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4. Kapitel

»Kommst du heute zu mir?«, fragte Jonas Elsa. »Nimm den Hund mit, der fühlt sich sicher wohl bei mir.«

»Okay, wir kommen, wann, weiß ich noch nicht. Bis spätestens vier Uhr sind wir bei dir.«

Als sie eine Stunde später zuhause ankam, stand der Hund an der Haustüre, sprang an ihr hoch und fasste sie liebevoll mit dem Maul am Unterarm, um mit ihr im Gefolge durch Haus und Garten zu ziehen. Dieses Begrüßungsritual wiederholte sich jedes Mal, wenn Kuno nicht hatte mitkommen können. Rasch ging sie in ihr Zimmer, zog sich um, was Kuno schon als Vorahnung zum Spazierengehen begriff. Er tanzte aufgeregt um sie herum, zerrte Polster vom Sofa, sprang auf das Bett und wieder herunter, bellte und drehte sich im Kreis, bis Elsa rief: »Lauf, hol die Leine, wir gehen spazieren!« Kaum waren sie aus dem Haus, lief der Hund geradewegs seinen gewohnten Weg entlang. Doch diesmal zweigte Elsa ab, was der Hund mit völligem Unverständnis wahrnahm, alle vier Pfoten fest in den Boden stemmte und stur wie ein Esel stehenblieb. Elsa begann ihm gut zuzureden, zog an der Leine und tätschelte seinen lockigen Kopf. Mit einem Blick, der Bände sprach, setzte Kuno widerwillig den ungewohnten Weg fort. Nach einer Weile bogen sie zu einem alten Wasserschloss ein, wo Jonas in einer ausgedienten Hausmeisterwohnung wohnte. Als Kuno ihn sah, trabte er los, um ihn zu begrüßen, und durchsuchte anschließend alle Räume auf der Suche nach etwas Fressbaren. Schließlich fand er einen gemütlichen alten Sessel, sprang hinauf und zeigte deutlich, dass er hier nun ruhen und ihn nichts auf der Welt von hier wegbringen würde. Er drehte sich ein paar Mal im Kreis, scharrte am Polster, um sich dann mit einem tiefen Seufzer auf dem Sessel einzurollen und zu schlafen.

»Dem gefällt es hier, lass uns hinausgehen. Magst du etwas trinken? Hier ist es nicht so schön wie bei dir, aber das Schloss und die Umgebung gefallen mir.«

Zugegeben, die Wohnung war schlicht, wenn nicht sogar ärmlich mit wenig bis gar keiner Bequemlichkeit. Es gab keine Zentralheizung, nur einen kleinen Ofen, der mit Holz und Kohlen befeuert werden musste. Elsa hatte so noch nie gewohnt. Sie sah sich verstohlen um. Es störte sie nicht, dass hier keine Teppiche lagen, auch keine Vorhänge vor den Fenstern waren und dass alles so komplett anders war als bei ihr. Vielleicht machte gerade das den Reiz aus. Jonas stellte im Hof des Schlosses einen provisorischen hölzernen Tisch auf mit zwei alten umgedrehten Weinfässern, die als Stühle dienten.

»Ich mache uns einen Kaffee, stark und mit einem Schuss drin.«

»Was drin?« Zweifelnd sah Elsa ihn an.

»Mit einem Schuss Hochprozentigem!«

»Danke, für mich nicht, ich mag den Kaffee so, wie er ist.«

Kurz darauf brachte er auf einem Tablett zwei Tassen mit Espresso, Milch und Zucker und stellte es auf den wackeligen Tisch.

»Ich hole noch etwas«, rief er und kehrte in seine Wohnung zurück. Elsa rührte mit einem kleinen Löffel den Espresso um, in den sie abgezählte drei Tropfen Milch gab. Sie nahm gerade ihren ersten Schluck, als Jonas mit dem Saiteninstrument in der Hand, das er schon beim Konzert verwendet hatte, herauskam. Er legte es auf seine Oberschenkel, krempelte die Ärmel seines Pullovers hoch und begann zu spielen. Die Klänge erinnerten Elsa an eine Harfe.

