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Kapitel 3

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Fürs erste ignoriere ich das Hungergrollen in meinem Magen und mache mich auf den Weg zum Haus des Getöteten. Es ist nicht weit von dem Laden, nur ein paar Straßen weiter. Er hatte einen kurzen Weg zur Arbeit. Beinahe beneide ich ihn.

Es ist eine hübsche, wenn auch etwas langweilige Wohngegend. Saubere kleine Reihenhäuser, die meisten Gärten mit gepflegtem Rasen. Mir wird fast übel bei dem Gedanken, dass da tatsächlich Leute drin sitzen und darauf achten, dass ja kein Grashalm höher wächst als der andere. Witzig.

Das Haus von Herrn Kindler ist eines von fünf identischen Einheiten, die man zu einem unansehnlichen Block zusammengepresst hat. Als ob jemand einen Teigklumpen genommen und in fünf dünne Scheiben geteilt hätte, ohne Rücksicht darauf, ob das Ergebnis überhaupt groß genug wäre, darin zu wohnen. Ich weiß, dass Herr Kindler allein gewohnt hat und bezweifle, dass für eine weitere Person in dieser winzigen Hausscheibe überhaupt Platz gewesen wäre.

Ich werfe noch einmal einen Blick um mich her und die Straße entlang. Niemand ist zu sehen, kein Vorhang bewegt sich und verbirgt einen neugierigen Zuschauer. Anscheinend sind alle Bewohner zur Arbeit, in der Schule oder wo sonst normale Leute ihre Zeit um elf Uhr morgens verbringen. Beim Angeln vielleicht. Wer weiß das schon. Ich habe noch nie mit normalen Menschen zusammengelebt. Normalerweise bringe ich sie nur um.

Mit dem sicheren Gefühl, dass mich keiner beobachtet, biege ich in die winzige Auffahrt – kaum groß genug, um ein Fahrrad darauf abzustellen – und fische den Schlüssel aus der Tasche. Es gibt keine Anzeichen von polizeilichen Aktivitäten. Kein Absperrband, kein Schild mit „Betreten Verboten“. Offenbar hat die Polizei entschieden, dass es in diesem Haus keine Beweismittel gibt, die man auf diese Art schützen müsste. Wäre ja nicht das erste Mal, dass ich mehr finde als die Polizei.

Die Tür öffnet mit einem Quietschen. Könnte mal wieder einen Tropfen Öl vertragen. Vielleicht hat er sie auch absichtlich so gelassen, als eine Art Alarmsignal. Irgendwie glaube ich aber nicht, dass er in diesen Kategorien gedacht hat. Ich habe nur einen einzigen Hinweis, dass dieser Mann nicht ganz der Langweiler sein könnte, als den ihn sein Bruder beschrieben hat: Dieses Foto mit dem gejagten Blick und dem angsterfüllten Gesichtsausdruck. Vielleicht lese ich aber auch viel zu viel in dieses eine Bild hinein; andererseits hat mich mein Instinkt noch nie getrogen.

Ein kurzer Flur endet an einer mit Teppich ausgelegten Treppe. Zwei Türen gehen zu beiden Seiten davon ab, und ich beschließe, zunächst die Küche auf der rechten Seite zu inspizieren. Sie ist klein, wie nicht anders zu erwarten. Sie ist aber auch peinlich sauber. So aufgeräumt, dass ich bezweifle, dass der Bewohner hier wirklich gekocht hat. Ich öffne willkürlich ein paar Schränke. Die meisten von ihnen sind leer, in den anderen finden sich ein paar grundlegende Dinge wie Reis und Zucker. Im Kühlschrank steht eine einsame Dose Bier neben einem Stück Käse, das auch schon bessere Tage gesehen hat. Auch das deutet darauf hin, dass Herr Kindler mit Kochen nicht viel am Hut hatte.

