Читать книгу Einführung in die anglistisch-amerikanistische Dramenanalyse - Sonja Fielitz - Страница 9
1. Theater als Medium öffentlicher Kommunikation
ОглавлениеWieso gehen Menschen ins Theater? Wieso setzten sich die Zuschauer im antiken Griechenland stundenlang in die Sonne auf die Steinstufen ihres Amphitheaters, um etwa Aischylos‘ Trilogie Oristeia – drei Stücke voller Leid und Trauer – anzusehen? Wieso machte sich ein Handwerker im frühneuzeitlichen London auf, um in den, Unterhaltungsbezirk‘ am Südufer der Themse zum Globe Theatre zu gelangen, um ein Stück wie Hamlet anzusehen? Wieso kämpfen sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts Leute nach einem anstrengenden Tag voller Stress und Hektik durch Verkehrsstaus ohne Abendessen in ein Theater, um sich auf teuren Plätzen in einem abgedunkelten Raum ein Drama eines zeitgenössischen Dramatikers oder einen ,Klassiker‘ anzusehen? Weshalb lässt man sich dort ein auf einen durch mehr oder weniger zahlreiche Kulissen und Requisiten dargestellten Ort, der bevölkert wird von diversen Personen, die vorgeben, jemand anderes zu sein und dabei eine erfundene Handlung absolvieren? Statt sich im Zuge der Universalisierung elektronischer Medien zur Digitalisierung und Vernetzung von Datenautobahnen von den neuesten Errungenschaften in der postmodernen Kommunikationsgesellschaft gänzlich vereinnahmen zu lassen, gibt es immer noch Individuen, die sich authentischer face-to-face-Kommunikation zuwenden, welche exemplarisch in einem Medium repräsentative Wirklichkeit erlangt, das es seit Menschengedenken gibt: dem Theater. Das Theater scheint als eine Form der kulturellen Kommunikation auch noch in einer Zeit zunehmender Technisierung und Anonymisierung den Prozess gesellschaftlich notwendiger Selbstverständigung weiterzuführen.
Funktionen von Drama und Theater Poetik des Aristoteles
Dieser Prozess hat seinen Ursprung bereits in der Antike. „Allgemein“, so heißt es schon in der Poetik des Aristoteles (384–321 v. Chr.), „scheinen zwei Ursachen die Dichtung hervorgebracht zu haben, beide in der Natur begründet. Denn erstens ist das Nachahmen den Menschen von Kindheit angeboren; darin unterscheidet sich der Mensch von den anderen Lebewesen, dass er am meisten zur Nachahmung befähigt ist und das Lernen sich bei ihm am Anfang durch Nachahmung vollzieht; und außerdem freuen sich alle Menschen an den Nachahmungen. Ein Beweis dafür ist das, was wir bei Kunstwerken erleben. Was wir nämlich in der Wirklichkeit nur mit Unbehagen anschauen, das betrachten wir mit Vergnügen, wenn wir möglichst getreue Abbildungen vor uns haben. …“ (S. 26f.). Nachahmung ist also dem Menschen zum einen angeboren und zum anderen auch von ihm erlernt. Dieses doppelte Verhältnis drückt sich in der Begegnung mit dem Nachgeahmten selbst aus, d. h. im Vergnügen am dramatischen Geschehen im Theater: hier kann man die eigene Wirklichkeit wiedererkennen, und dieses Wiedererkennen führt wiederum zur Erkenntnis von Ziel und Wirkung der menschlichen Handlungen.
Wirkung von Literatur
Auch heute noch gehören Drama und Theater zu den Möglichkeiten, über das Leben und seine eigene Situation nachzudenken. Da die fiktionalen Weltentwürfe im Drama und auf dem Theater als Form öffentlicher Kommunikation stets aus der lebensweltlichen Realität stammen, stehen sie zu deren Normen und Konventionen in Bezug. „Drama liefert einige der hauptsächlichen Rollenmuster, nach denen einzelne ihre Identität und ihre Ideale formen. Es setzt Muster für Gemeinschaftsverhalten, formt Werte und Ziele und ist Teil der kollektiven Phantasievorstellungen geworden.“ (Esslin, S. 13f.).
