Читать книгу Für immer und ein Vierteljahr - Sonja Roos - Страница 12

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Kapitel 8

Das Abendessen war in ungemütlichem Schweigen verlaufen. Jana strafte ihn mit Missachtung, während Juli vor sich hinbrütete. Marc hatte das Gefühl, während der ganzen Angelegenheit kaum mehr atmen zu können. Fast erleichtert legte er irgendwann sein Besteck neben dem nun leeren Teller ab und rückte den Stuhl vom Tisch weg. Das Geräusch schien unnatürlich laut in dem ansonsten stillen Raum.

»Ich fahr dann mal ins Büro«, sagte er und strebte eilig der Tür entgegen. Draußen holte er mehrfach tief Luft, wie ein Ertrinkender, der es gerade noch an Land geschafft hat. Woran lag es nur, dass Jana diese Wirkung auf ihn hatte? Er fühlte sich in ihrer Gegenwart stets wie ein Versager. Der heutige Tag war wieder der beste Beweis dafür. Vielleicht brauchte er jetzt tatsächlich ein kleines bisschen Lydia. Lydia, die ihn nie hinterfragte und die ihn so nahm, wie er war. Ja, beschloss er, ein bisschen Lydia würde ihm jetzt guttun. Er schüttelte sich kurz, wie ein Hund, der Eiswasser aus seinem Fell schüttelt. Dann lief er entschlossen zu seinem Wagen.

Jana starrte ihm finster hinterher, als Marc mit federnden Schritten zu seinem Porsche ging. Was hatte sie denn erwartet?, fragte sie sich, während seine Rücklichter vom Hof verschwanden. Eigentlich kannte sie ihren Mann gar nicht mehr. Früher hatte er zu seinem Wort gestanden, aber was wusste sie schon von diesem Fremden, den sie in ihr Haus, in ihr Leben gelassen hatte? Kopfschüttelnd wandte sie sich vom Fenster ab. Es war doch so schon schwer genug, diese Scharade zu spielen. Und Juli war nicht blöd. Er würde es merken, wenn Marc weiterhin zu der anderen ging. Ihr ohnehin löchriger Plan hatte damit die Tragkraft eines Häkeldeckchens. Was sie in diesem Moment kaum vor sich selbst eingestehen konnte, war das nagende Gefühl der Eifersucht, das sich durch ihr Inneres fraß wie Gift. Du hast kein Recht, so zu empfinden, befahl sie sich, doch wem wollte sie hier etwas vormachen? Natürlich waren da Gefühle für Marc. Widersprüchliche, dunkle Gefühle, aber auch andere. Genährt aus der Erinnerung guter Tage und befeuert durch das Abendessen gestern, bei dem sie unerwartet eine alte Vertrautheit gespürt hatte. Jana merkte, wie sie auf sich selbst zornig wurde. Gut so. Innerlich nahm sie Anlauf und sprang mit aller Macht auf das zarte Pflänzchen, das eine irrige Hoffnung in ihr hatte aufkeimen lassen. Es sollte hier um Juli gehen. Nur um ihn. Sie musste das beenden, bevor sie sich noch tiefer darin verstrickte.

Marc hatte seinen Porsche viel zu schnell über den Asphalt gejagt, nun stand er mit seinem Wagen vor Lydias Tür und überlegte, was er tun sollte. Sein Blick wanderte zu ihrem Fenster. Dort brannte Licht, er konnte ihre schmale Silhouette hinter den Vorhängen ausmachen. Sie lief auf und ab, einen Arm am Ohr. Vermutlich telefonierte sie mit ihrer Freundin oder ihrer Schwester. Marc seufzte. Er sah auf seine Uhr. Wenn er jetzt zu ihr ging, dann würde er für Stunden fort sein, das war ihm klar. Er rieb sich die Augen und griff dann entschlossen zu seinem Handy. »Es tut mir leid, aber ich kann nicht. Ich werde meinen Teil der Abmachung einhalten, denn dann wird sie das auch tun müssen. Ich vermisse dich und kann es kaum erwarten, dass die drei Monate vorübergehen. Marc.« Er schickte die Nachricht ab und konnte beobachten, wie sie stehen blieb und ihr Handy hervorholte.

»Warte mal, mein Handy hat sich gemeldet«, sagte Lydia und klemmte sich den Telefonhörer mit ihrer Schwester zwischen Ohr und Schulter, um auf ihrem Handy den Code eingeben zu können. Sie schnaubte wütend, während sie Britta die Nachricht vorlas. »Was sagst du dazu?«, fragte sie giftig, wobei sie erneut unruhig im Zimmer auf und ab ging.

