, dass er mich schon selbst fragen muss.“ Ihre Stimme war spöttisch, aber noch nicht unfreundlich.

Ertappt beeilte Philipp sich, ihr zu versichern: „Ich komme keinesfalls in der Angelegenheit, die Ihr annehmt, Doña Ana. Ich wollte lediglich...“

„Verzeiht, wenn ich Euch unterbreche, aber ich weiß sehr wohl, dass Ihr Eurem Freund den Weg ebnen wollt.“

„Ihr seid eine kluge Frau“, sagte er resignierend. „Ich werde Ruy ausrichten, was Ihr mir gesagt habt.“ Herrgott, warum war er nicht ein wenig vorsichtiger gewesen? Aber Diplomatie hatte nie zu seinen Stärken gehört...

Schweigend schlugen sie den Rückweg zum Schloss ein. Als sie durch den Torbogen ritten, sagte Ana: „Trotz allem danke ich Euch, dass Ihr gekommen seid. Ich weiß jetzt, was ich tun muss.“ Sie fühlte sich durch Ruys und Philipps Vorgehen etwas beleidigt und konnte das nur schlecht verbergen.

Philipps Stimme klang besorgt. „Ihr werdet Ruy abweisen?“

„Und wenn?“

„Es steht mir nicht zu, Eure Entscheidung zu verurteilen... Ich glaube, dass Ihr eine Frau seid, die weiß, was sie will und wie sie es bekommen kann.“

Seine Augen suchten die ihren, und sie errötete leicht. „Ich danke Euch für das Kompliment.“

Philipp nutzte ihre wiedergewonnene gute Laune. „Aber ich möchte Euch bitten, über eine Verbindung mit Ruy Gómez nachzudenken. Er liebt Euch wirklich sehr und könnte es nur schwer ertragen, von Euch nicht geliebt zu werden.“

„Jetzt habt Ihr es doch getan.“ Sie lächelte. „Ihr seid Ruy wirklich ein guter Freund.“

„Weil er es wert ist. Lebt wohl, Doña Ana“, sagte er und küsste ihre Hand. „Ich hoffe, dass ich Euch bald wiedersehe.“ Dann winkte er sein Gefolge heran und galoppierte davon.

Am Nachmittag erreichte er wieder den Alcázar von Toledo, und kaum, dass sie allein waren, stürzte sich Ruy ungeduldig auf ihn. „Und? Was hat sie gesagt?“

„Dass du selbst kommen sollst.“

„Das ist alles?“ Ruy schien enttäuscht.

„Der Rest ist nicht von Belang. Aber an deiner Stelle würde ich sie so bald wie möglich aufsuchen.“

„Du weißt doch mehr, als du zugibst!“

Philipp grinste verschwörerisch. „Ich weiß nur, dass sie eine außergewöhnliche Frau ist.“

„Inwiefern?“

„Sie hat mich gleich durchschaut, als ich nach dir fragte. Und dann hat sie eben gesagt, dass du selbst kommen sollst.“ Mein Gott, Ruy, jetzt mach dich schon auf den Weg...

Der Portugiese gab sich einen Ruck. „Nun gut – dann werde ich jetzt noch aufbrechen. Wünsch mir Glück, Philipp.“

Die Freunde umarmten sich. „Alles Glück dieser Welt“, sagte Philipp warm.

Ruy ritt wie der Teufel und erreichte am späten Abend in völliger Dunkelheit das Schloss der Mendozas. Er ließ sein Pferd in einiger Entfernung zurück und schlich durch den Schlossgarten zu Anas Gemächern. Kurz entschlossen kletterte er auf den Balkon und klopfte leise an die Tür.

Ana hatte bereits geschlafen, wachte aber bei dem Geräusch sofort auf. Sie glaubte den Schatten, der sich auf dem weißen Vorhang abzeichnete, zu erkennen, stieg lächelnd aus dem Bett und zündete eine Kerze an. Dann öffnete sie die Tür und fühlte, wie ihr Herz einen Sprung machte, als sie ihre Vermutung bestätigt fand. „Ruy! Was machst du hier noch so spät?“ fragte sie in gespielter Überraschung.

