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Sabines Defizite, Lorena und Gabi, Maja packt die Koffer

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Sabine hatte ganz vergessen, wie angenehm es war, mit einem Mann einkaufen zu gehen. Oder vielmehr, wie angenehm es sein konnte. Sascha raste ja nur noch durch die Gänge, kaufte strikt lediglich das, was auf seinem Zettel stand und bugsierte den Wagen schon zur Kasse, während Sabine mit allen anderen Sachen, die sie auf den Armen balancierte, hinter ihm herkeuchte. Das war nicht angenehm und nervte sie schon seit geraumer Zeit. Das war früher ganz anders gewesen. So wie jetzt mit Jasper.

Jasper schlenderte mit ihr durch den Supermarkt und hatte nichts dagegen, ausgiebig mit Sabine darüber zu diskutieren, ob Zucchini oder gebratene Paprika die bessere Beilage wären zu dem Schweinenackenbraten, den Sabine gerne machen wollte.

»Im Römertopf. Kochst du auch im Römertopf?«, fragte Sabine.

»Eigentlich bin ich beim Kochen eher anspruchslos. Ich brate mir vielleicht mal ein paar Schnitzel oder ein Omelett, aber dass ich einen Braten in die Röhre schiebe, kommt eher nicht vor.«

»Hast du eigentlich Kinder?«, rutschte es Sabine auf einmal heraus.

»Äh ... nein. Wie kommst du da jetzt drauf?« Jasper sah sie verwirrt an. Sabine wurde wieder einmal flammend rot. Aber warum auch nicht, sie stand ja vor dem Regal mit den Tomaten.

»Ach ... ich weiß auch nicht«, stammelte sie. »Hier, Tomaten ... soll ich uns einen schönen Salat mit Schafskäse und Tomaten machen? Als Vorspeise?«

Jasper grinste auf einmal.

»Wenn du so rot wirst wie jetzt, bist du noch süßer als ohnehin schon.«

»... Ich ...?«

»Ja, du. Die Dame mit der Zucchini in der Hand. Wie du die so umklammerst, also, da könnte man schon auf den Gedanken kommen, dass du irgendwelche Defizite hast.«

Sabine machte große Augen, dann prustete sie los.

»Du bist ja ein Ferkel! Aber finde ich gut! Und ja, ich habe tatsächlich Defizite! Wo sind die Salatgurken?«

Jetzt lachte auch Jasper. Schnell wurde er wieder ernst und sah Sabine aufmerksam an.

»Du hast doch einen Partner? Wie kann man dann Defizite haben ...?«

»Das kommt auf die Beziehung an, die man mit seinem Partner führt«, erklärte Sabine leise und sah zu Boden.

»Ah ...!«

Sabine hätte ihm gerne noch mehr erklärt, aber ihr Kopf war von dem vielen Blut und dem pochenden Herzen schon ganz heiß. Hastig stolperte sie aus der Gemüseabteilung und bog in die mit dem Hundefutter ab, obwohl sie hier nun wirklich gar nichts brauchte. Wulfi war der Einzige, der in ihrem Haus immer bestens versorgt war.

Jasper folgte ihr langsam und mit Abstand. Er verstand. Sabine wusste, er ließ ihr Zeit, um sich wieder ein wenig zu fassen.

Nach ein paar Minuten hatte sich Sabine wieder unter Kontrolle und ging zurück zu Jasper, der bedächtig den Einkaufswagen schob. Er lächelte und redete wieder Belangloses von seinen Hühnern. Jetzt über Sabines Beziehung mit Sascha zu sprechen, wäre ihr auch nicht recht gewesen. Das war nicht der richtige Ort, aber inzwischen die richtige Zeit, fand sie. Sascha erschien ihr ferner denn je. Sie dachte kaum noch an ihn, und wenn er mal in ihren Gedanken auftauchte, dann nur, weil sie sich an eine Situation erinnerte, in der sie sich herzlich über ihn geärgert hatte.

Aber sie musste inzwischen ziemlich oft an Jasper denken. Und wie sehr sie sich darauf freute, mit ihm morgen in Madsenby das Antiquariat zu durchstöbern.

Beim Slagter, also dem Metzger, besorgte Sabine ein schönes Stück Nackenbraten. Der Metzger, Klaus, sah sie freundlich an.

»Na, Sabine, ich dachte, du ernährst dich nur noch von Milchshakes?«

Sabine seufzte. Tristø war eben eine Insel und jeder kannte jeden.

»Das habe ich versucht, aber es hat nicht geklappt.«

»Das ist eine schöne Untertreibung für einen Blutzuckersturz«, mischte Jasper sich ein.

»So kann man ja auch nicht vernünftig leben, Sabine. Du arbeitest so hart das ganze Jahr, dann darfst du deinen Körper nicht so foltern«, belehrte Klaus sie freundlich und reichte ihr die Tüte mit dem Braten.

»Ihr habt ja recht«, seufzte Sabine wieder. »Ich mache das auch nicht mehr.«

»Das wollen wir auch hoffen!«

»Ich passe auf sie auf«, erklärte Jasper und legte Sabine den Arm um die Schulter. Die erstarrte und lächelte. Es war ein so schönes Gefühl, dass sie sich an Jasper lehnte und ihren Kopf auf seine Schulter legte. Klaus klimperte kurz überrascht mit den Augenlidern, dann lächelte er wissend.

»Dann bin ich ja beruhigt«, erklärte er. Er nickte Jasper und Sabine noch zu und wandte sich zu den nächsten Kunden um. Sabine stand noch immer wie erstarrt und genoss Jaspers Arm, seine Nähe und seinen männlichen Geruch. Sie wollte sich nicht aus der halben Umarmung lösen. Sonst dachte Jasper noch, die Situation wäre ihr unangenehm.

