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Cecilia: Hemmungen

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Cecilia keuchte, als sie in die Küche stürmte und das schrillende Telefon zum Glück zwar nicht in, jedoch auf der Mikrowelle entdeckte.

„Hallo?“

„Na, wo lag es denn dieses Mal?“

„Ach, hi Lorena. In der Küche. Das Haus ist einfach zu groß. Aber eigentlich war ich schon zur Hintertür raus und wollte losfahren.“

„Zu uns? Das kannst du dir sparen. Deswegen rufe ich an. Die Party ist abgeblasen.“

„Wieso? Hat Jacqueline sich wieder unmöglich benommen?“

„Das kann man wohl laut sagen!“ Lorena erzählte und Cecilia setzte sich erschüttert im Wohnzimmer in ihren Lieblingssessel.

„Das kann ja nicht wahr sein! Wo hat sie denn Rüdiger aufgespürt?“

„Bestimmt war es umgekehrt. Der will irgendwas. Jacqueline ist doch auf Viareddel und diesen ganzen anderen Seiten, komplett mit Namen und allem. Ich habe ihr schon vor langer Zeit gesagt, dass sie das lassen soll, aber sie hört ja nicht auf mich.“

„Ja, und jetzt hast du den Salat.“

„Ja. Ich sitze hier im Schlafzimmer an meinem Laptop und sehe auf ihr Profil. Aber das kann man nur vollständig einsehen, wenn man auf ihrer Freundesliste steht, und das tue ich nicht. Mama ist ihr ja zu peinlich. Deswegen kann ich nicht sehen, ob Rüdiger auf ihrer Liste drauf ist.“

„Hast du Rüdiger mal gegoogelt?“

„Na sicher, sofort als ich seinen richtigen Namen in Erfahrung gebracht hatte. Viel bekommt man nicht heraus. Aber damals hat er mich nicht so ganz belogen. Er hat eine Firma und sie stellt auch Hautpflegeprodukte her. Aber nicht hier in Bielefeld. Eine offensichtliche Verbindung zu Jacqueline gibt es nicht, aber sicher hat er wieder einen falschen Namen verwendet.“

„Ja. Würde mich nicht wundern.“ Cecilia zog die Füße auf den Sessel und sah nachdenklich aus dem Fenster.

„Jedenfalls habe ich meinen Eltern auch endlich mal die Meinung gesagt“, fuhr Lorena fort. Aber Cecilia hörte die verborgene Traurigkeit in ihrer Stimme.

„Deine Eltern haben dir gegenüber sehr schlecht gehandelt. Damals schon und jetzt noch mehr als früher“, sagte Cecilia sanft. „Es war richtig, dass du ihnen mal alles an den Kopf geworfen hast.“

„Ja schon, aber außer ihnen habe ich doch keinen mehr. Jacqueline wird sich sofort von mir abwenden, wenn sie volljährig ist, und andere Verwandtschaft gibt es nicht. Nur unten in Bayern eine Tante, glaube ich. Die dürfte aber auch schon an die achtzig sein. Ohne Verwandte ist man doch komplett allein!“

„Und mit Verwandten wie deinen Eltern ist man auch allein. Und noch dazu unglücklich. Also, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Seit ich mit meinen Büchern Erfolg habe, habe ich auf einmal auch wieder eine Menge Verwandte. Und jeder hat irgendein Problem. Meistens finanzieller Natur.“

„Echt? So schlimm?“, fragte Lorena erschüttert.

„Im letzten Monat haben mich zwei Cousinen und ein sehr entfernter Cousin angeschrieben und erst einmal harmlos über sich erzählt und warum sie seit so vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu mir hatten. Dann kommen Infos über ihr Leben generell, und dass das Auto kaputt ist ... das Dach leckt ... die Finanzierung vom Einfamilienhaus nicht mehr hinhaut ... jemand ganz schlimm krank ist ... Job verloren ...“

„Das ist ja mies!“

„Ja. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die eine Cousine, Bärbel, meine Mutter damals um sechstausend Euro beschissen hat. Als ich dann auf ihre E-Mail geantwortet habe, habe ich mal nachgefragt deswegen. Seitdem herrscht Funkstille. Und das Auto, was sie damals vom Geld meiner Mutter gekauft hat, ist inzwischen einem Cabrio gewichen. So schlecht kann es denen nicht gehen!“

„Woher weißt du denn das?“

„Weil die so doof waren, Bilder vom neuen Auto bei Viareddel hochzuladen“, lachte Cecilia, und Lorena stimmte mit ein.