»Was ist das für ein Instrument?«

»Eine Dulcimer, ich habe sie in Schottland gekauft. Schau, hier, meine Initialen! Mit einem Brennglas eingebrannt.« Er deutete mit dem Daumen auf die Stellen, wo seine Initialen JT zu lesen waren.

Liebevoll strich er mit der Hand über das Instrument. »Willst du mal probieren?« ist richtig, aber im englischen

Elsa wollte schon ablehnen, doch er reichte ihr die Dulcimer, die sie wie ein rohes Ei in die Hand nahm. Sie war leicht, hatte vier Saiten, die nicht in gleichen Abständen voneinander gespannt waren. Sie fuhr mit dem Finger an dem Holz des Instrumentes mit dem verschnörkelten Muster entlang.

»Auch mit Brennglas gemacht«, erklärte er ihr. »Sie sollte etwas Besonderes sein.«

»Ich spiele etwas für dich. Was möchtest du hören?«

Elsa hob die Schultern als Zeichen, dass sie keine Ahnung hatte, was man auf diesem Instrument spielen konnte.

»Das Lied, das du mit deinen Schülern gesungen hast, als ich unvermutet deinen Unterricht unterbrochen habe.«

Er stimmte die Dulcimer und zupfte mit einem Plektrum am Daumen die Saiten und sang. Aufmerksam hörte Elsa zu. Erst jetzt verstand sie, worum es in dem Lied ging. Es handelte von einer Tausendfüßlerin, die jeden Morgen vor den Augen ihrer Nachbarn tanzte. Diese Nachbarin, Jenny, schrieb sich jeden Schritt auf, weil sie den Tanz ausprobieren wollte, was ihr aber nicht gelang. Daher bat sie die Tausendfüßlerin, ihr anhand ihrer Mitschrift zu zeigen, wie sie den Tanz machte. Doch diese hatte keine Ahnung von der Abfolge ihrer eigenen Schritte, die sie nur nach ihrem Instinkt tanzte. Weil sie Jenny eine Freude machen wollte, tanzte sie nach deren Aufzeichnungen und brach sich dabei das Schienbein, die Knöchel und etliche Knochen. Sie hatte alle ihre Füße durcheinandergebracht. Elsa bog sich vor Lachen, als Jonas aufstand und den Tanz nachahmte.

»Warte, ich zeige dir noch ein anderes Instrument, das ich mir habe bauen lassen.«

Er verschwand in seiner Wohnung. Einige Minuten später kehrte er zurück und brachte eine Drehleier mit. Stolz schwenkte er das Instrument vor ihrer Nase. Er räumte die Tassen zur Seite, legte die Drehleiter auf den klapprigen Tisch und begann, dem Instrument schnarrende Töne zu entlocken.

»Gott, ist das laut!« Elsa hielt sich die Ohren zu. Die Töne taten ihr in den Ohren weh. Offensichtlich hatte die Musik den Hund geweckt, der aus der Wohnung heraus trottete, sich laut gähnend zuerst mit den Pfoten vorne, dann hinten streckte und auf Elsa zusteuerte. Danach bohrte er seine Schnauze zwischen Jonas‘ Hände und das Instrument, um ihm anzuzeigen, dass es genug sei mit diesem Krach.

Inzwischen waren Jonas und Elsa ein Paar geworden. Sie hatten, soweit es möglich war, ihre unterschiedlichen Lebensweisen aneinander angepasst. Elsa war jung und unbeschwert, wusste, was sie im Leben wollte oder eben auch nicht. Jonas‘ Freunde waren ihr immer noch nicht sympathisch, aber aus Rücksicht auf ihn und seinen Freundeskreis behielt sie es für sich, machte sich aber, wenn sie zugegen waren, rar.

»Du magst meine Freunde nicht«, grummelte Jonas verärgert.

»Stimmt, sie passen nicht zu mir, sie trinken, rauchen zu viel, es gibt nichts, worüber ich mich mit ihnen unterhalten könnte. Und ist dir übrigens schon einmal aufgefallen, dass sie mich nicht einmal grüßen, wenn sie zur Türe hereinkommen«, erwiderte sie ärgerlich.