»Den kannst du abschreiben, Süße. Die Alte sitzt am längeren Hebel.« Wie immer war ihre Schwester wenig hilfreich. Lydia ließ sich aufs Bett fallen und vergrub ihr Gesicht kurz in seinem alten T-Shirt, das sie ihm aus dem Rucksack geklaut hatte, kurz bevor er die Wohnung vor zwei Tagen verlassen hatte. »Ich liebe ihn«, sagte sie jetzt und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme schrill und vorwurfsvoll klang wie bei einem kleinen Mädchen, das doch kein Eis mehr zum Nachtisch bekam. »Was soll ich bloß machen?«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihrer Schwester, die sich trotzdem bemüht fühlte zu antworten.

»Was ist denn mit Marios Cousin, du weißt schon, der mit dem Tattoo am Oberarm, Harry. Der ist noch solo«, bot Britta hilfreich an. Lydia sprang wütend vom Bett und schleuderte Marcs T-Shirt in eine Ecke.

»Ich bin aber nicht solo. Herrgott, ich bin verlobt!«

Britta schwieg einen Moment. »Dann solltest du das deinem Zukünftigen vielleicht nochmal sagen«, erwiderte sie schnippisch, bevor sie einhängte. Lydia begann wieder, auf und ab zu laufen. Dann bückte sie sich, hob sein T-Shirt auf und warf sich damit zurück aufs Bett. »Ja, vielleicht sollte ich das«, sagte sie, während sie ihre Nase in seinem Geruch vergrub.

Marc hatte sie noch eine Zeit lang beobachtet. Sie war kurz stehen geblieben, dann wieder auf- und abgegangen, schneller diesmal und hektisch gestikulierend. Danach war ihre Silhouette aus dem Fenster verschwunden. Marc vermutete, dass sie seine Nachricht gar nicht gut aufgenommen hatte. Trotzdem fühlte er sich besser, als er nun den Wagen anließ und tatsächlich ins Büro fuhr. Dort holte er sich mehrere Akten und vergrub sich für eine gute Stunde in der Arbeit, bevor er wieder nach Hause fuhr. Das Anwesen lag in völliger Dunkelheit. Marc schloss lautlos die Haustür auf und wollte sich schon die Treppe hochschleichen, als er eine Bewegung im Wohnzimmer wahrnahm. Er drehte sich in dem Moment um, als sie das Licht einschaltete. Geblendet kniff er die Augen zusammen und fühlte sich dummerweise gleich wie ein Schuljunge, der beim Blaumachen ertappt wurde. Sie stand reglos im Raum, die Hand immer noch am Lichtschalter, alles an ihr steif und unnahbar. Das sah nach Ärger aus.

»Ich möchte einen Augenblick mit dir sprechen.« Selbst in ihren Ohren hatte ihre Stimme schneidend geklungen. Jana schluckte und versuchte, ihre Emotionen in den Griff zu bekommen. Sie wollte das hier wie eine Erwachsene beenden. Sie setzte ein Lächeln auf, das ihre Augen jedoch nicht erreichte, bevor sie vor ihm her ins Wohnzimmer ging. Jana konnte hören, wie er leise seufzte, vernahm dann aber seine Schritte, die vor der Schwelle Halt machten. Als sie sich auf das Sofa am Fenster setzte, konnte sie sehen, dass er lässig im Türrahmen lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt. Weil sie saß und er stand, musste sie sich fast den Hals verrenken, um zu ihm aufzusehen. Sie versuchte, sich ihre Wut nicht anmerken zu lassen. Er sollte nicht sehen, dass sein Verhalten sie verletzt hatte. Lieber ließ sie ihn in dem Glauben, sie sei die unnahbare Eiskönigin. Jana holte kurz Luft und versuchte, neutral zu klingen. »Es hat keinen Sinn, wir können die Sache hier und jetzt beenden«, brach es dann jedoch allzu zornig aus ihr heraus. Schnell drückte sie ihren Rücken wieder durch, eine blöde Angewohnheit, die ihr jedoch half, sich zu sammeln. Als sie ihn wieder ansah, konnte sie sogar von der Entfernung aus ein kleines, belustigtes Funkeln in seinen Augen ausmachen.

»Warum, Jana?«, fragte er und legte dabei den Kopf nachdenklich schief.

»Du weißt, warum. Verkauf mich nicht für dumm, Marc, du warst doch bei ihr heute. Das ist gegen die Abmachung. Du schaffst es nicht einmal zwei Tage lang zu deinem Wort zu stehen. Ich muss verrückt gewesen sein, als ich dir diesen Vorschlag unterbreitet habe. Und ich glaube auch nicht, dass du dich wirklich bemühen wirst, an Juli heranzukommen. Also können wir es auch gleich ganz sein lassen.« Wieder war es mit ihr durchgegangen. Jana kannte sich gerade selbst nicht. So emotional war sie seit Jahren nicht mehr gewesen. Sie hatte ihre Gefühle eigentlich gut im Griff, hatte geglaubt, die Kontrolle zu haben. Doch zwei Tage mit Marc hatten gereicht, um ihre Fassade bröckeln zu lassen. Sie wusste nicht, ob sie deshalb auf sich selbst oder auf ihn sauer sein sollte.

