Читать книгу Einführung in die anglistisch-amerikanistische Dramenanalyse - Sonja Fielitz - Страница 12

4. Die Zeichensysteme des Theaters

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Der Schauspieler als Zeichen

natürliche Zeichen des Schauspielers

Jede Inszenierung wird in erster Linie durch die Besetzung der einzelnen Rollen durch die Schauspieler geprägt und erhält dadurch bereits eine bestimmte, Richtung‘. So wird sich die Liebesbeziehung von Romeo und Julia anders entfalten, wenn ein Latin lover oder ein hellhäutiger Nordländer den Romeo spielt. Auch wird eine kleine dickliche Schauspielerin – sofern ihr die Rolle übertragen wird – die Figur der Julia anders anlegen als eine groß gewachsene, dem westlichen Schönheitsideal entsprechende Akteurin. Noch extremer wirkt sich die Frage der Besetzung aus, wenn eine Frau eine Männerrolle spielt.

Ein Schauspieler als „multi-chanelled transmitter-in-chief“ (Elam, S. 85) wirkt zunächst durch seine körperlichen Merkmale wie Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Statur, Größe, Gesicht, Haare, Körperhaltung, Gang, Bewegung, sowie durch seine Persönlichkeit, d. h. die undefinierbare Einzigartigkeit eines einzelnen Menschen, die persönliche Anziehungskraft, die von ihm ausgeht. „Dies unterstreicht das hoch erotische Wesen des Dramas. Die reine Anziehungskraft menschlicher Persönlichkeit ist selbst ein starker Erzeuger von Aussage. … Und es haben nicht nur die Attraktivität oder die Anziehungskraft einzelner Darsteller semiotisches Gewicht, sondern die Interaktion zwischen ihnen.“ (Esslin, S. 61).

Akustische Zeichen: Linguistik, Paralinguistik

Durch seine linguistischen (sprachlichen) Zeichen und paralinguistischen Zeichen wie z. B. Stimme (Monotonie, Reichweite, Tonhöhe, Tonstärke, Artikulation, Rhythmus, Tempo, Timbre), nicht verbale Äußerungen wie „mmm“/„schsch“, Lachen, Weinen, Schreien, sowie die Fähigkeit des Schauspielers, Töne hervorzubringen (er kann ein Instrument spielen, Tierstimmen nachahmen, klopfen, stampfen etc.) vermittelt jeder Schauspieler jeweils ganz unterschiedliche Bedeutungen einer Äußerung wie Wut, Verzweiflung, Freude etc. Dies kann jeder Leser für sich ausprobieren: Schon der Versuch, eine ganz einfache Formulierung wie „Heute gehe ich ins Theater“ immer wieder anders zu betonen, dabei die Stimme zu heben oder zu senken, mit einer ausrufenden oder fragenden Betonung zu versehen, mit leiser oder lauter Stimme, schnell oder langsam, demütig oder herrisch, mit oder ohne Pause vorzutragen, wird deutlich machen, dass sogar die einfachste Formulierung eine große Skala verschiedenster Bedeutungen hervorbringen kann. Für den Vortrag eines ganzen Textes potenzieren sich diese Möglichkeiten natürlich ins Unendliche.

Kinesische Zeichen: Mimik, Gestik, Proxemik

Zu den kinesischen Zeichen, also den Zeichen der Bewegung, gehören posture als Standort einer Figur an einem Ort oder mit Ortswechsel; mit Objekten oder ohne. Ferner gehören zu diesem Bereich mimische Zeichen, innerhalb derer dem Gesicht (Lächeln, Stirnrunzeln) als komplexer Informationsquelle, die ununterbrochen Zeichen hervorbringt und alle Gemütsregungen zeigt, besondere Bedeutung zukommt.