Ich öffne noch ein paar weitere Schubläden und Schränke, finde aber nichts und gehe weiter ins Wohnzimmer, direkt gegenüber. Ein abgewetztes Sofa und ein Fernsehgerät auf einem fleckigen Holzschränkchen sind die einzigen Möbelstücke. Keine Bücherregale, keine Stehlampen, nicht einmal ein Teppich. Auf dem Sofa liegt nicht ein einziges Kissen. Welcher Mensch hat denn nicht einmal Kissen?

Ich nehme die Fernbedienung vom Schränkchen und drücke wahllos einige Tasten. Nichts geschieht. Ich prüfe die Steckdose, da scheint aber kein Strom drauf zu sein. Toll. Ein Wohnzimmer mit nichts als einem Fernseher, und der funktioniert noch nicht mal. Herr Kindler war so was von langweilig. Oder nicht der, für den ihn alle hielten.

Ich werfe die Fernbedienung aufs Sofa – und hebe sie wieder auf. Mit der stimmt etwas nicht, was mir vorher nicht aufgefallen war. Sie hat das falsche Gewicht. Sie ist zu leicht. Ich drehe sie um und öffne das Batteriefach. Es ist leer. Warum sind in dieser Fernbedienung keine Batterien? Klar, man braucht sie nicht, wenn der Fernseher sowieso nicht funktioniert, aber warum dann die Batterien herausnehmen, statt sie einfach drin zu lassen?

Langsam lasse ich meine Finger über das schwarze Plastik gleiten. Fühlt sich noch immer falsch an. Ich schließe die Augen und verlasse mich ganz auf meinen Tastsinn. Das Sehen kann täuschen, Fühlen selten. Da ist etwas unten im Batteriefach. So was wie … ein zweiter Boden. Schlau. Ich ziehe ihn mit den Fingernägeln hoch, und in der kleinen Öffnung darunter kommt ein Schlüssel zum Vorschein. Es ist ein unscheinbarer Metallschlüssel, der für alles Mögliche verwendet werden könnte. Ich nehme ihn heraus und stecke ihn in die Tasche. Hoffentlich finde ich bald das passende Schlüsselloch dazu. Nun wird der Fall doch etwas spannender.

Jetzt, wo ich weiß, dass in diesem Haus nicht alles ist, wie es scheint, setze ich meine Erkundungen etwas freudiger fort. Im Wohnzimmer gibt es nichts weiter, aber als ich die Nachttischschublade im Schlafzimmer umdrehe, muss ich grinsen. An ihrer Unterseite ist ein Umschlag festgeklebt. Irgendwie bin ich enttäuscht, dass sich darin lediglich Geld befindet, aber beim Zählen ändere ich meine Meinung doch wieder. Das hier ist sehr viel Geld für den Besitzer eines Süßwarenladens. Verdammt, das ist mehr, als mir mein mysteriöser Gönner gegeben hat. Mit dem hier könnte ich unser Haus renovieren und noch einen Urlaub für uns bezahlen. Bin schon froh, dass niemand mein diebisches Grinsen sieht. Ich habe mir antrainiert, meinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, aber das fällt schwer beim Anblick von tausend Darem. Ich stecke den Umschlag in eine versteckte Innentasche meines Mantels und die Schublade zurück an ihren Platz. Wer’s findet, dem gehört’s.

Vor allem möchte ich aber herausfinden, wo der Schlüssel reinpasst. In einen Safe? Ein Geheimfach? Die Tür zu einem versteckten Zimmer? Leider gibt es im ganzen Haus kein Schlüsselloch, das verschlossen ist. Das an sich ist schon merkwürdig. Selbst in dem kleinen Büro sind alle Schubladen offen. In einer finde ich weiteres Bargeld, sind aber Peanuts im Vergleich zu der Summe im Schlafzimmer. Dieser Betrag stimmt schon eher mit dem Bild überein, das ich mir von einem kleinen Ladenbesitzer gemacht hatte. Genug für die Ausgaben und eventuell eine unvorhergesehene Reparatur, aber nichts, was einen Verdacht erregen könnte. So fühlt sich das ganze Haus an. Durchschnittlich, der Norm entsprechend, genau das, was man erwarten würde. Das allein schon bringt mich dazu, nach etwas Verdächtigem zu suchen. Niemand ist so langweilig. Besonders niemand, der ermordet wurde.

