Читать книгу Miau - Skye MacKinnon - Страница 10

Kapitel 1 6 MONATE SPÄTER

Оглавление

Er riecht nach Angstschweiß. Ich schlage die Beine übereinander, die Füße auf dem Schreibtisch, hinter dem ich Platz genommen habe. An dem ich mich rumfläze, wäre der bessere Ausdruck. Schlamm tropft von den Sohlen meiner Stiefel. Ich muss das später sauber machen; aber jetzt unterstützt es erst mal das knallharte Image, das ich mir geben will. Mit mir ist nicht zu spaßen. Mir sind Regeln, Konventionen und Kleiderordnungen egal. Während der Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs einen makellosen Anzug trägt, sitze ich da in meinen Leder-Leggings und einer Tunika. Leggings, weil die mich nicht am Kämpfen oder Dächer-Springen hindern und eine Tunika, weil sie länger ist als ein normales Hemd und man folglich mehr Platz hat für versteckte Taschen. Alles in schwarz, selbstredend. Blutflecke sind verdammt schwer aus Kleidungsstücken rauszukriegen. Ich bin nun mal praktisch veranlagt.

Mein Haar ist unter der schwarzen Kappe verborgen, die ich neuerdings immer trage. Ich bin der Meinung, sie gibt mir das mysteriöse Etwas, obwohl Lily ständig nervt, ich soll das Ding abnehmen. Das Mädchen hat einfach keinen Sinn dafür, wie wichtig es ist, mit seinem Outfit eine Botschaft zu senden. Leg dich nicht mit mir an – das soll meine Kleidung ausdrücken. Besonders die schlammverschmierten Stiefel auf dem Schreibtisch.

Der Mann räuspert sich.

„Sie wurden mir sehr empfohlen“, sagt er zögerlich, als sei er sich nicht ganz sicher, ob er jetzt sprechen darf.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Wer hat mich empfohlen?“

Er reißt die Augen auf. Wie das Kaninchen vor der Schlange. Er hat Angst, aber nicht nur vor mir.

„Kontakte“, sagt er ausweichend. „Ich bin bereit zu zahlen, was Sie verlangen.“

Sofort steigen die Preise auf meiner Liste um das Zehnfache. Ich liebe reiche Klienten. Sie wollen selten wissen, was ich Leuten mit weniger Geld berechne.

„Was genau wollen Sie von mir?“ frage ich und sehe ihn mir genauer an. Er sieht nicht wie jemand aus, der normalerweise mit Killern umgeht. Er sieht eher wie ein Bürohengst aus, der über Dinge aus der Schattenwelt höchstens in der Zeitung liest.

„Mein Bruder wurde getötet. Ich möchte, dass Sie herausfinden, wer das getan hat.“

Nun richte ich mich doch ein wenig auf. „Da sind Sie hier aber an der falschen Adresse, Mister“ sage ich mit leicht verächtlicher Stimme. „Ich suche keine Mörder. Ich beauftrage sie.“

Er zuckt sichtlich zusammen. „Sobald Sie den Mörder meines Bruders gefunden haben, können Sie den Kerl gerne umbringen.“

Ich spitze die Lippen. Das ist ungewöhnlich. Das ist doch tatsächlich mal etwas Neues. Ich mache den Job jetzt seit einem halben Jahr, und das sehr erfolgreich, aber bisher hat mich niemand darum gebeten, einen Mörder zu finden.

„Und was, wenn einer meiner Leute Ihren Bruder umgebracht hat?“ frage ich, nehme jetzt doch die Füße vom Tisch und sehe in meinen Akten nach. „Wie heißt er?“

„Ich glaube nicht, dass es ein Profikiller war“, murmelt er und sieht mir nicht in die Augen. „Es schien nicht geplant zu sein und war sehr brutal.“ Er schüttelt sich etwas. „Da war sehr viel Blut.“

Interessant. Er hat Recht, hört sich nicht nach einem Profi an. Es gehört zu unserem Berufsethos, den Tatort möglichst sauber zu hinterlassen. Wir wollen es der Polizei doch nicht zu leicht machen.

„Wie heißt er?“ frage ich noch einmal.