Nominative Funktion
Über einen dramatischen Text und dessen Vermittlung auf dem Theater können Werte, Haltungen und Einsichten kommuniziert werden, die für die geistige und moralische Existenz des Menschen wichtig sind. Leitbilder rufen zu Identifikation auf, Zerrbilder dieser Verhaltensweisen zur Abkehr (vgl. Weiß, Studium, S. 29).
Gesellschaftliche Funktion
Vor allem aber bietet der fiktionale Entwurf eines dramatischen Textes die Möglichkeit der Eigenerfahrung durch die Fremderfahrung. Das Theatergleichnis (über dem Globe Theatre stand totus mundus agit histrionem) verweist letztlich auf die Rollenhaftigkeit konventionalisierter Verhaltensweisen und Momente scheinhafter Verstellung im Leben, was wohl am nachdrücklichsten in Shakespeares As You Like It zum Ausdruck gebracht wird:
Beispiel: As You Like It
Duke Senior: Thou seest we are not all alone unhappy.
This wide and universal theatre
Presents more woeful pageants than the scene
Wherein we play in.
Jaques: All the world’s a stage
And all the men und women merely players.
Their have their exits and their entrances,
And one man in his time plays many parts,
His acts being seven ages. … (2. 7. 136–143)
Theater als öffentliches Ereignis
Da diese gesellschaftliche Verständigung beim Drama – im Gegensatz zum Lesen eines Romans – bei einer Theateraufführung in Form eines öffentlichen, gesellschaftlichen Ereignisses erfolgt, wobei sich Schauspieler und Publikum immer in verschiedenen räumlichen Zuordnungen befinden, haben sich im Laufe der Zeit Theaterbauten verschiedenster Art entwickelt.
Typen des Theaterbaus
Im Gefolge der kulturellen, sozialen, und finanziellen Entwicklungen des Theaters haben sich von der Antike bis heute verschiedene Typen des Theaterbaus herausgebildet. Gemeinsam ist allen Formen die grundsätzliche Trennung von Bühnen- und Zuschauerraum. Unterschiede lassen sich feststellen im Hinblick auf die Schärfe dieser Trennung, die Größe, die Erfordernisse der Hör- und Sichtbarkeit, die Hierarchisierung des Publikums, den Bezug der Zuschauer untereinander sowie die Abhängigkeit der Handlung und deren Illusionswirkung von der Bühnenform.
Obwohl nicht unmittelbar zum englischen Drama gehörig, sollten hier zunächst kurz die Theaterbauten der Antike, die in späteren Bühnenformen wie etwa der modernen Arenabühne wieder aufgegriffen wurden, kurz vorgestellt werden.
Antike Orchestrabühne
Im altgriechischen Freilichttheater bildete ein kreisrunder orchestra-Platz (Erdboden, ca. 20 Meter Durchmesser, oft mit Altar in der Mitte) zwischen skenè (Bühnenhaus) und ansteigendem, fast ringförmigem Zuschauerraum die Hauptspielfläche für Chor und Schauspieler. Zur orchestra führten Gänge (paradoi), die Auftritte durch das Publikum hindurch ermöglichten. Als später der Chor (s. u.) als aktiver Handlungsteilnehmer zurücktrat, verlagerte sich das Spiel der Akteure mehr zu skenè hin (Vor-skenè). Endpunkt dieser Entwicklung waren die römischen Amphitheater. Auf der skenè erfolgten das Auf- und Abtreten der Schauspieler, der Kostüm- und Maskenwechsel, Chorlieder, das Innenraumgeschehen, sowie verdeckte Handlungen. Der Zuschauerraum, das theatron, war mit zirka 80 Sitzreihen (erst mit Holz- und dann mit Steinbänken) im Halbkreis um die orchestra gruppiert. Dabei fasste das Theater in Epidauros 14.000, das in Ephesus 24.000 Zuschauer (zum Vergleich: ein ,normales‘ Theater heute wie etwa im Barbican Centre in London fasst etwa 1.200 Zuschauer). Das Publikum war also im griechischen Theater in einem Überhalbrund um die Bühne gruppiert, es bestanden keine festen Grenzen zwischen Schauspielern und Zuschauern, was ein Gefühl engen Kontakts vermittelte. Ein illusionistisches Bühnenbild war dadurch freilich unmöglich, denn die Größe des Theaters und die Distanz zwischen den Zuschauen und den Schauspielern erforderte große, stilisierende Gesten, sowie von Masken und symbolische Kostüme. Die Akustik in diesen Theatern galt als sehr gut.