Enttäuscht, auch ein wenig verständnislos, blickte Jonas Elsa mit großen Augen an.

»Ich kann dir keine anderen Freunde anbieten«, brummte er missmutig. Offensichtlich war er mit ihrem Urteil nicht einverstanden.

»So ist es eben, C‘est la vie!« Gereizt drehte Elsa sich um und ging weg.

Eine Zeitlang herrschte Funkstille zwischen ihnen. Beide gingen ihrer Arbeit nach, Jonas traf sich zum Musikmachen außerhalb, um Konflikten aus dem Weg zu gehen.

Der Sommer stand vor der Türe, und sie überlegten, wohin sie fahren könnten. Da Jonas nur wenig Geld hatte, war Camping auf einer griechischen Insel eine spannende Option. Ihre Entscheidung fiel auf die Insel Paros, die damals noch nicht von Touristen überlaufen war. Griechenland war das erwählte Reiseziel vieler Rucksacktouristen und Studenten, die nicht viel zum Leben brauchten. Für Elsa war ein Campingurlaub aufregend neu. Sie fühlte sich wie bei den Pfadfindern und war gespannt und neugierig, was auf sie zukam. Nach einer langen Überfahrt von Athen nach Paros schleppten sie in gnadenloser Hitze zu Fuß ihre Rucksäcke zu einem Campingplatz, wo Jonas sofort begann, das Zelt aufzubauen. Rechts und links von ihnen standen bereits die unterschiedlichsten Zelte, die meisten von Studenten aus England und Schottland bewohnt. Es dauerte keine halbe Stunde, und Jonas lud Elsa ein, das Zelt zu begutachten. Unschlüssig stand Elsa neben dem aufgebauten Zelt.

»Wir verstauen unsere Sachen jetzt da drinnen, ich versperre das Zelt mit einem Zahlenschloss. Lass uns zum Meer gehen. Die Hitze ist nicht auszuhalten.«

Jonas packte die schweren Rucksäcke und warf sie ins Zelt hinein.

»Was brauchst du noch?«, fragte er Elsa.

Sie sagte nichts, beugte sich zu ihrem Rucksack und angelte Badetücher und Badesachen heraus. Es war glutheiß, die Sonne verbrannte ihre Haut. Schatten war kaum zu finden. Am Strand lagen riesige Felsblöcke, von denen sie sich einen großen glatten Felsen aussuchten, auf dem sie ihre Sachen verteilen konnten. Um sich vor der Sonne zu schützen, banden sie Handtücher wie Turbane um ihre Köpfe und deckten sich mit den Strandtüchern zu.

»Buh, es ist heiß wie am Grill. Ich gehe ins Wasser.« Jonas war aufgestanden, seine Haut hatte ein intensives Rot angenommen. Er schnappte sich seine Flossen und die Taucherbrille, an der der Schnorchel baumelte.

»Bleibst du hier?« Er drehte sich zu Elsa um.

»Ich begleite dich ein Stück mit der Luftmatratze.«

Das Meer war tiefblau, man konnte die Steine im klaren Wasser sehen und Fische, die dazwischen hin und her huschten. Im Wasser zwängte er sich fluchend in die Flossen, setzte seine Taucherbrille auf und tauchte mit einer Welle ins Meer ab. Währenddessen schwamm Elsa im glasklaren Wasser, ließ sich gemütlich auf der Luftmatratze schaukeln und wartete, bis Jonas zurückkam. Aus der Ferne war sein Schnorchel zu erkennen, aus dem Wasserfontänen schossen. Plötzlich zischte es neben ihr, Wassertropfen spritzten auf ihre Haut. Jonas war vor ihr aufgetaucht, vollbeladen mit Muscheln, Krebsen und anderem Getier, das er auf der Luftmatratze ablegte.