Auch Jasper schien unfähig, seinen Arm von ihren Schultern zu nehmen, tat es aber zögerlich. Irgendwann mussten sie ja auch hier weg. Sie standen anderen im Weg. Verlegen lächelten die beiden sich an und verließen den Supermarkt. Sabine war so wirr im Kopf, dass sie an Jaspers Lieferwagen vorbeilief und erst auf seine Rufe hin blinzelnd stehenblieb und errötend zu ihm zurückhastete.

Abends saßen die beiden vor Sabines Braten. Zum Glück konnte der im Römertopf nicht so leicht anbrennen, aber dafür war er recht scharf geraten. Dass viel Majoran dran war, war ja nicht weiter schlimm, aber dass ihren zitternden Fingern der Pfefferstreuer entglitten war, merkte man doch. Nun hatten beide hochrote Gesichter und stürzten ein Glas Wein nach dem anderen herunter.

»Wenn das so weitergeht, bin ich bald betrunken. Und dabei wollte ich doch morgen früh schnell den alten Bodenbelag entfernen.« Jasper schenkte schon wieder nach.

»Wir beide«, erinnerte Sabine ihn und hustete.

»Ja, stimmt, wir beide. Du willst ja unbedingt an meinen Bohrhammer ran.«

Sabine kicherte albern und nickte. Ja, an Jaspers Hammer wollte sie nur zu gern ran, wenn sie ehrlich war. So wenig Lust sie darauf hatte, mit Sascha zu schlafen, so sehr begehrte sie inzwischen den freundlichen Hühnerbauern. Keine andere Frau, die Sascha kannte, hätte das wohl verstanden. Sascha hatte nicht nur dieses edle Gesicht, er sah selbst in Jeans und T-Shirt gut genug aus, in ein teures französisches Restaurant zu gehen. Er gab Geld für Aftershaves, Duschgel und Bodylotionen aus und ging regelmäßig zum Friseur. Dann war da noch dieser lässige Charme, bei dem allen Frauen die Knie weich wurden, bevor sie sich bereitwillig teilten.

Jasper hingegen war in jeder Hinsicht ein einfacher Mann. Einfach gekleidet, es war einfach, mit ihm zu reden. Einfach gestrickt war er jedoch nicht. Er machte immer sehr intelligente Kommentare zu dem, was Sabine sagte, und schwieg zur richtigen Zeit. Dann sein Sinn für Humor ... während der von Sascha eher zynisch und trocken war, konnte man Jaspers als fröhlich und herzlich bezeichnen, wie seine ganze Natur auch.

Statt nach Aftershave duftete Jasper nach dem Salz in der Luft, nach Sand und entfernt nach Erde, nach ehrlicher Arbeit mit seinen Tieren und den langen Aufenthalten draußen. Sabine fand diesen Geruch jedoch sehr angenehm. Nach Aftershave konnte schließlich jeder riechen.

»Kannst du denn mit einem so schweren Gerät umgehen?«, unterbrach Jasper Sabines mentalen Vergleich.

»Angeber«, lallte sie jetzt und Jasper runzelte verwirrt die Stirn.

»Wieso Angeber? Es ist nun einmal ein sehr schwerer und großer Bohrhammer.« Manchmal konnte er Sabines versauten Gedankengängen wohl nicht so ganz folgen.

»Das freut mich, Jasper, das freut mich wirklich sehr. Jeder Mann sollte einen schweren, dicken Bohrhammer haben. Und ja, ich kann damit umgehen. Ich hatte schon den ein oder anderen Hammer in der Hand.«

Ein verschmitztes Grinsen breitete sich auf Jaspers Gesicht aus.

»Du hast es wirklich faustdick hinter den Öhrchen. Aber das mag ich bei Frauen. Und erst recht mag ich es, wenn sie meinen Bohrhammer in die Hand nehmen wollen.«

»Welcher Mann mag das wohl nicht?«, kicherte sie, und Jasper lachte.

»Du hast ja eine dreckige Lache!«

»Und du eine schmutzige Phantasie!«

»Hehe!«

Beide grinsten sich breit an. Durch Sabines benebeltes Gehirn zog sich langsam Sorge. Wo sollte das noch hinführen? Und wieso kam er nicht einfach um den Tisch herum und küsste sie? War das jetzt nicht die perfekte Gelegenheit? Und die perfekte Stimmung: ausgelassen und vertraut?

Jasper lächelte, senkte den Blick aber schließlich auf seinen Teller.

»Das war lecker, sehr sogar. Hast du auch genug gegessen? Nicht, dass du mir wieder zusammenklappst«, meinte er nur. Die perfekte Gelegenheit hatte er einfach verstreichen lassen.

»Danke. Äh, ja, klar. Aber so richtig lecker war es nicht mit all dem Pfeffer. Da kannst du mir nichts vormachen.«

»Ach, ich mag es auch mal scharf.«

»Na klar, bist ja ein Mann«, feixte Sabine, aber dieses Mal ging er auf ihre Anzüglichkeit nicht weiter ein, sondern grinste nur kurz.

»Lass uns abräumen«, erklärte er, stand auf, sammelte Teller und Besteck ein und ging in die Küche. Sabine sah ihm verlangend hinterher. Einen richtigen Knackpo hatte er in dieser engen Jeans. Das Hemd sah auch gut aus, bis auf die große Falte, die er auf dem Rücken hineingebügelt hatte. Sabine verkniff sich mühevoll das Lachen. Typischer Junggeselle eben, aber wie schön, dass er sich solche Mühe gab, ihr zu gefallen. Nur noch auf seinem Hof lief er in Arbeitsklamotten herum, war er mit Sabine unterwegs, wechselte er nun immer die Kleidung. Das beeindruckte sie. Sascha zog sich zwar immer gut an, aber das tat er aus Prinzip. Er versuchte nie, ihr zu gefallen. Einmal hatte sie erwähnt, dass er in Schwarz richtig gut aussah, aber er zog trotzdem nie etwas Schwarzes für sie an.

