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Das Richtige

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„Beeil dich, Ceci, wir hätten schon vor zwanzig Minuten losfahren sollen!“, rief Lorena und sah wieder vorwurfsvoll auf die Uhr, was aber keinerlei Effekt auf die völlig abgehetzte Cecilia hatte, da die schon seit Längerem stöhnend auf der Toilette hockte.

„Ich komme ja gleich“, erklang matt ihre Stimme durch die geschlossene Tür.

„Was hat sie denn nur“, fragte Maja besorgt.

„Entsetzlichen Durchfall hat sie“, erwiderte Lorena sachlich, aber nicht sachlich genug. Maja fuhr erschrocken zurück, als ein dumpfer Knall kundtat, dass Cecilia ihre Haarbürste gegen die Tür geworfen hatte. Lorena kicherte boshaft.

„Steh dazu, das passiert bestimmt jeder Braut. Andere kriegen kalte Füße, du kriegst eben

` nen heißen Arsch. Mach dir nichts draus, außer uns weiß es ja niemand. Aber wenn du dich weiter so aufführst, setze ich es noch nachträglich in die Hochzeitszeitung.“

„Wage es nur! Dann reiße ich das Mikro an mich und rappe spontan über dich und deine Liebschaften!“ Das Rattern der Klorolle in der Halterung nahm dem Vortrag viel von seiner Wirkung.

„Mach ruhig! Niemanden wir das schockieren. Wir leben ja nicht mehr im Mittelalter. Jetzt sieh endlich zu, dass du deinen Darm unter Kontrolle bekommst, wir müssen los! Flori wird noch denken, dass du ihn doch nicht willst. Und dann nehme ich ihn mir mal so richtig vor. Danach ist er nie mehr derselbe.“

Maja, die noch einmal ihre komplizierte Hochsteckfrisur vor Cecilias Flurspiegel kontrollierte, brach in Gelächter aus. Das Telefon schrillte durch das Haus. „Ich gehe schon“, rief Maja und stöckelte die Treppe hinunter, weil das Telefon mal wieder im Wohnzimmer herumlag. Bald darauf kam sie an den Fuß der Treppe und erklärte: „Florian ist dran. Er ist in Panik und verlangt zu wissen, warum noch niemand von uns da ist. Cecilia scheint er dabei am meisten zu vermissen. Wenn wir nicht bald losfahren, wird aus der Hochzeit wohl nichts mehr.“ Lorena nickte zu ihr herunter und klopfte noch einmal an die Badezimmertür.

„Ja, ja, JA! Ich bin ja schon fertig! Fahrt schon mal den Wagen aus der Einfahrt und stellt ihn vors Haus!“, schrie Cecilia entnervt. Gleich darauf erklang die Klospülung. Dann noch einmal. Bald darauf öffnete sich die Badezimmertür, und Cecilia stürmte auf Lorena zu, die schon seit geraumer Zeit den Schleier hielt.

Lorena verkniff sich noch eine Stichelei und sah Cecilia wehmütig an. Noch nie hatte sie eine hübschere Braut gesehen. Cecilia hatte das weite Tüllkleid mit beiden Händen gerafft und sah erhitzt und gestresst aus. Trotzdem glich sie einer Prinzessin aus einem Märchen, die gleich ihren Prinzen heiratete. Ihr Kleid zeugte von einem guten, aber auch romantischen Geschmack. Das Mieder war eng und presste den Busen nach oben und stauchte die Taille zusammen. Die Ärmel waren aus weißer Spitze. Schultern und Dekolletee blieben unbedeckt und gaben den Blick auf ihre perfekte, milchige Haut frei.

Das Haar hatte eine Friseuse kunstvoll auf dem Kopf festgesteckt. Es wartete nur noch auf den Schleier.

„Oh, Ceci…“, seufzte Lorena und warf sich der völlig genervten Freundin an den Hals, „du siehst so schön aus!“

Cecilia lächelte dünn. „Ja, schon gut. Danke. Lass uns jetzt losfahren, sonst müssen wir wohl in Dänemark heiraten.“

„Das tun doch viele. Was hättest du dagegen? Sabine und Anders würden dir da sicher helfen“, schnaufte Maja, die mit dem Telefon in der Hand die Treppen heraufkam.

„Ich hätte dagegen, dass ich schon ein Vermögen für die Feier ausgegeben habe. Wenn sich schon seine und meine Familie, nebst Freunden und anderen Parasiten ...“, Lorena schubste sie ein Stück auf die Treppe zu. „Aua! Ist doch wahr … also, wenn die sich schon auf meine Kosten durchfressen, dann aber nicht ohne Grund. Also müssen wir vorher noch heiraten.“ Cecilia legte eine Hand auf den Knauf des Treppengeländers, die andere presste sie plötzlich auf ihren Magen. „Oh! Mein Bauch! Ich muss schon wieder!“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und stürzte an Lorena vorbei zurück ins Bad.

