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Das Glück, verschieden zu sein ...

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Es waren einmal zwei Kinder. Und so, wie es bei Kindern eben ist, waren sie sich zwar vom Äußeren ähnlich, aber im Inneren waren sie total verschieden. Zumindest schien das so.

Das ältere Kind war ruhig, außergewöhnlich begabt, fleißig und vor allem sehr sehr ordentlich. Das jüngere Kind war aufgeweckt, lustig, frech, immer zu Späßen aufgelegt, und die Augen blinzelten immer irgendwie verräterisch und warteten auf neue Abenteuer. Natürlich war diesem Kind nicht wichtig, ob das Gewand auf einem Stoß lag oder ob die Brösel beim Essen auf den Boden fielen. Oder ob vielleicht gar ein paar Brösel sich ins Schulheft verirrten. Nebensächlichkeiten wie zusammenräumen, Ordnung halten oder pünktlich sein, waren dem jüngeren Kind einfach fremd. Das Leben bot doch so viel Abwechslung für viel wichtigere Dinge! Dabei genoss es jede Minute, konnte herzlich lachen, auch ohne Grund. Ihm fielen immer die verrücktesten Dinge ein, die es alle hintereinander in die Tat umsetzen wollte.

Wie zum Beispiel eines Tages die ganze Wohnung mit „Laserstrahlen“ zu versehen. Dazu wurden Mutters Wollreste abgewickelt und der ganze Gang von Türschnalle zum Wandhaken, vom Schrankschloss zum Beleuchtungskörper, über den Zeitungsständer zur Zimmervase miteinander verbunden. Dann musste man geschickt und ohne die Schnüre zu berühren, von der Küche ins Wohnzimmer gelangen, wo allerdings die nächsten Hindernisse aufgebaut waren. Das ältere Mädchen sah mit Schreck, wie die Vase zu wackeln anfing und die Türschnalle die Tür in Bewegung setzte, sodass durch die geöffneten Türen ein Windstoß alle Papiere im Büro vom Schreibtisch fegte, die Katze aus dem Körbchen aufscheuchte und sie mit einem Satz auf den Schrank springen ließ. Dort wiederum verwickelte sie sich in ein Wollknäuel, welches von der Decke hing, und schon breitete sich ein Chaos aus, sodass das große Mädchen sich das Gesicht mit beiden Händen bedeckte, um nicht mehr sehen zu müssen, was noch alles passierte.


Das jüngere Mädchen sah das alles nicht; sprang und schlüpfte, robbte und überschlug sich zwischen den Schnüren und war über jedes mehr oder weniger gelungene Erreichen des anderen Endes des Korridors so beglückt, dass sie tanzte und lachte. Selbst als sie sich mit einem gewaltigen Sprung vor der letzten Laserbestrahlung ins Büro retten musste und auf dem auf dem Boden liegenden Papier keinen Halt fand, die Schreibtischlampe auf den Boden mitriss, an der sie sich gerade noch anhalten hatte wollen, entwich ihr nur ein vergnügliches „Hoppala“ und schon war sie wieder auf den Beinen.


Erst das Klopfen an der Türe ließ sie innehalten. Nun entdeckte sie ihre Schwester, die – den Tränen nahe – in einer Ecke kauerte. Ganz schnell, ohne es wirklich wahrzunehmen, erkannte sie aber in den Augen ihrer großen Schwester ein kleines Feuer, das diesem Treiben ein ganz klein wenig abgewinnen wollte. Darin lag eine Sehnsucht, die im nächsten Moment nicht mehr zu sehen war.

Das Klopfen an der Tür wurde lauter, und die Mutter und der Vater riefen laut: „Was ist denn los, lasst uns doch hinein, der Schlüssel steckt von innen, wir können nicht hinein!“


Beide Kinder erkannten unmittelbar die Gefahr, die davon ausging, wenn man die Türe tatsächlich öffnen sollte. Der Schlüssel, der im Schloss steckte, war der Ausgangspunkt für diese Lasershow. Ganz abgesehen davon, dass durch die straff gespannte Wolle die Tür wahrscheinlich gar nicht aufging. Das ältere Mädchen fing an zu stottern: „Mama, Papa, ich weiß nicht, ich kann den Schlüssel nicht abziehen, er steckt irgendwie fest.“ Dabei bemühte es sich schon eifrig, alle Schnüre einzusammeln, holte eine Schere und arbeitete wie besessen, um das große Chaos zumindest in ein kleines Chaos zu verwandeln.


Die jüngere Schwester schaute sie nun dankbar an und begann ebenfalls – ganz gegen ihre Gewohnheit – mit Eifer und ungewöhnlichem Einsatz zu rennen, zusammenzuklauben, aufzurichten, wegzuwerfen und den schnell und leise gesprochenen Anweisungen der älteren Schwester auf den Punkt genau zu folgen. Die ältere Schwester war nun absolut in ihrem Element – präzise, genau, flink, ohne nachdenken zu müssen und unter Einsatz aller Kräfte, die ein Notfall nun einmal freisetzt, kam ihr Perfektionismus zum Tragen. Genauso wie vorher die kleine Schwester lustvoll im Chaos regiert hatte, kam jetzt die ältere Schwester auf ihre Kosten. Der Druck der wartenden Eltern war natürlich schon sehr beflügelnd. Sie fand aber zwischen den einzelnen Reparatur-Turnübungen, während sie vom Mistkübel zum Büro, von der Leiter zur Vorzimmervitrine balancierte, noch tröstende Worte für die Eltern, gab mit Handbewegungen und ihrer Körpersprache jede Anweisung an die jüngere Schwester weiter, die mit Achselzucken und Bewunderung dankbar die Hilfe annahm. Diese fand Gefallen daran, in dieser Gemeinsamkeit den Vorwürfen zu entgehen, die zweifellos ein Übermaß an Frust ausgelöst hätten, würden die Eltern ihr Zuhause noch vor 8 Minuten gesehen haben.


So aber öffnete die ältere Schwester die Tür. Die überraschten, sorgenden Eltern untersuchten zuerst die Kinder, ob es ihnen gut ginge. Der Vater inspizierte das Türschloss, das jeden Test anstandslos bestand, und ein Gefühl der Erleichterung und Verbundenheit legte sich über die Gemüter der beiden Kinder. Als der Vater die letzten Wollreste aus dem Türschloss zog und die Mutter den verschreckten Kater vom Kasten holte, spürte man fast körperlich die Fragen, die sie nicht stellten.

Vorsichtig wurden alle Räume beäugt und gegenseitige Blicke getauscht; die beiden Geschwister standen im Vorzimmer und in ihren Augen konnte man dieses einzigartig glückliche Leuchten sehen, welches Vertrauen, Verbundenheit, Sieg und Stolz vereinigte und sie zu zwei gar nicht mehr unterschiedlichen Kindern machte.


Märchenhaftes überall

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