Sabine schüttelte unwillig den Kopf. Sie wollte nicht mehr an Sascha denken!

Schwankend erhob sie sich, aber Jasper winkte ab.

»Lass mal, ich mache das schon. Du hattest dafür die Arbeit mit dem Kochen.«

Er stellte das benutzte Geschirr in den Geschirrspüler und verstaute die Reste sorgfältig in Plastikdosen, die er in den Kühlschrank stapelte. Er schüttelte betrübt den Kopf, als er hineinsah.

»Der ist aber immer noch ganz schön leer. Morgen kaufst du dir, was man so braucht, okay? Du hast heute wohl nur das besorgt, was du zum Kochen benötigt hast?«

»Ja ...«

»Willst du etwa weitermachen mit diesem Pulverzeugs?«, fragte er und sah auf einmal wütend aus. Sabine erschrak etwas.

»Ich ... ich weiß noch nicht ... um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass ich den Willen dazu habe«, stammelte sie.

»Den Willen ... oder das Verlangen? Willst du immer noch deinem Partner zu Gefallen dünn werden wie eine Bohnenstange?« Er sah sie finster an. In seinem Blick lag Enttäuschung.

»Für Sascha? Ach, nein. Deswegen nicht mehr. Ich ... ich weiß es selbst nicht. Ich gefalle mir so einfach nicht mehr.«

»Dann mach es so, wie alle sagen. Langsam. Kauf dir doch einen Hometrainer und stell den vor den Fernseher. Wenn du wirklich meinst, dass du abnehmen musst ... das muss jeder selbst wissen.«

Er kam aus der Küche zu ihr herüber. Inzwischen hatte Sabine den Weg ins Wohnzimmer geschafft und sich in die Couch plumpsen lassen. Jasper setzte sich neben sie.

»Du denkst also nicht, dass ich zu dick bin?«, fragte Sabine.

»Das habe ich dir doch schon gesagt. Du bist eine sehr hübsche Frau ...«

Sabine lachte traurig.

»Es ist nett, dass du das sagst, aber ich habe einen Spiegel. Ich weiß, dass ich ziemlich alt aussehe und ... und, naja, zu dick bin und zu reizlos.«

»Alt? Dick und reizlos? Wie kommst du nur darauf?« Entgeistert sah Jasper sie an.

»Nun ja ... Eine ehemalige Freundin von mir sieht ziemlich gut aus ... sehr schick und so ... und Sascha ...« Zögerlich erzählte Sabine von Britt und Sascha und fragte sich besorgt, ob sie damit nicht einen großen Fehler machte. Das war nicht unbedingt etwas, das man jemandem erzählte, in den man sich verknallt hatte. Aber Sabine wollte, dass Jasper alles erfuhr. Immerhin kam sie mit ziemlich großem emotionalem Gepäck in diese Freundschaft - oder vielleicht sogar Beziehung? - und Jasper hatte ein Recht, alles Wichtige zu erfahren. Und ihre Vorgeschichte war ja wichtig. Ohne Saschas Verrat wäre sie nie nach Tristø ausgewandert.

Jasper sah ziemlich schockiert aus.

»Das ist ja wirklich gemein!«

»Ja. Und ich war ein Dummkopf, ein Vollidiot, mich noch einmal auf ihn eingelassen zu haben«, murmelte Sabine beschämt.

»Na ja, das würde ich so nicht sagen. Bei Gefühlen kann jeder schwach werden und seine Prinzipien außer Acht lassen. Obwohl Svende und ich schon länger getrennt waren, sind wir vor zehn Monaten noch einmal im Bett gelandet«, gestand er, und Sabine fuhr ein glühender Stich durchs Herz.

»Oh.«

»Ja. Es war ein Fehler, das ist uns beiden klar.«

»Also liebst du sie noch?« Sabine sah von ihren Fingern auf, die sie ineinander gewunden hatte, dass sie knackten. Seine Antwort entschied nun, ob aus ihnen mehr wurde als Freunde. Und sie entschied darüber, ob Sabine die Nacht mit Heulen oder mit Vorfreude auf morgen verbrachte.

Jasper überlegte.

»Auf gewisse Weise werde ich sie wohl immer lieben, aber nicht mehr so, wie man seinen Lebenspartner liebt. Sie ist ein toller Mensch und ich werde sie immer sehr wertschätzen und sie als Freundin betrachten«, sagte er schließlich. Sabine wusste nicht, ob das nun gut oder schlecht war. Sie wunderte sich, dass Jasper, der sonst so geradeheraus war, so eine Wischiwaschi-Antwort gab. Das konnte unmöglich gut sein.

Zum ersten Mal erinnerte Jasper sie an Sascha. Der hatte ähnlich ausweichend geantwortet, wenn es um seine Exfrau Vera ging! Wieder fuhr Sabine ein Feuerpfeil mitten durch das arg gebeutelte Herz.

Muss mir denn immer die gleiche Scheiße passieren?, fragte sie sich verzweifelt.

»Oh«, seufzte sie nun, da Jaspers fragender Blick sie nötigte, irgendetwas zu sagen.

»Das heißt ja nicht, dass man nicht offen ist für etwas Neues«, erklärte er nun, »aber bevor man etwas Neues anfängt, muss das Alte abgeschlossen sein. Sonst kann das Neue nur schieflaufen. Außerdem ist es unfair. Hinter dem Rücken des Partners fängt man nicht eine neue Beziehung an.« Beschwörend senkte er seinen Blick in Sabines glasige Augen. Die verstand nur zu gut. Er fing also nichts an, bevor er nicht mit Svende ganz auseinander war. Und das schien noch nicht der Fall zu sein. Da waren noch Gefühle, über die er noch nicht ganz hinweg war. Schade.