Er fühlte, wie seine Gefühle mit ihm durchgingen und küsste sie leidenschaftlich. „Ich muss dir etwas sagen, das nicht bis morgen warten kann. Ich… Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt, und ich möchte dich fragen“ - er nahm ihre Hände in seine und sank vor ihr auf die Knie - „ob du meine Frau werden willst.“

Ana richtete ihn auf und sah ihm lange in die Augen. „Warum bist du nicht gleich zu mir gekommen, sondern hast Philipp geschickt?“

Er blickte zu Boden wie ein gescholtenes Kind. „Ich hatte Angst davor, zurückgewiesen zu werden.“

„Aber warum hast du nicht gemerkt, dass sich mein Körper nur nach deiner Berührung sehnt?“ fragte sie zärtlich.

„Dass du mich begehrst, muss nicht heißen, dass du mich liebst.“

Sie küsste seine Nasenspitze. „Ich liebe dich, Ruy, und ich möchte mit dir den Rest meines Lebens verbringen.“

„Sag das nochmal!“

„Ich liebe dich!“

Er nahm sie in die Arme und wirbelte sie freudestrahlend ein paar Mal herum. Als er sie zu ihrem Bett trug, sah Ana ihn schelmisch an. „Aber Don Ruy, es ist doch noch gar nicht unsere Hochzeitsnacht.“

„Wir tun einfach so, als ob...“ flüsterte er, als er sich über sie beugte und ihr vorsichtig das Nachthemd abstreifte.

Früh am nächsten Morgen schickte Ana den überglücklichen Ruy zurück nach Toledo und beschloss, die unvermeidliche Konfrontation mit ihrer Mutter nicht länger hinauszuzögern und ihren Eltern sofort von ihrer Heiratsabsicht zu berichten. Glücklicherweise traf sie zuerst auf ihren Vater, der erfreut hörte, dass Ruy Erfolg gehabt hatte und seine Tochter zu ihrer Entscheidung für ihn beglückwünschte. In diesem Moment rauschte Dorotea in den Raum, und Ana machte sich auf das Schlimmste gefasst.

„Was ist denn der Anlass für diese Glückwünsche, Ana?“

Ana setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. „Ich werde heiraten, Mutter.“

Dorotea schien etwas verwirrt. „Heiraten? Aber wen denn?“ Sie hielt einen Moment inne, dann breiteten sich Begreifen und Entsetzen auf ihrem Gesicht aus. „Oh nein, doch nicht etwa...“

„Don Ruy Gómez de Silva hat mir einen Antrag gemacht, und ich habe ihn angenommen. Freust du dich nicht für mich?“ Was für eine überflüssige Frage, dachte Ana.

„Ich soll mich freuen?“ schrillte Dorotea. „Darüber, dass du diesen portugiesischen Bauern heiraten willst? Wie kannst du mir das antun? Du, mein einziges Kind!“

„Dorotea...“ warf Don Diego beschwichtigend ein.

Ana winkte ab. „Lass nur, Vater, ich schaffe das allein.“

„Nun gut, dann warte ich draußen.“ Als er den Raum verlassen hatte, holte Ana tief Luft und sagte: „Komm, Mutter, setz dich zu mir.“

„Ich will mich nicht setzen, ich will, dass du mir sagst, dass du diesen… diesen… nun ja, diesen Mann nicht heiratest!“ Aus ihrem Mund klang die Bezeichnung wie ein Schimpfwort.

Ana fühlte Wut in sich aufsteigen. „Aber ich liebe ihn, und hast du mir nicht immer gesagt, ich soll auf mein Herz hören? Du liebst Vater doch auch!“

„Das ist etwas ganz anderes, dein Vater ist ein Mendoza und kein dahergelaufener Portugiese.“

„Dann hast du also nur Vaters Namen geheiratet!“

Dorotea schien sich ertappt zu fühlen und sagte schnell: „Nein, ich liebe deinen Vater.“

„Dann musst du es doch verstehen, dass ich für den Rest meines Lebens bei Ruy bleiben will.“ Touché, dachte Ana.