»Was sagst du dazu? Das Meer ist voll davon, das Wasser ist so sauber, dass man weit hinunterschauen kann«, brabbelte er. Was er sagte, war kaum zu versehen, weil er den Schnorchel im Mund hatte. Tropfen perlten von seinen Haaren über den Bart und verteilten sich wie kleine Rinnsale über seiner Brust.

»Du machst Poseidon alle Ehre, nur der Dreizack fehlt noch.«

Jonas hing mit den Oberarmen auf ihrer Luftmatratze und beäugte seinen Schatz.

»Soll ich dich jetzt wie Kuno loben, wenn er den Ball zurückgebracht hat?« Dabei tätschelte sie seinen Lockenkopf.

»Was ist das?«

Elsa nahm vorsichtig zwischen zwei Fingerspitzen eine winzige gedrehte Muschel in die Hand.

»Autsch, da ist was drin«, schrie sie auf, weil sie einen Stich verspürt hatte.

Schadenfroh grinste Jonas.

»Das ist ein Einsiedlerkrebs. Ich habe noch ein paar in der Badehose verstaut, weil ich sie nicht mehr tragen konnte.«

Mit einem schnellen Griff in die Hose zog er noch drei solcher Krebse heraus.

»Warum lachst du?«, fragte Jonas.

»Ich stelle mir gerade vor, was der Einsiedlerkrebs wohl in deiner Hose macht, wenn er bemerkt, dass er nicht mehr im Wasser ist.«

Unbeeindruckt von ihrer spitzen Bemerkung verteilte er die Krebse.

»Schau, der hier. Wenn es ihm zu heiß wird, kommt er heraus und sucht den Weg ins Meer.«

Elsa saß mit gegrätschten Beinen auf der Luftmatratze. Verblüfft beobachtete sie den Krebs, der seinen Körper aus dem Gehäuse streckte und den Weg zum Wasser suchte. In den Rillen der aufgeblasenen Matratze hatte sich Wasser angesammelt, dorthin lief der Krebs.

»Wirf sie alle zurück ins Meer«, forderte Elsa Jonas auf. »Sie müssen nicht sterben.«

Ohne vorherige Warnung glitt Jonas ins Wasser und hob die Luftmatratze mit einem Ruck an. Elsa verschwand mit einem Aufschrei mitsamt den Muscheln und Krebsen im Meer.

Sie tauchte blitzschnell auf, drehte sich auf den Rücken und strampelte mit den Beinen so heftig, dass Jonas Wasser schluckte und Reißaus nahm.

Als sie am Abend zu ihrem Zelt zurückkehrten, hatten sie einen gewaltigen Hunger. Im nahegelegenen Ort gab es viele kleine Tavernen. Überall waren Verkaufsstände und kleine Lokale, die einheimische Speisen günstig anboten. Auf den Tischen standen Krüge mit kaltem Wasser, Brot, Olivenöl und Salz. Mit Blick auf das Meer setzten sie sich in eine Taverne, bestellten Wein und Souflakis. Schnell verging der Abend, begleitet von griechischer Volksmusik und Tänzen, die die Einheimischen zu Ehren der Gäste tanzten. Die Griechen ermutigten die Gäste mitzutanzen. Jonas ließ sich nicht lange bitten. Anerkennend klopften ihm die griechischen Männer kumpelhaft auf Schulter. Sie tanzten Sirtaki, der Kreis wurde immer größer. Schließlich holte Jonas Elsa zu sich in den Kreis. Der Rhythmus wurde immer schneller, Elsa kam kaum mit. Mit den Händen auf den Schultern wand sich der Kreis zuerst nach rechts, dann nach links, einen Fuß vor, dann zurück und übers Kreuz. Als der letzte Ton verhallt war, waren alle außer Atem. Jonas reichte den Männern, die neben ihm tanzten, die Hand und kehrte mit Elsa an der Hand zum Tisch zurück. In guter Laune winkten die bärtigen Griechen Jonas zu, verneigten sich ganz leicht in Elsas Richtung und verschwanden in der Taverne.