Lohnte es sich, darauf zu warten? Vielleicht kam er ja nie ganz darüber hinweg? Und wenn er noch einen Versuch starten wollte? So wie Sascha? Was hatte der nicht alles angestellt, um sich mit Vera wieder zu versöhnen! Und am Ende hatte das ja sogar geklappt. Sabine erinnerte sich nur zu gut an den schrecklichen Tag, als sie Vera und Sascha am Strand entdeckt hatte. Lachend, flirtend, schmusend. Nun war es Jasper, der vor ihren Augen mit seiner Ex auf einer Decke saß und ihr glücklich lachend den Rücken mit Sonnenmilch einrieb. Wahrscheinlich war sie blond und hübsch.

Wie Britt.

Tränen schwammen in Sabines Augen.

»Hey«, sagte Jasper leise und ein wenig betrübt, »das muss dich nicht traurig machen. So ist es nun einmal. Das wird sich schon irgendwie regeln.«

»Von allein?«, nuschelte Sabine undeutlich und griff nach einem Taschentuch, in das sie kräftig trötete.

»Manchmal brauchen die Dinge eben ein wenig Zeit. In Gefühlsdingen ist es nie einfach, einen Schlussstrich zu ziehen. Da muss jeder erst den Punkt erreichen, an dem er die Kraft dazu findet. Egal, wie mies es vorher lief.« Verlegen tätschelte er Sabines Schulter. Die nickte nur. Sie wünschte sich, dass er nun ging. Sie konnte unmöglich heulen wie ein Schlosshund, wenn er dabei war. Zum Glück schien er das zu spüren.

»Ich gehe nun, okay? Morgen früh ... soll ich dich da abholen? Oder kommst du zu Fuß? Willst du denn noch mit dem Bohrhammer herumspielen? Oder soll ich das nicht lieber allein tun?«

»Ich komme morgen gegen sieben. Ist das okay?«, erwiderte Sabine undeutlich hinter ihrem Taschentuch.

»Sieben ist gut. Dann frühstücken wir noch zusammen. Keine Widerrede!«

»Okay, meinetwegen.«

»Gut, dann bis dann. Danke für das gute Essen.« Er zögerte und gab Sabine einen väterlichen Kuss auf die Stirn. Dann ging er.

Sabine heulte eine Weile. Mit seinem Bohrhammer herumspielen? Ob er das selbst tun sollte? Momentan gab es doch da niemanden und er konnte sowieso nur alleine damit spielen, oder kam Svende doch noch ab und zu und ging mit ihm ins Bett? Was war das nur, dass die Männer in ihrem Leben nie wegkamen von ihren Exfrauen?

Selbst wenn er wirklich nur einmal vor zehn Monaten mit ihr im Bett gewesen war, so etwas passierte doch nicht einfach so! Da mussten doch wohl noch Gefühle sein! Also war das Ganze tatsächlich noch nicht abgeschlossen und konnte sich jederzeit wiederholen.

Aber ich kann das nicht wiederholen. Das wäre, wie wieder mit Sascha zusammen zu sein und darauf zu hoffen, dass er Vera vergisst, dachte sie traurig. Das halte ich nicht noch einmal aus!

Entschlossen putzte sie sich die Nase und streichelte Wulfi, der sich neben sie gesetzt hatte und sie fiepend anstupste.

Sie beschloss, Jasper nur noch als Freund zu sehen, und das war ja schon etwas. Im Grunde war sie dadurch nicht mehr allein, denn Jasper liebte Tristø und wollte die Insel nie mehr verlassen. Anders als Sascha, der ja immer mehr herumnörgelte.

Sabine stand auf und ging in die Küche. Während sie heißes Wasser in den Römertopf laufen ließ, fällte sie eine vernünftige Entscheidung.

Ich muss mit Sascha reden, wenn er wieder da ist. Er weiß nicht, was in mir vorgeht, aber er sollte es wissen. Wir müssen einfach mal alles auf den Tisch bringen und uns wieder zusammenraufen. Wenn er öfter nach Deutschland will, dann soll er eben zweimal pro Jahr für ein paar Wochen rüberfahren. In der Zeit komme ich schon alleine klar, das habe ich ja früher auch geschafft.

Heftig schrubbte sie mit einer Spülbürste im Römertopf herum. Wahrscheinlich dachte sie kaum noch an ihn, weil sie wegen der vielen Verletzungen seinerseits wütend auf ihn war. Natürlich liebte sie ihn noch, da konnte es keinen Zweifel geben. Nun hatte sie sich, kaum dass Sascha fort war, in einen sympathischen Bauern verguckt, weil der anders zu sein schien als Sascha. Wahrscheinlich hatte sie alles in Jasper hineinprojiziert, was sie sich bei einem Mann wünschte. Aber so gut kannte sie ihn ja nun auch nicht. Um sich zu verlieben, brauchte es etwas mehr! Auf eine Schulmädchenschwärmerei konnte sie in ihrem Alter gut verzichten. Aber ist es nicht bei Sascha genau das gewesen? Eine Schulmädchenschwärmerei?, fragte sie sich. In ihn hatte sie jedenfalls alles hineinprojiziert, was am Ende gar nicht da gewesen war. Denn dass sie Sascha nicht allzu gut gekannt hatte, war klar. Sonst hätte sie sein Betrug nicht so tief getroffen und auch nicht weiter überrascht.