„Winston Kindler. Krämerstraße 14B. Er hatte da einen Süßwarenladen.“

Süßigkeiten? Vielleicht sollte ich diesen Fall selbst übernehmen. Klingt vielversprechend.

Ich blättere durch meine Karteikarten, bin mir aber schon sicher, da keinen Kindler zu finden. Auch wenn ich nicht jeden Job selbst erledige, habe ich doch immer mit allen Kunden direkt zu tun. Und ich erinnere mich an die Namen unserer Zielpersonen.

„Was macht die Polizei?“ frage ich abwesend.

„Nichts“, sagt er, und der Ärger ist hörbar. „Die glauben, es war ein Überfall, aber seine Brieftasche war noch da. Die Kasse war leer, aber der Safe völlig intakt. Es war noch früh am Tag, also wären sowieso kaum Einnahmen da gewesen. Ergibt überhaupt keinen Sinn.“

Ich nicke. „Tun wir mal so, als ob ich diesen Fall annehmen würde. Über was für ein Honorar reden wir da?“

Zum ersten Mal, seit er mein Büro betreten hat, lächelt er.

„Wie wär’s mit einem Blankoscheck?“


Im Kühlschrank liegt ein Kopf. Ich seufze. Nicht schon wieder.

„Lily!“ rufe ich. „Ich hab dir doch gesagt, keine Leichenteile in der Küche!“

Meine Freundin lacht. „Bis du das Kühlaggregat im Leichenraum repariert hast, ist das der einzige Ort, an dem wir sie aufheben können.“

Ich stöhne auf. Wir haben jetzt schon seit zwei Monaten Probleme mit dem Kühlraum. Immer wenn ich denke, es ist alles in Ordnung, funktioniert er wieder nicht. Es ist wie verhext – oder ein Spuk?

„Ich kümmere mich drum“, verspreche ich. „Wir haben gerade einen echt reichen Kunden an der Angel, da können wir uns zur Abwechslung mal einen richtigen Handwerker leisten.“

Nicht den coolen Typen aus dem Eckhaus, der das kostenlos gerichtet hat, weil er sich einen Kuss von Lily dafür versprochen hat. Er hat die Sache wahrscheinlich verschlimmert. Und natürlich von Lily keinen Kuss bekommen. Lily steht nicht auf Männer, auch wenn sie ihnen das nicht auf die Nase bindet. Sie nutzt die Vorteile, die ihr ihr gutes Aussehen verschafft.

Ich schließe den Kühlschrank, weil ich nicht länger in die toten Augen des Frauenkopfes starren will. Um genau zu sein, fehlt ein Auge. Das ist zwar nicht genug, um mir den Appetit aufs Abendessen zu verderben, sieht aber auch nicht gerade anregend aus.

„Besorg mal einen zweiten Kühlschrank für den Übergang“, weise ich Lily an. „Den kannst du wahrscheinlich sowieso zusätzlich gut gebrauchen, da sind die Kosten vertretbar.“

Sie grinst mich breit an. Sie spielt gerne mit ihrer Beute, wenn sie dazu Gelegenheit hat. Manchmal gehört auch dazu, einige Leichenteile mit nach Hause zu nehmen und sie später an die Familien ihrer Opfer zu schicken. Das hört sich jetzt wirklich böse an, aber in Wirklichkeit ist Lily ein reizendes Mädchen. Sie hat nur diesen etwas gewalttätigen Zug.

„Was gibt’s zu essen?“ frage ich, wo ich ja nun gerade festgestellt habe, dass zumindest im Kühlschrank nichts Essbares liegt.

„Benjamin wollte was vom Imbiss mitbringen“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. „Ist aber noch nicht zurück, wir müssen also noch ein bisschen warten. Hast du Hunger?“

Ich nicke. „Könnte nen Elefanten verdrücken.“

Sie lacht. „Die sind da wohl kaum im Angebot. Schau mal, was im Wohnzimmer noch rumliegt. Da muss noch ne halbe Tüte Chips von gestern Abend sein.“

Ich weiche ihrem Blick aus. „Nicht mehr.“

Lily stemmt die Hände in die Hüften und starrt mich nieder.

„Gierschlund“.