Mimische Zeichen

Im Gesicht können auch unbeabsichtigte, d. h., nicht-intentionale, Zeichen wie Erröten oder Erblassen auftreten. In großen Räumen sind mimetische Zeichen kaum einzusetzen oder sie werden nur von dem Teil des Publikums wahrgenommen, welches nahe genug an der Bühne sitzt.

Gestische Zeichen

Gestische Zeichen erstrecken sich auf den übrigen Körper und reichen von der spektakulärsten Pose wie dem Hinhalten der – männlichen – Brust als Zeichen der Todesbereitschaft; Ziehen des Schwertes als Zeichen der Kampfbereitschaft; Knien als Zeichen der Demut und des Bittens bis zum kleinsten Zucken der Augenlider als Zeichen aufsteigender Tränen. Gestische Zeichen sind häufig kulturell gebunden. Sie können sprachbegleitend sein, wenn sie die Rede gliedern und illustrieren, oder – für Gehörlose – auch sprachersetzend sein. Gestische Zeichen sind ferner oft konventionalisiert: Achselzucken signalisiert in den westlichen Kulturen Ratlosigkeit oder Gleichgültigkeit, Hinken eine Verletzung. Sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe zu tippen signalisiert, dass man den anderen für einen Dummkopf hält. In der Pantomime als nicht-sprachlicher Form des Theaters können Gesten auch Requisiten ersetzen.

Proxemische Zeichen

Als dritte Variante der kinesischen Zeichen realisieren proxemische Zeichen den Abstand zwischen den Interaktionspartnern. Sie werden erzeugt durch Bewegung durch den Raum (vgl. hierzu auch Kap. VIII) und sind auch beeinflusst durch die Größe des Theaters und die Größe und Form der Bühne. Proxemische Zeichen betreffen den Abstand von Bühne und Publikum, sowie den Abstand der Figuren untereinander, wobei der Abstand zwischen Personen, z. B. auf der Vertikalebene zwischen Über- und Untergeordnetem, kulturell festgelegt ist. Hierher gehören auch Stehen, Hinsetzen, Aufstehen, tableau vivant, Richtungen, aus denen Figuren einander und auch dem Publikum gegenübertreten (aus der Diagonalen, im rechten Winkel, frontal zum Publikum). So lässt sich etwa danach fragen, ob bestimmte Figuren(gruppen) vorwiegend oder ausschließlich auf einer Seite der Bühne stehen. Stehen sich Figuren oder Figurengruppen in Distanz oder Nähe gegenüber? Bewegen sie sich aufeinander zu oder voneinander weg? Eine ,Weg‘-Bewegung kann Abscheu, Verachtung, oder Abschied signalisieren, eine ,Hin‘-Bewegung Zuneigung, Verlangen oder Begrüßung. Ein Auf und Ab signalisiert Zögern, Unsicherheit, Verzweiflung. Auch jedes Auf- und Abtreten gehört zu den proxemischen Zeichen. Treten die Figuren immer wieder von der gleichen Seite her auf? Nicht zuletzt werden proxemische Zeichen auch bestimmt vom Bühnenbild, welches Treppen, Innen- und Außenräume und einen ebenen oder hügeligen Bühnenboden beinhalten kann.