Cecilia hatte ihr geraten, die Geschichte mit Sascha so zu betrachten, als ob sie einer anderen passiert wäre. Wenn Sabine das tat, kam sofort ein Wort an die Oberfläche ihres Bewusstseins, so wie eine Luftblase, die aus einem dunklen Teich nach oben stieg:

Arschloch.

Er ist einfach ein Arschloch.

Sabine trocknete den Römertopf ab, stellte ihn weg, und wollte nach oben gehen. Als sie am Telefon vorbeikam, stellte sie fest, dass sie einen Anruf verpasst hatte. Sascha hatte angerufen, als sie mit Jasper einkaufen war. Sabine streifte den Namen des verpassten Anrufers mit einem gleichgültigen Blick und stieg die Treppe hinauf.

Arschloch.

Lorena erwachte mit nagendem Hunger. Ein Blick auf ihren kleinen Reisewecker entlockte ihr ein Stöhnen: Es war schon elf Uhr.

Frühstück kann ich wohl knicken, dachte sie und rieb sich den Kopf. Sie verzog das Gesicht, als sie die zerknautschte Decke neben sich bemerkte. Dieser Jens war ja hier gewesen und hatte sie lange um den Schlaf gebracht. Gebracht um den Schlaf, aber gebracht hatte es nichts. Es war vielmehr lästig gewesen und hatte ihr nur einen bohrenden Muskelkater eingetragen. Lorena hinkte ins Bad, duschte sich den lästigen Schweiß ihres Liebhabers ab und schminkte sich. Dann wählte sie ein anderes Strandkleid und beschloss, in einem Café oder dergleichen einen Happen zu sich zu nehmen. Sie hatte sowieso Halbpension ohne Mittagessen.

»Tag, Lorena.« Lorena sah irritiert von ihrem Croissant auf.

»Gabi! Hi!«

»Na, wie war’s gestern noch mit dem Milchbubi?« Gabi setzte sich Lorena gegenüber und sah sich anerkennend um. »Nettes Café, auch wenn es heute etwas zu windig ist, um draußen zu sitzen.«

»Ja, aber wenigstens kann man draußen sitzen. In Deutschland bräuchtest du dafür jetzt einen dicken Mantel.«

»Stimmt«, nickte Gabi und bestellte sich einen Kaffee. »Schade, dass die Sonne heute weg ist. Dafür fährt man ja nach Spanien. Sonne, Strand, Meer.«

»Na, so wie du mir das gestern erzählt hast, bist du aber nicht unbedingt wegen des Wetters hier, Gabi.« Lorena schob den Teller von sich weg und zog ihre Kaffeetasse näher zu sich heran.

Gabi nickte ernüchtert.

»Das ist allerdings wahr. Ich bin bloß geflüchtet.«

»Wo sind denn die anderen beiden?«

»Ich musste eine Weile alleine sein«, sagte Gabi leise. Lorena nickte. Dass etwas im Busch war, merkte man. Gabi sah ziemlich mitgenommen aus.

»Schlechte Nachrichten von zu Hause?«, fragte sie mitfühlend.

»So in der Art. Ich habe vorhin nachgesehen, ob Max noch bei dem Seitensprungportal ist. Ob vielleicht etwas Neues in seinem Profil steht. Oder was auch immer. Ist eben die einzige Möglichkeit, noch ein paar Informationen über ihn zu erhalten. Und ... das Profil ist weg.«

»Ah ... ja, und?«

Gabi seufzte. »Das bedeutet, dass er eine gefunden hat. Jetzt frage ich mich die ganze Zeit, ob sie schon im Bett waren. Ob er sich in die vielleicht verliebt und seinen Hausdrachen für sie verlässt. Vielleicht ist heute ihre erste Nacht zusammen. Oder Morgen. Oder vielleicht erst nächste Woche. Das ist die reinste Folter!« Gabi bedankte sich beim Kellner und nahm einen Schluck Kaffee. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie dabei auf das Tischtuch kleckerte. Lorena sah alarmiert zu.

Das könnte auch ich sein, wenn ich meine Gefühle für Werner nicht in den Griff bekomme! Oh nein, nicht noch einmal! Das Hoffen, das Warten, das Leiden. Nie mehr!

»Vielleicht bedeutet es aber auch nur, dass er doch keine Lust mehr hat auf ein Abenteuer«, meinte sie. Gabi schüttelte den Kopf.

»Versuch nicht, mich zu trösten! Ich muss da endlich von loskommen, es hatte ja ohnehin keinen Sinn, mich in ihn zu verlieben und all die Jahre auf ihn zu warten!«

»Schon, aber wenn es doch passiert, dann sitzt man in der Falle. Ging mir ja mit Rüdiger genauso.«

»Dass du von dem ein Kind hast, hast du gestern ja erzählt, aber keine Einzelheiten. Da war dir Werner wichtiger. Wie war das denn damals mit Rüdiger?«, fragte Gabi. Lorena lehnte sich zurück und schluckte. Dann erzählte sie ihre Geschichte noch einmal ausführlicher. Gabis Augen wurden immer größer.

»So ein Dreckschwein!«

»Ja. Und an Jackys Geburtstag ...« Sie umriss noch einmal die völlig versaute Geburtstagsparty ihrer Tochter.

»Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen. Dieser abgerissene Typ, deine entsetzten Eltern, und wie du dann alle rausgeworfen hast ... das erfordert Format und Mut. Beides hast du. Auch dein Kind alleine großzuziehen war mutig. Ich bewundere dich, Lorena. Was du alles geschafft hast, unglaublich. Ich glaube, wenn meine Eltern so kaltschnäuzig gewesen wären, ich wäre an deiner Situation zugrunde gegangen. Wahrscheinlich hätte ich denen Jacqueline einfach überlassen«, gestand Gabi nachdenklich.