„Die lagen da so rum. Ich bin ein Killer, da müssen manchmal auch Kartoffelchips dran glauben. Sind ja eigentlich nur tote Kartoffeln.“

Jetzt kichert sie. „Also, was ist mit diesem neuen reichen Kunden? Der, der unseren neuen Kühlraum finanziert?“

Ich folge ihr ins Wohnzimmer, wo sie aus irgendeiner Ecke eine Tafel Schokolade und eine Handvoll gerösteter Erdnüsse zaubert. Die sehen trockener aus als normal, also nehme ich lieber erstmal die Schokolade.

Wir lassen uns auf das größte Sofa fallen. Die Möbel gehören mir nicht, jedenfalls habe ich keine gekauft. Waren schon in dem Haus. Irgendwann wollte ich mir mal eine Einrichtung nach eigenem Geschmack zulegen, aber das nötige Kleingeld hat bisher gefehlt. Als der mysteriöse Typ mir eine „Geldspritze“ für den Start meiner Selbständigkeit anbot, war damit leider nur eine ziemlich kleine Spritze gemeint. Das meiste davon habe ich eingesetzt, um mich von der Meute loszukaufen. Sollte mich aber nicht beklagen. Ich habe ein Haus, ein Büro, sogar eine Leichenkammer. Und das hatte ich vorher alles nicht. Ganz zu schweigen von dem Halsband, das ich losgeworden bin. Echtes Win-Win.

„Ich soll für ihn den Mörder seines Bruders finden“, erkläre ich mit einem unwilligen Unterton.

„Echt jetzt? Das ist mal was Neues.“ Lily lacht. „Du wirst diesmal also niemanden umbringen?“

Ich zucke mit den Schultern. „Ich darf den Mörder morden, wenn ich ihn finde.“

„Krass. Und warum kommt der damit ausgerechnet zu dir?“

„Keine Ahnung. Vielleicht hat die Meute den Auftrag nicht haben wollen. Vielleicht hat er nur von mir gehört und nicht den anderen hier in der Stadt. Weiß ich echt nicht, aber die Bezahlung macht alles wett.“

Sie zieht die Augenbrauen hoch. „Wie viel?“

Ich zwinkere ihr zu. „Genug. Davon können wir das Haus in Ordnung bringen, uns ein schönes Honorar zahlen und ein paar streunende Katzen füttern.“

Lily lacht auf. „Du darfst sie nicht immer füttern. Heute Morgen saßen wieder zwei Katzenjunge vor der Tür und haben gebettelt. Die lernen anscheinend schon, dass sie nur herkommen müssen, um gefüttert zu werden. Da bist nur du schuld dran.“

„Ich kann nichts dafür“, meine ich achselzuckend. „Liegt nun mal in meiner Natur, meinen Katzenverwandten zu helfen.“

Sie grinst. „Ich bin keine Katze, aber du hast mir trotzdem geholfen.“

Ich seufze. „Also gut, und meinen Freunden. Ob Katzen oder nicht. Besser?“

„Und ob. Wie willst du aber diesen Killer finden? Du hast doch gar keine Erfahrung mit so was.“

„Mir wird schon was einfallen. Zuerst werde ich mir mal den Tatort ansehen und dann nach Zeugen suchen. So machen die das in den Büchern doch auch immer.“

Sie lacht wieder. „Du wirst den Fall bestimmt lösen. Sag Bescheid, wenn du meine Hilfe brauchst, obwohl ich im Moment eine Menge mit meinem Fall zu tun habe. Der Kerl geht mir auf die Nerven, aber er liebt seine neue Freundin.“ Sie kichert. „Zu schade, dass die nicht echt ist.“

Lily grinst breit. Sie spielt eben gern mit ihrer Beute, bevor sie sie tötet. Sie macht die Männer verrückt auf sich; und tötet sie genau dann, wenn sie merken, dass sie zum Narren gehalten worden sind. Sie bricht ihnen das Herz, bevor sie es durchbohrt. Echt böse auf eine fast schon lustige Weise. Eben eine von uns. Wir, das ist M.I.A.U. mein zusammengewürfeltes Team aus entrechteten Killern und zwielichtigen Gestalten. Bis jetzt sind wir nur zu viert, haben uns aber schon einen Namen gemacht. Unser Ruf verbreitet sich nach jedem Mord, wir sind da sehr effizient. Kaum zu glauben, dass ich vor sechs Monaten noch ein Sklave war, für die Meute gearbeitet habe, weil die mich mittels Halsband in der Hand hatten. Jetzt bin ich selbständig. Eine Unternehmerin. Ich arbeite auf eigene Kosten, zahle allein für meinen Unterhalt, beschäftige sogar Mitarbeiter. Und von denen trägt keiner einen Ring um den Hals. Sie sind aus freien Stücken hier.