»Oriste!« Ein Kellner stellte auf ihrem Tisch zwei Gläser Uzo ab. Verwundert blickte sich Jonas um. Die Männer am Nebentisch hoben ihre Gläser und sagten »Jamas!« Jonas und Elsa waren gerührt und bedankten sich auf Deutsch, sie konnten kein Griechisch.

Die Nacht war warm, und vom Himmel blitzten Millionen Sterne, als sie aufbrachen. Zurück am Campingplatz stellten sie fest, dass an Schlaf nicht einmal ansatzweise zu denken war. Wohin man schaute, überall grölten betrunkene Studenten.

»Das kann ja heiter werden, wenn sie Streit anfangen und herumpöbeln.«

»Keine Angst, ich lege mein Messer zu mir, und wenn uns einer blöd kommt, kann ich uns verteidigen.« Ein skeptischer Blick war ihre Antwort auf seine archaische Ansicht von Schutz.

Es war nach Mitternacht, als sie unsanft aus dem Schlaf gerissen wurden. Ihr Zelt wackelte, jemand machte sich am Reißverschluss des Zelteingangs zu schaffen. Auf Jonas‘ Seite war das Licht einer Taschenlampe zu sehen. Etwas rann an der Außenseite des Zelttuchs ab.

»Du besoffenes Schwein«, brüllte Jonas wutentbrannt, suchte sein Messer und stürzte aus dem Zelt. Zwei weitere Männer standen da und pinkelten vor die Zelte. Jonas tobte, einer der Männer suchte angesichts des wütenden Jonas das Weite, ein anderer stierte ihn mit glasigen Augen an, ohne überhaupt mitzubekommen, weshalb Jonas so raste. Bevor Jonas sich auf ihn hechten konnte, fiel ihm Elsa in den Arm, die den Tumult mitverfolgt hatte.

»Lass das, dort kommen schon Leute vom Campingplatz!«

Im Laufschritt kamen zwei Männer näher, die auf Englisch wissen wollten, was los war.

»Hey, Jimmy!« Ein durchdringender Pfiff hallte über den Campingplatz. »What‘s going on?« Jonas, der sich immer noch nicht beruhigt hatte, antworte ihnen. Elsa verstand in dem Geschrei nur einzelne Wortbrocken, Worte wie bastard, asshole und drunk guy fielen. Jonas zeigte ihnen mit der Hand, dass einer der Männer auf ihr Zelt gepinkelt hatte. Sein Zorn flammte erneut auf. Beherzt griffen die Männer vom Campingplatz ein und forderten die Betrunkenen auf, mit ihnen zu kommen. Die stänkerten aber weiter. Einer von den Security-Männern packte den Anführer unsanft am Arm und schubste ihn vor sich her. Allmählich legte sich die Aufregung. Jonas nahm aus seinem Flachmann einen großen Schluck Whisky.

»Du auch?«, fragte er und reichte ihn Elsa, die abwinkte.

Mit mulmigem Gefühl zog sich Elsa ins Zelt zurück. Als sie am nächsten Morgen erwachte, war sie allein. Jeder Knochen tat ihr weh, der Boden war hart, und die Matte, die sie unter den Schlafsack gelegt hatte, war viel zu dünn, um ihren Rücken vor spitzigen Steinen zu schützen.

»Guten Morgen, meine Liebe!«

Sie brummte »Guten Morgen!«, es ähnelte eher einem Knurren.

Was sollte an diesem Morgen gut sein? Nach dem nächtlichen Tumult hatte sie zu wenig geschlafen, der Rücken tat ihr weh, und sie hasste die Idee, einen Campingurlaub zugestimmt zu haben. Ein schönes weiches Bett wäre jetzt ihr Traum gewesen.

Viel zu gut gelaunt stand Jonas vor ihr in der Badehose, reichte ihr einen schwarzen Kaffee, den er auf einem Campingkocher gebrüht hatte und der Tote aufwecken konnte.

»Seit wann bist du wach?«

Seit Sonnenaufgang, den wollte ich unbedingt erleben.«

»Der war wann?«, war Elsas einsilbige Frage.