»Das kam für mich nie in Frage. Vor allem wollte ich nicht, dass Jacky auch so erzogen wird, so kaltherzig und konservativ. Und jetzt denke ich, dass das vielleicht doch besser für sie gewesen wäre. Sie hat sich nicht gut entwickelt durch die Verwöhnerei. Das waren wir alle, meine Eltern und ich.«

»Und du denkst, deine Eltern hätten sie weniger verwöhnt, wenn die sie großgezogen hätten?«, zweifelte Gabi. Lorena dachte nach.

»Ich denke, sie wären doch etwas konsequenter gewesen als ich. Wenn ich spätabends nach Hause kam und sie freute sich so - da konnte ich einfach nicht so streng sein, wie ich es in bestimmten Situationen hätte sein müssen. Meine Eltern hätten das ohne Probleme geschafft. Erst ein Stück Schokolade, dann eine lange Predigt über Benimm, Ordnung im Zimmer und Schulnoten. Ja, die hätten durchgegriffen.«

»Da bin ich mir nicht sicher, Lorena. Wenn die sie jetzt so mit Geld zuschmeißen, dann wären die auch in anderen Belangen nicht allzu konsequent. Großeltern sind allgemein bei ihren Enkeln sehr viel nachsichtiger. Wahrscheinlich machst du dir völlig umsonst Vorwürfe, jedenfalls was deine Eltern angeht. Jacky wäre vielleicht heute noch schlimmer, wenn die sie erzogen hätten.«

»Na, ich weiß nicht.« Lorena lehnte sich zurück und starrte auf das aufgewühlte Meer. Heute war es wirklich herbstlich trüb.

»Hast du denn nach Rüdiger keinen anderen Mann mehr gehabt? Der dir bei der Erziehung geholfen hätte?«, fragte Gabi.

»Nein. Ich wollte keinen zweiten Rüdiger.«

»Wäre ja nicht zwangsläufig einer gewesen.«

»Für mich waren aber alle so. Ich konnte in jedem nur Rüdiger sehen. Ich habe es gar nicht erst versucht.«

Gabi riss die Augen weit auf. »Du hast es nicht einmal versucht? Sag bloß, Du gehst seit Jahren in Swingerclubs?«

»Ja, schon. Das ist alles so herrlich unkompliziert.«

»Na, ganz so unkompliziert ist es nicht. Das siehst du ja jetzt. Sogar dort kann man sich verlieben. Und dieser Werner ist doch nun wirklich kein Rüdiger, oder?«

»Nein, der nicht. Aber ich war nicht nur in Swingerclubs. Man kann auch so an Sex-Dates kommen.«

»Natürlich kann man das. Bin ich ja auch. Nur finde ich es merkwürdig, dass du seit der Geburt deiner Tochter nie mehr einen Mann emotional an dich rangelassen hast.«

Lorena zuckte mit den Schultern. »Was ist daran schon merkwürdig? Ich wollte nur nicht noch einmal dasselbe durchmachen.«

»Aber das ist doch gar nicht gesagt, dass du wieder an ein solches Arschloch gerätst«, erwiderte Gabi kopfschüttelnd. »Weißt du, was ich glaube? Du hast dich mit Männern nur für Sex getroffen, weil du dich deiner Tochter wegen schämst!«

Lorena runzelte die Stirn. »Wegen Jacky? Okay, die hat schlimme Noten und ein großes Mundwerk, aber deswegen schäme ich mich doch ihrer nicht!«

»Dann habe ich mich unklar ausgedrückt. Sieh mal, bei einem Sex - Date geht es eben nur darum. Ihr stellt euch nicht groß vor. Niemand fragt den anderen nach seinen Familienverhältnissen. Wenn das einer täte, würde er auch fragen, wie alt deine Tochter ist und nachrechnen. Und dann wissen, wie alt du warst, als du sie bekommen hast. Heutzutage ist das alles nicht mehr so schlimm, aber damals gab es wenige Teenager, die schwanger waren. Und deine Eltern waren ja nicht gerade froh, Großeltern zu werden. Du hast seitdem das Gefühl, dass dich jeder verurteilt. Und dass du dich schämen müsstest, so jung Sex gehabt zu haben. Als ob du leicht zu haben wärst. Das hat sich in dein Unterbewusstsein gebrannt. Und deshalb gehst du in Swingerclubs und auf Sex - Dates: um dir und allen anderen zu beweisen, dass du nichts wert und leicht zu haben bist.«

Lorena sah Gabi empört an.

Die lächelte dünn. »Du willst mir jetzt bestimmt sagen, dass ich total falsch liege und du das machst, weil es unkomplizierter Spaß ohne Konsequenzen ist und überhaupt nichts mit Jacky und deinen Eltern zu tun hat.«

»Das ist es auch! Ich fühle mich im Club sehr wohl!«

»Und wie fühlst du dich, wenn du danach nach Hause kommst?«

Lorena rutschte ärgerlich auf ihrem Stuhl herum. »Befriedigt!«

»Sicherlich. Körperlich. Bestimmt müde und erschöpft, sexuell befriedigt. Aber in dir drinnen? Fühlst du dich nicht einsam?«

»Nun ja ... tun wir das nicht alle hin und wieder?«

»Ja, ab und zu schon. Aber ich möchte wetten, dass du dich immer einsam fühlst. Im Club gibt man dir dann kurzzeitig das Gefühl, dass du nicht allein bist. Aber die wollen nur deinen Körper. Erzähl mir nicht, dass du nicht emotional auf der Strecke bleibst. Wie war‘s denn mit dem Milchbubi? Wie hast du dich danach gefühlt?«

»Ich wollte nur noch schlafen.«

»Ja, natürlich. War ja auch spät! Ich meine, wie du dich gefühlt hast. Bist du mit einem Lächeln auf dem Gesicht eingeschlafen?«

Lorena sah grimmig auf ihre Schuhe und gab keine Antwort. Gabi nickte nur.

