Читать книгу Berlin 98 - Die Heimat in mir - SK Pister - Страница 13
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ОглавлениеJe näher das Abi kommt, desto mehr geht meine Motivation flöten.
Die gleichen Themen nochmal in den Prüfungen und nochmal dafür lernen?
Während die anderen über ihrem Stoff brüten, sitze ich in meinem Zimmer unter dem Dach, mit den Mäusen und ohne Tür.
Wo ich im Sommer versuche, bei 38 Grad vor dem Ventilator zu schlafen.
Ich lese, schreibe, trinke Bier und rauche aus meinem kleinen Kippfenster raus.
Weil ich keine Tür habe und die Treppe direkt in meinen Raum reinführt, nehme ich die Matratze vom Gäste-Bett und schiebe sie über die Öffnung.
Im Exil.
Meinen großen Standspiegel stelle ich vornedran, falls meine Mutter doch einmal versuchen sollte, hoch zu kommen.
Dann sieht sie direkt in ihre vorwurfsvolle Fratze, denke ich mir und finde diesen Plan ziemlich genial.
Nach der Lektüre von Hermann Hesses Siddharta, Narziss und Goldmund und Demian, nehme ich mir den Duden und schlage alle Wörter nach, die mit „Selbst“ anfangen.
Versuche, mir bewusst zu machen, was sie wirklich bedeuten.
Komme zu dem Ergebnis, dass für mich ein Selbstmord nie in Frage kommt, weil, wenn ich mein Selbst endlich einmal gefunden habe, ich es doch bestimmt nicht wieder loswerden will.
Datiere meine erste handfeste Identitätskrise auf Frühling 1997.
Manchmal gehe ich spazieren, am Rhein oder im Domgarten.
Das einzige, was mich noch reizt, ist die Prüfung zum mündlichen Abitur.
Da will ich mich dann doch nicht blamieren, wenn die ganzen Lehrer da drin sitzen, um mich zappeln zu sehen.
Thema „Gottes-Begriff nach Auschwitz“, jüdische Holocaust-Theorien, evangelische Religion.
Dafür lerne ich ich in meinem Lieblings-Café.
Überhaupt kann ich lernen oder schreiben am ehesten an öffentlichen Plätzen.
Glaube, ich brauche Zuschauer als Gegenkontrolle: fühle mich dann indirekt bestätigt, dass ich fleissig bin.
Allein verpufft das irgendwie.
Oder so.
Eigentlich bin ich in Bonn geboren.
Dialekt haben wir kaum gesprochen, mein Opa ein wenig.
Als ich mit vier in den Südwesten ziehe, fragen sie mich, wo ich herkomme.
Aus der Hauptstadt, heisst es dann manchmal.
Ich höre auch, hochdeutsch sprechen klinge arrogant.
Ein bisschen ist es für mich, wie eine neue Sprache lernen.