Vestimentärer Code

Das Kostüm mit seinem spezifischen Material, seiner Farbe und Form, einem bestimmten künstlerischen Stil wie elisabethanisch, viktorianisch, futuristisch etc. dominiert stets die Wahrnehmung. Die erste Identifizierung einer Rollenfigur erfolgt in der Regel durch das Kostüm, welches damit oft ein wesentliches Element der Exposition (vgl. Kap. IV) darstellt. Wie im täglichen Leben signalisiert ein weißer Kittel auch auf der Bühne oftmals einen Arzt, oder eine Hornbrille oft noch einen Gelehrten. Kleidung informiert andere relativ schnell und umfassend über die Rolle, die ihr Träger spielen will und weckt auf diese Weise bestimmte Erwartungen, die dessen zukünftiges Verhalten betrifft. Kleidung kann verweisen auf Alter, Geschlecht, Nationalität, regionale oder religiöse Zugehörigkeit, soziale Klasse, Beruf, oder auch die Situation eines Handlungsabschnitts wie z. B. ein Fest oder ein Begräbnis. Oft übernimmt das Kostüm auch historische Funktion, indem es ein Stück einer bestimmten historischen Epoche zuordnet. Kleidung hat auf der Bühne immer symbolische und kaum praktische Funktion wie etwa den Schutz vor Kälte. Vom Kostüm abhängig sind wiederum Gestik und Proxemik. So kann beispielsweise das Kostüm einer römischen Toga einen Schauspieler zwingen, sich gestisch einzuschränken oder langsam über die Bühne zu schreiten.

Kosmetischer Code: Maske und Frisur

In den meisten Kulturen werden bestimmte körperliche Merkmale spezifischen sozialen Gruppen zugeordnet: In der westlichen Kultur denotiert beispielsweise, schlank, gestählt, und braungebrannt‘ einen sportlichen Typ, eine hohe Stirn und blasse Gesichtsfarbe eher einen Denker. Bei der Frisur, einschließlich eines Barts oder einer Perücke, ist das Haar wie das Gesicht ein natürliches Zeichen für Alter, Geschlecht, ethnische und regionale Zugehörigkeit und kann sogar eine bestimmte Figur ausweisen, wie etwa Newton in Dürrenmatts Die Physiker oder Lenin und James Joyce in Tom Stoppards Drama Travesties.

Visuelle Zeichen

Grundlegend für die Analyse der visuellen Zeichen auf der Bühne ist zunächst die räumliche Gestaltung wie Form und Größe der Bühne (vgl. Kap. II.1). Die bildliche Darstellung des Schauplatzes durch Farbskalen, Bodenbelag, Ausstattung von Innen- und Außenräumen kann während einer Inszenierung konstant bleiben oder sich (stets Bedeutung tragend = semiotisch beladen) verändern.

Requisiten

Zu den visuellen Zeichen gehören auf der Bühne zunächst die Requisiten. Bedeutung tragend ist schon die Anordnung dieser zueinander oder ihre Funktion als bloße Dekoration. Gegenstände können durchaus wichtige symbolische Bedeutung haben, wie etwa die Krone für das von Gott gegebene Königtum in Richard II oder der Totenschädel Yorricks im Hamlet, dessen symbolische Bedeutung nur zu offensichtlich ist. Im Melodrama (vgl. Kap. X.5) dreht sich ein Großteil der Handlung um solche mit symbolischer Bedeutung besetzten Gegenstände. Requisiten können auch auf Handlungsabschnitte hinweisen: so zeigt etwa der Koffer von Willi Loman in Arthur Millers Death of a Salesman Willis Ankunft bzw. Abreise an. Requisiten sind oft auch Bestandteil von Frisur (Haarnadel) oder Kostüm (Degen, oder – wichtig bei allegorischen Figuren – [Justitia mit] Augenbinde).

Beleuchtung

Nicht nur die Requisiten, sondern auch die Beleuchtung wird im Theater bewusst und semiotisch aufgeladen eingesetzt. Intensität, Farbe oder Verteilung des Lichts haben ikonische Funktion, wenn sie etwa die Tageszeit angeben, doch auch symbolische Funktion, wenn ein Abdunkeln der Scheinwerfer Unglück oder Tod signalisieren soll. Ein Spot kann die Aufmerksamkeit auf die Hauptperson lenken oder einen wichtigen Gegenstand hervorheben.