»Das habe ich mir gedacht. Leerer Sex mit Fremden gibt dir nichts, Lorena. Du achtest sehr auf deinen Körper. Aber achtest du auch auf dein Herz? Oder hast du das damals, als dir alle klar machten, wie wertlos du in ihren Augen bist, in einen Tresor eingeschlossen und ignorierst es seitdem?

»Bist du Psychologin oder so?«, fauchte Lorena wütend. Gabi lächelte traurig.

»Ein paar Semester habe ich Psychologie studiert, ja. Dann gab ich es dummerweise auf, weil meine Zeit mit Max mir immer kostbarer wurde. Die Doppelbelastung Arbeit und Studium plus Beziehung wurde mir zu viel.«

Lorena lächelte und entspannte sich. Psychologen! Waren alle gleich, mussten in jede Vorliebe gleich die tragische Kindheit mit hineininterpretieren! Wenigstens brauchte sie diesen Quatsch nicht weiter ernst nehmen.

Gabi sah ihr Lächeln und seufzte. »Tu dir selbst einen Gefallen und rede mit diesem Werner über deine Gefühle.«

»Wieso? Er liebt seine Frau, das hat er mir ja selbst gesagt. Und sein Körper hat seine Aussage noch bekräftigt. Wieso sollte ich mich lächerlich machen? Außerdem kenne ich seinen Nachnamen nicht. Soll ich jede Woche dreimal in den Club gehen, nur um ihn vielleicht wiederzusehen?«

»Du denkst, über deine Gefühle mit ihm zu reden, würde dich lächerlich machen?«

»Schon, wenn ich eh keine Chance habe. Er liebt seine Anja!«

»Chance oder nicht, das ist noch nichts Lächerliches! Für ihn wäre es schmeichelhaft. Und viel besser, als wenn er denken würde, dass du nur das Gleiche von ihm willst, was diese Anja von den anderen Typen will. Vielleicht hat er mit ‚ich kann das einfach nicht‘ nur gemeint, dass er nicht Sex ohne Gefühle haben möchte, Gerammel um der Lust willen, nicht um der Person willen. Das ist nämlich nicht jedermanns Sache.«

»Oh ... du denkst, er hat erst mit mir rumgemacht, weil er dachte, ich würde ihn mögen. Und dann wurde er schlaff, weil ihm aufging, dass ich das mit jedem mache ...?«

»Könnte gut sein! Aber das wirst du nur dann herausfinden, wenn du mit ihm redest!«

Lorena sah nachdenklich aufs Meer. Vielleicht hatte Gabi ja recht!

Zumindest mit Werner, dachte sie, das andere war alles Unsinn.

Maja packte ihren Koffer. Nun ja, eigentlich war es natürlich Cecilias Koffer. Sie selbst hatte keinen.

Auch der Inhalt wäre recht spärlich ausgefallen, wenn Cecilia nicht eingesprungen wäre. Im Begleitbrief der Klinik stand nämlich, dass man außer einem Wecker Sportkleidung, einen Badeanzug, einen Bademantel und Badelatschen mitbringen sollte, und nichts davon hatte Maja besessen. Einiges war noch in der alten Wohnung, aber selbst dort hatte sie keinen Badeanzug im Schrank. Sie genierte sich seit Jahren schon zu sehr, um sich im Schwimmbad sehen zu lassen. Jetzt musste sie wohl oder übel ihre versaute Figur in einen Badeanzug zwängen.

Wenigstens ließ ihre Periode langsam nach. Es wurde auch Zeit. Maja fühlte sich öfters müde und schlapp, daher hatte ihr Cecilia ein Eisenpräparat mitgebracht. Der menschliche Körper war eben nicht darauf ausgelegt, über Wochen nonstop Blut zu verlieren.

Cecilia hatte eigentlich keine Zeit, Besorgungen zu machen. Aber nachdem ihre Oma sie wieder mit einer Gardinenpredigt zum Thema »Gartenpflege« beglückt hatte, war Cecilia in ihr Auto gesprungen und entflohen. Erst nach einer Stunde war sie wieder aufgetaucht, mit den Eisentabletten und Tüten voller Salat, Tomaten, Pinienkernen und magerem Joghurt. Das alles hatte sie in der Küche ihrer Oma zwar nicht vor die Füße, aber immerhin vor ihr auf den Tisch geworfen und »wir essen heute Salat« geknurrt. Nun schnippelte die Oma schimpfend die Tomaten klein und versuchte mit Kräutern, Joghurt und Olivenöl ein schmackhaftes Dressing hinzubekommen. Ihrem Geschimpfe nach zu urteilen, gelang ihr das eher schlecht als recht.

Der Vormittag war ein Alptraum gewesen. Maja war mit der Oma zusammen in Cecilias Kleinwagen zum Einkaufen gefahren. Am Supermarkt brachte sie Heidi einen Einkaufswagen, den diese auch problemlos schieben konnte. Soweit, so gut. Aber da die Oma nun den Einkaufswagen hatte, bestimmte sie auch, in welche Gänge sie abbog. Während Maja in den Salatgurken wühlte und schließlich mit einem Armvoll Biogemüse verzweifelt Ausschau nach der Oma hielt, entdeckte sie die schließlich vor dem Fleischregal, wo sie ein Pfund Mett und ein großes Stück Kasselernacken bestellt hatte. Die Verkäuferin tackerte gerade die Tüten zu, als Maja angekeucht kam.

»Was machst du denn da? Cecilia hat doch gesagt ...«

»Ich kaufe was Richtiges und fertig.« Die Oma versenkte die Beutel im Einkaufswagen.