„Familie ist zwar wichtig, Lorena ... aber so eine? Nein, danke. Du hast doch Freunde! Maja und mich auf jeden Fall!“

„Dich, ja das weiß ich. Bei Maja bin ich mir manchmal nicht so sicher ...“

„Sie hat eben Probleme.“

„Sicher. Aber sie sitzt nur da und wartet, dass sich ihre Probleme von selbst lösen. Wenn sie nichts tut, tut sich auch nichts. Manchmal sieht sie mich so an ... als ob sie mich hassen würde. Das würde ich nicht als Freundschaft bezeichnen.“

„Sie ist neidisch, Lorena. Du siehst gut aus, hast so viel Sex, wie du nur willst, bist beruflich erfolgreich ...“

„Ach, das täuscht. Ich war schon seit vier Monaten nicht mehr im Ganymed.“

„Was? Solange? Wie kommt’s? Dass du nicht mehr kommst?“, rief Cecilia erschüttert. Lorena lachte.

„Weiß nicht. An den Wochenenden bin ich meistens froh, dass ich meine Ruhe habe.“

„Das klingt aber gar nicht nach dir!“

„Stimmt. Müsste ich mal wieder hin, was?“

„Ja.“

„Soll ich dich mitnehmen?“

„Bist du verrückt?“ Cecilia saß stocksteif in ihrem Sessel. „Das könnte ich nie! Vor so vielen Leuten mit irgendeinem Unbekannten ...“

„Ach, die Hemmungen verlierst du ganz schnell.“

„Nee, lass mal. Außerdem hat Florian sich gemeldet und ich denke, dass sich da etwas entwickelt.“

„Ja? Das ist doch toll!“

„Er war hier und hat sich entschuldigt ...“

„Wow! Wo er doch recht lange zu fahren hat von Hamburg aus!“

„Ja, das hat mich auch beeindruckt. Aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich ihn haben will. Dieses Versetzen im Restaurant ... das erinnert mich stark an Hagen.“

„Das mag ja sein, aber Hagen hast du immer und immer wieder verziehen. Wenn du einem Arsch wie Hagen das jahrelang nachsehen kannst, dann musst du das Florian auch verzeihen, wenigstens einmal. Das wäre sonst unfair.“

Erstaunt riss Cecilia die Augen auf.

„Hätte ich nie gedacht, dass du das so sehen würdest! Sagst du nicht immer, was ein Mann einmal macht, das macht er immer wieder?“

„Ich denke einfach, dass Florian Angst hatte und das jetzt bereut. Der macht das sicher nicht wieder. Hagen warst du einfach egal, Florian hat doch durch sein Kommen schon bewiesen, dass er dich sehr mag und bereut, was er gemacht hat. Ich würde ihm eine zweite Chance geben an deiner Stelle.“

„Hm.“

„Nix hm. Komm doch mit ins Ganymed, niemand wird dich zu irgendetwas zwingen!“

„Nee, lass mal. Wenn ich jemanden mag, dann bin ich auch treu.“

„Du bist doch gar nicht mit Florian zusammen! Noch nicht!“

„Aber es entwickelt sich wahrscheinlich in diese Richtung. Dann möchte ich das einfach nicht.“

„Schon gut“, seufzte Lorena, „du kannst eben nur mit einem schlafen, in den du verliebt bist.“

„Nein, das ist Quatsch!“ Cecilia wusste selbst nicht, warum sie dieser Satz so wütend machte. Es klang allerdings etwas herablassend, was Lorena da sagte. So, als wäre sie eine hoffnungslose Romantikerin, aber das konnte sie nach der Zeit mit Hagen nie mehr sein.

„Das klingt so, als würdest du mich für naiv halten“, erklärte sie kühl. Lorena schnaubte.

„Quatsch. Ich sehe nur, wo Liebesbeziehungen hinführen und denke, dass ich da einerseits besser dran bin. Ohne so etwas.“

„Und andererseits?“

„Ist niemand da, wenn man mal eine Schulter zum Anlehnen braucht. Oder etwas Handwerkliches zu tun ist. Ich habe zwar gelernt, den Ölstand bei meinem Wagen zu kontrollieren und Neues nachzufüllen, wenn zu wenig drauf ist, aber ansonsten hab ich von nichts eine Ahnung. Immer muss ich für die kleinste Kleinigkeit in die Werkstatt. Das nervt und kostet Geld.“

„Du meinst also, Männer sind nur für Handwerkerdienste und zum Müllraustragen da?“

„Naja ...“

„Lorena, du hast ziemlich merkwürdige Ansichten manchmal.“

„Nur vom Standpunkt der Allgemeinheit aus gesehen. Männer, die leben wie ich, werden bewundert. Das sind Playboys, die mit den Mädchen rumspielen und sie dann wegwerfen. Wenn ich mit Typen rummachen würde, die jung genug sind, meine Söhne zu sein und sie dann entsorge, was würde man dann über mich sagen?“