Stilisierung
Die Einheit des Ortes (die Aristoteles’ Poetik übrigens nicht thematisiert, vgl. Kap. VIII) war für das griechische Drama zwangsläufig gegeben, da dieses Theater dem Dramatiker nur die Darstellung von Geschehen im Freien, nie aber in geschlossenen Räumen gestattete. Auch die ständige Anwesenheit des Chores auf der Bühne, der durch seine Gesänge (stasima) zwischen den einzelnen Handlungsabschnitten (epeisodia) gleichzeitig die Einheit des der äußeren Handlung gewährleistete, trug zur Geschlossenheit der Darbietung bei. Die Form der griechischen Bühne bedingte so auch indirekt die Einheit der Zeit im griechischen Drama, da sie eine stark auf die Endphase des Geschehens konzentrierte Handlungskonzeption förderte.
Mittelalterliche Bühnenformen
Im Mittelalter ,entstand‘ das Drama gleichsam ein zweites Mal, waren doch Inhalte und Darbietungsformen so ganz verschieden von dem der Antike. Zur Darbietung seiner religiösen Spiele (mystery plays, morality plays; vgl. Kap. X.1 und X.2) entwickelten sich im Mittelalter, das keine festen Theaterbauten kannte, zwei Aufführungsformen:
pageants
a) So genannte pageants: Wagen, auf denen Episoden der Heilsgeschichte dargestellt werden, fahren durch die Stadt und führen jeweils einzelne Szenen der Geschichte vor wechselnden Zuschauergruppen auf. Die Schauspieler werden von Handwerkszünften gestellt, deren Beruf in Beziehung zur jeweiligen Episode der Heilsgeschichte steht (so wurde z. B. die Episode der Arche Noah von Schiffsbauern aufgeführt). Die Zuschauer bleiben dabei an ihrem Platz und lassen die Einzelbilder der Handlung auf diesen Wagen an sich vorüberziehen.
Mittelalterliche Bühnenformen
b) Die mittelalterliche Simultanbühne: Auf einer größeren freien Fläche, wie z. B. dem Marktplatz, sind einzelne Spielstätten (lat.: loca, sedes, mansiones) gleichzeitig aufgebaut und von allen Seiten einsehbar. Zwischen diesen Spielstätten befindet sich eine neutrale Spielfläche (platea). Auf dieser bewegt sich eine Figur – wie in den morality plays (vgl. hierzu genauer Kap. X.2) der Everyman – auf seinem Weg vom Zustand der Gnade in den Zustand der Sünde und zurück zum Zustand der Gnade. Dabei begegnet er einer Reihe von Figuren, bis er letztlich stirbt und in die ewige Seligkeit eingeht. Ganz anders als im griechischen Theater bestand bei dieser Darbietungsweise also ein räumlich enger Kontakt zwischen dem Publikum und den Darstellern.
Abb. 2: The Globe Playhouse (1599-1633)
Abb. 2: The New Globe Theatre London (1999)
Das Theater der frühen Neuzeit: public theatres
Die öffentlichen Theater der frühen Neuzeit, deren bedeutendster Autor William Shakespeare gewesen ist, wie etwa das Globe Theatre, hatten eine Bühne von ca. 13 Metern Breite und 10 Metern Tiefe. Sie ragte weit in den offenen Hof des polygonalen Baus mit überdachten Zuschauergalerien hinein, die Spielfläche, die so genannte apron stage, war nach drei Seiten hin offen und nur teilweise überdacht. Die überdachte Hinterbühne befand sich an der Bühnenrückseite.