»Gegen halb fünf!« Um ihre Laune zu heben, fragte er: »Möchtest du etwas essen, ich gehe uns was holen.«

Dankbar nahm Elsa das Angebot an, und während er Frühstück holen ging, suchte sie die sanitären Bereiche auf. Ihr stockte der Atem, als sie diesen Dreck sah. Schon beim ersten Anblick wurde ihr übel. Sie brauchte unbedingt eine andere Waschmöglichkeit. Sie hastete zum Zelt zurück, bevor ihr Magen durchdrehte. Nicht weit von ihrem Zelt entfernt sah sie einen kleinen Pinienwald. Sie holte aus ihrem Rucksack eine Flasche Wasser, ihre Zahnbürste und Toilettensachen und entschwand in Richtung Wald.

Als sie zum Zelt zurückkam, war Jonas schon da.

»Hast du die Sanitäreinrichtungen gesehen? Die Saufbrüder haben alles vollgekotzt.« Der Ekel stand ihr noch in den Augen.

»Ich wollte dich warnen, aber du warst schon weg«, entgegnete Jonas.

Es war ruhig auf dem Campingplatz, die Radaubrüder schliefen ihren Rausch aus. So konnten sie in Ruhe frühstücken. Dann packten sie ihre Badesachen und wanderten an die Stelle des Strandes, wo sie am Vortag gewesen waren. Jonas fing Fische und kleinere Krebse. Voll Bewunderung sah Elsa zu, wie er fachmännisch den Fisch ausnahm, anschließend eine Feuerstelle machte, um ihnen ein Essen zu braten.

»Woher kannst du das?«

»Wir haben am Ufer eines Flusses gewohnt, für Kinder ein Paradies. Meine Freunde und ich haben dort mit dem Strandgut riesige Lagerfeuer gemacht, einmal hat uns die Feuerwehr dabei erwischt. Wasser und Feuer sind meine Elemente.«

Während er erzählte, stiegen dunkle Rauchwolken von der Feuerstelle auf. Jonas fächelte Luft hinein, es roch nach verbranntem Holz und Fisch. Elsa hielt sich in gebührendem Abstand, das Holz krachte und Funken sprühten überall herum.

»Pass auf, ein Funke ist auf das trockene Gehölz dort gefallen, du fackelst alles ab«, schrie Elsa plötzlich auf.

Jonas sprang um die Feuerstelle herum und trat mit den Füßen das Feuer aus.

»Ist ja nichts passiert«, versuchte er Elsa zu beruhigen. Jonas wusste nicht, dass sie panische Angst vor Feuer hatte. Funkenflug löste bei ihr eine fast hysterische Reaktion aus.

Als Kind war sie einmal mit ihren Eltern mit dem Auto nach Italien gefahren. Beide hatten geraucht, was das Zeug hielt. Elsa hatte auf der Rückbank im Nikotinnebel gesessen, als unvermutet eine Aschenglut auf den Teppichboden nach hinten geflogen war. In Sekunden hatte der Teppich zu glühen angefangen. Elsa hatte geschrien wie am Spieß. Bis ihr Vater endlich an den Rand hatte fahren können, war hinten alles voller Rauch gewesen. Ihr Vater war herausgesprungen, hatte die Lehne seines Sitzes nach vorne geklappt und Elsa von der Rückbank aus dem Auto gerissen. Sie hatte gehustet und gebrüllt, bis ihr Kopf knallrot geworden war.

Jonas hatte keine Ahnung von ihrem traumatischen Erlebnis. Er ging zu ihr, legte seine Arme um ihren Hals und flüsterte: »Beruhige dich!«, weil er bemerkte, wie sie am ganzen Körper zitterte. Sie wollte nicht beruhigt werden und stieß ihn weg. Elsa atmete hörbar tief ein und aus, ihre Brust verengte sich, sie wollte nur allein sein.

»Okay, dann nicht!« Resignierend hob er die Hände und wandte sich wieder dem Fisch zu, der auf Holzstecken briet.

Verstohlen blickte Jonas von der Feuerstelle zu Elsa hinüber. Sie schien sich entspannt zu haben und drehte sich zu ihm.