»Ja, aber Cecilia will doch nicht ...«

»Cecilia will so dünn wie möglich sein, so wie diese Models heutzutage. Und das, um diesem Florian zu gefallen. Aber Männer wollen was im Arm haben! Ich kann doch nicht zusehen, wie meine Enkelin sich zu Tode hungert!«

»Aber ...«

»Nix da.« Die Oma rollerte davon. Maja blinzelte verwirrt und eilte hinterher. Sie schaffte es gerade so, zwei Schlangengurken in den Wagen zu werfen, bevor sie endgültig den Anschluss verlor. Wenn die Oma wollte, konnte sie recht schnell laufen. Schon bog sie um die Ecke und verschwand hinter den Konserven.

So war der Einkauf sehr anstrengend gewesen. Maja schleppte alles, was Cecilia auf ihren Einkaufszettel geschrieben hatte, quer durch den Laden, um die Oma zu erwischen und das Zeug so schnell wie möglich in den Wagen zu schmeißen, bevor die Oma ihr über den Fuß fuhr. Trotz aller Vorsicht passierte das zweimal, und nun hinkte Maja, was der Oma noch mehr Vorsprung verschaffte.

Maja hatte zum Glück das Geld, sonst wäre Oma Heidi wohl völlig ohne Gemüse, Obst, Mineralwasser und Traubenzucker aus dem Supermarkt gerollert. Trotzdem fehlte vieles an Salat und anderem Gesundem, was Cecilia ausdrücklich angefordert hatte. Maja war ziemlich erledigt und fuhr mit weit geöffnetem Fenster vom Parkplatz.

Ein Fußgänger latschte quer über den Parkplatz und Maja kam nicht vorbei. Natürlich musste Oma Heidi laut »fahr ihm den Schwanz ab«, rufen, und das mit offenem Fenster. Der Blick, den der ohnehin recht finstere Typ ihnen zuwarf, sprach Bände.

»Nie mehr fahre ich mit deiner Oma einkaufen«, beschwerte sie sich später leise bei Cecilia, die sie bei einer Klopause erwischt hatte.

Cecilia hörte sich ungeduldig an, was Maja alles durchgemacht hatte, dann nickte sie.

»In Ordnung, in Zukunft fährst du alleine.«

»Okay. Hier ist das Wechselgeld.«

»Nein, behalte das ruhig. In der Kur brauchst du auch etwas Geld.«

Beschämt hatte Maja das Geld, immerhin dreißig Euro, in ihre Tasche gesteckt. Dort brannte es wie Feuer und wog tausend Pfund.

Nun legte sie ihre Unterwäsche in den Koffer und zwängte die Kosmetiktasche hinein. Auch einen Föhn hatte Cecilia ihr kaufen müssen, Maja konnte ja nicht den Einzigen im Haus mitnehmen. So summierte sich das langsam ganz schön. Maja bezweifelte, dass sie ihrer Freundin alles zurückzahlen konnte. Dass die das so lange mitgemacht hatte ... immerhin war Maja ja nicht Cecilias beste Freundin, das war eher Lorena!

Majas Kleidung lag seit Wochen in einer Plastikkiste hinten im Kino, anders als die Oma hatte sie keinen eigenen Raum für sich. Und wer wusste schon, mit wem sie in der Kur zusammen in einem Zimmer hocken musste ...? Wieder kamen ihr die Tränen. In eine Klinik, wo man sie dann in eine Arbeitstherapie steckte, so wie früher Oliver, wollte sie nicht. Nun musste sie die vier Wochen irgendwie durchhalten.

Langsame Schritte dröhnten auf der Treppe. Nur selten schleppte sich die Oma die Stufen hoch, also musste sie einen guten Grund haben. Einen sehr guten sogar, denn sie wagte es, ohne anzuklopfen in Cecilias Heiligtum einzudringen!

Maja öffnete die Kinotür einen Spaltbreit und linste um die Ecke.

»Oma«, erklang es wütend aus Cecilias Arbeitszimmer, »ich habe doch gesagt ...«

»Die Fenster müssen jeputzt werden!«

»Hä?!«

»Ja! Das macht man noch vorm Winter! Die sind pottdreckig! Da kann man ja kaum noch durchgucken! Und so willst du am Wochenende einen Mann hier reinlassen?«

»Florian ist kein solcher Pedant!«

»Pedant? Wenn ein Mann sagt, ihm wäre das egal, dann lügt er! Nach den hausfraulichen Qualitäten gucken die immer als Erstes!«

»Aber nicht mehr heutzutage! Und jetzt verschwinde, ich habe noch zu tun!«

Grummelnd zog die Oma von dannen und Maja setzte sich in einen der weichen Kinosessel. Zwar war es recht dunkel hier drinnen, aber wenigstens konnte man so eine Weile alleine sein. Der Oma und ihrem Putzfimmel wollte sie jetzt nicht über den Weg laufen. Auch im Wohnzimmer hatte Maja keine Ruhe mehr. Wenn sie dort den Fernseher anmachte, kam Oma Heidi irgendwann dazu und wollte ihre Sendungen sehen, die Maja aber nun wirklich nicht mochte. Diese heile Welt, in der immer alle anständig waren und wo sich in einer idyllischen, bayerischen Bergwelt Männer ohne Fehl und Tadel in zuckersüße Frauen im Dirndl verliebten, fand Maja grausam. Außerdem stand die Oma natürlich auch noch auf Volksmusik und Kochsendungen. Nein, leicht hatte man es wirklich nicht. Und jetzt hing noch die verdammte Kur wie ein Damoklesschwert über ihr ... Nicht mehr lange, und es ging los. Majas Herz machte einen unglücklichen Hopser.

Sie wünschte sich, hierbleiben zu können. Oma oder nicht.

Kurschatten und Gänseblümchen

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