In den Schreibtischschubladen finden sich einige Rechnungen und Belege, die mich wieder zum Gähnen bringen. So was in der Art wartet auch im Eingangskorb in meinem Büro. Und den ignoriere ich gern. Davon bekommt man nur Kopfschmerzen von. Anscheinend hat Herr Kindler das genauso gesehen. Einige der Rechnungen sind vom vergangenen Jahr, und sie sehen nicht so aus, als seien sie je aus diesem Schubfach genommen worden.

Nach einem letzten Gang durchs Haus gehe ich hinaus in den sehr gepflegten Garten. Eigentlich ist es nur ein kleines Rasenstück, das zum kleinsten Gartenhaus führt, das ich je gesehen habe. Es ist so niedrig, dass ich den Kopf einziehen muss, und ich bin nicht super groß gewachsen. Drinnen befinden sich ein Rasenmäher und ein paar Geräte, von denen ich nicht mal weiß, wofür man sie verwendet. Ich hatte noch nie einen Garten und habe nicht vor, mir einen anzuschaffen. Hab keinen grünen Daumen…

Aber ich kann mir Winston Kindler hier gut vorstellen. Wie er auf einer Schaumstoffunterlage kniet und mit der Schere den Rasen auf die perfekte Länge stutzt. Echt langweilig. Ich selbst hab versucht, beim mir im Haus ein paar Topfpflanzen eine Chance zu geben, aber meistens überleben sie nicht. Ich bringe sie wohl um. Man kann nun mal aus seiner Haut nicht raus. Kat, die Pflanzenkillerin. Jo, so bin ich. Könnte ich eigentlich noch auf meiner Visitenkarte hinzufügen. Das jedenfalls wäre leichter zu erklären als M.I.A.U.

Irgendetwas an dieser Hütte gefällt mir nicht; also entferne ich alle Gerätschaften und sehe mich in dem leeren Raum um. Leider gibt’s hier kein Versteck. Auch keine Falltür. Wo ich doch Falltüren so mag; aber die sind heutzutage selten.

Enttäuscht räume ich alles wieder ein und störe mich nicht daran, dass es jetzt aussieht, als habe ein Erdbeben alles von den Regalen und Haken geworfen. Der Rasenmäher kommt als letztes dran. Er ist leuchtend rot und erinnert mich irgendwie an einen Marienkäfer. Als ich ihn anhebe, um ihn in die Hütte zurückzustellen, fällt mein Blick auf etwas auf dem Kabel. Auf der orangen Gummiummantelung sind Zahlen geschrieben:

3 9 5 7 2 0 4

Sie sind nicht auf dem Kabel aufgedruckt, sonst könnte es sich um einen Barcode oder ähnliches handeln. Nein, die sind mit Filzstift in wackliger Schrift aufgetragen. Ich schreibe die Zahlen in mein Notizbuch in der Hoffnung, dass sie die Kombination zu einem Safe sind oder so was Spannendem. Aber bei meinem Glück sind es vielleicht einfach nur seine Lieblingszahlen, die er aus Langeweile da draufgeschrieben hat, langweiliger Ladenbesitzer, der er nun mal war.

Ich seufze. Ich habe jetzt also einen Schlüssel und eine Zahlenfolge, weiß aber nicht, was ich damit anfangen soll. Ich habe das ganze Haus abgesucht und auch den Garten – wobei es da außer der Hütte nichts zu sehen gibt -, aber nichts von Interesse gefunden. Abgesehen davon, dass sich das Haus insgesamt nicht sehr bewohnt anfühlt. Keine Sofakissen, ein leerer Kühlschrank, brandneue Bettwäsche und weitgehend unbenutzte Gartengeräte. Es scheint fast, als habe Winston Kindler irgendwo anders gewohnt und dies hier nur als Kulisse verwendet. Aber warum? Ergibt nicht wirklich einen Sinn. Vielleicht finde ich in seinem Laden eine Antwort.

Miau

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