Beispiel: Richard II
Als Andeutung von Innenräumen konnte durch Ziehen eines Vorhangs (discovery space) ein Tableau enthüllt werden. Hier muss man sich Szenen wie im Hamlet die Ermordung des Polonius „behind the arras“ oder die Enthüllung der Statue der tot geglaubten Hermione in The Winter’s Tale durch Paulina („draws a curtain“) vorstellen. Den Bühnenhintergrund bildete eine gleich bleibende Fassade mit zwei Türen, die noch eine Galerie als Oberbühne (balkonartige Spielfläche) umfasste. Hier spielten etwa die Balkonszenen in Romeo and Juliet, die Belagerung der Stadt Harfleur in Henry V, oder die Oberbühne stellte die Mauern von Flint Castle in Richard II dar:
Northumberland: My Lord, in the base court he doth attend
To speak with you. May it please you to come down?
King Richard: Down, down I come, like glist’ring Phaeton,
Wanting the menace of unruly jades.
In the base court: Base court, where kings grow base
To come at traitors’ cells, and do them grace!
In the base court, come down: down, court! down king,
For night-owls shriek where mounting larks should sing. (3. 3. 175–182)
Die festen Bühneneinrichtungen wurden damit also zu ständig wechselnden dramatischen Räumen.
Zuschauer
Die Zuschauer (das Globe fasste etwa 2.000) kamen aus allen Schichten der Gesellschaft, vom Handwerker bis zur Königin bzw. zum König. Die groundlings auf den billigsten Plätzen standen um die Bühne herum und mischten sich gern mit Kommentaren ins Bühnengeschehen ein. Gespielt wurde bei Tageslicht mit wenig Szenerie und in zeitgenössischen Kostümen.
Illusionsarmut
Da Requisiten und Kulissen kaum vorhanden waren, lässt sich dieses Theater als illusionsarm beschreiben: die Illusion eines fremden Schauplatzes wie z. B. einer fernen Insel musste durch andere Mittel, d. h. etwa mit Hilfe von Wortkulissen, also in Repliken der Dramenfiguren, näher beschrieben und damit in der Phantasie der Zuschauer hervorgerufen werden (vgl. hierzu auch Kap. IX). Durch die Illusionsarmut waren in diesem Theater auch mühelos Schauplatzwechsel zu vollziehen, welche wiederum den kontinuierlichen Fluss der Szenen förderten. Gliederungsprinzip der elisabethanischen Dramen ist die Szene, nicht der Akt (vgl. Kap. VI.4), weshalb die häufig anzutreffende Mehrsträngigkeit der Handlung, Kurzszenentechnik, oder schnelle Szenenwechsel möglich waren.
The New Globe
Die beste Möglichkeit zur Veranschaulichung des Theaterwesens der Frühen Neuzeit bietet heute das neue Globe Theatre am Südufer der Themse in London. Das ursprüngliche Globe Theatre war 1599 erbaut worden, brannte aber im Jahr 1613 bei der Uraufführung von Henry VIII durch das Abfeuern einer Kanone ab, die das „house with the thatched roof“ und damit den gesamten Holzbau in Brand setzte. Das Second Globe wurde auf den Grundmauern des First Globe zwar – mit einem Ziegeldach – wieder aufgebaut, jedoch im 17. Jahrhundert während der Zeit des Commonwealth, der Regierungszeit Oliver Cromwells, endgültig zerstört.