„Das mag stimmen“, gab Cecilia zu, „ da gibt es noch einiges zu tun, was die Gleichberechtigung angeht. Aber zurück zum Thema: Es gibt auch Beziehungen, die funktionieren und sehr glücklich sind.“

„Eine Zeitlang vielleicht. Aber den Männern ist es biologisch nun einmal in die Wiege gelegt worden, irgendwann keinen Bock mehr auf ihre Alte zu haben und sich nach etwas anderem umzusehen. Das ist ja nicht einmal ihre Schuld. Beziehungen, die funktionieren, sind entweder offene, wo beide nach Herzenslust rumpoppen, oder wie die meiner Eltern. Das sieht zwar nach außen hin ganz harmonisch aus, aber meine Mutter gehört noch zu dem Schlag Frauen, die es hinnehmen, wenn ihre Männer nach ein paar Jahren streunen gehen.“

„Echt? War da mal was?“

„Genau weiß ich das nicht. Meine Mutter gehört auch noch zu dem alten Schlag, der darüber kein Wort verliert. Aber eine Zeitlang herrschte zwischen den beiden ziemliche Funkstille und meine Mutter war traurig und verschlossen. Mein Vater kam damals abends immer sehr spät nach Hause und war öfters am Wochenende auf ‚Geschäftsreise‘. Das ist aber nach ungefähr einem halben Jahr nicht mehr vorgekommen, dass er auf Geschäftsreise musste.“

„Unglaublich. Du denkst, dein Vater hatte in der Zeit eine andere?“

„Oder er war Dauergast im Puff oder so. Ich weiß es nicht.“

„Heftig!“

„Du siehst, so langfristige Beziehungen sind oftmals nur Fassade.“

„Aber das kann doch nicht in jeder Beziehung so sein!“, rief Cecilia.

„Nicht? Sieh dir doch an, wie viele Ehen heutzutage zerbrechen. Nach längstens zehn Jahren ist meistens Schluss.“

„Du meinst also einerseits, ich soll Florian noch eine Chance geben, aber du gibst uns im Grunde keine? Sehe ich das richtig?“

„Schon, irgendwie. Ich drücke euch natürlich die Daumen, aber ich bin Realist.“

„Du bist verbittert, Lorena. Das ist alles. Verbittert. Und du hast Angst, dass Jacqueline bald auszieht und du dann niemanden mehr hast. Und das verbittert dich nur noch mehr.“

„Das mag sein. Will ich gar nicht abstreiten. Aber mal im Ernst, Cecilia: Meinst du nicht, es wäre dir in den Jahren, die du damit verschwendet hast, Hagen zu lieben, mit meinem Lebensstil besser ergangen?“

„Immer mit Fremden rumzubumsen, wäre mir nie gut bekommen. Das kann ich einfach nicht.“

„Nehmen wir mal an, du wärst nur mit einem in die Kiste gestiegen. Einem guten Freund, mit dem dich nur Sex verbindet. Keine Fremden.“

„Nun ja ... in dem Fall wahrscheinlich ja“, gab Cecilia zu. „Aber das Herz wäre dabei auf der Strecke geblieben.“

„Aber das ist es bei dieser Scheiße mit Hagen doch auch!“

„Ja. Kann ich nicht leugnen.“

Lorena seufzte wieder. „Ich denke, unsere Lebensstile sind zwar verschieden, aber haben Vor- und Nachteile, wie alles seine Vor- und Nachteile hat. Ich muss mich nie mit Liebeskummer herumschlagen, bin aber immer allein. Manchmal sogar einsam. Du und andere, die Liebesbeziehungen bevorzugen, laufen immer Gefahr, zutiefst verletzt zu werden. Haben aber am Anfang Schmetterlinge im Bauch und viel guten Sex.“

„Und einen guten Freund und jemanden, der immer für einen da ist und jede Menge Zärtlichkeit, gemeinsame Erlebnisse. Jemanden, der neben einem einschläft und aufwacht“, ergänzte Cecilia. Lorena brummte nur.

„Ich muss jetzt weiter die Küche aufräumen und mal sehen, ob ich mit Jacky reden kann. Die hockt oben in ihrem Zimmer und schmollt.“

„Ja. Dann bis bald.“ Cecilia legte auf und stieß die Luft aus den Lungen. Lorena wollte vom Thema Liebe eindeutig überhaupt nichts mehr wissen. Selbst wenn sie die Vorteile einer Liebesbeziehung aufzählte, kam dabei nur guter Sex heraus. Dass es da noch mehr gab, war ihr wohl entfallen.

Hungerkur und Gänseblümchen

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