Marc sah sie eine Zeitlang nur an, beobachtete, wie sie mit sich rang. Er wusste, dass sie ihm diese Seite nicht hatte zeigen wollen, die emotionale, verletzliche. Doch so war sie ihm viel lieber. Er konnte mit ihrem Zorn umgehen, nicht jedoch mit ihrer Kälte und der Herablassung, mit der sie ihm in den vergangenen Jahren begegnet war. Deshalb stieß er sich nun vom Türrahmen ab, um zu ihr ins Wohnzimmer zu kommen. Dort ging er vor ihr in die Hocke und sah ihr ganz offen ins Gesicht. »Ich war bei ihr, das stimmt. Ich habe ganze fünf Minuten vor ihrer Haustür geparkt und bin dann ins Büro gefahren, wo ich ein paar Akten durchgegangen bin und Mails bearbeitet habe. Wenn du mir nicht glaubst, frag deinen Vater, er hat die Mails in CC erhalten und kann dir die Uhrzeit sagen, zu der ich sie gesendet habe.«

Jana blickte nun zu Boden. Ihr Zorn schien etwas abgeebbt zu sein und Marc konnte sehen, wie sich eine zarte Röte auf ihren Wangen ausbreitete. »Und ja, ich finde die Umstände, unter denen wir hier wieder zusammengekommen sind, verrückt.«

»Wir sind nicht wieder zusammen«, fiel sie ihm ungeduldig ins Wort.

»Das meinte ich damit ja auch gar nicht, Jana. Ich will nur sagen, dass ich meinen Teil der Abmachung einhalten werde. Und nicht, weil es mir um das Geld geht. Das war vielleicht zu Beginn ein Grund, aber ehrlich Jana, ob ich nun die Hälfte von deinem Vermögen habe oder nicht, ist zweitrangig; es geht mir um Juli. Ich habe die Sache mit unserem Sohn in den vergangenen Jahren ganz schön vermasselt. Ich …« Er brach ab und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Ich kenne ihn nicht mal mehr. Vermutlich werden auch die drei Monate daran nichts ändern. Aber ich will es versuchen, okay? Ich will es wirklich versuchen, deshalb war ich auch nicht bei ihr.« Er ließ den letzten Satz nachhallen und wartete, bis sie ihn wieder ansah. »Und ich werde sie auch in den kommenden Wochen wie vereinbart nicht sehen. Können wir jetzt zu Bett gehen, ich habe ohnehin schon höllische Kopfschmerzen davon, an einem Sonntagabend im Büro gewesen zu sein.«

Ein kleines Lächeln umspielte nun ihren Mund. »Arbeit ist dir noch nie gut bekommen«, sagte sie, doch ihr Ton war eher neckend als schneidend, weshalb er sie nun schief angrinste.

»Biest«, sagte er leise, ihren spielerischen Ton aufgreifend.

»Idiot«, gab sie zurück, doch der Zorn und die Anspannung waren von ihr gewichen, sie erlaubte sich sogar, ihn offen anzulächeln. Ohne darüber nachzudenken, umfasste er sie und hob sie hoch. »Hey, was tust du?«, quietschte sie und versuchte, sich aus seiner Umarmung zu befreien.

»Ich verrichte meinen abendlichen Dienst, Madame«, sagte er und trug sie unter ihren leisen Protesten zur Treppe. Als er die ersten zwei Stufen genommen hatte, öffnete sich Julis Tür und sein Sohn spähte misstrauisch in den Flur.

»Was macht’n ihr schon wieder für ’n Krach?«, fragte er, während er das Bild, das sich ihm bot, in sich aufnahm. Sein Vater, der seine Mutter bereits zum zweiten Mal, seit er zurück war, die Treppe hochtrug, wie irgendeiner dieser ätzenden Typen aus den kitschigen Filmen, die Mädchen so mochten. Und sie, die es sich gefallen ließ, einfach so; sogar verlegen war, wie er an ihrem roten Kopf sah. Er verstand es nicht, aber tief in ihm lächelte der kleine Junge, der sich nichts sehnlicher wünschte, als seine Mutter endlich wieder glücklich zu sehen. Und so verbiss sich der grantige Teenager, der er eigentlich war, jeden Kommentar und verschwand nur kopfschüttelnd wieder in seinem Zimmer. Marc setzte sie vor ihrem Zimmer ab. Sie sah verlegen aus, wie sie nun so vor ihm stand. Ihre Augen huschten rechts und links an ihm vorbei, doch sie vermied es, ihn direkt anzublicken.

»Dann bis morgen«, sagte er.

»Ja, bis morgen«, wiederholte sie und ihre Stimme klang rau. Aber vielleicht hatte er sich das auch nur eingebildet.

Für immer und ein Vierteljahr

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