Dorotea zögerte etwas und sagte dann: „Ich hatte immer die Hoffnung, dass der König und du...“

„Der König hat die Pflicht, mit einer Heirat einen Friedensschluss oder ein Bündnis zu besiegeln. Warum sollte er dann eine Kastilierin heiraten?“

Dorotea gab sich noch nicht geschlagen. „Aber du bist nun mal eines Königs würdig.“

Die hochfliegenden Pläne ihrer Mutter hätten Ana fast den Kopf schütteln lassen. „Ich bin eines Mannes würdig, der mich liebt, und das ist Ruy; und auch wenn du dich weigerst, der Heirat zuzustimmen, werde ich es trotzdem tun. Vater hat mir seinen Segen gegeben, und auch der König ist einverstanden. Es ist also nicht von Belang, wenn du dich weigerst, aber ich bitte dich als deine Tochter, dass du dich nicht gegen uns stellst. Ich möchte mein Zuhause nicht im Streit verlassen.“

Diese Bitte schien Dorotea endlich überzeugt zu haben. „Na schön, dann heirate ihn, aber...“

„Kein ‚aber’ mehr – bitte, Mutter. Lass mich einfach nur glücklich sein.“

Als Dorotea ihre Tochter umarmte, schien ihre Resignation wenigstens zu einem kleinen Teil der Freude über das Glück ihrer Tochter gewichen zu sein.

Nach mehreren Monaten zäher Hochzeitsverhandlungen, die der hohe gesellschaftliche Rang der Braut und ihre Situation als Erbin eines großen Familienvermögens notwendig machten, konnte die Hochzeit endlich gefeiert werden. Philipp, der öfters zugunsten seines Freundes in die Verhandlungen eingegriffen hatte, ließ es sich natürlich nicht nehmen, bei der Zeremonie anwesend zu sein, was in Hofkreisen als außergewöhnlicher Gunstbeweis für Ruy ausgelegt wurde. Als das Brautpaar Hand in Hand aus der Kirche trat, war beiden ihre Verliebtheit deutlich anzusehen, und Philipps breites Lächeln, das er sich so selten in der Öffentlichkeit gestattete, verriet, wie sehr er sich für Ruy freute.

Im Schloss der Mendozas fand der Hochzeitsball statt, und selbstverständlich tanzte Philipp auch mit Ana. „Die Freude in Euren Augen macht mich neidisch, Ana“, musste er lächelnd eingestehen.

„Ich gebe Euch gerne etwas davon, mein König. Heute könnte ich die ganze Welt umarmen!“ Anas schwarze Augen schienen Funken zu sprühen vor Glück.

„Dann bin ich ebenso glücklich wie Ihr“, sagte Philipp, und sie wusste, dass er es ehrlich meinte. Aus seiner Stimme sprach seine ganze Zuneigung zu Ruy, als er fortfuhr: „Ruy musste lange auf die Frau seines Lebens warten, und ich sehe, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat.“

Ana errötete leicht. „Ich danke Euch.“

Mit einem formvollendeten Handkuss verabschiedete sich Philipp schließlich von ihr, nachdem der Ball bis in die frühen Morgenstunden gedauert hatte und der König die meiste Zeit damit beschäftigt gewesen war, Doña Doroteas Avancen abzuwehren und Ruy Schützenhilfe gegen die spitzen Bemerkungen seiner Schwiegermutter zu leisten.

Als Ruy und Ana sich endlich in ihr Schlafgemach zurückziehen konnten, nahm er sie in die Arme und sah sie liebevoll an. „Bist du glücklich?“

Sie küsste ihn, und ihr intensiver Blick ließ seine Knie beinahe nachgeben. „Liebe mich, cariño, dann werde ich dir zeigen, wie sehr...“

Schach dem König

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