Ich gähne, die Müdigkeit überwältigt mich. Ich war gestern lange auf, bin über die Dächer der Stadt gerannt und habe die Örtlichkeiten für eine von uns geplante Mordaktion ausgespäht. Den Fall übergebe ich wahrscheinlich an eine der anderen, hab jetzt etwas Gewinnbringenderes zu tun. Dieser merkwürdige Mordfall hat jetzt Vorrang. Wir brauchen schließlich das Geld.

„Ich geh ins Bett“, beschließe ich. Ich muss gehörig die Bauchmuskeln anspannen, um mich aus den Tiefen des Sofas zu hieven. Ist einfach zu niedrig und zu weich. Sobald diese Sache erledigt ist, kaufe ich uns ein neues.

„Träum was Schönes“, sagt Lily mit anzüglichem Lächeln. „Ich geh vielleicht nochmal raus und gönn mir was.“

Ich überlasse sie ihren Plänen und gehe die Treppe hinauf bis zur Leiter, die auf den Dachboden führt. Muss dran denken, wie ich das erst Mal hierher kam. Da ging mir gleich durch den Kopf, was für ein tolles Zuhause das wäre und dass der Dachboden ein super Schlafzimmer abgeben würde. Das ist er jetzt auch.

Ich steige die Leiter hoch und ziehe sie hinter mir hoch, schließe dann die Falltür. Ich hab’s gern privat. In den vergangenen Monaten habe ich diesen Raum in mein eigenes kleines Reich verwandelt. Große Kissen liegen überall auf dem Boden verteilt, der von Dutzenden kleiner Teppiche bedeckt ist. Ein paar Regale hängen an der Dachschräge, aber das beste Stück ist meine Hängematte, die ich zwischen zwei großen Dachbalken angebracht habe. Ich zieh mir was Bequemes an und sehe nach, dass das Fenster richtig zu ist. Ich bin da schließlich zweimal eingebrochen und weiß, wie leicht das auch jemand anderes könnte. Ich hab es allerdings neu verglasen lassen, mit einer extra dicken Scheibe. Sollte halten, wenn jemand versucht, es einzutreten.

Draußen höre ich ein leises Geräusch, weshalb ich das Fenster öffne und nochmal nachsehe.

Da miaut ein dünnes Stimmchen. Ich lehne mich aus dem Fenster, bis ich das Kätzchen sehe, das sich oben am Fensterrahmen festklammert. Es muss über die Dächer gelaufen sein und konnte von dort oben am Dachfenster nicht weiter. Armes Ding. Ich strecke meine Hand aus und fange an zu schnurren. Das Kleine soll mich schließlich nicht kratzen.

Seine Ohren zucken, als ich das beruhigende Geräusch mache. Wahrscheinlich ist es ganz verwirrt, dass sich ein Mensch wie eine Katze anhört. Das sind am Anfang alle.

Langsam kommt es in meine Hand, passt da ziemlich genau rein. Ich trage es ins Zimmer und setze es sanft auf den Boden. Es starrt mich mit großen gelben Augen an.

„Und jetzt?“ frage ich. „Ich werde dich nicht den ganzen Weg runtertragen. Du musst schon hier oben bei mir schlafen.“

Das Kätzchen faucht. Ich weiß, dass es mich verstehen kann.

„Tut mir leid“, sage ich ihm. „Bin müde. Ist ja nicht meine Schuld, dass du da oben nicht weitergekommen bist.“

Weil ich aber nicht als zu egoistisch rüberkommen will, schütte ich ein bisschen Wasser in eine Schale und stelle sie auf den Boden. Da hat das Kleine wenigstens was zu trinken.

„Schlafenszeit“, gähne ich. Ich klettere in meine Hängematte und mache mich sofort auf ins Land der Träume.

Miau

Подняться наверх