„Oh nein!“, jaulte Maja. Lorena presste die Lippen zusammen, rannte die Treppen herunter, und die irritierte Maja hörte bald darauf einen Motor anspringen und einen Wagen wegfahren.

„Cecilia? Beeil dich lieber. Ich glaube, Lorena ist losgefahren, um sich den Bräutigam zu schnappen, weil er wie bestellt und nicht abgeholt vor dem Standesamt steht.“

„Das soll sie nur wagen“, keuchte Cecilia dumpf hinter der geschlossenen Tür, „dann zwinge ich sie beim nächsten Durchfall, hier mit mir auszuharren. Das überlebt niemand.“ Maja verzog das Gesicht.

„Ich gehe mal eben runter, okay?“, rief sie angewidert und wartete die Antwort gar nicht erst ab. Unten setzte sie sich in das kleinere Wohnzimmer und wartete. Bald darauf kam Lorena zurück, hielt mit quietschenden Reifen vor dem Haus, sprang aus dem Auto und rannte auf das Haus zu. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Plastiktüte mit dem vertrauten roten Apothekensymbol. Maja atmete erleichtert auf. Lorena fegte zur Tür herein und jagte die Treppe hoch. Oben angekommen klopfte sie ungeduldig an die Tür.

„Ceci? Ich habe eine Packung Durchfalltabletten gekauft. Du nimmst jetzt sofort zwei Stück mit reichlich Wasser ein, ist das klar?“

„Zwei Stück? Ist das nicht ein bisschen viel?“, klagte Cecilia.

„Dann kannst du eben erst in Dänemark wieder kacken, wen interessiert das? Was ist dir wichtiger, eine Verdauung wie ein Uhrwerk oder die Liebe deines Lebens?“

„Darüber müsste ich erst mal nachdenken“, kicherte Cecilia. Lorena verlor die Geduld. „Maja!“, brüllte sie, „hol mal ein Glas Wasser, bitte! Unsere Braut braucht ein bisschen Hilfe.“

Maja kam kurz darauf mit einem Glas Wasser die Treppe herauf.

„Und wer geht jetzt da rein und gibt ihr das?“, flüsterte sie ängstlich. Aber Cecilia hatte sie trotzdem gehört.

„Das Fenster ist doch auf! Jetzt gebt mir schon das Glas!“

„Wir könnten ja Strohhalme ziehen“, schlug Maja vor.

Lorenas Gesicht nahm den Ausdruck eines Generals kurz vor der entscheidenden Schlacht an. „Ich gehe rein“, sagte sie zu allem entschlossen und griff nach dem Glas. Sie straffte die Schultern und öffnete die Tür. Maja schlug sie schnell hinter ihr zu.

Nach nicht mal fünf Sekunden kam Lorena wieder raus, etwas grünlich um die Nasenspitze.„Was hat die bloß gegessen?“, flüstert sie Maja zu, „das gehört eigentlich auf die Sondermülldeponie. Die armen Ratten in der Kanalisation!“ Wieder krachte irgendetwas an die Tür.

„Ist doch wahr!“, rief Lorena. „Los jetzt, auf der Sparrenburg gibt es auch Toiletten. Dann findet die Zeremonie eben dort statt, und der Beamte und Florian müssen mit rein. Dann wird sich zeigen, ob ‚in guten wie in schlechten Zeiten’ auch wirklich sein Ernst ist.“

Wieder rauschte die Klospülung, und wenig später stieß Cecilia zu ihnen. Sie trank noch ein halbes Glas Wasser und stieg mit den beiden zusammen vorsichtig die Treppe herunter. Lorena atmete erleichtert auf, als sie den Motor startete und losfuhr. Hoffentlich musste sich Cecilia nicht unterwegs ins Gebüsch flüchten. Sie warf einen kurzen Seitenblick auf Cecilias Gesicht. Angespannt sah es aus. Nicht gerade wie eine glückliche, errötende Braut. Eher bleich und übernächtigt. Dabei hatte der Zickenzirkel nur bis ein Uhr nachts den Abschied vom Singledasein gefeiert. Anscheinend hatte Cecilia nur wenig Schlaf gefunden. Also war sie sich trotz allem doch nicht so sicher. Ihre nächste Frage bestätigte Lorenas Verdacht: „Ich tue doch das Richtige … oder?“ Sie warf Lorena einen ängstlichen Blick zu und drehte den Kopf kurz zu Maja herum, die hinten saß und daraufhin düster in den Rückspiegel sah, wo sich ihre und Lorenas Augen trafen. Das fing nicht gut an.

Beide hegten den Verdacht, dass Cecilia mit dieser Hochzeit einen ganz anderen Plan verfolgte, und das konnte einfach nicht gut gehen. Dabei war Florian der liebste und netteste Mann, den man sich vorstellen konnte. Selbst Lorena fand das. Und nun ... Dabei hatte alles so schön begonnen. Jedenfalls für Cecilia, der das Glück nicht mehr von der Seite wich.

Hungerkur und Gänseblümchen

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