»Geht es wieder?«

»Passt schon.« Elsa nickte und zog den Duft des gebratenen Fisches ein.

»Willst du?« Jonas reichte ihr einen fertigen Fisch. Zögerlich griff sie danach. Jonas holte den zweiten Fisch aus dem Feuer und setzte sich zu ihr.

»Sehr gut!« Genüsslich biss Elsa Stück für Stück vom Steckerlfisch ab. Von einem frischen Wecken Weißbrot brach sie ein großes Stück herunter und reichte Jonas einen Teil.

»Zucchini und Paprika?« Elsa sah in fragend an. Jonas winkte ab. Er leckte mehrmals über den Spieß, auf dem der Fisch gesteckt hatte.

»Danke«, sagte Elsa, als sie fertig gegessen hatte. Sie wischte sich die Finger an einem Handtuch ab und blickte Jonas an. Ihre Angst vor dem Feuer war geschwunden, Jonas stocherte mit einem Ast noch in der Glut und verteilte sie, sodass sie nicht mehr aufflammen konnte.

Gemeinsam lagen sie in der Sonne. Jonas schlief ein, und um ihn vor einem Sonnenbrand zu schützen, deckte Elsa ihn mit einem großen Liegetuch zu. Während er schlief, schwamm Elsa im ruhigen Meer weit hinaus. Sie drehte sich auf den Rücken, streckte ihre Zehen nach oben und plätscherte mit den Händen. Plötzlich sah sie aus der Ferne eine Bewegung, die auf Jonas zukam. Sie kniff die Augen zusammen, um im gleißenden Licht besser sehen zu können. Ein Hund schlich sich an Jonas heran, schnupperte zuerst an seinen Haaren und trottete dann zur Feuerstelle. Er hatte offenbar das Essen gerochen. Vorsichtig, eine Pfote hochgezogen, beugte er sich zur Feuerstelle hin. Dort lagen noch einige Fischreste, die er behutsam mit den Zähnen herausfischte. Nicht weit vom schlafenden Jonas entfernt legte er sich hin und fraß. Danach streckte er sich aus und machte es sich gemütlich. Elsa schmunzelte, als sie das sah. Sie schwamm noch einige Runden und kehrte dann zum Strand zurück. Jonas war inzwischen aufgewacht, setzte sich auf und sah den Hund. Er deutete Elsa, die sich mühsam über die im Wasser liegenden Steine ans Ufer quälte.

»Er hat zuerst dich beschnuppert, bevor er die Fischreste geholt hat. Du hast es gar nicht bemerkt. Fass ihn aber nicht an, er könnte Flöhe oder anderes Ungeziefer haben!«

Nach diesem Tag am Strand kehrten sie zum Campingplatz zurück, darauf hoffend, dass in der Nacht Ruhe herrschte, aber weit gefehlt. Die Schreiereien und Raufereien von Betrunkenen nahmen ein solches Ausmaß an, dass die Polizei für Ordnung sorgen musste und einige des Campingplatzes verwies. Sie mussten noch in derselben Nacht ihr Zelt abbrechen und im Geleit der Polizisten den Platz räumen und den Campingplatz verlassen. Spät in der Nacht, als viele endlich schliefen, lagen Elsa und Jonas vor ihrem Zelt auf einer Matte und sahen zum Himmel hinauf. Es war eine wolkenlose Nacht, der Himmel war dunkelschwarz, und zahlreiche Sternschnuppen fielen lautlos herab. Leise stimmte Jonas einen Song an: »when you see a star that falls into my heart …«

Während er sang, streichelte Elsa eine junge Katze, die sich vorsichtig herangeschlichen hatte. Mit den Fingern strich sie sanft über ihren Rücken. Summend nahm Jonas seine leere Zigarettenschachtel, öffnete sie und tat so, als würde er die gefallenen Sternschnuppen hineinkehren. Er drückte den Deckel zu und reichte sie Elsa.

»Hier, wenn ich nicht mehr da bin, hier sind Sternschnuppen für dich, die dich an mich erinnern sollen.«

Sternenpfad zu dir

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