Non-verbale akustische Zeichen

Non-verbale akustische Zeichensysteme können generell den Fluss der Handlung unterbrechen und Momente besonderer Bedeutung oder Intensität betonen, das rhythmische Skelett für reine Bewegung in Tanzszenen liefern oder auch den Hintergrund bilden, der oft nicht ins Bewusstsein des Publikums dringt, aber genau deshalb noch wirkungsvoller die Stimmung und Aussage der Handlung festlegt. Nicht-musikalische Töne wie Naturlaute (Meeresrauschen) oder Maschinengeräusche können auch Raum konstituierend eingesetzt werden. Sie können zudem, etwa wie ein Gewitter oder Säbelklirren, bestimmte Handlungskontexte etablieren oder Zeichen für bestimmte Stimmungen sein (locus amoenus). Das nicht intendierte Knacken des Bühnenbodens andererseits muss vom Zuschauer im Rahmen seiner theatralisch-kulturellen Kompetenz überhört werden.

Musik

Musik findet häufig in bestimmten sozialen Situationen wie Geburtstag, Feiern, sakralen Handlungen oder Tanz Verwendung und kann durch Schauspieler oder ein Orchester erzeugt werden.

Natürliche Zeichen

Neben all diesen bewusst hervorgebrachten Zeichen gibt es noch den Typus des natürlichen Zeichens, der naturgesetzlichen Ursprungs ist, wie etwa – bei einer Freiluftaufführung zum Tragen kommend – Sonnenauf- oder untergang, Blitz und Donner, Sturm und fallende Blätter. Diese können generell vom Menschen als ein Zeichen gedeutet werden, ohne dass eine bewusste Kommunikationsabsicht dahinter steht; jedes Ereignis kann für den, der es wahrnimmt, zum Zeichen werden. So können fallende Blätter im Herbst symbolisch als Zeichen der Vergänglichkeit gedeutet werden. „Diese allgegenwärtigen Zeichen, die keinen bewussten Urheber haben, aber von denen, die sie ,lesen‘, durchaus als bedeutsam wahrgenommen werden, nennt Umberto Eco in seinem Entwurf einer Theorie der Zeichen [S. 39–41] ,natürliche Zeichen‘…“ (Esslin, S. 45). Diese sind nicht beabsichtigt und können daher nicht als System analysiert werden.

Zusammenfassung und Beispiel aus King Lear

Für die Analyse der Vermittlungsebene (Theater) des literarischen Textsubstrats (Drama) ist es für einen Literaturwissenschaftler zunächst unabdingbar, diese verschiedenen Zeichensysteme des Theaters zu kennen und im Bewusstsein zu verankern. Durch stetes Training und häufige Theaterbesuche wird es dann möglich werden, deren Zusammenspiel mehr und mehr zu durchschauen und somit zu einer fundierten Analyse und Gesamtschau des Dargestellten zu gelangen. Zudem wird diese Schulung am Theater die akademische Textlektüre zusehends beeinflussen. Man beginnt, einen Text mit diesen Kriterien des Theaters im Hinterkopf zu lesen und dabei bestimmte Textstellen mit verschiedenen Zeichensystemen durchzuspielen, wodurch man dem Text immer andere Bedeutungen abgewinnen wird. So können, um, ein letztes Beispiel zu geben, in den Sturmszenen des King Lear wogende Bäume, ein von Blitz (visuelle Zeichen, Beleuchtung) und Donner und prasselnder Regen (non-verbale akustische Zeichen) in einem Außenraum ,Heide‘ (Requisiten), das ehemals herrschaftliche und jetzt zerrissene Kostüm (vestimentäre Zeichen), die wehenden weißen Haare (kosmetische Zeichen) des Königs (natürliche Zeichen), die poetische Ausdruckskraft seiner durch die Stimme (linguistische und paralinguistische Zeichen) produzierten Blankverse (Text) und die zusammengekauerten Gestalten, die ihn begleiten (kinesischer Code), durch ihr gleichzeitiges Auftreten die Wirkung dieser Szene in ganz spezifischer Weise vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen lassen.

Einführung in die anglistisch-amerikanistische Dramenanalyse

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