Es war eine archäologische Sensation, als im Jahr 1989 bei Aushubarbeiten für einen Bürokomplex die Überreste des dem Globe benachbarten Rose Theatre im Norden der Park Street am Südufer der Themse entdeckt wurden. Etwa drei Fünftel der originalen Grundmauern konnten freigelegt werden und bestätigen somit die Annahme der Forscher, dass die elisabethanischen Theater polygonale Bauten gewesen waren. Motiviert durch den Fund des Rose versuchten Forscher die Stelle des Globe zu finden, und bereits im Oktober des gleichen Jahres konnten zirka 5% von dessen Grundmauern entdeckt und freigelegt werden. Freilich war es nicht möglich, die Ausgrabungen weiter fortzusetzen, da ein Teil des Globe unter der Southwark Bridge Road, und der größte Teil unter Anchor Terrace, einem denkmalgeschützten Gebäude des 19. Jahrhunderts, liegt. Mit Hilfe von modernsten Techniken konnten Forscher wie Prof. Andrew Gurr freilich weitere Erkenntnisse über das Globe gewinnen, die für die Rekonstruktion und die Erbauung des The New Globe herangezogen werden konnten. Die Initiative des amerikanischen Schauspielers und Regisseurs Sam Wannamaker (1919–1993), einen Nachbau des elisabethanischen Globe zu erstellen, wurde (für Wannamaker posthum) nach fast 30 Jahren engagierter Arbeit, finanziert zum allergrößten Teil aus privaten Geldern, Wirklichkeit, als Königin Elisabeth II. im Juni 1997 das New Globe eröffnete. Inwieweit der Anspruch, das damalige Theaterwesen und -spiel so originalgetreu wie möglich wieder zu errichten geglückt ist, mag vom interessierten Theatergänger am besten selbst am Südufer der Themse nahe der Southwark Bridge überprüft werden. Das New Globe ermöglicht es, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Inszenierung und Schauspielstil zur Zeit Shakespeares besser zu studieren, und jeder interessierte Zuschauer wird selbst beobachten, wie, anders‘ die Dramen Shakespeares und seiner Zeitgenossen auf dieser Bühne wirken und funktionieren.
Das Theater der Frühen Neuzeit: private theatres
Im Unterschied zu den public theatres wie dem Globe wurden die private theatres der Zeit in bereits existierenden Gebäuden eingerichtet. „Die Bezeichnung private kam um 1600 auf, weil sie in der Form den Bühnen ähnlich waren, die in privaten Häusern zu gelegentlichen Aufführungen aufgeschlagen wurden.“ (Weiß, Drama, S. 33). Die private theatres befanden sich nicht – wie die public theatres – außerhalb der Jurisdiktion der City, sondern im Zentrum der Stadt, wenn auch auf Gelände, das der städtischen Rechtsprechung nicht unterlag. So lag etwa das Blackfriar’s Theatre, welches Shakespeares Schauspieltruppe The King’s Men 1608 als erste Erwachsenentruppe übernahm, auf dem Grund des Blackfriar’s Konvents. Über diese private theatres wissen wir nur wenig. Sie scheinen in große rechteckige Hallen eingebaut gewesen zu sein, an deren einer Stirnseite sich die Bühne befand. Vor dieser standen Bänke für die Zuschauer. Die private theatres unterschieden sich vor allem von den public theatres durch ihre Größe und die geschlossenen Räume, in denen bei künstlichem Licht gespielt werden konnte. Da diese Theater nur etwa 400 bis 500 Zuschauer fassten, waren die Eintrittspreise höher, und das Publikum rekrutierte sich entsprechend eher aus den wohlhabenden Schichten (vgl. Weiß, Drama, S. 34).
Proszenium-Bühne
Im Repräsentationstheater seit der Restauration 1660 erfolgte eine allmähliche Verlagerung des Bühnengeschehens von der Vorderbühne zurück auf die dahinter liegende Spielfläche, was letztlich eine frontale Anordnung von Bühne und Zuschauern zur Folge hatte. In geschlossenen Räumen schaffen nun gestaffelte Seitenkulissen Tiefenwirkung und konzentrieren den Blick auf die Hintergrundkulissen. Das Bühnenbild erhebt noch nicht den Anspruch von realistischer Repräsentation, ist aber dekorativ. Perspektivische Bühnenbilder vermitteln den Eindruck großer räumlicher Tiefe. Einen Vorhang gibt es noch nicht, er taucht in England erst im späten 18. Jahrhundert auf; die Trennung von Bühne und Publikum ist also vollends noch nicht vollzogen.
Guckkastenbühne
Aus den Theateraufführungen in geschlossenen Räumen bei künstlichem Licht und unter Verwendung von Kulissen entwickelt sich die so genannte Guckkastenbühne. Die Zuschauer sitzen frontal zur Bühne, die sich hinter einem fest gefügten schließbaren Rahmen (Rampe oder Bühnenportal mit Vorhang) befindet, und dazu oft vom Zuschauerraum durch den Orchestergraben getrennt ist (Konfrontationstheater). Der Bühnenraum präsentiert sich als auf drei Seiten abgeschlossener Kasten, dessen ,vierte Seite‘ als imaginäre ,vierte Wand‘ dem Streben nach größtmöglicher Illusion die architektonischen Voraussetzungen bietet. Diese Bühnenform wird daher auch Illusionsbühne genannt, da dem Zuschauer die Illusion gegeben wird, als ,zufälliger‘ Zeuge an einem realen Geschehen teilzuhaben. Die Schauspieler geben dabei vor, die Anwesenheit des Publikums zu vergessen. Die Guckkastenbühne als die noch heute am häufigsten anzutreffende Form in westlichen Theatern dürfte jedem Leser aus Stadt- und Staatstheatern vertraut sein.
Moderne Bühnenformen
Vor allem seit dem zweiten Weltkrieg lassen sich Tendenzen zur Abwendung von der Guckkastenbühne feststellen, was etwa in der thrust stage, einer ins Publikum vorspringenden Bühne (ähnlich wieder der elisabethanischen Bühne) seine Ausprägung findet.
Kabuki-Theater
Eine besondere Form der Bühne stellt das japanische Kabuki-Theater (vgl. Balme, S. 138) mit seinem so genannten, Blumenweg‘ (hanamichi) dar. Dieses verläuft durch das ganze Theater und ermöglicht ein Spiel der Darsteller mitten im Zuschauerraum. Auch wenn diese Verlängerung der Hauptbühne in den Zuschauerraum hinein seit seiner Einführung im 18. Jahrhundert einigen architektonischen Veränderungen unterlag, blieb das Grundprinzip, nämlich die Überwindung der Rampe, erhalten.
Arenabühne
Auch Arenabühnen, bei denen sich der Spiel-Platz inmitten der Zuschauer befindet (einen Vorhang gibt es nicht) in Anlehnung an die Theater der Antike sind hier zu nennen. Eine Kombination dieser Bühnenformen bietet zum Beispiel das National Theatre in London (eröffnet 1976). The Olivier (benannt nach Sir Laurence Olivier, dem höchstdekorierten englischen Schauspieler des 20. Jahrhunderts) hat eine ausladende offene thrust stage in einem Auditorium mit zwei Balkonen, das 1.160 Zuschauer fasst. The Lyttelton mit proscenium arch (und Vorhang) und konventionellem Sitzplan für 895 Zuschauer präsentiert sich eher traditionell. The Cottesloe ist ein Studiotheater für 200–400 Zuschauer, ein kleiner, frei gestaltbarer Raum, der es im äußersten Fall erlaubt, die Distanz zwischen Bühne und Auditorium ganz aufzuheben.
Neben ausdrücklichen Theaterbauten gab es freilich seit jeher auch nur vorübergehend für Theater genutzte Bauten wie Gasthäuser oder Sporthallen. Vor allem im experimentellen Theater werden andere Räume mit bewusster Bedeutung tragender Absicht für Dramenaufführungen verwendet. Als Beispiel sei erwähnt Peter Brooks Inszenierung von Shakespeares Timon of Athens im Théâtre des Bouffes du Nord in Paris (1975), einem ehemaligen Bahnhof, oder Ariane Mnouchkines Théâtre du Soleil, das in einer aufgelassenen Pappe-Fabrik spielte.